«Ein Gewaltpotenzial gesehen wie seit Jahren nicht mehr»

«Tanz dich frei» 2013
Erstveröffentlicht: 
26.05.2013

Den Schwarzen Block einzukesseln, sei nicht möglich gewesen, sagt die Berner Polizei. Die Vermummten hätten sich stets in Nähe der friedlichen Teilnehmer aufgehalten.

 

50 Verletzte, 61 vorübergehend Festgenommene und Sachschaden von mehreren Hunderttausend Franken: Das ist die Bilanz der «Tanz dich frei»-Kundgebung, die in der Nacht in der Berner Innenstadt stattfand. Es war eine Tanzparade mit zwei Gesichtern.

 

Vorneweg zogen vielleicht hundert gewaltbereite junge Menschen als sogenannter «Schwarzer Block», viele vermummt und eben schwarz gekleidet. Dahinter gruppierten sich um Lautsprecherwagen Tausende von friedlichen Menschen, die zur Musik tanzten und Spass hatten.

 

Der Anlass begann am früheren Abend mit einigen Hundert Personen, dann schwoll die Menge immer mehr an und erreichte gemäss einer Schätzung der Polizei bis zu 10'000 Personen.

 

Nachdem Mitglieder des Schwarzen Blocks schon mehrfach Parolen auf Gebäude gekritzelt und Feuerwerk gezündet hatten, kam es kurz vor Mitternacht beim Bundeshaus West zur Eskalation (siehe Video): Die Vermummten lösten sich plötzlich vom Umzug und zogen in Richtung Parlamentsgebäude. Dort griffen sie einen Schutzzaun an.

 

Dieser schützte nicht nur das Bundeshaus, sondern auch einen der zwei extra für «Tanz dich frei» eingerichteten Interventionsposten der Berner Blaulichtorganisationen. Zudem sollte dieser Zaun einen Teil des Bundesplatzes für den Einsatz von Rettungsfahrzeugen freihalten.

 

Feuerwerk auf Polizei


Vermummte warfen Absperrgitter über den Zaun in Richtung Polizei, schossen Feuerwerk in deren Richtung ab, setzten Laserpointer ein und warfen auch zum Teil grosse Steine, wie die Berner Kantonspolizei an einer Medienkonferenz ausführte respektive per Video zeigte.

 

Die Polizei reagierte zuerst mit Pfefferspray, dann mit einem Wasserwerfer und setzte schliesslich auch Tränengas und Gummischrot ein. In der Folge kam es an weiteren Orten der Berner Innenstadt zu Auseinandersetzungen - bis in die frühen Morgenstunden.

 

Nicht nur Vermummte griffen schliesslich die Polizei an oder schlugen um sich, sondern auch unvermummte Passanten. Ein Augenschein am Morgen zeigte: Mehrere Billettautomaten und Abfalleimer sind kaputt, entlang der Umzugsroute wimmelt es von Sprayereien und laut Polizei gingen 70 Schreiben und Vitrinen zu Bruch.

 

Ihr zufolge griffen die Randalierer auch die Feuerwehr bei zwei kleineren Einsätzen an und sogar Sanitäter.

 

Sondersitzung der Stadtregierung


«Wir haben ein Gewaltpotenzial gesehen wie seit Jahren nicht mehr», sagte der Kommandant der Berner Kantonspolizei, Stefan Blättler, nach den Ereignissen der Nacht vor den Medien. «Diese Leute wollten Menschen verletzen und Sachen zerstören.» Rund 20 der 50 Verletzten sind Polizisten oder Transportpolizisten.

 

Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause sprach von «militanten Kriminellen» und forderte, für die Randalierer müssten die Vorfälle harte Konsequenzen haben.

 

Die Berner Stadtregierung arbeitet die Ereignisse nun an einer Sondersitzung am Montag auf. Dabei will sie auch über das weitere Vorgehen beraten. Ob die Stadt weiterhin solche Veranstaltungen toleriere, könne er deshalb noch nicht sagen, erklärte Nause.

 

Er gehe davon aus, dass die Ermittlungsbehörden von Amtes wegen auch gegen Facebook vorgingen, sagte Nause weiter. Die soziale Internetplattform habe schliesslich das Instrument für die Moblisierung zu dieser unbewilligten Kundgebung geliefert.

 

Organisatoren bedauern Gewalt


Die Ereignisse lösten in Bern zahlreiche Reaktionen aus. Noch vor der Sondersitzung gab die Stadtregierung bekannt, sie verurteile die Gewalt «in aller Schärfe». Sie habe die Kundgebung in Absprache und Übereinstimmung mit der Polizei geduldet, um die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten.

 

Die Organisatoren des Anlasses bedauern laut einer auf ihrer Facebook-Seite aufgeschalteten Mitteilung die Ereignisse. Sie sehen aber die Schuld dafür vor allem bei der Polizei, die mit ihrem Eingreifen für Wut gesorgt habe und den Schutz des Bundeshauses über den Schutz der Menschen stelle.

 

Ziel der Organisatoren wäre es eigentlich gewesen, mit der Kundgebung Freiräume einzufordern und aufzuzeigen, dass Nachtleben auch ohne Kommerz möglich ist.

 

Vertreter bürgerlicher Parteien fordern nun ein härteres Durchgreifen. In zahlreichen Kommentaren auf Facebook und anderen Internetseiten äusserten zahlreiche Leute Wut, Unverständnis oder aber auch Unterstützung für die Organisatoren.

 

In Geiselhaft der Militanten


Den «Schwarzen Block» einzukesseln, sei nicht möglich gewesen, sagt die Polizei. Die Vermummten hätten sich in Anführungszeichen «geschickt verhalten», sagte der Chef der Regionalpolizei Bern, Manuel Willi. Sie hätten nämlich immer die Nähe der friedlichen Kundgebungsteilnehmer gesucht. Zu Beginn der Demo hätten sich zudem Kinder in deren Nähe aufgehalten.

 

«Wenn Militante Tausende quasi in Geiselhaft nehmen, wird jeder Polizeieinsatz schwierig»: So sieht dies Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause.

 

Der Kommandant der Kantonspolizei, Stefan Blättler, ging auch auf die Frage ein, ob man die Kundgebung von Anfang an hätte verhindern sollen. Dann aber wäre es womöglich schon auf dem Bahnhofplatz - zu Beginn der Kundgebung - zu einer Eskalation gekommen, sagte er. Zudem habe in der Öffentlichkeit ganz klar die Meinung geherrscht, die Demo sei zu dulden.

 

Randalierer sollen gefasst werden


Laut Blättler standen in der Nacht «mehrere Hundertschaften» von Polizisten im Einsatz. Die Berner Kantonspolizei bot im Lauf der Nacht Einsatzkräfte von anderen Kantonen auf.

 

Die verletzten Polizisten erlitten Prellungen, Zahnschäden, Gehörschäden und Fussverletzungen. Blättler sagte, die Polizei werde alles daran setzen, die für die Randale Verantwortlichen zu identifizieren. Laut Willi kamen diese auch «von ausserhalb».

 

«Die Bilder sprechen für sich»


Willi verteidigte auch das Vorgehen nach dem Angriff der Randalierer auf den Zaun vor dem Bundeshaus. Die Polizei habe zuerst nur Pfefferspray eingesetzt. Als sich die Lage nicht beruhigt habe, sei der Wasserwerfer zum Einsatz gekommen. Dieser sei versteckt gewesen, um nicht zu provozieren.

 

Als dann die Randalierer den Zaun durchbrochen hätten, seien auch Tränengas und Gummischrot zum Einsatz gekommen. Der sogenannte «Mitteleinsatz» sei also nur nach und nach erhöht worden. Mit einer Polizeikette hätten schliesslich die Ordnungskräfte verhindern können, dass die Randalierer bis zum Bundeshaus gelangten. Dieses war bei «Tanz dich frei» 2012 verschmiert worden.

 

Den Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt habe die Polizei schliesslich auch anderswo, weil die Polizei die Kundgebung habe auflösen wollen, sagte Willi. Blättler: «Die Bilder sprechen für sich.»