Berlin: Siegreiche Niederlage im Liebig14-Prozess

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Am 29. März 2011 fand in Berlin der zweite Prozesstag wegen einer Festnahme nach der Räumung der Liebigstrasse 14 statt. Der Angeklagte wurde beschuldigt am Abend des 2. Februar 2011 eine andere Festnahme in der Nähe des S-Bahnhofs Warschauer Strasse verhindert, einen Stein geworfen und sich bei seiner eigenen Festnahme gewehrt zu haben. Weil er kein deutscher Staatsbürger ist, wurde er in Untersuchungshaft genommen und dann wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und (versuchter) gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

 

Meinen Bericht vom 1. Prozesstag gibt es hier: http://linksunten.indymedia.org/de/node/36014/

Am zweiten Prozesstag waren wieder nur wenige Zuschauer und Zuschauerinnen gekommen. Neben ein paar Jorunalisten und Journalistinnen war auch der Festnahmebeteiligte Polizist PK Thomas Franzke (36 Jahre alt, Gruppenführer der 2. Gruppe in der Dir ZA 23 Ehu) in Uniform mit einem weiteren relativ hochrangigen Bereitschaftspolizisten im Publikum. Auch beobachtete der Leiter der Staatsschutzabteilung (Abteilung 81) der Berliner Staatsanwaltschaft OStA Michael von Hagen den Prozess mit einem Kollegen. Ansonsten war nur der Opa - der ins Gericht kommt, weil es woanders keine kostenlose Unterhaltung gibt - und eine weitere Personen als Prozessbeobachter dort. .

(Hinweis: Die Namen der Zeugen und Zeuginnen sind mir nur vom Hören bekannt. Sie können demnach falsch geschrieben sein.)

Die ersten beiden Zeugen waren die Berliner Bereitschaftspolizisten POM Köwitsch, Gruppenführer 2. Zug der 23. Ehu (Rückennummer 2321 oo), und POM Benjamin Raschke (27), der die Rückennummer 2332 trug. Beide Polizisten waren an der Festnahme des Angeklagten beteiligt. POM Köwitsch und seine damalige Zugführerin Deschner wollen den Kollegen Franzke einer Person nacheilen gesehen haben. Dabei sei dem Nacheilenden ein Schlagstock aus der Hand gefallen. Bevor POM Köwitsch den Angeklagten nacheilen konnte und an der Festnahme beteiligt war, soll der Angeklagte aber schon den Kollegen POM Raschke in die Arme gelaufen sein. Als Köwitsch und Raschke den Angeklagten, der durch umherstehende Menschen verlangsamt wurde, endlich hatten, bekam er noch (mindestens) einen Faustschlag von den Beamten ins Gesicht. Da der Angeklagte "auf den Schlag nicht reagierte", wurde von den beiden und den inzwischen angekommenen PK Franzke weiter Gewalt angewendet, um den Angeklagten zu fixieren. Erst nachdem Raschke mitbekam, dass der Festzunehmende Englisch sprach, erklärte er auf Englisch, dass dieser nun festgenommen werde. Daraufhin liess sich der Angeklagte widerstandslos festnehmen.

Auch Raschke und Köwitsch mussten wie alle sechs Polizeizeugen bzw. -zeuginnen eine Skizze vom Ort der Festnahme anfertigen. Beide Polizisten sagten auch aus, dass sie den ANgeklagten anhand seines Bartes im Gerichtssaal widererkannt hatten. Den Steinwurf hatten aber beide nicht gesehen, sondern nur auf den rufenden Kollegen Franzke reagiert. Der "Zurück in die Zukunft" zitierende Raschke setzte sich nach seiner Aussage zu seinen Kollegen ins Publikum, um die Aussage der Kollegin Deschner zu beobachten.

Von Anfang an war zu merken, dass es zwischen der beobachtenden Männergruppe um PK Franzke und "Frau Deschner" Spannungen gab. Polizeiquellen munkeln, dass Sonja Deschner (35 Jahre alt, Rückennummer 233) von einigen Kollegen gemobbt wird. Das Verhalten der beobachtenden Polizisten liess jedoch auf ein zumindest "einseitiges sexualisiertes Verhältnis" schliessen. So starrten die Polizisten u.a. auf den Po von Deschner und grinsten kindisch, als diese ihre Skizze zeichnete und sich dabei auf den Gerichtstisch vorbeugte.

Die Polizistin Deschner sah auch nicht den Steinwurf, sondern hatte ihren Kollegen Köwitsch an ihrer Seite, als sie den auf sich zulaufenden und rufenden PK Franzke bemerkten. Diese deutete dabei auf den Angeklagten, sodass für sie klar war, dieser solle festgenommen werden. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen gelang ihr es aber nicht auf den Angeklagten zuzulaufen, da sie plötzlich eine andere männliche Person von der Seite attackierte. Dies sei auch Gegenstand eines anderen Verfahrens, Deschner habe dann nichts mehr von der anderen Festnahme mitbekommen und habe sich der attackierenden Person gewidmet.

Ebenso wie die anderen Polizisten wurde Deschner nach dem Aussagen und der Kleidung der von Franzke weglaufenden Person gefragt. Die anderen Polizisten konnten sich alle an den markanten Bart erinnern und beschrieben die getragene Jacke als "dunkel" bzw. "in den Lichtverhältnissen dunkel". Deschner erinnerte sich auch klar an den markanten Bart, die Jacke sei jedoch hellblau gewesen. Die beobachtenden Polizisten echaufierten sich sichtlich im Publikum über diese Aussage, was die Zeugin aber nicht bemerkte. Auf spätere Nachfrage der Anwältin über das andere Verfahren wegen des seitlichen Angriffs und den Vorhalt, dass die anderen Zeugen über die Farbe der Jacke etwas anderes aussagten, meinte Deschner sinngemäss: "Ach ja, die Jacke die Person im anderen Verfahren an. Darum habe ich das wohl verwechselt."

Deschner verliess nach ihrer Aussage sofort das Gerichtsgebäude. Es folgte eine 10-minütige Pause, in der sich die Richterin ihr Urteil ausdachte. Deschners männliche Kollegen warteten geschlossen auf das Urteil, genau wie von Hagen und seinen Kollegen. Das Urteil schien klar, sechs Polizisten und Polizistinnen hatten einen Steinewerfer belastet. Der Staatsanwalt im Verfahren kam zu von Hagen und Gefolgschaft heraus, beide redeten davon, dass er mit Sekt feiern könne. Michael von Hagen sprach auch von seinem erneuten Besuch in Blumberg - gemeint ist die dortige Bundespolizei. In einem anderen Verfahren war bekannt geworden, dass OStA Michael von Hagen dort ab und an zu (linken) politischen Prozessen Schulungen mit Bundespolizei und den Berliner LKA-Abteilungen für "politisch motivierte Strassengewalt (PMS)" abhält. Siehe: http://de.indymedia.org/2010/04/278524.shtml

"Coram iudice et in alto mare in manu dei soli sumus"

Doch die Repressionsorgane hatten nicht die Rechnung mit "der Hand Gottes" gemacht. In einem deutschen Gerichtssaal zählt per Gesetz nicht die Anzahl und das Verhältnis der angehäuften Beweise, Indizien oder Aussagen - Es zählt allein der Glaube der Richter und Richterinnen. (Damit schliesse ich auch die Schöffen und Schöffinnen ein.) Diese haben nämlich eine Art Allmacht im Gerichtssaal und bei der Verurteilung.

So hatte der Staatsanwalt 1 Jahr und 3 Monate auf Bewährung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall und versuchter gefährlicher Körperverletzung gefordert, aus generalpräventiven Gründen, und die Rechtsanwältin einen glatten Freispruch in beiden Anklagepunkten. Der Angeklagte hatte Glück gehabt! Die Richterin entschied sich dafür, nur den "Widerstand" mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 15 Euro (insgesamt also 600 Euro) zu verurteilen. Bei den Steinwurf aus nächster Nähe habe sie Zweifel. "Er könnte es gewesen sein, aber ich glaube es eher nicht!", meinte sie sinngemäss. Schliesslich führte sie noch zwei angebliche "Widersprüche" auf, bei den sogar die Verteidigerin fast schmunzeln musste, weil diese Aussagen so nicht von den Polizisten und Polizistinnen gemacht wurden.

Ich selbst habe mich dabei erwscht, wie ich dachte: "Mir soll´s Recht sein!" Aber das zu denken ist falsch. Zum einen ist hier etwas geschehen, was einer Gesellschaft nicht weiterhilft. Der Angeklagte wurde geschlagen und eingesperrt. Schliesslich musste er sich einem demütigenden Prozess ausliefern, wurde von Kameras und reisserischen Schlagzeilen verfolgt. Selbst wenn er der Steinwerfer war und den Erhalt des Wohnprojekts Liebigstrasse 14 wollte, er hat damit nichts erreicht. Aus Sicht der Polizisten und Polizistinnen dürfte der Prozess (damit ist nicht nur der Gerichtsprozess gemeint) auch kein Gewinn gewesen sein. Diese Menschen wurden attackiert und werden wieder attackiert. Ob Urteil oder Freispruch, da wird sich nichts ändern. Wo Wir auch hinschauen, solche Prozesse erzeugen nur eine Lose-Lose-Situation.

Ich habe schon Prozesse gesehen, bei denen Menschen aufgrund eines nicht-bestehenden Gesetzes verurteilt wurden. Etliche Verurteilungen bei weit weniger belastenden und weit mehr widersprüchlichen Aussagen habe ich gesehen. Das vorläufige Glück des Angeklagten wird sich mit der Willkür des Gerichts der nächsten Instanz konfrontieren müssen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Anstatt willkürliche Urteile zu sprechen und Menschen zu bestrafen, sollten sich alle Menschen lieber zusammensetzen und sich fragen, wie sie Situationen handhaben können, dass wirklich alle gewinnen. Dieses Vorgehen bei den meisten Konflikten hat einen revolutinären Funken. Der geworfene Stein bleibt eiskalt und hinterlässt nur Wunden. Der geschwungene Schlagstock bleibt eiskalt und hinterlässt nur Wunden. Und das vergitterte Fenster bleibt eiskalt, hinterlässt nur Wunden.

Dokumentage zum Thema "Sexismus in der Polizei": http://www.youtube.com/watch?v=s03vLga0lEc

Weitere Prozesse

Prozess wegen Baumbesetzung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafen
11. April 2011 - 9 Uhr - Raum 806
Landgericht Tiergarten
Turmstrasse 91
Nahe U-Bahnhof Turmstrasse (U9), Bus 187

Prozess gegen Roland Ionas Bialke
3. Mai 2011 - 13 Uhr 30 - Raum 1104
Amtsgericht Kirchstrasse (!)
Kirchstrasse 6
Nahe S-Bahnhof Bellevue (S7)

Zwei meiner Homepages wurden vom Staatsschutz abgeschaltet und TKÜ-Massnahmen durchgeführt. Ebenso wurde der Druck und Vertrieb von drei Büchern vereitelt. Angeklagt wird die Verbreitung von Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails, Detonatorkapseln und Rohrbomben in von mir verfassten Büchern und auf den beiden nun zensierten Homepages. (Weitere Informationen folgen!)

Anmerkungen zum Artikel

Was für ein Oxymoron in der Überschrift. Nur "Gegenprotestant" in Demonstrationsberichten ist besser. Und wer mir anhand von religiös scheinenden Bemerkungen einen Strick drehen will, wird wohl umsonst drehen.

http://www.youtube.com/watch?v=8-Ol_i8wJ9E

 

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eigentlich ein guter bericht, aber:

"Schliesslich führte sie noch zwei angebliche "Widersprüche" auf, bei den sogar die Verteidigerin fast schmunzeln musste, weil diese Aussagen so nicht von den Polizisten und Polizistinnen gemacht wurden." hier solltest du die beiden widersprüche noch benennen, sind ja offensichtlich für das urteil relevant gewesen, kannst auch gerne nachtragen :-)

Sowas zu benennen ist schwierig, da ich dem Angeklagten (als jemand der Strafe erwarten muss) positiv gegenüber stehe. D.h. ich will nicht, dass er eine "Strafe" bekommt. Darum habe ich im Artikel des 1. Prozesstages auch nichts über die Polizeiaussagen über die Haare und Kopfbedeckung während der Tat geschrieben.

 

Wenn ich z.B. am 1. Prozesstag schreiben würde, dass ein beobachtender Zivi hätte ausgesagt, die steinewerfende Person hatte eine 14 auf der Jacke, dann liest das eventuell ein Polizist, der das nicht wusste, und sagt aus, dass er eine 14 auf der Jacke hatte, die Jacke aber weggeworfen habe, bevpr er ihn festgenommen hat. - Und sowas passiert auch, d.h. einmal verhalten sich steinewerfende Personen manchmal so und dann lügen auch Polizisten und Polizistinnen. Mir selbst hat einer fett ins Gesicht gelogen, als ich angeklagt war. Die Reaktionen des Angeklagten in diesem Prozess schienen genau darauf auch hinzudeuten, wobei auch solche Reaktionen nicht echt sein müssen...

 

Bei diesem Prozess hat z.B. eine Person gesagt: "Das hat er NICHT gemacht." Und die Richterin erzählte dann, dass diese Person ausgesagt hätte: "Das hat er gemacht." Und nicht nur die Richterin hat nicht zugehört, auch der Staatsanwalt hat sich mal dermassen bei seinem Plädoyer widersprochen.

 

Übrigens dürfte eben dieser Staatsanwalt nach einem guten (Sprung-)Revisionsgrund suchen. Dafür bin ich aber nicht da, um ihn einen solchen zu liefern.

 

 

ok, das seh ich ein, der schutz der angeklagten geht vor