Start der Griechenland-Solikampagne "Great Crisis Riseup - Greece Edition", in deren Rahmen wir auf die sich zuspitzende soziale Situation in Griechenland aufmerksam machen wollen und alle, die auch Bock haben, Aktionen zu dem Thema zu machen, einladen, sich zu beteiligen.
Der Aufruf zur Kampagne "Great Crisis Riseup - Greek Edition":
Rauch über Athen
Steht man auf einer der Anhöhen, die Athen umgeben, präsentiert sich die Stadt zur Zeit tief in graue Wolken gehüllt. Der Smog ist zurück, zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Nachdem sich im Zuge der Austeritätsmaßnahmen der griechischen Regierung die Heizölkosten um 40 Prozent verteuert hatten, waren immer mehr Athener gezwungen, auf Holzöfen zurückzugreifen. In Zehntausenden Appartementhäusern seien solche Öfen installiert worden, berichtete die Neue Zürcher Zeitung am 30.12.2012. Jene, für die sogar Brennholz unerschwinglich geworden ist, verfeuern alles, was sie auftreiben können. „Die Krise hat ihr Symbol gefunden – den dichten und bitteren Rauch, der die Hauptstadt einhüllt, sobald es dunkel wird. Er begräbt alles unter sich, dringt überallhin vor. Er erinnert uns daran, dass wir in einer neuen Ära leben“, kommentierte Nikos Konstandaras in der Tageszeitung Kathimerini (10.1.2013).
Noch härter trifft der Winter diejenigen, die überhaupt keine Bleibe mehr haben. Etwa 15 000 Menschen sollen Schätzungen zufolge allein in Athen auf der Straße leben, seit Beginn der Krise ist die Obdachlosigkeit in Griechenland um zirka 30 Prozent angestiegen. "Ich würde noch nicht ganz von einer humanitären Katastrophe sprechen, aber die Lage ist zweifellos viel schlimmer geworden", so der Chef der Athener Obdachlosenhilfe, Giorgios Apostolopoulus (Fokus, 8.1.2013).
Auch die Erwerbslosigkeit hat indes einen neuen Höchststand erreicht. Für Oktober 2012 vermeldeten die griechischen Behörden vergangene Woche einen Anstieg auf 26,8 Prozent. Damit waren 1,3 Millionen Griechen ohne Arbeit, etwa 370 000 mehr als ein Jahr zuvor.
Griechenland ist zum Experimentierfeld geworden. Das Land, nach dem EU-Beitritt der Konkurrenz auf dem gemeinsamen Binnenmarkt nicht gewachsen, wurde über Jahrzehnte durch die Korruption der eigenen herrschenden Klasse und den Kapital- und Warenexport aus den stärkeren kapitalistischen Staaten des Kontinents zu Grunde gerichtet. Nun wird hier auf extreme Weise durchgespielt, was für die gesamte EU zur Krisenlösung werden soll: Der flächendeckende Angriff auf Löhne und Renten, die Privatisierung letzter Reste von staatlichem Eigentum, die Zerschlagung jedweder sozialen Absicherung. Die Folgen sind offensichtlich: Geschlossene Geschäfte, zerstörte Leben, eine ständig steigende Selbstmordrate, verzweifelte Versuche, sich durch Subsistenzökonomien einen bescheidenen Unterhalt zu sichern.
Deutschland, Halt´s Maul!
Der Kampf, den die Bevölkerung in Griechenland gegen diese Maßnahmen führt, hat viel mit uns zu tun. Denn die Austeritätsprogramme sind maßgeblich in Berlin ausgearbeitet worden, die deutsche Regierung tat sich seit Beginn der Krise als Scharfmacherin hervor. Ihr geht es darum, die EU als Vehikel in Stellung zu bringen, mittels dessen der deutsche Imperialismus seine globale Handlungsfähigkeit verbessern will. »Der Euro verschafft Deutschland das wirtschaftliche Gewicht, um internationale politische Rahmenbedingungen künftig mitzugestalten. Der Anteil Deutschlands am globalen Bruttoinlandsprodukt ist rückläufig. (…) Auf unserem Kontinent ist nur die EU ein wirklicher Global Player (…). Jeder Einzelstaat für sich allein kann kein Global Player sein, selbst Deutschland nicht.«
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach es auf dem letzzten Bundesparteitag ihrer Christdemokraten offen aus: „Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Es gibt über 1,3 Milliarden Chinesen, es gibt 1,2 Milliarden Inder. Sie alle ringen mit uns 80 Millionen Deutschen und mit den 500 Millionen Europäern immer darum, wer Einfluss in der Welt hat und wer in welchem Wohlstand leben kann.“ Damit "uns" die Chinesen und Inder nicht "unseren" Wohlstand klauen, müssen "wir" ihnen auf dem Weltmarkt Paroli bieten können. Und um die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China) und den USA zu bewahren, muss eben konsolidiert werden. Und das bedeutet, die Europäische Union, vor allem aber das gemeinsame Währungsgebiet, muss nach dem Vorbild Agenda 2010 und Hartz-IV umgebaut werden.
Aber nicht nur aus Gründen der internationalen Solidarität und weil es eben der deutsche Imperialismus ist, der als ideeller Gesamtsparmeister des europäischen Kapitals den Angriff auf die Bevölkerungen in Spanien, Irland, Griechenland oder sonstwo als primus inter pares anleitet, muss die Linke in Deutschland sich besonders für Griechenland interessieren. Der zweite Grund liegt auf der Hand: Griechenland ist das albtraumhafte Bild der eigenen Zukunft. Sollte es nicht gelingen, den Angriff abzuwehren, wird auf die Verbilligung der Arbeitskraft dort, der nächste Versuch, auch hier Löhne und Renten zu senken folgen. Denn das deutsche Kapital muss um seine Vormachtstellung in der EU zu halten, die ökonomisch stärkste Macht bleiben.
State of the Golden Dawn
Die ökonomisch krisenhafte Situation führt indes in Griechenland zu einer Zuspitzung der politischen Verhältnisse. Die Linke auf der einen Seite schafft es nicht, ihre politischen Differenzen beizulegen und arbeitet oft – bis zu körperlichen Auseiandersetzungen – gegeneinander. Auf der äußersten Rechten erwächst die Gefahr einer terroristischen, neonazistischen Bewegung, die ihr organisatorisches Zentrum in der Partei "Chrysi Avgi" ("Goldene Morgenröte") hat. Ihre Mitglieder und Sympathisanten machen unter dem Label von "Bürgerwehren" Jagd auf Linke und Migranten. In Gruppen von zehn bis 20 bewaffneten und vermummten Männern und Frauen schlagen sie mit Holzknüppeln, Eisenstangen und Flaschen auf Menschen pakistanischer oder afrikanischer Herkunft ein, verprügeln Linke und alle, die ihrem kruden faschistischen Weltbild nicht anhängen. Besondere Gefährlichkeit verleiht der Nazibande der Umstand, dass sie äußerst gute Kontakte in den Polizeiapparat unterhält. Vielerorts besteht eine direkte Zusammenarbeit zwischen den rechten Schlägern und dem Bullenapparat, überdurchschnittlich viele Beamte gaben der Chrysi Avgi bei den letzten Wahlen ihre Stimme.
Dies ist letztlich konsequent. Denn in zwei Punkten ist Chrysi Avgi nur der gesteigerte Ausdruck der Politik des griechischen Staates selbst. Auch dieser sieht den Hauptfeind links stehen, und auch dieser ist bestrebt, so viele "illegale" Migranten wie möglich so schnell wie möglich außer Landes zu befördern. Diese Politik hat in den letzten Monaten zu einer regelrechten "humanitären Krise" (Amnesty International) geführt. Willkürlich wurden tausende Flüchtlinge und Migranten während der Operation "Xenios Zeus" verhaftet und abgeschoben, die Landgrenze zur Türkei wurde mit einem Stahlzaun, Stacheldraht und Wärmebildkameras "gesichert".
"So oft es eben nötig ist"
Auch gegen die außerparlamentarische Linke geht die Regierung unter Ministerpräsident Antonis Samaras immer brutaler vor. Im Dezember 2012 wurde ein umfassender Angriff auf besetzte Häuser und Zentren der linken Bewegung in Athen begonnen. Bereits Ende Dezember hatten Antiterroreinheiten der griechischen Polizei die „Villa Amalias“, ein seit 22 Jahren selbstverwaltetes soziales Zentrum, geräumt. Nach der Wiederbesetzung des Hauses, das als Zentrum des Widerstands gegen die Kürzungspolitik der Regierung gilt, am vergangenen Mittwoch ließen die Behörden das Haus abermals stürmen, 93 Demonstranten wurden verhaftet. Bei einer wenige Stunden danach erfolgten Razzia im besetzten Haus „Skaramaga“ kam es ebenfalls zu sieben Festnahmen. Die Pläne der griechischen Behörden scheinen indes noch viel weiter zu gehen. Einem Bericht des Medienunternehmens Lambrakis Press zufolge, sollen in ganz Griechenland 40 besetzte Häuser geräumt werden.
Dagegen regt sich nun Widerstand. „Wir werden es wieder tun, so oft es eben nötig ist“, ließen die 93 in der „Villa Amalias“ Festgenommenen in einer ersten Stellungnahme verlauten. „Sie werden uns nicht schlagen, weil wir nicht hundert, sondern tausende sind.“. An einer Solidaritätsdemonstration in Athen nahmen rund 7000 Menschen teil, in Thessaloniki versammelten sich etwa 1500. Weltweit gab es Solidaritätsbekundungen, die militanten Aktion in Hellas nehmen rapide zu.
Greece Edition – Berlin Campaign
Weil wir angesichts dieser Situation nicht länger auf Sparflamme kämpfen wollen, rufen wir alle Linken hierzulande auf, sich mit den je eigenen Aktionsformen an der bis zum ersten Mai dauernden Kampagne "Great Crisis Riseup – Greece Edition" zu beteiligen. Ob militante Interventionen oder Flyer, ob Infoveranstaltung oder Demo. Es liegt an uns, Öffentlichkeit zu schaffen. Es liegt an uns, den griechischen Genossen – unabhängig von Parteistreiterein, egal ob Kommunisten oder Anarchisten – zu zeigen, dass wir ihren Kampf ins Herz des europäischen Austeritätsregimes tragen können.
PS: Alle Solidaritätsaktionen - ob Texte, direkte Aktionen, Demos - könnt ihr uns auf arab[at]riseup.net zuschicken, und wir werden sie auf der gerade entstehenden Kampagnenseite veröffentlichen. Bis die "normale" Seite fertig ist, gibt es eine facebook-Seite (ja, uns ist bewußt, was facebook ist) auf der wir News aus Griechenland und alles rund um die Kampagne posten : https://www.facebook.com/GreekEdition
hurz
"Das ganze Leben ist ein Spiel und wir sind nur die Kandidaten"
Nee, mal im Ernst – Werbepsychologie etc hin oder her und sicherlich zieht ihr mit dem Motto ne Menge junger Videospieler in euren Bann. Aber findet ihr nicht, dass ihr mit eurem Motto das ganze Elend der Krise ein bischen verharmlost?
...
Ähm nö, glauben wir nicht. a.) stehts im Aufruf, b.) würden wir nicht ständig Politik zu dem Thema machen, wenn wir der Ansicht wären, es sei harmlos.
Weltweite anarchistische Soli Kampange
http://fightnow.noblogs.org/
begrifflichkeiten
"Auch gegen die außerparlamentarische Linke geht die Regierung unter Ministerpräsident Antonis Samaras immer brutaler vor."
es sind keine "außerparlamentarischen linken", die dort unter beschuss stehen, sondern größtenteils anarchistInnen. schon klar, das wort "anarchist" wird von roten gruppen normalerweise eher abfällig gebraucht, aber im vorliegenden fall ist es wichtig differenzierungen zu treffen, bevor hier "eine griechische linke" als revolutionäres subjekt an die wand gemalt wird. dass ihr wohl dazu beitragen wollt über die versch. lager hinweg zu vermitteln sollte nicht dazu führen, essentielle polit. unterschiede zu verwischen.