[P] Gegen die kapitalistische Gewalt – Solidemo für unsere Genoss*innen in Hamburg

8. Juli 2017 - Potsdam - Solidarität mit unseren Genoss*innen in Hamburg - 1
Alles zum G20-Gipfel 2017 auf Indymedia linksunten

Am Nachmittag des 8. Juli 2017 demonstrierten in Potsdam 70 Menschen in Solidarität mit jenen, die in Hamburg gegen den sogenannten G20-Gipfel protestieren, Widerstand leisten und kämpfen.

 

Uns überrascht das Verhalten und agieren der Polizei im Vorfeld des G20 und besonders am Abend des 7. Juli nicht – umso mehr freuen wir uns darüber, dass unsere Freund*innen und Genoss*innen sich von der Gewalttätigkeit, die ihnen entgegenschlug, nicht unterkriegen ließen. Mehr noch: sie nahmen die Situation selbst in die Hand und wehrten sich aktiv gegen die Schergen der herrschenden Verhältnisse.

Mit mehreren Redebeiträgen und Flyern konnten wir in der belebten Potsdamer Innenstadt klar machen, dass wir Angriffe auf uns, Angriffe auf das Leben, wie jene am Donnerstagabend und davor, nicht unkommentiert lassen und uns klar gegen die kapitalistischen Zustände stellen.

 

------

zwei Redebeiträge, die auf der Demonstration gehalten wurden:

„Sinnlose Gewalt“, „Chaoten“, „Terror“, „tobender Mob“ – nach einem Abend wie gestern sind mediale Schlagzeilen und Labels schnell produziert.
Auf verschiedenen Ebenen ist das trügerisch und wir sollten die zahlreichen Bilder und Videos, die Schlagzeilen, atemlosen Twitterberichte usw. nicht mit der Wirklichkeit, dem real Geschehenen verwechseln. Der mediale Apparat reproduziert an dieser Stelle, was sein Kerngeschäft ist: Spektakel, Empörung, klare Botschaften. Was vor Ort passiert ist, wissen wir nicht, und es wird sich auch nicht aufklären lassen. Es wird sich nicht im nach hinein eine Wahrheit über das Geschehen finden. Dafür sind die Bilder entglaster Geschäfte zu eindringlich. Dafür erschüttern sie zu sehr die allen (auch uns) anerzogene, tief verinnerlichte, bürgerliche Ordnung: „so etwas gehört sich nicht“.
Die Bilder von Feuern auf der Straße, angezündeten Autos, geplünderten Läden überlagern vielmehr das reale Geschehen: niemand kennt die Motivation der GlasermeisterInnen und FeuerwerkerInnen, die dort Hand angelegt haben. Niemand weiß, ob es sogenannte „organisierte Autonome“ waren, ob es Putzmänner und -frauen waren, denen ihr Mindestlohn nie den vermeintlichen Luxus eines Rewe-Einkaufs ermöglichen wird, ob es betrunkene, zugekokste Irgendwas-mit-Medien-Berater*innen waren, die endlich (ganz Business-Punk nach dem Motto „Work Hard, Play Hard“), endlich mal wirklichen Remmidemmi machen konnten. Es ist auch nicht relevant für unsere Kritik an G20, am kapitalistischen Normalgeschäft, am wohlgeordneten Alltag hier in Deutschland und auf der Welt.

Es gibt andere Bilder: Bilder eines Polizeiapparats, der als Vorstufe einer Bürgerkriegsarmee prügelt, Gift versprüht, Menschen schwer verletzt und in Lebensgefahr bringt. Wir sind nicht wirklich überrascht davon: wer mal auf Demos war, die über brave Bittgesuche und Verbesserungsvorschläge an die Herrschenden hinausgingen, hat wenig anderes erwartet. Wütend sind wir trotzdem. Es sind Genossinnen, Freunde von uns, die dort verprügelt werden.
Dass ganz offen vermeintliche Errungenschaften des bürgerlichen Rechtsstaat eingeschränkt werden, dass auch Journalist*innen und Anwält*innen verprügelt und verletzt werden, scheint eine neue Qualität, zeigt aber letztendlich vor allem, dass Kapitalismus im Moment seiner Verteidigung sofort zur autoritären Lösung tendiert. Wir lernen daraus auch: die Entrüstung über vermeintliche Autokraten – von Erdogan über Putin zu Trump – ist wohlfeil und ideologisch aufgeladen, wenn wir nicht auch hier bei uns die Verteidiger des kapitalistischen Betriebs benennen und klar konfrontieren.

Überhaupt vermeidet das öffentliche Gerede von „sinnloser“ Gewalt und „Chaoten“ die Erinnerung daran, das die Ordnung von Eigentum, verkaufter Arbeitskraft und – im besseren Fall – Doppelhaushälfte mit jährlichem Urlaub jeden Tag mit Gewalt aufrecht erhalten wird. Die bestehende Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft, und diese Klassengesellschaft ist ein Gewalt-, Ausbeutungs- und Kampfverhältnis.
Wer mit seiner Miete im Rückstand ist, wer als derzeit unbenötigte Arbeitskraftreserve auf Hartz 4 gehalten wird, wer wegen der falschen Nationalität im Pass oder der falschen Hautfarbe täglich kontrolliert und schikaniert wird, wer in der vermeintlich privilegierten Lage ist, für seine Arbeitskraft auf dem freien Markt einen Käufer zu finden, erfährt die tägliche Gewalt dieser Gesellschaft am eigenen Leib. Das alles wird sich nicht mit Redekreisen und identitären Forderungen nach Anerkennung aufheben lassen. Es ist eine ideologische Mystifizierung, wenn die moderne inner- und zwischenstaatliche Ordnung als friedliche Organisation verstanden wird, die noch etwas verbesserungsfähig ist. Nein, der bürgerliche Staat beendet durch Gesellschaftsverträge und rechtliche Systeme nicht die sozialen Konflikte und Kämpfe. Nein, er ist vielmehr die Fortsetzung der sozialen Kämpfe mit rechtlichen, administrativen, institutionellen und polizeilichen Mitteln.
Und wir und viele der Protestierenden in Hamburg und auf der ganzen Welt wollen da nichts verbessern oder uns arrangieren, sondern etwas ganz anderes.
Eine Barrikade hat nur zwei Seiten: vielleicht ist sie zu schlecht organisiert, vielleicht sind zu wenige Menschen auf ihr, vielleicht steht sie an der falschen Stelle. Aber sie ist die Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche auf einen Moment der Auseinandersetzung.

Viele Aufgaben stellen sich für uns: Wir müssen unsere eigene Geschichte der Widerständigkeit ernst nehmen und sie weiterentwickeln. Es ist eine antibürgerliche, dezidiert nicht- und antistaatliche Geschichte. Wir müssen die teils stummen, teils offen tobenden Konflikte und Widersprüche dieser Gesellschaft erkennen und benennen. Und – die schwerste aber dabei wichtigste Aufgabe: wir müssen uns organisieren und zusammenfinden, solidarische Strukturen aufbauen und endlich über spektakuläre Großereignisse hinaus handlungsfähiger werden.

Rosa Luxemburg schrieb vor einhundert Jahren, tagesaktuell: „Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut.“ Es liegt an uns, den Strand unter dieser Ordnung wiederzufinden.

------

8. Juli 2017 - Potsdam - Solidarität mit unseren Genoss*innen in Hamburg - 2

Um was geht es hier eigentlich?

Wir alle waren in den letzten Tagen Zeug*innen eines Polizeieinsatzes in Hamburg, der es in sich hatte.
Die Polizeikräfte nahmen am Donnerstag bspw. eine bis dahin friedlichen antikapitalistischen Demonstration mit über 15.000 Teilnehmer*innen zum Anlass dafür, ihrerseits die Kniffs und Griffs zu demonstrieren, die die Einsatzkräfte mühselig in Aus- und Weiterbildung eingeübt hatten: Gezieltes Vorgehen im Verband, Schlagknüppelgebrauch, Trennen von sog. störenden und friedlichen Elementen, Wasserwerfereinsatz, selektive Verhaftungen und bei der Gelegenheit, den Zecken noch eins auf die Fresse verpassen.
Die Begründung der Polizei für diese massive Gewaltanwendung ist dürftig und lächerlich. Man habe bei etwas tausend Personen Vermummungen beobachtet.
Dass das eine glatte Lüge ist und dass die vorhandenen vermummten Personen sich ihrer Vermummungen sogar entledigten, lässt sich in den verschiedenen Videoportalen nachprüfen und musste selbst von der bürgerlichen Presse so dargestellt werden. Aber wann war eine offensichtliche Lüge denn mal keine gute Grundlage für die Staatsmacht, gegen unliebsame Personen vor zu gehen. Ohne Lügen, lässt es sich nun mal schlecht herrschen.

Aber selbst dann, wenn das was die Polizei behauptet, wahr wäre, ist dann etwa allein in der Vermummung von Personen ein Grund dafür zu sehen, eine durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützte Versammlung auf zu lösen, oder genauer, zu zerschlagen? Ist es denn Verhältnismäßig, die Grundrechtsausübung der Demonstrierenden aufgrund einer so absurden und lachhaften „Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit und Ordnung derart ein zu schränken?

Gerne wird uns erzählt, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit neben dem Recht zur freien Meinungsbildung und -äußerung, das elementare Grundrecht einer funktionierenden Demokratie sei. Die Chefideologen der herrschenden Verhältnisse werden nie müde dies zu betonen. Dies gelte aber nur, so lange die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet sei (Nachzulesen in § 15 I VersG).
Was verstehen die Jurist*innen unter öffentlicher Sicherheit und Ordnung?

Die Definition für öffentliche Ordnung ist wirklich köstlich. Ich zitiere die Auffassung des Bundesverfassungsgericht: „Die öffentliche Ordnung ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebensinnerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.“

Diese Definition der öffentlichen Ordnung ist eine Glanzleistung des herrschenden Rechtspositivismus. Denn auf Grundlage dieser Definition, lässt sich auch das größte Verbrechen als Schutz der Ordnung rechtfertigen, solange es nur die herrschenden Anschauungen für ein geordnetes Miteinander bestätigt. Mal ist es legitim Andersdenkende, gerne Kommunist*innen, in Folterkellern verschwinden zu lassen, mal Studierende abzuknallen, ein andermal eine friedliche Versammlung
aufzureiben. Eben alles das, was dem Spießbürger, je nach historischer Konjunktur, für den Erhalt seiner geliebten Ordnung als vertretbar erscheint.
Und das, was heutzutage die herrschende (Welt-)Ordnung und Anschauung ist, wird derzeit in Hamburg beim sog. G20-Gipfel verhandelt.

Und was wird dort verhandelt?
Nun, der prominenteste und wichtigste Verhandlungspunkt der angereisten Händler und Unterhändler ist wohl die Handelsfreiheit. Alle weiteren Verhandlungspunkte scheinen demgegenüber nachrangig zu sein und eher den Stellenwert eines Mittels zum Zweck zu besitzen. Denn ohne ein funktionierendes Klimasystem, ohne ein halbwegs funktionierndes Gewaltmonopol des Staates und ohne einen relativen sozialen Frieden innerhalb der jeweiligen Bevölkerungen, können auch die Freihändler ihr Kapital nicht im Handel anlegen und verwerten.
Was aber können wir unter Handelsfreiheit verstehen? Alles, nur nicht Freiheit. Die Position, die der Begriff Freiheit in dem Wort Freihandel einnimmt ist vergleichbar mit derjenigen, die dem Begriff Schutz in dem berühmt berüchtigten Ausdruck „Schutzhaft“ zukommt.
Was diese Personen unter Freihandel verstehen, meint nicht das, was sich das hörige Volk hierunter einbildet. Als ob etwa der weltweite Warenverkehr einer Erweiterung der persönlichen Freizügigkeit diene und ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben befördere. Was unsere regierenden Freihändler*innen darunter verstehen, ist die Freiheit ihres Kapitals. Sie wollen sicherstellen, dass ihr Geld weltweit auf Bedingungen stößt die garantieren, dass es sich vermehrt. Sie wollen den weltweiten Zugriff auf billige Arbeitskräfte und Ressourcen sicherstellen; Sie wollen die Kontrolle über ihre Absatzmärkte aufrecht erhalten und vertiefen; Und sie wollen vor allem sichergehen, dass ihnen hierbei niemand „an den Karren pisst“. Seien es bspw. die Armen, die in die Zentren flüchten, organisierte politische Gruppen, die eine Demokratisierung der Gesellschaft und Wirtschaft einfordern oder aber eigensinnige Militärdiktaturen oder Äufständische.
Was die 20 Freihändler*innen auf ihrem Gipfel verhandeln, sind die Bedingungen für die Aufrechterhaltung ihrer Klasse und der dazugehörigen Unterdrückung.

Nun mögen die versammelten Staaten zwar ein gemeinsames Klasseninteresse haben – die Verwertung ihrer jeweiligen Kapitale. Doch schon Marx wies darauf hin, dass die Kapitalisten zwar Brüder sind, jedoch feindliche Brüder. Und je schwieriger die wirtschaftliche Gesamtsituation, desto offener treten die Gegensätze der Kapitalgruppen und der sie stützenden Staaten in Erscheinung. Unter diesen Umständen, müssen dann die Freihändler ihr Verhandlungsgeschick auf Gipfeln und Krisentreffen beweisen.
Derweil dürfen die hörigen Medien Ratschläge verteilen, wie man noch effizienter und rationaler herrschen könnte sowie darüber spekulieren, was ihre Landesfürsten wohl entscheiden werden. Und gleichzeitig wird vorgefühlt, welche Nuancen die Landesfürsten der herrschende Anschauung und Ordnung hinzugefügt oder hinweg genommen sehen wollen.

Lange Rede kurzer Sinn.
Die sogenannte öffentliche Ordnung ist bestimmt durch die Interessen der großen wirtschaftlichen Verbände und deren Staaten.
Dazu kommen die Ideologien derjenigen kleinen Privateigentümer*innen und Löhnabhängigen, die hoffen, von der Herrschaft des Kapitals zu
profitieren. Und zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte, standen diese Instanzen der öffentlichen Ordnung einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft feindlich gegenüber.

Durch die Demonstrationen der Gegener*innen des Kapitalismus, war (und ist) die öffentliche Ordnung demnach tatsächlich gefährdet.
Ein Einschreiten der Polizei ist allein deshalb geboten. Denn, einfach darf man es den „An-den-Karren-Pissenden“ nun mal nicht machen. Eben daher brauchte es auch nur einer dummen und offensichtlichen Lüge, um die Demo zu sprengen. Obzwar Vermummung gegen das Versammlungsgesetz verstößt und juristisch gesprochen demnach einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit darstellt, ist allen beteiligten vom Anfang klar gewesen, dass dies nur vorgeschoben ist. Auch die oben genannten Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit, die diesen Vorwand als einen solchen benannten, zogen folglich hieraus keine weiteren Schlüsse; Schlüsse, die die öffentliche Ordnung stören, das heißt die herrschende Anschauung entkräften könnten. Denn für sie steht nämlich fest, dass eingeschritten werden muss, wenn sich welche herausnehmen, den Kapitalismus radikal in Frage zu stellen, wenn die Leute nicht bereit sind, konstruktiv – also unterwürfig – mit den Herrschenden zu verhandeln. Und dass sich der „Black-Block“ gerne prügelt, wissen ja eh alle. Und das geht bekanntlich nicht. Ordentlich muss es nämlich schon zu gehen!

Die Ereignisse in Hamburg der letzten Wochen, nicht nur der Demos der letzten Tage, sind eine wunderbare Lehre darüber, was es heißt, die Verfassung Ordnungskonform auszulegen und die Grundrechte da enden zu lassen, wo die Polizei meint sie Enden lassen zu müssen.

Wir dagegen, unterstützen alle, die es wagen, sich an dieser Ordnung zu vergehen und sie emanzipatorisch zu überwinden!

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

»G20-Chaoten sollen europaweit gejagt werden«

»Angela Merkel besuchte gemeinsam mit dem Erstem Bürgermeister der Hansestadt, Olaf Scholz von der SPD, Einsatz- und Sicherheitskräfte.«

Der Aktionismus soll vor allem der Ablenkung von den herrschenden Welt-Chaoten in Wirtschaft und Politik dienen! Tragen sie doch die Hauptverantwortung für den weltweiten Terrorismus ihrer Rüstungsindustrien und Dividendengesellschaften. Für die weltweiten Krisen und Kriege. Für die Fluchbewegungen aus den geplünderten Rohstoff- und Armutsregionen der Welt.

 

»Nach den massiven Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg fordern Politiker von Union und SPD Konsequenzen. Die Randalierer sollen europaweit gejagt und hart bestraft werden.«

Die Wahrheit ist, die Täter*innen, aus imperialistischer Wirtschaft und bürgerlicher Politik, bleiben außen vor. Im Kapitalismus werden vor allem die wirtschafts-ökonomischen, ideologischen, geo- und militärpolitischen Interessen geschützt! Alles andere ist dem Kapital untergeordnet!