Interview mit Besetzer_innen der Schlesischen Straße 25 über Besetzungen und deren Perspektiven
kleiner romantischer Vorspann
Der
Blick zurück auf den Treffpunkt. Sie waren aufgestanden; eine Unheilige
Prozession, die sich an der Kreuzung teilte. Zu beiden Seiten der
Straße Einzelpersonen und kleine Gruppen. Beide Gehsteige dunkel und das
bewegte sich hinunter Richtung Haus. An der aufgebrochenen Tür wo
jetzt das Material herangeschafft wurde, sollte alles zusammenkommen.
Kapuzen, Tücher vorm Gesicht, Handschuhe. Das Werkzeug, das Material,
die Platten ins Haus. Stahlwinkel und schienen in Wand und Tür. Nur
wenige Minuten. Dann wurde der Balken eingesetzt und das Haus war fürs
Erste gesichert, das Haus und die die drin bleiben wollten. Nicht noch
einmal sollte die Polizei sie überraschen. Nicht so wie das erste Mal,
als alles was vor der Tür stand einfach weggeknüppelt wurde.
eine Besetzung
Frage: Und was war noch anders das zweite Mal?
Besetzer_innen:
Als allererstes wurde die Haustüre verbarrikadiert. Unmißverständlich
sollte klar sein, wir gehen hier nicht einfach wieder heraus. Wer uns
aus dem Haus räumen will, der soll sich auch gefälligst ein wenig
anstrengen. Die Besetzung sollte nicht nur allein eine Skandalisierung
eines Mißstandes sein, es war nicht allein eine Aktion, die auf die
Machenschaften der GSW und des Bezirksamtes hinweisen sollte. Die Türen
von Vorder- und Hinterhaus wurden genauso verbarrikadiert wie die
Wohnungstüren, in denen Menschen zusammengekommen waren um zu bleiben.
Frage: Das heißt: die Aktion war nicht allein symbolisch gedacht? Ihr habt diese Wohnungen besetzt, ihr wollt darin wohnen?
Besetzer_innen:
Einige von uns sind auf HartzIV und werden nach der Wahl vom Jobcenter
einen Bescheid bekommen, ihre Miete zu senken, was nichts anderes
bedeutet, als dass mensch aufgefordert wird, sich eine billigere Wohnung
zu suchen. Hier im Kiez gibt es aber keine billigen Wohnungen mehr. Es
gibt aber auch Menschen unter uns, die in der Schlesischen Straße 25
gewohnt haben und mittels Modernisierungsankündigung und angekündigter
Vervierfachung der Miete aus dem Haus gedrängt wurden. Wir wollen das
Haus zurück. Wir wollen das Haus aber nicht für uns allein: eine ganze
Reihe von Wohnungen stehen für die Menschen offen, die ebenfalls in
nächster Zeit aus dem Kiez verschwinden sollen, weil sie sich mit ihrem
niedrigen Einkommen die Wohnungen hier nicht mehr leisten können.
Desweiteren gibt es zwei Läden, die als Treffpunkte für Kiezinitiativen
genutzt werden sollen sowie als Orte für Jugendliche, die vermehrt von
Plätzen und Höfen vertrieben werden. Ein Beispiel hierfür die
Wrangelstraße 86, wo seit einiger Zeit Wachschutz mit Hunden
patroulliert um die Jugendlichen vom Hof fern zu halten.
Frage: Auch auf der Straße ging es bei der zweiten Besetzung ja zunächst etwas furioser zu...
Besetzer_innen:
Ganz im Gegenteil: es wurden wohl einige Müllcontainer auf die Straße
gerollt umgekippt und angezündet, das war aber doch vorallem eine
geeignete Maßnahme zur Verkehrsberuhigung. Im ganzen Haus kehrte eine
wunderbare Stille ein und wir konnten so in aller Ruhe und Konzentration
an unseren Barrikaden arbeiten.
Frage: Bei der ersten Besetzung
der Schlesischen 25 gab es eine Menge Zustimmung von Seiten der
Anwohner_innen für diese Aktion. Wie sah das jetzt eurer Meinung nach
vor dem Haus und drumherum aus?
Besetzer_innen: Wie auch bei der
ersten Besetzung gab es auch diesmal Menschen, die spontan mit Musik
und Flyern durch den Kiez zogen und die Anwohner_innen über die
Besetzung informierten, sie aufforderten zum Haus zu kommen. Alle mit
denen sie gesprochen hatten waren begeistert, dass die Schlesische
wieder besetzt wurde. Was sie vor dem Haus erwartete war eine äußerst
entspannte Stimmung: es gab Musik aus einem Beatbarrel, es gab Essen von
einer Vokü, die Menschen setzten sich einfach auf den Asphalt einer
sonst stark befahrenen Straße. Irgendjemand spannte eine Hängematte,
andere jonglierten: da wurde eben nicht nur ein Haus besetzt sondern die
Straße vor dem Haus gleich mit.
23 verschleuderte Häuser, eine erste Besetzung und das hilflose Theater der Politik
Frage:
in eurer Pressemitteilung schreibt ihr davon, dass 1993 23 Häuser in
Kreuzberg praktisch kostenlos vom Senat an die GSW übergeben worden
waren. Warum kamen diese Machenschaften erst jetzt ans Licht?
Besetzer_innen:
Es gab diesbezüglich Anfragen in der BVV Kreuzberg und auch im
Abgeordnetenhaus. Die Politik und vorallem die Bezirkspolitik schaffte
es immer hervorragend, sich hinter den Geheimverträgen zu verstecken,
die das Land Berlin mit der Investorengruppe um Cerberus geschlossen
hatte. Keiner und vorallem nicht die Grünen in Kreuzberg, die hier ja
mit Schulz den Bürgermeister stellen, haben ein Interesse daran, dass
die ganze Geschichte aufgedeckt wird. Hatte doch der Bezirk ein
Einspruchsrecht gegen die Verschleuderung der Häuser 1993 und Schulz war
damals Fraktionsvorsitzender der Grünen, tat aber von dem Moment an,
als er mit dem sogenannten Einbringungsvertrag konfrontiert wurde, so,
als ob er von der ganzen Geschichte nichts gewusst hätte. Erst als ein
Mieter der Schlesischen Straße 25 bei einer Wahlkampfveranstaltung von
SPD und Grünen im Club Lido den Verschleuderungsvertrag
(Einbringungsvertrag) auspackte und Schulz vor die Nase hielt, begann
die Sache tatsächlich Publik zu werden.
Frage: Wie reagierte die Bezirkspolitik darauf?
Besetzer_innen:
Erwartungsgemäß genauso wie immer, nämlich gar nicht. Schulz wie
Beckers, Stadtrat für Wirtschaft und Chef des Ordnungsamtes Kreuzberg,
meinten, sie wollten sich um die Sache kümmern aber letztlich passierte
nichts. Von daher wurden die Anwohner_innen selbst aktiv und besetzten
am 30.5. kurzerhand das Haus, das die GSW wenige Stunden später in einem
äußerst brutalen Polizeieinsatz räumen ließ. Zwei Tage später verkaufte
sie es an einen Investor Namens Matthias Bahr und dessen Schlesische
Straße Projekt GmbH", Adresse: am Schlachtensee 6.
Frage: Mit
dem Einbringungsvertrag wurden aber auch die Namen der anderen 23 Häuser
bekannt, die allein in Kreuzberg an die GSW praktisch kostenlos
übertragen wurden. Was die Übergabe aber ja so brisant macht ist, dass
diese Übertragung an bestimmte Bedingungen geknüpft war?
Besetzer_innen:
Brisant aber vorallem, weil die GSW praktisch alle diese Vereinbarungen
gebrochen hat. Binnen eines Jahres hätten Instandhaltungsarbeiten
beginnen und nach zehn Jahren abgeschlossen sein sollen; der Mietpreis
sollte gedeckelt bleiben; die Häuser hätten eigentlich gar nicht
weiterverkauft werden dürfen und wenn nur mit Ausnahmegenehmigung und
unter Rückführung des Erlöses an das Land Berlin.
Frage: Durch die Geheimverträge mit Cerberus und Co wurde dann praktisch der gesamte Vertrag zwischen GSW und Land ausgehebelt?
Besetzer_innen:
Scheinbar nicht ganz. Zunächst standen alle Häuser unter dem
Belegungsrecht des Bezirkes, das heißt, wer Schwierigkeiten hat aus den
verschiedensten Gründen eine Wohnung zu finden, dem wurde vom Sozialamt
eine Wohnung zugewiesen und der Wohnungseigentümer hatte das zu
akzeptieren. Das galt nach der Übertragung der Häuser auch noch für die
GSW. Heute werden Menschen auf HartzIV, die wegen Mietschulden aus der
Wohnung fliegen Psychotrainingsmaßnahmen unterzogen, rangieren immer am
Rand der Psychiatrisierung oder der Einweisung in eine sogenannte
Werkstatt für behinderte Menschen. Juristisch aber scheint das
Belegungsrecht einer der wenigen Punkte zu sein, die vom Vertrag mit
Cerberus und Konsorten nicht ausgehebelt wurde oder werden konnte. Eine
andere Auflage, die scheinbar immer noch greift, ist die
Instandhaltungsverpflichtung seitens der GSW.
Austausch unter Mieter_innen und die legalen Verbrechen des Wohnungsmarktes
Frage:
Seit der ersten Besetzung der Schlesischen Straße 25 haben sich dann
eine ganze Reihe der 23 verschleuderten Häuser getroffen, um sich über
ihre Miet- und Wohnungsbedingung auszutauschen?
Besetzer_innen: Es
gab Versammlungen, es gab Veranstaltungen, es gab Infostände in den
Kiezen und was dabei herauskam war so unglaublich wie absolut legal:
Mietsteigerungen um bis zu 50% in der Markgrafenstraße 85 und 86 die
Aufforderung seitens des Jobcenters an HartzIV- Bezieher_innen und
Bezieher_innen von Grundsicherung, die Miete zu senken, was freilich
nichts anderes bedeutet als wegziehen zu müssen; Bedrohung durch
Teilabriß nach dem Verkauf des Hauses in der Enkestraße 4; Verkauf des
Hauses Wilhelmstraße 7 und Weiterverkauf der einzelnen Wohnungen als
Eigentumswohnungen nach Luxusmodernisierung; Modernisierung des Hauses
Bevenstraße 2 mit anschließender Verdreifachung der Miete; Räumung des
still besetzten Seitenflügels in der Manteuffelstraße7 und
Verrottenlassen der leeren Wohnungen bis diese bis zur Unbewohnbarkeit
verschimmelten- die GSW hat da offensichtlich keinerlei Probleme mit.
Beim aktuellen Bebauungsplan Manteuffelstraße Ecke Köpenickerstraße
taucht das Haus einfach gar nicht mehr auf. Mit legal meinen wir, dass
da juristisch in den allerwenigsten Fällen etwas zu machen sein dürfte.
Es bedeutet aber auch, und die Geschichte des Runden Tisches mit Schulz
im Wrangelkiez belegt dies: auf Politiker_innen welcher Couleur auch
immer, brauchen wir nicht zu setzen. Durch Lügen versuchen sie sich
ihrer Verantwortung zu entziehen, haben aber andererseits gar keine
Macht, etwas gegen Investoren wie Cerberus, oder wem die GSW, die
mittlerweile börsennotiert ist, jetzt auch immer gehört, durchzusetzen.
Selbst wenn sie das tatsächlich wollten: niemand im Kiez aber glaubt
mehr, dass sie das wirklich wollen. All unsere Probleme müssen wir
selbst in die Hand nehmen. Um wirklich etwas zu verändern müssen wir uns
selbst organisieren. Das aber heißt: organisieren ohne jegliche
Parteien oder parteiähnliche Institutionen. Die Stimmung in den Kiezen
hierfür ist unserer Meinung nach sehr gut und das haben die Reaktionen
auf die Besetzungen der Schlesischen, und die Reaktionen auf die
Räumungen gezeigt.
Das hat aber auch die große Mietendemonstration
am 3.9. gezeigt: unter Ausschluss aller Parteien stellten
Kiezinitiativen aus den verschiedensten Kiezen, aus Kreuzberg,
Neukölln, aus Treptow, Zehlendorf, Mitte und Prenzlauerberg eine Demo
von 6000 Menschen auf die Beine, die mit über 20 Redebeiträgen die
Breite des Spektrums unabhängiger Initiativen gegen steigende Mieten und
gegen Verdrängung wiederspiegelte.
Verdrängung gegen den Aufstand
Frage: Damit ist aber dann auch die Wohnungspolitik der letzten Jahre unter dem Rot- Roten Senat gemeint?
Besetzer_innen:
Ja klar. Wenn die jetzige noch- Bausenatorin Junge-Reyer behauptet, es
gebe keinen angespannten Wohnungsmarkt, da in Bezirken wie
Marzahn-Hellersdorf oder Falkensee jede Menge Wohnungen leer stehen,
außerhalb des S-Bahngürtels also, dann nennen wir das Sozialpolitik
durch Verdrängung, oder noch etwas schärfer, wenn auch vielleicht nicht
ganz präzise: Bevölkerungspolitik gegen den Kiez. Im Wrangelkiez, wo die
Schlesische ja liegt, heißt das beispielsweise, dass in den letzten 2
Jahren 1200 Menschen weggezogen sind oder weggezogen wurden, das sind 10
% der gesamten Kiezbevölkerung. Der Anteil der Menschen mit türkischem
Pass ist um ein Drittel gesunken.
Frage: Was hat das aber eurer
Meinung nach mit Sozialpolitik zu tun? In erster Linie geht es hier doch
um Profite, die die Politik beispielsweise mit der Streichung der
Fehlbelegungsklausel unterstützte?
Besetzer_innen: Freilich bewirkte
und bewirkt etwas wie die Streichung der Fehlbelegungsklausel durch den
SPD-Senat im Wrangelkiez wie in den Nachbarkiezen eine enorme Zunahme
von Ferienwohnungen, aber auch von Büroräumen der sogenannten
Kreativwirtschaft. Freilich führt das zu einer Verringerung der Anzahl
der Mietwohnungen und treibt die Mieten nochmals in die Höhe, forciert
aber auch zudem die Aufwertung des Kiezes für die neue schicke
Kiezeinwohnerschaft.
Verdrängung hatte aber im Wrangelkiez noch eine
ganz andere Komponente: im Oktober 2006 versuchte die Polizei in der
Wrangelstraße zwei türkische Kinder im Alter von 12 und 13 Jahren wegen
Diebstahls eines mp3-Players zu verhaften, legte ihnen dabei
Handschellen an und das ganze auf die Brutale. Innerhalb kürzester Zeit
war die ganze Straße mit Anwohner_innen allen Alters voll und hinderte
die Polizist_innen daran, die Kinder mitzunehmen. Nach dem
handgreiflichen Ratschlag, aus Gründen ihrer eigenen Gesundheit und
ihres Wohlbefindens den Kiez zu verlassen, ließen die Polizisten von der
Verhaftung ab und suchten das Weite. Aber wie das eben so mit der
Polizei ist, sie kanns dann eben doch nicht lassen und tauchte wenig
später mit einer Hundertschaft auf, wurde aber sogleich mit
entschlossenem steinernem Widerstand begrüßt, so dass der ganze Einsatz
erneut abgeblasen wurde und die Einheiten den Rückzug antraten.
Polizeiobere sprachen daraufhin von der "no-go-area Wrangelkiez".
Für
die Befriedung des Kiezes wurden dann ganz andere Maßnahmen
aufgefahren: mittels Jobcenter wurden die steigenden Mieten zu einem
Hebel, die renitenten migrantischen Anwohner_innen aus dem Kiez zu
verdrängen. Parallel dazu schuf das Bezirksamt das Quartiersmanagement
Wrangelkiez, das den ganzen Kiez nochmal auf eine ganz andere Weise zu
kontrollieren suchte.
Frage: Was heißt das konkret...?
Besetzer_innen:
Es führte an dieser Stelle zu weit, genau herauszuanalysieren, wie sich
die Funktionen des Quartiersmanagement Wrangelkiez als verlängerter Arm
von Polizei und Ordnungsamt und als treibende Kraft in Sachen
Aufwertung und Verdrängung in den letzten Jahren entwickelt haben. Von
daher ein Beispiel für die neuesten Tendenzen der Funktionen des QM, die
die Kontrolle im Kiez in Zukunft ganz unmittelbar an den Zwang zur
Arbeit koppeln sollen.
Im Zuge der Umstrukturierung des Jobcenters
werden auch die sogenannten "Werkstätten für behinderte Menschen" (WfbM)
ausgebaut. Im Gegensatz zu den MAE-Maßnahmen wurde bei diesen in den
letzten Jahren eine enorme Produktivität gegen die Menschen, die dort
arbeiten durchgesetzt. Dort werden schon lange nicht mehr Tüten geklebt
oder Blümchen gesteckt. Hauptauftraggeber für die WfbM sind mittlerweile
Siemens, VW, BMW, Toshiba und Daimler. Und weil die Auspressung von
Menschen dort im Sinne des Kapitals scheinbar ganz gut funktioniert,
verlautete von Seiten der Bundesanstalt für Arbeit Ende vergangenen
Jahres, dass die WfbM auch das Ausbeutungsmodell für sogenannte
„Langzeitarbeitslose“ abgeben sollen. An Maschinen, und
Montagearbeitsplätzen der Großkonzerne werden in einem breit ausgebauten
Werkstättensystem in Zukunft auch HartzIV-Bezieher_innen gesteckt
werden. Das Tolle für die Konzerne ist dabei, dass die sogenannte
Mehraufwandsenschädigung (MAE) einfach als Lohn umettiketiert wird. 1,50
bei Siemens und den Rest zahlt das Amt.
Was das ganze mit dem Kiez
zu tun hat, zeigt der Standort der ersten Modellwerkstatt für dieses
Jobcenterprojekt in Berlin; die ehemalige Blindenanstalt in der
Oranienstraße, ein paar Querstraßen vom Wrangelkiez entfernt. Betrieben
von einem der größten WfbM-Träger in Berlin, der use, steht sie unter
der Schirmherrschaft des Landesbeauftragten für Behinderte Menschen und,
na von wem noch? Richtig! Dem Quartiersmanagement, dem auf diese Weise
vollkommen neue Funktionen der Kontrolle und der Sanktionen im Kiez
zugewiesen werden.
eine ganz normale Räumung
Frage: Zurück
aber jetzt wieder zur zweiten Besetzung der Schlesischen Straße 25, die
ja auch nach wenigen Stunden geräumt wurde. Irgendwo in der Presse war
zu lesen, die ganze Aktion sei sehr friedlich verlaufen.
Besetzer_innen:
Bis die Polizei kam durchaus. Da wanderte beispielsweise im Vorderhaus
eine vegane Nougattorte auf wunderbare Weise von Balkon zu Balkon. Die
Polizist_innen versauten aber wie immer die Stimmung. Zunächst waren sie
wohl ziemlich sauer, dass sie eine Barrikade an einer Wohnungstür nicht
aufbekamen, obwohl die nur vernagelt war. Das zwang sie dazu, eine Wand
aufzubrechen und durch die Wand kamen sie dann auch rein. In der ersten
Wohnung mußten sich die Menschen auf den Boden legen, Tritte in den
Bauch, einer Genossin trat ein Polizist mit seinem vollen
Kampfanzuggewicht auf die Hand, die daraufhin heftig anschwoll, einen
Anderen schleiften sie durch den ganzen Raum und wieder ein Anderer
wurde mit Kopf nach unten und umgebogenem Arm die Treppe hinunter
abgeführt. Die Einheit wurde dann allerdings vom Einsatzleiter
heruntergeputzt, da dieser wohl eine ähnliche Kritik wie nach der ersten
Räumung der Schlesischen 25 befürchtete. Damals hatte die Presse ihn,
einen gewissen Herrn Richter, der zugleich Chef der Kreuzberger Polizei
ist, als Roboter beschimpft. Tags darauf war er mit Leidensmiene durch
den Kiez gepilgert und hatte herumlamentiert, er sei unschuldig, ihm sei
die Gewalt über seine Leute entglitten. Ansonsten dürfte aber auch
Körting, SPD-Innensenator im Wahlkampf, daran gelegen gewesen sein, dass
die Räumung ohne größere Zwischenfälle über die Bühne geht. Der
restliche Verlauf war dann polizeispezifisch durchschnittsaggressiv:
"Polizei! Alle bleiben auf dem Boden! Nein!Sie tun das, was ich sage!"
Frage:
Es ging das Gerücht um, die Aktion sei von der Polizei nach der Räumung
des Vorderhauses für beendet erklärt worden; das Hinterhaus hätte sie
dann wohl vergessen?
Besetzer_innen: Kurioser Weise tauchten in der
Presse am nächsten Tag auch nur 12 Besetzer_innen auf. Wir waren aber
24, 12 im Vorderhaus und 12 im Hinterhaus. Dementsprechend war die
Polizei tatsächlich nach der Räumung des Vorderhauses davon ausgegangen,
dass die Sache erledigt sei, und das wurde wohl auch an die Presse
weitergegeben. Um so sonderbarer dann ein anderes Gerücht, das die
Polizei selbst in Umlauf gesetzt hatte: das Hinterhaus sei mit
Stromfallen versehen um Polizist_innen umzubringen. In einer anderen
Geschichte wurde von der Polizei behauptet, im Hinterhaus seien
Gasleitungen angebohrt, um das ganze Haus in die Luft zu jagen.
Tatsächlich ließ die Staatsgewalt Strom und Gas von Vattenfall und der
GASAG absperren. Danach kamen sie von oben, kamen gezielt gleich zu den
Wohnungen, wo die Besetzer_innen verbarrikadiert waren, droschen aber,
nachdem sie die Wohnungen mit dem Rammbock aufgebrochen hatten, auch
noch die leeren Wohnungen ein.
Frage: Und was sollte das eurer Meinung nach?
Besetzer_innen:
Wir denken, dass die Menschen der Polizei vor dem Haus mächtig auf die
Nerven gegangen waren, und das finden wir natürlich toll. Wie wir alles
toll fanden, was so um die Besetzung herum passierte: das war richtig
klasse, klasse gegen klasse eben.
Um die zweite Hälfte der Räumung
ohne die Solidarität der Anwohner_innen durchziehen zu können, wurde die
Geschichte, dass die Räumung erledigt sei, verbreitet. Aber selbst das
ging ja nicht auf. Eine ganze Menge Menschen blieb einfach. Ein jedesmal
wenn Eine_r herauskam, wurde er_sie mit kräftigem Applaus begrüßt.
einige Gedanken zu Perspektiven
Frage:
Wie kann es aber eurer Meinung nach weitergehen? Das war nun die zweite
Besetzung der Schlesischen Straße 25, es war aber auch die zweite
Räumung des Hauses. Es gibt nach wie vor die sogenannte Berliner Linie
die bekanntlich besagt, dass ein jedes Haus binnen 24 Stunden nach
seiner Besetzung geräumt werden soll.
Besetzer_innen: Was
tatsächlich durchgesetzt werden kann, das kann nur der Versuch
entscheiden, das heißt die Aktion, die auslotet, wie viel Kraft und
Stärke sich im Kiez entfaltet. Die Berliner Linie bekommen wir nicht
dadurch weg, dass wir sie anstarren und uns davon lähmen lassen. Wir
müssen da herumprobieren, wir müssen mit Aktionen wie Besetzungen
herumexperimentieren. Wir müssen uns auch mit solchen Aktionen im Kiez
verankern.
Frage: Das heißt, eine Besetzung lotet auch aus, wie die Akzeptanz für eine solche Aktion im Kiez ist?
Besetzer_innen:
Es geht nicht einfach um Akzeptanz unserer Aktionen im Kiez. Das würde
einen Graben zwischen irgendwelchen Linksradikalen oder Militanten und
den Anwohner_innen konstruieren. Auch wir wohnen hier. Auch wir sind
zuallererst einmal Anwohner_innen. Es geht nicht um Akzeptanz, sondern
um einen gemeinsamen, immer breiter werdenden Widerstand und wir
schlagen hierfür einfach ganz praktisch Aktionen vor. Wir haben uns
natürlich total über die Reaktionen im Wrangelkiez am 30.5. bei der
Räumungsdemo und danach gefreut: da kamen die Menschen aus den
Wohnungen, aus den Kneipen und waren begeistert über die wütende Demo
durch den Kiez. Wir dachten aber auch, als wir die Schlesische das
zweite Mal besetzten, dass es vielleicht einen Schritt weitergehen
könnte, vielleicht nicht direkt bei der Besetzung, aber perspektivisch
von den Besetzungen aus.
Frage: Gibt es nicht grundsätzlich immer
wieder einen Bruch zwischen der Wut oder dem Hass auf all das, was uns
ausbeutet, was uns das Geld klaut und damit auch die Zeit zum Leben, die
wir dann in der Arbeit für ein paar Kröten totschlagen müssen: die
Diskrepanz zwischen dem Hass auf die Bedingungen und Verhältnisse unter
denen wir leben einerseits, und der Bereitschaft, dagegen zu kämpfen
andererseits?
Besetzer_innen: Was uns auch an der ersten Besetzung
der Schlesischen begeisterte, war, dass hunderte von Menschen sich nicht
von vier Hundertschaften Polizei einfach wegknüppeln ließen. Es
herrschte das Gefühl, dass wir viele sind und weil wir viele waren
bekamen wir das auch hin. Was kurze Zeit vorher noch unmöglich schien,
schien plötzlich und wenn auch nur für einen Moment machbar. Wie ein
Kiez als Widerstand funktioniert, kann nur Widerstand herausbekommen.
Frage:
Was schwebt euch aber ganz Praktisch vor, das Aktivist_innen und
Anwohner_innen im Kiez noch mehr zusammenbringt, wie kommen die Vielen,
von denen ihr sprecht zusammen und kommen vielleicht so zusammen, dass
sie auch zusammen kämpfen?
Besetzer_innen: Ähnlich wie bei der
zweiten Besetzung denken wir, dass wir einen Schritt weitergehen müssen.
Den Menschen im Kiez erzählen, wie die Wohnungspolitik des Senates
funktioniert, wer hier Profite macht und wer uns und auf welche Weise
hier verdrängt, das brauchen wir nicht noch weiter zu skandalisieren, da
dieser Skandal längst Alltag für die meisten Menschen hier geworden
ist. Was die ganz alltägliche Iniarbeit im Kiez doch immer wieder
erfährt, sei es an Infoständen, bei Kiezspaziergängen oder bei
Veranstaltungen, das ist eine enorme Wut über das Privateigentum an
Wohnraum, dem wir die Immobilienspekulation wie die unbezahlbaren Mieten
und die Verdrängung überhaupt zu verdanken haben. Einen Schritt
weitergehen heißt für uns, eben diese Wut aufgreifen, heißt in Aktionen
dieses Privateigentum in Frage stellen, heißt diese von Staat und
Polizei verteidigte Tabuzone verletzen.
Beispielsweise könnte in
Kiezspaziergängen dazu übergegangen werden, Leerstandslisten von den
Anwohner_innen anfertigen zu lassen, Anwohner_innen führen Andere zu
leeren Wohnungen und erzählen von deren Geschichte. Parallel dazu
könnten im Rahmen von "Anwohner_innen suchen sich jetzt aktiv ihre
Wohnungen selbst" Listen mit Leuten, die von Verdrängung bedroht sind,
oder überhaupt von Menschen die hier im Kiez Wohnungen suchen,
aufgestellt werden. Das ganze, und mensch ahnt es schon, als
Vorbereitung von massenhaften Besetzungen und das womöglich
kiezübergreifend.
Frage: Wie aber sollten eurer Meinung nach
Menschen an solche Aktionen herangeführt werden, die darin noch
keinerlei Erfahrung haben?
Besetzer_innen: Parallel zu den
Aktivitäten, die ganz unmittelbar Menschen mit Menschen und Menschen mit
Wohnungen zusammenbringen sollen, seien es Infostände oder
Kiezspaziergänge oder Veranstaltungen dazu, müssen natürlich auch
Treffen mit Anwält_innen organisiert werden, die uns darauf vorbereiten,
wie wir unsere Straftaten am besten begehen. Außerdem sollten natürlich
Austausch und Vermittlung von Erfahrungen mit Polizei und vorallem die
Vermittlung von Erfahrungen bei Räumungen organisiert werden.
Frage:
Um es zusammenzufassen: an einem bestimmten Tag, aber an
unterschiedlichen Orten sollten also diese Wohnungs- und Hausbesetzungen
stattfinden...
Besetzer_innen: ...und sie sollen ganz offiziell
angekündigt werden, ganz offensiv soll für sie geworben werden. Das
Entscheidende ist, dass die ganze Geschichte massenhaft passiert und
dann wollen wir doch mal sehen, wer hier noch von Berliner Linie
quatscht, und dann wollen wir doch mal sehen, ob die Polizei es wagt uns
zu Räumen, wo doch die ganze Stadt besetzt!
Frage: Was die Vorbereitung betrifft so klingt das ja gelinde gesagt, wie eine eher längerfristige Aktion?
Besetzer_innen:
Einerseits ja, das ganze würde sich schon eine beträchtliche Weile der
Organisation hinziehen. Andererseits wird nach der Wahl und spätestens
Anfang nächsten Jahres eine höllische Zwangsumzugswelle über die Kieze
hereinbrechen. Dann nämlich genau, wenn die neue AV-Wohnen, die
Ausführungsverordnung für die beschlossenen Neuregelungen in Sachen
Mieten für HartzIV- und Grundsicherungsbezieher_innen, bei denen eine
Deckelung der Mietübernahme durch das Jobcenter vorgesehen ist, bekannt
gegeben wird. Was dann freilich auch in den angedachten Veranstaltungen
Thema sein muss, ist die ganz unmittelbare Verhinderung von
Zwangsräumungen.
Frage: Das dürfte aber insofern schon schwierig
werden, da es bisher doch kaum gelungen ist, die Räumungen, die von
Seiten der Verdrängten Menschen sehr verschwiegen und isoliert
hingenommen werden, kritisch und breit zu thematisieren. Da spielen ja
auch Dinge wie Scham, Unsicherheiten und merkwürdige Schuldgefühle mit?
Besetzer_innen:
Gegen das was uns da an Verdrängung im kommenden Jahr erwartet, war das
Bisherige aber auch ein eher marginales Phänomen. Inwiefern bei einem
solch breiten Angriff seitens der Politik und des Kapitals sich auch
Widerstand verbreitert, wird sich aber zeigen, und wir sind da ganz
zuversichtlich. Nicht nur massenhafte Besetzungen stehen dann an,
sondern auch Verhinderung von Zwangsräumungen. Wenn uns das zu Beginn
auch nur einige wenige Male gelänge, würde sich das Klima in der Stadt
schlagartig verändern: vielleicht hätten wir dann eine explosive
Mischung aus athener Hitze und londoner Nebelschwaden.