Wo ist der Krieg?

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Der folgende Text ist im autonomen Blättchen Nr. 12 erstveröffentlicht. Da es aber bisher kaum Texte der (radikalen) Linken zum Krieg in Mali gibt, denken wir er sollte weiter verbreitet werden.

Schweigen. Kein Wörtchen ringt sich die hiesige radikale Linke ab, keinen Gedanken wahrscheinlich, kein Versuch zu verstehen, keine Aktion des Protestes, kein Akt des Widerstandes. Seltsame Zustände sind das, voller unmündigem Desinteresse, die Zustände zu verstehen. Krieg ist Normalität. Schweigen heißt zustimmen. Oh ja, wie wahr. Wir haben einige Ansichten, Gewissheiten, Fragen und Infos zum Krieg in Mali, die wir hier unvollständig zur Diskussion stellen. Vielleicht hat sich Frankreich schon zum Sieger erklärt, wenn dieser Text erscheint - Frieden wird sicher noch nicht herrschen in Mali.

 

Die Aktualität der Ereignisse stellt aber nicht die Kontinuität kolonialer Intervention in den Schatten. Deswegen ist es egal, ob Francois Hollande bereits mit stolzgeschwellter Brust und Bescheidenheit betonend vor goldglitzerndem Prunk den Sieg verkündet hat - der nun noch langfristig durch die französische Armee gesichert werden müsse. Dieser Krieg wird nicht aufhören, solange die Verhältnisse in Europa (und Nordafrika) sich nicht grundlegend ändern. Davon gehen wir aus. Wir haben uns gefragt, warum es so glatt durchgeht, wenn angesichts eines neuerlichen Kriegs mit europäischer (und deutscher) Beteiligung abermals von humanitären Verpflichtungen die Rede ist. Dieses mal wird das Gerede von der Rettung Unterdrückter gekonnt gekoppelt mit dem altbekannten „Krieg gegen den Terror“. Diese Doktrin des weltweiten Mordens verschmilzt aufs Feinste mit der festen Überzeugung, zu den Guten zu gehören. Eigentlich ein alter Hut.

 

Wo ist Mali?

 

Wir wussten vor dem Aufstand der Tuareg (die sich selbst nicht so nennen, sondern in den verschiedenen Ländern, in denen sie leben, unterschiedliche Selbstbenennungen haben) gerade mal, wo Mali ungefähr liegt. Unser Wissen ist also auf die Schnelle und ungenügend angelesen. Aber trotzdem versuchen wir nun, einen Überblick über die Geschichte des Konfliktes in Mali zu geben. Denn zuallererst ist der Versuch des Verstehens notwendig, um nicht in Unwissenheit per moralischem Reflex Kriege nach kolonialem Vorbild zu befürworten, oder sich in die bequeme Bredouille des Schweigens zu bringen.


Wir denken, dass das Eingreifen Frankreichs in den malischen Bürgerkrieg vor allem wirtschaftliche Gründe hat. Deshalb nun zunächst ein paar lexikalische Ergüsse. Mali ist seit 1960 von Frankreich unabhängig, die Grenzen wurden noch durch die Kolonialherren gezogen. Die Bevölkerung Malis setzt sich aus rund 30 verschiedenen Ethnien zusammen. Sie haben verschiedene Sprachen und Kulturen. Das halten wir für relevant, weil in westlichen Medien ein Konflikt zwischen nomadischen, zugewanderten Araber_innen und einheimischen, sesshaften Schwarzafrikaner_innen suggeriert wird. Der sunnitische Islam ist mit ca. 90 % die am meisten verbreitete Religion. Der malische Islam hat auch Elemente traditioneller afrikanischer Religionen angenommen, er ist also ebenso lokal geprägt wie der Islam im Rest der Welt. Baumwolle wurde als wichtigstes Exportgut längst durch Bergbauprodukte mit einem Anteil von mehr als 75 % an den Exporterlösen abgelöst. Davon sind ca. vier Fünftel Erlöse aus dem Goldexport. Seit Ende der 1990er Jahre gewinnt Mali zunehmende Bedeutung als Goldproduzent. Nach Südafrika und Ghana hat Mali die drittgrößte afrikanische Goldindustrie. Daneben werden Phosphate abgebaut. Die Goldlagerstätten befinden sich im Süden des Landes. Umfangreiche Erkundungs- und Förderungslizenzen an ausländische Investoren waren für große Steigerungen der Fördermengen in den letzten Jahren verantwortlich. Auch deutsche Firmen sind an der Ausbeutung malischer Bodenschätze beteiligt. Eines der modernsten Projekte des Landes ist die Kodieran-Goldmine, die von der malischen Wassoul‘Or S.A. betrieben wird und im Januar 2012 die Produktion aufgenommen hat. Die in Frankfurt ansässige Gesellschaft Pearl Gold hält eine 25-prozentige Beteiligung an Wassoul‘Or. Mali hatte im Mai 2011 eine Revision des Bergbaugesetzes angekündigt in der Hoffnung, dass ein solcher Schritt die Abläufe für den Erwerb von Erkundungs- und Abbaulizenzen strafft und weitere Investitionen anlockt. Der französische Atomkonzern Cogema (heute AREVA) entdeckte vor Jahren Uran-, Kupfer-, Silber- und Bauxitvorkommen im Grenzgebiet zu Senegal, im Südwesten Malis. Die Bauxitvorkommen zählen zu den größten der Welt. Im Jahre 2007 schloss die Firma Delta exploration, heute Rockgate Capital Corp. (aus Kanada) mit der Regierung Malis einen Vertrag über den Abbau dieser Rohstoffe in 80 Kilometer Entfernung von der von AREVA entdeckten Lagerstätte und plante eine große Mine. Bohrproben ergaben einen Urangehalt von bis zu 6 %. Auch die australisch-britische Oklo Uranium Ltd. erkundet seit 2007 größere Uranlager auf einer Fläche von insgesamt 20.000 Quadratkilometer, sowie Phosphatvorkommen. Beide Städte liegen im von den Rebellen eroberten Gebiet in Nord-Mali. Die kanadische Great Quest Metals Ltd. verkündete im Oktober 2012 den Investoren, dass die Phosphatvorkommen auf einer Fläche von 1200 Quadratkilometern im Tal von Tilemsi - ebenfalls im Rebellengebiet - über 50 % größer sind als bisher geschätzt. Der Abbau von Manganvorkommen ist weiterhin geplant. Malis Reserven an Mangan werden auf 10 Millionen Tonnen geschätzt. Die Aktie von Great Quest, die seit 2012 auf ein Siebentel ihres Wertes gefallen war, hat direkt nach der französischen Intervention ihren Wert fast verdoppelt. Von den Gesamtausfuhren Malis entfielen 80,5% auf Gold, vor allem nach Südafrika, Italien und in die Schweiz. Dass der durch die Goldexporte angehäufte Reichtum nicht dem Großteil der Bevölkerung zugute kommt, kann man sich denken. Schon vor dem Krieg waren über 30% der Malier_innen arbeitslos. Die Arbeit in den Minen ist hart, schlecht bezahlt und entgarantiert. Lohnend ist es jedoch, unter stabilen Bedingungen an der Regierung zu sein oder dem mächtigen Militär anzugehören.


Die Bedingen aber waren zuletzt nicht überall so ruhig und stabil, wie die Profiteure des malischen Rohstoffreichtums es gerne hätten. Denn die Tuareg (wir bleiben bei der im Deutschen üblichen Bezeichnung) im Norden des Landes begannen zum wiederholten mal einen Aufstand. Mit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in Westafrika 1960 wurde das Siedlungsgebiet der Tuareg zwischen den nunmehr unabhängigen Staaten Mali, Niger und Algerien aufgeteilt, wobei kleinere Gruppen der Tuareg auch in Libyen und Burkina Faso leben. Seitdem werden die Tuareg an den Rand der jeweils vorherrschenden Gesellschaften gedrängt. Es gibt eine gesellschaftlich tief verankerte Missachtung und Unterdrückung der Interessen der Tuareg in den Staaten Mali und Niger. Die Gründe dafür sind vielschichtig.


Historisch bedingt sind diejenigen Konflikte, die daraus resultieren, dass durch die Region die Grenze zwischen Menschen mit (halb)-nomadischer Lebensgrundlage als Tierhalter (Tuareg) und Bauern (Ackerbau) verläuft, die ihrerseits Staaten gründeten und in diesen staatliche Führungspositionen besetzten, von denen die Tuareg systematisch ausgeschlossen blieben. Daraus resultierten Konflikte, die zu vier Aufständen führten, 1961–1964, 1990–1995, 2007–2009 und 2012/13. Mitte der 1990er Jahre wurden den Rebellenorganisationen der Tuareg Friedensverträge angeboten. Weiterhin wurde die Aufnahme von Tuareg in die Armeen zugesichert. Regierungsbeteiligung wurde in Mali in Aussicht gestellt. Da die Friedensabkommen dieser Jahre von den Tuareg als nicht ausreichend umgesetzt erachtet wurden, attackierten sie zunehmend wieder Wirtschaftseinrichtungen des Landes.


In Folge des Bürgerkriegs in Libyen im Jahr 2011 verschärfte sich die Lage im Norden Malis, nachdem Tuareg, die auf Seiten Gaddafis kämpften, aus Libyen vertrieben worden waren. Die als Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) auftretenden bewaffneten Tuareg-Gruppen kamen ab Ende 2011 über Niger nach Mali und brachten Gebiete im Norden des Landes


unter ihre Kontrolle. Daraufhin warfen Soldaten der malischen Streitkräfte der Regierung von Präsident Touré Unfähigkeit bei der Bekämpfung des Aufstands der Tuareg im Norden des Landes vor und übernahmen durch einen Putsch im März 2012 die Macht. Die MNLA nutzte die Situation und eroberte in den Tagen darauf bis Anfang April alle Städte im Norden Malis. Sie nennt dieses Gebiet Azawad. Am 6. April rief sie einseitig (im Bündnis mit islamistischen Gruppen) den unabhängigen Staat Azawad aus. Neben der Anerkennung ihrer Rechte ging es der MNLA auch um Beteiligung an den Gewinnen der Rohstoffförderung, weil durch rechtliche Beschneidungen ihre wirtschaftlichen Lebensgrundlagen ebenso gefährdet wurden, wie durch fortschreitende Wüstenbildung und Trockenheit. Wie wir wissen, wurde Azawad, anders als in den 1990ern Slowenien oder später das Kosovo, nicht von den westlichen Ländern anerkannt, sondern bekämpft. Und plötzlich arbeiteten diese mit der zuvor geächteten Putschregierung Süd-Malis zusammen, um die Tuareg und die mit ihnen bis dahin verbündeten Islamisten von Ansar Dine und Mujao zu bekämpfen.


Unterdessen spaltete sich dieses Bündnis, weil die MNLA zwar die Unabhängigkeit Nord-Malis wollte, aber kein fundamentalreligiöses Azawad. Viele aus der Führungsebene der MNLA wurden dann durch islamistische Rebellen geköpft, das kurze Zeitfenster der Hoffnung auf bessere Lebensbedingen schloss sich in den Fängen eines sich aufbauenden radikalislamistischen Regimes, das seine menschenverachtende Auslegung der Scharia der gesamten Bevölkerung Azawads aufzwang. Währenddessen hat der malische Parlamentspräsident Traoré eine Übergangspräsidentschaft übernommen und innerhalb von 40 Tagen Neuwahlen versprochen (die nun auf Juli verschoben wurden), die ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftgemeinschaft) beendete im Gegenzug ihre Sanktionen. Nur mal nebenbei: Am 17. April teilte das staatliche malische Fernsehen mit, Cheick Modibo Diarra werde die Übergangsregierung als Ministerpräsident leiten. Diarra war bis Ende 2011 bei Microsoft als Vorsitzender für den Geschäftsbereich Afrika tätig. Wer das Geld hat, hat die Macht... Solange, bis das Militär sie ihm nimmt. Diarra wurde mittlerweile wieder entmachtet.


Allein zwischen Januar und Juli 2012 flüchteten über 250.000 Malier_innen infolge der politischen Instabilität, der unsicheren Lage und des mangelhaften Zugangs zu Nahrungsmitteln und Wasser in die Nachbarländer Burkina Faso, Mauretanien und Niger. Außerdem gab es im selben Zeitraum rund 105.000 Binnenflüchtlinge im Norden und rund 69.000 Binnenflüchtlinge im Süden Malis. Das Vorrücken der Dschihadisten auf die Hauptstadt Bamako löste einen Angriff der malischen und französischen Armeen aus. Die Zahl der Flüchtenden hat sich dadurch massiv erhöht, der in der südmalischen Bevölkerung stark verankerte Rassismus gegen die Tuareg hat im Laufe der französischen Offensive schon zu Massakern an diesen durch die malische Armee und Zivilbevölkerung geführt. Warum mischt sich die französische Regierung in den Konflikt ein? Um die Kontrolle über und den Zugriff auf die Bodenschätze zu behalten. Darauf verwetten wir unsere Oma.

 

Wo ist Frankreich?

 

Frankreich führt Krieg in Mali, wie Frankreich seit Jahrhunderten Krieg in Afrika führt. Seit Napoleons Eroberungen betrachteten die Französichen Herrscher und Regierenden große Teile Nordafrikas nicht nur als ihr Einflussgebiet, sondern auch als ihr Eigentum. Die Kolonialmacht Frankreich bestimmte lange die Grenzen und Geschicke in Nord- und Westafrika und tut einiges dafür, dass das auch so bleibt, zuletzt durch den Angriff in Libyen.


Vor dem ersten Weltkrieg war fast ganz Nordwestafrika französische Kolonie oder es wurde partiell, wie Algerien, gleich ganz zum Teil des französischen Mutterlandes erklärt. In den 1950er Jahren erkämpften sich die besetzten Gebiete ihrer Unabhängigkeit zurück, Algerien erst 1962, nach einem mörderischen Befreiungskrieg. Wegen dieser Geschichte hatten seitdem alle französischen Regierungen versucht, ihren Einfluss auf die Politik der nordafrikanischen Staaten zu erhalten. Die enge Verflechtung der Ökonomien und der Militärpolitik ist bis heute ungebrochen, auch wenn Frankreichs Präsident Hollande noch vor einigen Wochen beteuert hatte, dass er die, oft auch geradezu mafiöse, „francafrique“ genannte Einflussnahme beenden wolle. Heute leben in Afrika über 170 000 Französ_innen. Das sind mehr als zu Kolonialzeiten in den Kolonien. Über 5000 französische Soldat_innen sind permanent im Tschad, in Gabun, in der Zentralafrikanischen Republik, der Elfenbeinküste, Dschibuti und im Senegal stationiert. Seit dem offiziellen Ende er Kolonialzeit haben französische Soldaten über 40 mal in Afrika interveniert, wenn ein befreundeter Machthaber oder die eigenen Interessen in Gefahr schienen.


Es geht um wirtschaftliche Interessen. Damit die besten Verwertungs- und Ausbeutungsbedingungen hergestellt werden können, braucht es politische Stabilität und wohlwollende Potentaten oder Regierungen. Immer wenn diese Rahmenbedingen in Gefahr waren, hat Frankreich Militär eingesetzt; normale neoimperiale Politik. Die gesamte EU hat zwar die nordafrikanischen Mittelmeerländer zum wirtschafts- und sicherheitsstrategisch wichtigem Raum erklärt, Frankreich verfolgt jedoch auch eigene Interessen. Die USA, China und Frankreich versuchen zur Zeit im nördlichen Afrika ihren Zugriff auf Rohstoffe mit allen Mitteln sicher zu stellen. China setzt zudem auf große Landkäufe zur Nahrungsmittelproduktion für den heimischen Markt. Die Uranvorkommen in Mali, im Niger und im Tschad sind zu großen Teilen unter Kontrolle französischer Konzerne. Es werden weitere Vorkommen in der gesamten Sahelzone vermutet. Auch der Norden Malis wird dadurch politisch und ökonomisch so interessant, dass er auf keinen Fall unter die Kontrolle anti-westlicher Kräfte geraten soll, denn die Energieversorgung Frankreichs wird vor allem durch Kernenergie gewährleistet. Daran soll sich auch nichts ändern. Das afrikanische Uran ist überlebenswichtig für die französische Wirtschaft. Darum geht es in erster Linie, wagen wir zu behaupten. Es scheint offensichtlich und entspricht einer langen Tradition, französische Interessen kriegerisch durchzusetzen. (Nur damit keine Missverständnisse entstehen: Wir machen hier kein spezielles Frankreich-Bashing. Das ist normale Politik kapitalistischer Staaten.)


Es gibt sicher auch ideologische Gründe für den Kriegseinsatz. Es ist aber schwer zu erkennen, wo tatsächlich ideologische Gründe für eine Kriegsbeteiligung greifen und wo eine ausgefeilte und eingeübte Propaganda einem das nur weismachen will.

 

Wo sind die Bösen?

 

Die europäischen Regierenden und ihre folgsamen Medien benennen einen anderen Grund für die westliche Intervention in Mali: den bösen Islamisten. Er hackt Hände ab, richtet Menschen hin, unterdrückt Frauen, ist nicht sesshaft und zerstört Heiligenbilder.


Es gibt auch die gute Islamisten.


Die bleiben brav in ihren Ländern, hacken nur dort anderer Leute Hände und Köpfe ab und verbieten Frauen das Autofahren - aber die sind auf Seiten der mächtigen westlichen Staaten. Saudi-Arabien zum Beispiel. Wer ist wann und aus welchem Grund böse?


Das vermeintlich so klare gute moralische Gewissen ist offensichtlich nicht der Handlungsfaden westlicher Intervention. Aber den zur Rettung der Unterdrückten mobilisierten Armeen und ihren heimischen Beifallklatscher_innen wird beigebracht, den Fernsehbildern zu vertrauen, in denen jeglicher Kontext der Gewalt vor Ort nicht mehr erkennbar ist. Die militärische Intervention soll zur Gewissensfrage gemacht werden und nicht zum politischen Thema, denn wenn die Islamisten zum Bösen gemacht werden, ist moralisches und kein politisches Handeln gefragt. So entsteht in den Köpfen das Bild einer von Schurken und Opfern bevölkerte Märchenwelt, in der Täter und Opfer unverändert in ihren Rollen bleiben, bis von außen ein guter weißer Prinz in Gestalt einer Militärintervention daher kommt. Die Betroffenen der Gewalt bleiben als handelndes und als politisches Subjekt unsichtbar.


Auch dass die im ökonomischen und politischen Niedergang befindliche Stadt Timbuktu immer wieder als geradezu mystische Stadt für Tausend-und-eine-Nacht-Phantasien herhalten muss, ist Teil dieser Inszenierung. Die bisher in der deutschen Märchenwelt so überaus edlen Tuareg waren plötzlich doch böse, weil sie sich mit den Islamisten verbündet hatten und werden sicher nach dem Bruch des Bündnisses, weil sie ihre Strafe durch das Blutbad an ihrer Bevölkerung erhalten haben, wie Phoenix aus der Asche zum erneuten Statthalter des Edlen und der EU aufsteigen. Wartet‘s ab. Der französische Kriegsminister Le Drian sagte bereits nach der Eroberung Timbuktus: „Die Tuareg sind unsere Freunde“. Denn sie seien „in Nord Mali zu Hause“.


In dieser Märchenwelt wird der Konflikt nur noch als militärisch lösbar betrachtet und nicht als politisch. „Innerhalb der Parameter der aktuellen Weltpolitik, wie sie beim Krieg gegen den Terror zum Ausdruck kommen, ist das Böse der große Entpolitisierer“ (Mamdani). Auch bleiben die Malier_innen in dieser Sicht Abhängige vom westlichen Wohlwollen, denen eine unbefristete Rettungsaktion nur die permanente Militarisierung der gesellschaftliche Verhältnisse verheißt. Diese Art Rettung bevormundet und hilft zudem nicht, die Einwohner_innen Malis als an einem souveränen politischen Prozess beteiligte Menschen wahrzunehmen. In der jetzigen Form ist die „moralische Intervention“ nichts als ein Schlagwort hinter dem sich ein Programm der Großmächte zur Rekolonisierung Afrikas verbirgt. Die alte Leier von der Rettung der Zivilbevölkerung durch westliches Militär wird bemüht, um den eigenen Einfluss in der Region zu retten, und um einen Vorteil im Wettrennen um Rohstoffe und Sicherheit zu erlangen.

Gleichzeit zeichnet sich eine europäische Variante des „Krieg gegen den Terror“ ab. In dieser wird eine mit rassistischen Konotationen bespickte polizeistaatliche Innen- und militärische Außenpolitik entwickelt. Das Böse wird konstruiert, damit Regierungsinteressen verschleiert werden können. Mister G.W. Bush ist nach wunderlicher Wandlung in Gestalt des Monsieur Hollande wieder aufgetaucht. Die EU wird’s ihm danken.

 

Wo sind die Linken?

 

Es gibt keine Proteste vor den französischen Botschaften, keine besudelten Filialen der teilstaatlichen französischen Autokonzerne, keine Aktion gegen französische Rüstungsfirmen, keine Debatten.


Sind wir uns 100%ig sicher, wenn wir so klugscheißerisch unsere zugespitzten Thesen formulieren? Nein.


Denn wir vereinfachen die Sachverhalte, damit wir deutlich machen können, wo unserer Meinung nach die Entwicklung hin geht. Eine fein säuberliche Analyse können wir hier nicht liefern. Wir wissen, dass die Verhältnisse komplizierter sind. Wir wissen, dass die meisten Leute in Mali froh sind, dass die Dschihadisten ihnen durch den EU-Angriff nicht ihr Regime aufzwingen können. Wir sind aber gegen die Intervention, weil wir die Geschichte und die Interessen der westlichen Staaten kennen; weil die malische Bevölkerung nur die Wahl zwischen zweierlei Bevormundungen hat. Regionale Konflikte verlangen nach regionalen Lösungen, es braucht eine Übereinkunft vor Ort, eine konsensfähige politische Lösung, die der Militarisierung der Verhältnisse eine klare Absage erteilt und emanzipatorische Prozesse ermöglicht. Mit Menschen und Gruppen, die das wollen, können und sollten wir ein solidarisches Verhältnis haben, welches die Menschen ernst nimmt und in dem Widersprüche nicht unter den Teppich gekehrt werden. Gleichzeitig gilt es, der kriegstreiberischen EU-Außenpolitik hier in den Rücken zu fallen.


Wäre die radikale Linke in der EU dazu in der Lage?


Nein, in dem Sinne, dass sie zu schwach ist, aktuelle Kriegseinsätze zu stoppen. Und Ja, weil es ihr gelingen könnte, so sie wollte, zumindest das Politische in die öffentliche Debatte zurückzubringen - durch eine Praxis, die eingreifen will in die Verhältnisse, anstatt sich mit akademischer Rechthaberei zu vergnügen.

 

Wenn große Teile der Linken sich nicht und einige sich sogar kriegsbefürwortend positionieren, ist dies auch eine Verweigerung, die eigenen Privilegien kritisch zu reflektieren und sich auf die Seite der Habenichtse zu stellen. Die meisten weißen BRD-Pass-Inhaber_innen profitieren doch von der kolonialen Vergangenheit, der Absicherung des Wohlstands, der Außengrenzen und der Handelswege und den billigen Waren. (...)


Flüchtlinge abschieben, Diktatoren unterstützen, Grenzen bewachen, Waffen liefern, geheim operieren, verschleppen, foltern, Polizisten ausbilden, Bomben werfen, Drohnen steuern, Piraten jagen, Länder besetzen, Kriege führen. All das ist doch Teil eines globalen Krisenmanagements, das Privilegien, die seit dem Kolonialismus bestehen, verteidigen und Einfluss ausbauen soll. Dies gilt es anzugreifen - immer. Dabei sind antikoloniale Kämpfe der letzten Jahrhunderte genau wie auch aktuelle Kämpfe um Befreiung und Teilhabe am Wohlstand, wichtige Bezugspunkte. (...)


Es sind Positionen zu entwickeln, die Kämpfe zusammen denken und daraus eine Praxis abzuleiten, die den dauerhaften Kriegszustand angreift und sabotiert.(...)

Wenn wir nicht bald anfangen die Krisentendenzen und die militärische Absicherung der Herrschaft um uns herum ernstzunehmen, werden wir weiteren Zuspitzungen sowohl als Individuum als auch als radikale Linke nichts entgegensetzen können.“


(aus: Der Krieg den alle lieben )

 

Dem stimmen wir zu. Der Text ist Anfang 2011 anlässlich des Libyenkrieges veröffentlicht worden und hat nichts von seiner Aktualität verloren. Wir sind froh, uns an ihn erinnert zu haben – und befürchten, dass wir beim nächsten Kriegseinsatz abermals aus ihm zitieren werden können...

 

einige Nimmermüde

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