[Hamburg] Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins - eine militante Nachbetrachtung

Flora bleibt-Demo in Hamburg - Was am 21.12. wirklich geschah ...

Obwohl wir nichts von Schusswaffengebrauch in die Überschrift geschrieben haben, können wir uns schon jetzt einer gewissen Aufmerksamkeit sicher sein. Die einen werden weitere militaristische Tipps und Anekdoten erwarten, der Boulevard und die ausgemachten Gegner*innen einer radikalen Linken weitere Zitate, die sie in ihrer idiosynkratischen Ablehnung bestärken und andere wiederum werden genervt aufseufzen und sich die Frage stellen, ob eine weitere militante Auswertung wirklich Not tut.

 

Und okay, es wird sicherlich auch einige geben, die sich über eine solche Auseinandersetzungen freuen. Doch egal ob Freude, Hass, Ablehnung oder Sympathie - die Aufmerksamkeit ist unser! Die militant geführten Auseinandersetzungen um die Rote Flora, die Esso-Häuser und die aus einem autonomen Spektrum unterstützen Flüchtlingsproteste der Lampedusa-Gruppe in Hamburg haben bundes- und weltweit eine große Welle an Interesse und Presseberichterstattung losgetreten. Dies ist nicht nur in erster Linie den direkten Aktionen geschuldet – das Law-and-Order-Gehabe der Hamburger Polizei und des Hamburger Senats hat ihr Übriges dazu beigetragen. Im grob umrissenen Spannungsfeld zwischen populistischer Berichterstattung und dem kaum verhohlenen Hass gegen „die kriminellen Chaoten“, einer liberalen Position, die sowohl in den direkten Aktionen als auch im Agieren des Hamburger Senats eine Gefährdung der bundesdeutschen Demokratie sieht und autonomen Positionen, die sich in den ersten Tagen nach Hamburg – zu mindestens im eigenen öffentlichen Diskurs – vor allem mit der Frage beschäftigten, wie „noch effektiver kaputt machen“, stellen wir uns die Frage, was kann militante Politik und was wollen wir damit überhaupt.

 

 

Militanz

 

Militanz bedeutet für uns vor allem eins: Den bestehenden Verhältnissen gegenüber eine unversöhnliche Position einzunehmen und sie überall dort zu kritisieren und anzugreifen, wo sie uns entgegentreten. Was erst einmal nur wie ein schöner, radikaler Allgemeinplatz klingt, ist in unseren Augen eine deutliche Erweiterung des Militanzbegriffs. Diese Lesart ist nicht neu und schon gar nicht von uns erfunden, eröffnet aber einen größeren Raum für Diskussionen. Wir hatten allerdings den Eindruck, dass in einigen Indymediaartikeln und Kommentaren Militanz mit direkten Aktionen gleichgesetzt wird. Eine Verkürzung, mit der wir uns selbst keinen Gefallen tun und die Grundlage für die Trennung in „friedliche“ und „gewaltbereite“ Demonstrant*innen/Aktivist*innen legen.

 

Eine militante Politik fußt aus unserer Sicht auf einer „Politik der ersten Person“ ohne sich dabei vereinzeln zu lassen. Denn auch wenn wir Stellvertreter*innenpolitik ablehnen, brauchen wir eine kollektive Organisierung, gemeinsame Perspektiven und eine solidarische Bezugnahme aufeinander. Militante Politik zeigt sich in unserer alltäglichen Praxis, in unserem Aufbegehren gegen sexistische und rassistische Strukturen und Diskriminierungen, in Versuchen trotz kapitalistischer Vereinzelungstendenzen unser Leben gemeinsam zu organisieren, Arbeit und Ausbeutung, Kindererziehung und Reproduktionsarbeit zu kollektivieren. Sie ist in erster Linie der Versuch einer konsequenten und radikalen Politik. Dabei stoßen wir immer wieder an Grenzen und werden enttäuscht, können eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden oder reproduzieren Verhältnisse, die wir hassen. Dies kann gar nicht anders sein, denn wir sind weder Superheld*innen noch unfehlbar. Aber die fortdauernden Versuche und die kreativen Lösungen sind es, die unsere Politik auszeichnen und lebenswert machen. Fragend schreiten wir voran, ohne dabei ziellos zu sein – alles andere führt zu Dogmatismus und Engstirnigkeit.

 

In unseren politischen Auseinandersetzung und bei der Bewältigung unseres Alltages probieren wir immer wieder neue Aktionsformen aus, greifen auf alte zurück oder modifizieren sie. Der Teil, in dem wir uns in direkte Aktionen begeben, uns mit Steinen gegen Polizisten wehren oder Schaufensterscheiben zertrümmern, ist dabei marginal. Wir sitzen stundenlang auf Plenas, versuchen uns zu organisieren und anderen dabei zu helfen, wir diskutieren, schreiben Aufrufe und Flyer, gehen auf Demos, kochen in Voküs, Feiern, gehen einklauen und tausend Sachen mehr. Dies ist unsere politische Praxis, zu der eben auch direkte Aktionen gehören. Diese sind aber nur Momente unter vielen, ein strategisches Mittel, eine Aktionsform, eine Möglichkeit des Aufbegehrens.

 

Unser „wir“ ist ein wir bestehend aus Freund*innen, Genoss*innen, uns lieben oder wohlgesonnen Gruppen und Zusammenhängen, aus Menschen, über die wir uns manchmal ärgern, auf die wir aber solidarisch Bezug nehmen können, aus Menschen mit denen wir hier und dort mal zusammenarbeiten. Unser „wir“ versucht nicht Trennendes wegzudiskutieren oder glattzubügeln, allzu bewusst sind wir uns darüber, welche inhaltlichen Differenzen es gibt, auch zu Menschen, deren Selbstverständnis ein „linkes“ ist, deren Inhalte wir aber nicht teilen. Dabei gibt es Unterschiede, über die wir diskutieren können und Meinungen, dir wir konsequent ablehnen.

 

 

Hamburch


Die Auswertung mit der Mobilisierung zu der Demonstration am 21.12. beginnen lassen ist zwingend verkürzt. Die aktuelle Auseinandersetzung so zu reduzieren ist eigentlich unzulässig, da sie nicht in einem luftleeren Raum geschieht und wir nicht die steineschmeißenden Riotaliens sind, für die uns ein Teil der Hamburger Presse und Politik hält. Uns ist auch gerade im Bezug auf die Berichterstattung und auf die Kritik wichtig festzustellen, dass wir diejenigen sind, die seit Jahren Politik im Stadtteil, in Antira-/Antifazusammenhängen, in sozialen Zentren, in Fußballstadien, in einer Kunst- und Kulturszene, in feministischen Gruppen und in all dem was sonst noch an „Teilbereichskämpfen“ existiert, machen. Und wir sind diejenigen, die in den Stadtteilen wohnen, arbeiten, studieren, Kinder sind und selbst welche groß ziehen. Diese Kämpfe, Kontakte und Verbindungen sind es, die uns ein militantes Handeln ermöglichen und die uns auch zu Ansprechpartner*innen für unsere Politik und unsere direkten Aktionen machen. Dabei müssen wir nicht aus Hamburg sein, um uns mit diesen Kämpfen zu solidarisieren. Wir führen sie genauso in Berlin, Dresden und Gütersloh, Athen, Minsk und Mexiko City.

 

Erwähnenswert für die Mobilisierung scheint uns die Bezugnahme auf die Kämpfe der Lampedusa-Gruppe in Hamburg zu sein, die mit viel Unterstützung aus dem Stadtteil den Versucht gewagt hat, sich selbst zu organisieren und zu artikulieren, was ihre Forderungen und ihre Kritik sind. Die autonome Bezugnahme auf diesen Organisationsversuch war vor allem eine solidarische, eine ergänzende, aber auch eine, die viele Überschneidungen hatte. Die Idee die Proteste mit einer konfrontativeren Politik zu begleiten, dabei zu unterstützen, aber auch eigene Wege und Aktionsformen zu wählen, halten wir für eine sehr gute Idee. Die breite Unterstützung für diesen Weg hat sich zum einen in der Presseberichterstattung, aber auch in Mobilisierungserfolgen wie der Demo am 2. November gezeigt. Der Verlauf dieser Großdemonstration mit über 15 000 Menschen war das, was in der Presselandschaft verkürzt als „friedlich“ bezeichnet wird. Er war also nicht von konfrontativen Auseinandersetzung geprägt wie die Demo am 21.12. Für uns ist dies Ausdruck einer Stärke und genau der richtige und reflektierte Umgang mit einer militanten Politik und direkten Aktionen. Wir entscheiden wann es richtig ist, eine direkte Auseinandersetzung mit der Polizei oder anderen Akteur*innen zu suchen und lassen uns dies nicht diktieren. Mal ist es angemessen und schafft unsere Positionen zu stärken, mal kann es dazu führen Menschen und Ziele zu gefährden. Gerade die Mischung aus niedrigschwelligen und direkten Aktionen haben die Diskussion um die Flüchtlingsproteste zugespitzt und öffentlich deutlich wahrnehmbarer gemacht. Uns hat dabei gefreut, dass diese Inhalte und die Protestform auch in anderen Städten aufgegriffen wurden. Dabei fallen uns zum Beispiel die Solibesetzungen von SPD-Zentralen in Hamburg, Berlin, Leipzig und Frankfurt am Main ein.

 

Auch wenn wir die Verschränkung der drei Themenfelder Rote Flora, Lampedusa-Gruppe und Esso-Häuser in der Tendenz begrüßen, müssen wir doch feststellen, dass die Bereiche und die Aktionsformen, die wir wählen können, um mit ihnen umzugehen, zu weit auseinander lagen. Eine sehr konfrontative Haltung, wie wir sie bei der Roten Flora einnehmen können, verbietet sich in unseren Augen gleichzeitig, wenn Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus die Teilnahme an der gleichen Demonstration ermöglicht werden soll. Es wäre an dieser Stelle wert, darüber nachzudenken, ob die Mobilisierung aus diesem Grunde nicht von Anfang an eine andere Richtung hätte einschlagen müssen oder nicht besser einzelne Themenfelder ausgegliedert worden wären. Gleichzeitig geben wir aber zu bedenken, dass die Mobilisierung und Berichterstattung zur Roten Flora bereits sehr früh eine erkennbar konfrontative Richtung einschlug, die wir durchaus begrüßen.

 

Wir haben uns trotzdem über die Mobilisierung aus Hamburg gefreut, weil sie in erfrischender Art und Weise konsequent und unversöhnlich war und weil sie gleichzeitig eine breite Reflexion der eigenen Situation, des aktuellen Stands und der Perspektiven darin aufgemacht hat.

 

 

21.12.13


Sich im Nachhinein hinzustellen und zu sagen, „naja war ja abzusehen“ ist immer einfach. Dennoch glauben wir sagen zu können, dass ein so gearteter Polizeieinsatz zu erwarten war. Sicherlich ist die Unverfrorenheit der Polizeiführung, die Demonstration gar nicht erst loslaufen zu lassen, sondern sie auf dem Schulterblatt zu kesseln, eine besonders drastische Maßnahme gewesen, für die es vor allem aus einer linksliberalen Position wenig Verständnis gab. Wir glauben zwar, dass es für die Polizeiführung einen ganz praktischen Sinn hatte einen Teil der Demonstrant*innen zu kesseln, einen Gefallen haben sie sich damit nicht getan. Ein Großteil der eingesetzten Beamt*innen und das Aufstandsbekämpfungsgerät direkt um den Auftaktort in Stellung zu bringen, hat zum einen politisch deutlich gemacht, dass eine Durchführung der Demonstration gar nicht angedacht war, hat aber gleichzeitig auch die Chance eröffnet, an anderen Stellen aktiv zu werden. Wir hätten es als einen Ausdruck von Stärke angesehen, die große Menge von 10 000 Unterstützer*innen in Bewegung zu sehen, aber die Chance gab es schlichtweg nicht. Die für uns an dieser Stelle interessante Frage ist, wie mit dieser Situation kreativ und geschickt umzugehen ist. Wir halten die massiven Sachbeschädigungen, das beständige in Bewegung bleiben und an ganz unterschiedlichen Orten zu demonstrieren und zu agieren, für einen gelungenen und sinnvollen Umgang mit der Situation. Die völlig überforderte Polizei und die unterschiedlichen Räume, die sich eröffneten, scheinen uns Recht zu geben. Wir halten Diskussionsansätze, die quasi militaristisch argumentieren, wie etwa der Beitrag „Irgendwann werden wir schießen müssen“ oder „HH2112 und eine militante Zukunft auf der Straße“ für nicht sinnvoll. Es macht ganz sicherlich Sinn zu diskutieren, wie wir mit der Situation auf der gestürmten Demonstration besser hätten umgehen können, wie entschlossener Gegenwehr gegen die anstürmenden und prügelnden Sondereinheiten der Polizei hätte geleistet werden können oder wo strategische Fehler lagen, aber bei aller Liebe ist dies nicht unser erster Gedanke und ganz sicherlich nicht der erste Text, den wir verfassen würden. Eine quasi militärische Konfrontation mit dem hochgerüsteten Polizeiapparat ist nicht direkt zu gewinnen und der Stil in dem die Texte verfasst wurden, lässt die Frage aufkommen, wo hier der eigentliche Wert politisch-militanter Aktionen gesehen wird. So lang feste draufzuhauen, damit der „Bullenstaat“ sein „faschistisches Antlitz“ zeigt, ist weder praktikabel noch sinnvoll und im Endeffekt Rumgemacker.

 

 

Der Tag danach...

 

Wir sind der Ansicht, dass eine politische Auseinandersetzung vor allem auch in den Tagen danach stattfindet, in der Rezeption, der Auswertung und weiteren Aktionen. Es war klar und auch so gewollt, dass die Demonstration, die Sachbeschädigungen und die Aktionen des Tages eine breite öffentliche und mediale Diskussion erzeugen. Eine Diskussion allerdings, die allzu oft über uns und an uns vorbei geführt wird. In einer Gesellschaft, in der wir eine radikale Position einnehmen und offensiv vertreten, ist dabei völlig klar, dass es Kritik an unserem Vorgehen und Handeln gibt und geben wird. Diese Kritik halten wir in einigen Facetten auch durchaus für sinnvoll und richtig, nur ist auch klar, dass sie in den allermeisten Fällen aus einem eigenen politischen Anspruch heraus gegen uns und unsere Positionen geführt wird. Die allzu antagonistische Position, die die Autor*immen des Diskussionsbeitrags „HH2112 und eine militante Zukunft auf der Straße“ für sich in Anspruch nehmen, halten wir für eine wirklichkeitsfremde Illusion. Wir sind keine von der restlichen Gesellschaft losgelöst agierenden Individuen, auch wenn viele unserer Positionen in einem diametralen Widerspruch zu den Praxen und Positionen dieser Gesellschaft stehen. Die arrogante Position zu glauben, dass wir avantgardistische Revolutionskader sind, gefällt uns nicht.

 

Mit einer gewissen Faszination haben wir die medialen Reaktionen der Hamburger Polizei und ihrer Dienstherren beobachtet, die zwischen dem Versuch von Gerissenheit und abgrundtiefer Dummheit schwankte. Schon das Statement des Polizeisprechers vor laufenden Kameras, die Demonstration wäre deshalb mit großer Brutalität aufgelöst worden, weil sie zu früh losgelaufen war, hat uns am Verstand des Pressesprechers zweifeln lassen. Ein Widerspruch in Wort und Bild, der sich durchaus auch in der Berichterstattung der liberalen Tageszeitungen, sowie überraschender Weise sogar der dpa heraus lesen ließ. Doch bevor die Berichterstattung zu Ungunsten der Polizei kippte, fingierte diese einen Angriff auf die Davidswache am 28.12. mit einem dabei angeblich schwerverletzten Polizisten. Ein medialer Schachzug, der in den ersten Tagen Wirkung zeigte und all denen Wasser auf die Mühlen goss, die eine Dämonisierung einer radikalen Linken betreiben, die sich eine harte Law-and-Order-Politik wünschen oder schlichtweg noch krassere Waffen für die Polizei haben wollen. Das Ausrufen des „Gefahrengebietes“ ist in unseren Augen der Gipfel der Versuche der Hamburger Polizei und der Hamburger SPD, den sozialen und politischen Protest mit reinen Mitteln der polizeilichen „Stärke“ in den Griff zu bekommen. In unseren Augen einer ihrer schönsten und dümmsten Fehler.

 

Wir glauben, dass unsere eigentliche Stärke in diesem Fall nicht die konfrontative Auseinandersetzung auf der Straße am 21.12. war, sondern die Reaktion auf die Repressionsversuche der Polizei. Die öffentliche Erklärung der Anwält*innen, die subversiven Aktionen im Schanzenviertel und Sankt Pauli, der ironisch-konfrontative Umgang mit dem Gefahrengebiet, Menschen mit Klobürsten und Tütchen voll Katzenscheiße und der lange Atem sind es, die der Hamburger Polizei in dieser Zeit wirklich zugesetzt haben. Dies sind Momente, die einer linksliberalen Öffentlichkeit Anknüpfungspunkte bieten und die künstliche Trennung zwischen „gewalttätigen Chaoten“ einerseits und den „witzigen friedlichen“ Demonstrant*innen auf der anderen Seite ad absurdum führen. Zu glauben, dass es sich dabei um völlig unterschiedliche Spektren handelt, die unabhängig voneinander vor sich hinarbeiten, ist eine Illusion, an die sich eine öffentliche Rezeption klammert. Eine Illusion die gebraucht wird, um zu trennen und sich dabei selbst zu vergewissern.

 

 

Und nu?


Auch wenn wir es für übertrieben halten, im Kontext der Ereignisse von Euphorie zu sprechen, müssen wir schon zugeben, dass wir eigentlich hoch zufrieden mit uns und der Situation sind. Wir hatten einen guten Tag am 21.12. und auch wenn wir einen Blick auf die darauf folgenden Tage und Aktionen werfen, gibt es von unserer Seite wenig auszusetzen. Und als kleines Boni haben wir uns ganz nebenbei köstlich über die Hamburger Bullen und den Senat amüsiert. Wir wollen jetzt nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Tag für viele Freund*innen und Genosse*innen bedeutete stundenlang im Kessel zu stehen, Pfeffer abzubekommen und verletzt zu werden und auch nicht leugnen, dass uns die Berichterstattung gerade nach dem erfundenen Angriff auf die Davidswache am 28.12. kalte Schauer über den Rücken gejagt hat und wir kopfschüttelnd die ganzen Dämonisierungsversuche in der Presse gelesen haben. Gerade in den ersten Tagen nachdem vermeintlichen Angriff in denen wir als Mörder*innen, Totschläger*innen, Kriminelle oder wahlweise kriminelle Chaot*innen beschimpft wurden, haben uns gewaltig am Verstand der Autor*innen und ihrer Urheber*innen zweifeln lassen. Die zutiefst antidemokratischen, elitären, chauvinistischen und faschistoiden Analysen und Lösungsvorschläge, die zum Teil zu lesen waren, geben einen besorgniserregenden Blick auf diese Gesellschaft frei. Einen Innensenator, der am 25.12. um 22:30 auf seiner eigenen Internetseite in der Kommentarspalte Nutzer*innen anpöbelt, die ihn kritisieren, kann man im besten Fall „engagiert“ nennen, realistischer aber als rachsüchtigen Spinner abtun. Auch die Polizeiführung scheint mit der Gegenwehr, den zum Teil monatelangen Aktionen und Demonstrationen auf der Straße und den Angriffen auf ihre Polizeireviere nicht umgehen zu können. Wir haben den Eindruck, dass sie über weite Phasen völlig kopflos agierte und sich allzu sehr auf ihre „militärische“ Stärke verlassen hat. Das Statement des Pressesprecher und als Gipfel der erfundene Angriff auf die Davidswache sehen wir als gründlichen Flop der Pressearbeit der Polizei an. Das Ganze wirkte derart hilflos, dass vielen Anwohner*innen und Beobachter*innen im Stadtteil und in der Presse der Bruch zwischen behaupteten Tatsachen und der Realität zu deutlich wurde, als dass er zu ignorieren war. Auch das Ausrufen des „Gefahrengebietes“ war dem Ansinnen der Polizei und des Senates sicherlich nicht förderlich, sondern führte zu breiten Solidarisierungseffekten. Gerade der ironische-spielerische Umgang mit dem Gefahrengebiet, das Ausnutzen des von der Polizei abgesteckten Gebiets als Spielfeld für humorvolle Konfrontation und das Ausreizen von Möglichkeiten war politisch sinnvoll, hat Spaß gemacht und war für viele Menschen sicherlich auch ermutigend und politisierend.

 

Gleichzeitig hat das Vorgehen in Hamburg Strahlkraft, macht Mut und führt zu einer breiteren Debatte auch in einem liberalen bzw. linksliberalen Milieu. Wenn die taz in mehreren aufeinander folgenden Kommentaren eine Militanzdebatte aufgreift und führt – wenn auch kritisch und in der Tendenz ablehnend – wenn Menschen, die in der Regel eine direkte Konfrontation ablehnen, sich solidarisch und verständnisvoll äußern, dann freuen wir uns darüber und begrüßen das. Hier gilt es weiter zu machen und unsere militante Perspektive offensiv und selbstbewusst zu vertreten.

 

Es fällt schwer zu bewerten, wie sehr Hamburg 21.12 ein Erfolg war. Wir haben ein gespenstisches Aufbäumen konservativer, populistischer Freund*innen von Law-and-Order-Politik gesehen, aber auch unsere eigene Stärke und Solidarität erlebt. Wir glauben, dass der Weg, den die Genoss*innen in Hamburg eingeschlagen haben, richtig war, dass es weiterhin aber notwendig ist, an unseren Kontakten, Verbindungen und Strukturen zu arbeiten. Dass es vor allem auch notwendig ist, eine breite öffentliche Wahrnehmbarkeit unserer eigenen Positionen zu erreichen. Wir meinen damit nicht eine verbesserte klassische Pressearbeit verbunden mit der Hoffnung, ein paar wohlwollende Zeilen zugeworfen zu bekommen. Wir sind der Ansicht, dass wir unser Handeln und Tun sowohl reflektieren, als auch nachvollziehbar und erklärbar gestalten müssen. Dies heißt nicht Anpassung, sondern Kommunikationsarbeit auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Räumen. Um es an dieser Stelle kurz zu machen, halten wir eine militante Praxis mit ihren direkten Aktionen, die keine Verankerung hat für hoffnungslos. Dabei ist klar, dass eine selbstbewusste militante Position Konfrontation mit den bestehenden Verhältnissen bedeutet - ein Kampf für deren Aufhebung eine Konfrontation mit den Akteur*innen die von ihnen profitieren. Die Auseinandersetzungen in Hamburg als einen notwendigen Schritt in Richtung Bürgerkrieg zu interpretieren, entspringt den absurden Gewaltphantasien einiger und ist zum Scheitern verurteilt. Die bessere Welt, die wir anstreben, können und müssen wir nicht militärisch erobern. Wir müssen sie lediglich neu schaffen, durch uns und unsere Praxis. Heute!

 

Einige Autonome auf Reisen

 

**Wir haben diesen Text verfasst, weil wir uns eine ausführliche und kollektive Reflexion der Ereignisse um die Auseinandersetzungen in Hamburg wünschen. Wir haben allerdings keinen Bock auf dahin gerotzte Kommentare in den Onlinekommentarspalten von indymedia und co. Wir freuen uns über Ergänzungen, Kritik und weitere Auswertungstexte, sowie eine Diskussion über eine militante Praxis. Wir regen an diese Diskussion auf Papier zu führen und schlagen als Austragungsort das „Autonome Blättchen“ vor.**

 

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Danke für diese Zusammenfassung, Reflexion und Einschätzung. 

Anbei ein kurzer Kommentar zum Text:

 

Auch wenn sich die Verfasser_innen gerne in der Tradition von Kämpfer_innen in Mexiko und anderen Städten sehen,

gibt es doch oftmals große und komplexe Klassendifferenzen in den vielen Kämpfen, die daher durchaus trennend wirken können.

Allerdings möchte ich das im weiteren Verlauf des Kommentars ausführen:

 

Soziale Trennung, Benachteiligung und Spaltung, genau das wurde versucht in der "Recht auf Stadt" Bewegung aufzuheben.

Sie muss diskutiert, verhindert und angegriffen werden - am Besten täglich.

Denn es geht um eine  völlig andere Gesellschaft, die wir schaffen wollen.

Weil Hamburg ein Stadtstaat ist, können "wir" (als Gesellschaft) dabei um so mehr unsere Agenda setzten,

mit der sich der Senat - früher oder später - auseinandersetzen muss.

 

Eine Analyse des 21. Dezember 2013 ist sinnvoll, vor allem aber muss den Leuten,

die von außerhalb kommen klar sein, dass es nicht möglich ist, verschiedene Kämpfe zu trennen.

Zu lange schon haben sich diese aufeinanderbezogen und gegenseitig unterstützt.

Dass nicht nur die Luft brennen würde, wusste Lampedusa in Hamburg und hat deshalb vorher eine Kundgebung abgehalten.

Allen die im Nachhinein auf die Demo gingen, war klar dass das Eskalationspotential sehr hoch ist.

 

Zum ersten Mal ist der Kampf im Anschluss der Zerschlagung durch die bullen, in Viertel hineingetragen worden,

die nicht szeneeigen oder kiezzugehörig sind. Die Angst, die Menschen ohne Hoffung haben,

war für kurze Zeit ein Begleiter derer, die in den Gated Communities von Hamburg leben.

An diesem tag wurde Solidarität mit Unterpriviligierten geäußert, ganz egal welchen Pass oder Status sie haben.

 

Auch das ist ein Novum in der vereinten radikalen Bewegung der Linken:

Zu häufig fällt der Blick auf einzelne marginalisierte Gruppen und dabei wird oft vergessen,

dass es wichtig ist einen größeren Radius der Solidarität zu ziehen -

ob in der Nachbarschaft, in Beziehungen oder in sonstigen menschlichen Begegnungen -

wenn wir in einer kapitalisitischen Gesellschaft stark agieren wollen, ohne dass jemand "auf der Strecke" bleibt.

 

Die Bewegung, die wir in Hamburg gesehen haben, will den kapitalistischen Wettkampf nicht,

denn er ist kein Wettkampf in einem Spiel: Er ist für viele bitterer Ernst geworden.

Die Bewegung in Hamburg möchte solidarisch sein und Chancen ermöglichen.

Sie will aufzeigen, dass die Behörden kein Recht auf Zerstörung von Zukunft und

die bloße Einordung von Menschen als Humankapital haben.

 

Die Menschen, die sich in Hamburg für diesen "Kampf" entschlossen haben -

und ja, es ist "Kampf" gegen vorherrschende Verhältnisse zu agieren -

möchten zuhören und verstehen und miteinander agieren,

im Gegensatz zu anderen bisherigen (linken) Bewegungen,

die oft mehr getrennt als zusammengebracht hat.

Die Gemeinsamkeit der gesetzten politischen Agenda,

in denen einige wenige (priviligierte) häufig die Agenda von politischen Kämpfen bestimmten, 

ist das ebenfalls ein Unikum.

 

Wer Hamburg kennt, weiß, dass die Vorfälle am 21. Dezember 2013 nicht spontan passierten.

Sie sind die Konsequenz vieler Bewegungen, die untereinander ihre Solidarität bereits vorher

erklärt und gelebt haben in einer Stadtteilpolitik, die ihresgleichen in Deutschland sucht.

Dabei geht es eben nicht nur um politische Frei-Räume, die von einer priviligierten Mittelschicht,

(mit oder ohne Stipenium) geschaffen und verteidigt werden

- es geht um Lebensräume und das "Recht auf Stadt" gleichermaßen für alle.

 

Die Reaktion der Politik hat die Angst verdeutlicht, welche tief sitzt in den Köpfen und Herzen

der Besitzer_innen des Kapitals in der Stadt.

Doch ihr Versuch zu kriminalisieren wurden von den Bürger_innen

der Stadt Hamburg nicht akzeptiert. Sie haben gezeigt, dass Radikalität viele Gesichter hat,

aber vor allem nicht die der (Eigen-) und Fremdmarginalisierung, sondern der Momentes von Widerstand ist.

Die Botschaft aus den Geschehnissen von Hamburg ist somt klar geworden: Wir halten zusammen, niemand wird vergessen.

 

Wir sehen uns auf der Straße!