… and we thought heteronormativity was a bad idea. -- »Geschlecht« als Element reaktionärer Krisenlösungsstrategien.

…and we thought heteronormativity was a bad idea.

Einerseits gilt die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in Europa auf einem zuvor unerreichten Level. Und immerhin regiert seit acht Jahren eine Frau* unangefochten die Berliner Republik. Weibliche Lohnarbeit nimmt zu, auch in der Krise. In seiner Anrufung und Einforderung von Selbstoptimierung und Selbstsorge jede_r einzelne_n scheint der neoliberale Kapitalismus geradezu katalyisierende Wirkung auf die tendenzielle Auflösung von Geschlechtszuschreibungen und ihre Bedeutung zu haben. Angeblich wohnt die »westlichen Welt« gar eine »Krise der  Ernährermännlichkeit« bei. Das Abräumen der letzten Ungleichheiten scheint nur noch eine Frage der Zeit und macht jede zusätzliche Anstrengung überflüssig.

 

Andererseits verschärft sich die weiterhin dramatische wirtschaftliche und soziale Benachteilung von Frauen* in der globalen Krise nochmals. Die angeschlagene Staaten suchen sich auf Kosten Letztere zu sanieren. Während männlich-dominierte Wirtschaftssektoren als relevant für den Standort eingeschätzt und mit massiven Subventionen stabilisiert wurden, schreitet der Abbau und Ausverkauf von Fürsorge- und Pflegeaufgaben unerbittlich voran. Durch geringer bezahlte Lohnarbeit und unbezahlte Sorge- bzw. Pflegearbeit in Familie und Partnerschaft sind mehrheitlich Frauen* einer doppelten Ausbeutung ausgesetzt. Von der neuen Familienpolitik profitieren dagegen die bereits Bessergestellten, deren Reproduktion (konkret: Vermehrung) gewünscht ist. Die geforderte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen dabei nicht zuletzt Pflege- und Putzkräfte aus Osteuropa und Asien, deren Elend in der Erfolgserzählung moderner Gleichstellungspolitik keinen Platz hat.

 

Vor diesem Hintergrund findet in der (radikalen) Linken eine intensive Wiederaneignung und Weiterentwicklung feministischer Ökonomiekritik und Organisierungsansätze statt. Sie zentriert sich um die Frage privater und gesellschaftlicher Reproduktion, eröffnet neue Kampflinien und ermöglicht oft unerwartete Allianzen. Dabei ist die Debatte nicht immer frei vom nostalgischen Rückbezug auf das Modell des europäischen Sozialstaats. Die Enttäuschung über das verratene Versprechen umfassender Emanzipation innerhalb des Kapitalismus wie die daraus erwachsenden materiellen und sozialen Nachteile zeitigt durchaus widersprüchliche Reaktion. Zugleich lassen sich nämlich Tendenzen einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse ausmachen. An die Stelle des Wunsches nach Autonomie und Selbstverwirklichung tritt der geschützte Innenraum der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer traditionellen Rollenverteilung. Dass sich die Familienidyllen der alten wie neuen Bürgerlichkeit mitunter schnell in einen patriarchalen Albtraum verwandeln, kann der allgegenwärtigen Sehnsucht nach Privatheit und family value, die von der extremen Rechten bis zu den Alternativos alle eint, nichts anhaben. Längst greift sie auf ehemals alternative Lebensweisen und Beziehungsmodell über. Als bärtiger Hipster(ehe)mann verkleidet kann das alte zum neuen gesellschaftlichen Leitbild avancieren. Der familiären Mobilmachung geht es dabei immer auch um die Aufrechterhaltung und Verteidigung verschränkter Geschlechts- und Klassenprivilegien. Aus dieser Perspektive zeigt sich sich der Neobiedermeier als schnöde Besitzstandswahrung, gerade dann wenn nun beide Partner*innen für sie  Lohnarbeiten müssen. Dass der Wiener Akademiker Ball, das Schaulaufen der rechten Eliten Europas, dieses überkommene Verhältnis von Männern* und Frauen* als nachahmenswertes und glamouröses Modell ausstellt, macht ihn auch auf dieser Ebene zu einer ideologischen Angelegenheit. Nichtzuletzt deswegen, weil gerade die Zurschaustellung des Heteroidylls erahnen lässt, dass die dynamisierten Geschlechterordnungen im neoliberalen Kapitalismus längst auch das konservative Milieu erfasst haben. Das Gerede von Natürlichkeit und Werten, Alternativlosigkeit und Tradition verdeckt, dass es bessere Formen des gesellschaftlichen Lebens gibt. Um die lohnt es sich auch in der derzeitigen Krise zu kämpfen. Gewinnen und verteidigen kann man sie allerdings nur gegen Nation und Patriarchat, Staat und Kapital.

 

Im Rahmen der der Mobilisierung gegen den Wiener Akademikerball wollen wir deshalb mit Katharina Hajek den ökonomische, politische und ideologische Verschränkungen wie Widersprüchen von Krise und Geschlecht auf die Schliche kommen und emanzipatorische Gegenstrategien diskutieren.

 

Katharina Hajek ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien und Mitherausgeberin des Sammelbandes »Que[e]r zum Staat« (Querverlag 2012). Sie veröffentlicht u.a. in »Perspektiven. Magazin für linke Theorie und Praxis« und »femina politica«.

 

Donnerstag, 12. Dezember 2013, 20h, K-Fetisch, Berlin-Neukölln

 

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Wie böse Zungen schon immer behauptet haben, geht die militante Speerspitze der neuen Marx-Lektüre nun scheinbar vollends in der postmodernen Ideologie auf. Wo antikommunistisch von "Klassenprivilegien" gefaselt wird, wird materialistische Gesellschaftskritik systematisch verunmöglicht. Dass dies keine neue Tendenz ist, hat bereits der letzte uG-Kongress gezeigt, auf dem quasi alle neueren sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätze von Poststrukturalismus bis Postideologie unter dem Slogan "Post-Marxismus" abgefeiert wurden.

Die Rede ist von Klassenprivilegien. Was soll denn dabei materialistische Gesellschaftskritik verunmöglichen?

Die Rede ist von Lohnarbeit.  Was soll denn dabei materialistische Gesellschaftskritik verunmöglichen?

Was soll denn daran antikommunistisch sein?

 

Der familiären Mobilmachung geht es dabei immer auch um die Aufrechterhaltung und Verteidigung verschränkter Geschlechts- und Klassenprivilegien

Steht im Text. Für mich ist das eine Kritik am Kampf für Klassenprivilegien, die zutiefst in einer materialistischen Denkweise und Gesellschaftskritik verwurzelt ist.

 

Ich halte das für einen ziemliche offensichtlichen Versuch anhand von einzelnen Zitaten eine Strömung abzustempeln. So macht es keinen Sinn und das ist auch für mich keine dialektische Vorgehensweise. Bald kommt schon die nächste Kritik wegen der Verwendung des Begriffs heteronormativ und sieht sich dazu berufen hier eine Verbindung zur "Antisemtin" Judith Butler herzustellen. Naja. That's not the way I like it.

 

Das ist ein, so finde ich, gelungener Aufruf zu einer Mobiveranstaltung nicht mehr aber auch nicht weniger.

Wenn ich auf solche eine Art und Weise argumentieren würde könnte ich auch sagen, dass der Genosse, dessen Text du hier verlinkt hast als Beleg für "Böse Zungen" ja passt wie die Faust aufs Auge. Aber lassen wir das, noch ist es nicht zu späth. 

 

Im historischen Kontext betrachtet erscheint dieser Vorwurf noch abstruser.

 

"Der Kampf für die Befreiung der arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und Pflichten und für die Abschaffung aller Klassenherrschaft."stand schon 1869 im Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

Wieso sind die Burschenschaftler gepixelt?