[S] Refugee-Demonstrationen in Stuttgart: Bericht und Ausblick

koenigsstraße

Der Bericht entspricht meiner persönlichen Perspektive als Unterstützer*in. Er ist subjektiv und hat keinesfalls den Anspruch die vorhandene Meinungsvielfalt innerhalb der Geflüchteten und Unterstützer*innen zu repräsentieren! 300 Geflüchtete und Unterstützer*innen waren am Montag auf der Straße, um gegen die katastrophalen Bedingungen in den Isolationslagern des Main-Tauber-Kreises und die rassistischen Zustände überall in Deutschland zu demonstrieren.


+++ Bericht zur Demonstration der Geflüchteten am 19.8.2013 aus Sicht einer teilnehmenden Einzelperson +++
+++ Ankündigung: Refugee-Demonstrationen jetzt jeden Montag in Stuttgart! +++

 

In Redebeiträgen thematisierten Geflüchtete und ihre Freund*innen u.a. die Situation in den Lagern und das Leben als Geflüchtete*r in Deutschland, die Verstrickungen der NATO in den Konflikt in Pakistan und Deutschlands Beitrag zu Flucht überall auf der Welt durch Kriegseinsätze, Waffenexporte und wirtschaftliche Ausbeutung. Außerdem wurde eine Solidaritätserklärung des Protestcamps in Bitterfeld vorgelesen, um den bundesweiten Widerstand der Geflüchteten zu verbinden, sowie dazu aufgerufen verschiedenste Kämpfe zu verbinden und gemeinsam gegen jede Form von Unterdrückung zu revoltieren.

Die Demonstration starte am Marktplatz, passierte die Ausländerbehörde und endete wieder am Protestcamp vor dem Integrationsministerium. Am Schluss der Route, in der Nähe des Bahnhofs, gab es etwas Verwirrung bei der Polizei: Die Teilnehmer*innen wollten lieber auf der Königsstraße (anstatt der angemeldeten Route) laufen und nahmen sich einfach die Straße. Die Demonstration verlief kraftvoll, gut gelaunt und nahezu störungsfrei. Lediglich eine Aktion der Polizei (abgesehen von ihrer generellen Anwesenheit) fiel negativ auf: Die Bilder eines anwesenden Fotojournalisten sollten, aufgrund einer Beschwerde eines "Passanten", kontrolliert werden. Durch solidarisches, kollektives Handeln konnte dies allerdings verhindert werden.

Fotos gibt's u.a. bei den Beobachtern (achtung Facebook!).

Die Entschlossenheit der Refugees in Stuttgart findet kein Ende - künftig wird es wöchentliche Demonstrationen geben. Hier die Ankündigung, kopiert vom Blog der Refugees:

 

 

Kein Mensch ist Illegal! Support to the refugees!

Jeden Montag um 19 Uhr beim Camp der Flüchtlinge. (Thouretstr. 2, Stuttgart)

Seit dem 17. Juli campen Flüchtlinge durchgehend vor dem Integrationsministerium
des Landes Baden-Württemberg. Ihr Protest richtet sich gegen das Leben in den
Flüchtlingslagern, das von Isolation, Zwang, Überwachung und Einschüchterung
geprägt ist.

Essensgutscheine, Residenzpflicht, überbelegte Räume, Arbeitsverbot, Repression
durch die Lagerleitung und die permanente Bedrohung durch Abschiebung sind nur
einige Aspekte dieses rassistischen Systems.
Diejenigen, die in Deutschland (vermeintlich) wirtschaftlich nicht verwertbar
und somit überflüssig sind, besitzen hier auch kein Recht auf ein Leben in Würde!

Doch die Isolation konnten diese Flüchtlinge nun teilweise durchbrechen. Mit
ihrem Protest wehren sie sich gegen die menschenunwürdige Behandlung, die
bundesdeutsche Asylpraxis und setzen sich für eine Welt ein, in der keine
Grenzen mehr zwischen den Menschen stehen.

Die Flüchtlinge in diesem Kampf zu unterstützen ist die Aufgabe all jener
Menschen, welche sich für ein freies und selbstbestimmtes Leben einsetzen. Auch
in der BRD profitieren Politik und Wirtschaft in hohem Maße vom Leid, das durch
sie in anderen Ländern verursacht wird: Kriege werden mit deutschen Waffen
geführt, Menschen und Ökosysteme zur Befriedigung von wirtschaftlichen
Interessen ausgebeutet. Deshalb wollen wir gemeinsam am 19. August unseren
Protest gegen Abschiebungen, Lagerpflicht und die rassistische Asylpolitik
Deutschlands auf die Straße tragen.

Für die Erfüllung der Forderungen:


1) Die Abschaffung des Sachleistungsprinzips
2) Arbeitserlaubnis für alle!
3) Die Abschaffung der Lagerpflicht
4) Uneingeschränkte medizinische Behandlung
5) Die Möglichkeit die deutsche Sprache zu lernen
6) Abschiebungen stoppen
7) Bleiberecht für alle
8) Die Diskiminierung von Geflüchteten muss aufhören
9) Die Abschaffung der Residenzpflicht!

Für eine Welt in der kein Mensch mehr fliehen muss!
Für ein freies und selbstbestimmtes Leben ohne Diskriminierung!
Eine solidarische Perspektive erkämpfen!


Kontakt:

refugeesmaintauber@riseup.net

weitere Informationen:
http://www.facebook.com/RefugeeProtestStuttgart
http://www.refugeeproteststuttgart.wordpress.com/

Treffen zum Austausch und Planung:
Jeden Abend um 20 Uhr beim Camp in der Thouretstr.2
http://www.facebook.com/RefugeesSolidarityStuttgart

Kommt vorbei!
Support the refugees!

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Danke für den Bericht. Zur Dokumentation hier noch der Redebeitrag zum Camp in Bitterfeld. Mag jemand noch die anderen Beiträge ergänzen?

 

Die Geflüchteten, die hier in Stuttgart vor dem Integrationsministerium für ein Recht auf Rechte kämpfen, sind nicht allein! Auch in Berlin, München, Eisenberg, Hamburg und Bitterfeld - nur um einige Städte zu nennen - gab und gibt es Widerstand. Ich möchte an dieser Stelle über das Protestcamp in Bitterfeld im Land Sachsen-Anhalt sprechen, das ich gestern besucht habe:

 

Auch in Bitterfeld werden die Menschen, die hier in Deutschland Schutz suchen, in Isolationslagern eingesperrt! Sie müssen mitten im Wald, fernab von Ärzten, Einkaufsmöglichkeiten und anderen Orten des gesellschaftlichen Lebens unter ebenso katastrophalen Bedingungen wie in den Lagern des Main-Tauber-Kreises ausharren. Die Lagerleitung überwacht, bedroht und schikaniert: ein anderes Bundesland, aber das gleiche unterdrückende Prinzip!

 

Auch in Sachsen-Anhalt gilt die rassistische Residenzpflicht, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft in Ketten legt, indem sie ihnen verwehrt das Bundesland zu verlassen. Deshalb kann heute aus Bitterfeld kein Geflüchteter* und keine Geflüchtete* mit uns hier auf dieser Straße stehen!

 

Sie dürfen ebensowenig einer Beschäftigung nachgehen und sind von den wenigen Krümeln abhängig, die ihnen der Staat hinwirft. Einer von ihnen wartet bereits seit 10 Jahren auf eine Arbeitserlaubnis. Und da ihnen auch in Bitterfeld keine Sprachkurse finanziert werden, haben sie ebenfalls keine reale Möglichkeit deutsch zu lernen.

 

Viele sind, hier wie dort, traumatisiert, wurden durch das Leben in den Lagern krank gemacht und einige sind darin bereits gestorben.

 

Gleich ist auch die ständige Ungewissheit: Sie teilen die Angst vor Abschiebung, oft gleichbedeutend mit Folter und Mord in ihrer sogenannten "Heimat", mit denjenigen Menschen die hier in Stuttgart auf der Straße sind.

 

Doch nicht nur die Lebensumstände sind vergleichbar: Auch die Entschlossenheit, sich nicht länger als Menschen zweiter Klasse behalndeln zu lassen, verbindet diese Menschen. An dieser Stelle möchten wir sie selbst zu Wort kommen lassen und eine Solidaritäts-Erklärung vorlesen:

 

Wir sind einige der Flüchtlinge aus Sachsen-Anhalt.

 

Wir haben seit dem 1. August hier in Bitterfeld ein Protestcamp errichtet, um gegen unsere menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Deutschland zu protestieren.

 

Seit dem 7. August sind wir in den Hungerstreik getreten, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

 

Wir werden den Hungerstreik erst beenden, wenn unsere Forderungen erfüllt sind. Wie die Mehrzahl der Flüchtlinge leiden wir unter der Residenzpflicht und dem Lagerleben, dürfen nicht arbeiten oder Deutsch lernen.

 

Nachdem wir in den Hungerstreik getreten sind, haben wir mitbekommen, dass andere Flüchtlinge in anderen Bundesländern auch für ihre Rechte kämpfen.

 

Wir solidarisieren uns mit allen protestierenden Flüchtlingen überall auf der Welt, auch mit euch in Stuttgart.

 

Vereinen wir unsere Stimmen zu einem lauten und erfolgreichen Protest!

 

Freedom of Movement! Bleiberecht für alle und jede/n!

 

 


Zuletzt möchte ich noch einen persönlichen Gedanken aussprechen. Es geht um die Grundlage, auf der die Solidarität derjenigen beruht, die den Protest hier in Stuttgart seit inzwischen fast 5 Wochen unterstützen.

 

Warum tun wir das? Unser Mitgefühl und die Verantwortung, die sich aus unserer zweifellos privilegierten Position ergibt, sind das eine.

 

Darüber hinaus fasziniert mich insbesondere die Schönheit der Revolte. Wir alle sind äußeren Zwängen unterworfen: sei es aufgrund unserer Herkunft, unseren Geschlechts, unserer Hautfarbe, unserer Religion oder weil uns der Zugang zu materiellem Reichtum verwehrt wird.

 

Lasst uns deshalb bestehende Kämpfe verbinden und gemeinsam aufbegehren: für eine Welt, die keine Papiere, keine Grenzen und auch keine andere Form von Unterdrückung mehr kennt!