Nazidemo in Göppingen - neue Taktik gegen Rechts

Erstveröffentlicht: 
07.09.2012

Göppingen - Im Tiefflug schwebt ein Polizeihubschrauber über der Göppinger Innenstadt. „Wir fotografieren die Straßenzüge“, sagt der Sprecher der Polizeidirektion, Rudolf Bauer. Vor Großeinsätzen sei es üblich, dass man sich anhand aktueller Luftaufnahmen einen Überblick verschaffe. „Da verlassen wir uns ungern auf Google-Earth“, sagt Bauer.

 

Größte Nazidemo nach dem Krieg droht


Tatsächlich könnte am 6. Oktober ein solcher Großeinsatz auf die Göppinger Polizei zukommen. Dann wollen bis zu 400 Neonazis durch die Innenstadt marschieren. Es wäre die größte Naziversammlung in Göppingen seit Kriegsende. Zwar plant die Stadtverwaltung, den Aufmarsch zu verbieten. Doch ob sich dies vor Gericht durchsetzen lässt, ist ungewiss. Bei der letzten großen Nazikundgebung im Jahr 2006 hob das Verwaltungsgericht das von der Stadt verhängte Verbot wieder auf. So musste die Polizei 1200 Beamte aufbieten, um 200 Neonazis und 400 Gegendemonstranten auf Abstand zu halten.

 

Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Als die NPD am Karsamstag dieses Jahres in mehreren Orten in der Region hintereinander Kundgebungen veranstalten wollte, kam aus dem Esslinger Rathaus ein klares Nein. Ob sich die NPD vor Gericht keine Erfolgschancen ausrechnete oder ob es ihr reichte, in etlichen anderen Städten, unter anderem in Göppingen, aufzutreten, ist unbekannt. Jedenfalls akzeptierte sie die Esslinger Verbotsverfügung.

 

Das Weinfest als Argument


Die in Göppingen für das Rechts- und Ordnungsamt zuständige Erste Bürgermeisterin Gabriele Zull (parteilos) hat das sehr genau verfolgt. Die Stadt Esslingen habe die einmalige Situation gehabt, dass auf allen infrage kommenden Plätzen bereits Veranstaltungen angemeldet gewesen seien, stellte sie fest. Dieser Zufall könnte in Göppingen nun zur offiziellen Taktik werden. Im Zusammenspiel mit dem Bündnis Kreis Göppingen nazifrei soll die gesamte Innenstadt mit öffentlichen Veranstaltungen überzogen werden. Der Marktplatz ist ohnehin schon durch das zehntägige Weinfest blockiert. Gleich daneben, am Beginn der Poststraße, wird das Bündnis unter dem Motto „Frische Farbe statt brauner Tünche“ Quartier beziehen. Der DGB hat sich unterdessen den Spitalplatz gesichert.

 

Weitere Aktionen sind in der gesamten City geplant. Daran werden sich Gruppen wie Amnesty International oder das Türkische Kulturzentrum Atib beteiligen. Insgesamt sollen für den 6. Oktober im Rathaus Anfragen für knapp zwei Dutzend Stände vorliegen. Drei davon hat alleine Christian Stähle angemeldet: einen als Kreisvorsitzender der Linken, einen als Stadtrat und einen als OB-Kandidat. Nirgendwo soll Platz sein für die Neonazis.

 

Der OB gibt seine Zurückhaltung auf


Inzwischen hat auch der Oberbürgermeister Guido Till seine Bereitschaft bekundet, zu den Gegendemonstranten zu sprechen. „Wir wünschen uns, dass die Stadt mitmacht“, sagt der Bündnissprecher Alexander Maier. Ob der OB allerdings reden solle, sei noch nicht entschieden. „Es gab kritische Stimmen wegen des OB-Wahlkampfs.“ Einige im Bündnis nehmen Till auch übel, dass er sich gegenüber den kleineren Naziaufmärschen, von denen dieses Jahr bereits fünf in Göppingen stattfanden, sehr zurückgehalten habe.

 

Antifagruppen machen mobil


Derweil haben verschiedene Antifa-Gruppen angekündigt, dem Naziaufmarsch mit einer friedlichen Massenblockade begegnen zu wollen. Mehr als 30 Gruppen und Organisationen unterstützten den Aufruf unter dem Stichwort „Läuft nicht“, heißt es in einer Mitteilung. Mit Flugblättern, Plakaten, Stickern und im Internet werde landesweit mobilisiert. Maier bestätigte, dass das Bündnis, in dem Grüne, Gewerkschaften, SPD und Kirchen den Ton angeben, diesen Aufruf offiziell nicht unterstützt. Man sei aber grundsätzlich solidarisch mit gewaltfreien Aktionsformen. Nach dem Naziaufmarsch vom Karsamstag war Maier von der Antifaszene hart kritisiert worden, weil er sich von linken Flaschen- und Eierwürfen distanziert hatte.

 

Agitation


Die Neonazis gehen mit der Zeit. Vor sechs Jahren war es plumpe Ausländerfeindlichkeit („Ein Rückflug kostet 19 Euro, Integration Millionen“), in Zeiten der Eurokrise ist es klassische antikapitalistische Kampfrhetorik, mit der sie für ihre Demo werben. „Ausbeutung stoppen, Kapitalismus zerschlagen“ steht auf einem Flugblatt, das viele Göppinger kürzlich in ihrem Briefkasten fanden. Darin wird gegen die „Casino-Mentalität geldgieriger Kapitalisten“ agitiert und für eine „raumorientierte Volkswirtschaft und nationale Souveränität“ geworben.

 

Hintermänner


Auf der Homepage zur Demo findet sich das Embleme der Nationalen Sozialisten. Angemeldet wurde die Demo von einem Mitglied der Autonomen Nationalisten Göppingen. Sie greifen sowohl in ihren Aktionsformen als auch in ihrem Äußeren auf das Vorbild der politisch linken autonomen Bewegung zurück: In ihren schwarzen Kapuzenshirts sind sie vom linksextremen schwarzen Block oft nicht zu unterscheiden.

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ZITAT: Weitere Aktionen sind in der gesamten City geplant. Daran werden sich Gruppen wie Amnesty International oder das Türkische Kulturzentrum Atib beteiligen.

Mit Atib ist aber nicht zufällig die Grauwolf-Organisation „Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“ (Avrupa Türk Birligi - ehemaliger Name: Nizam-i Alem, ATIB) gemeint, oder?