Ein Debattenbeitrag. Wir sollten die Pläne der Bullen zum Einsturz bringen. Es ist wahnsinnig, wie ihnen jedes Mittel recht ist, diesen Gipfel ohne Störung über die Bühne zu bringen. Sie sind offenbar unruhig. Sie mögen unsere Kritik nicht, sie wollen keine Bilder einer verwüsteten Stadt und brennender Barrikaden, fliegender Steine. Es soll kein Signal radikalen Widerspruchs um die Welt gehen. Sie haben verstanden, dass wir uns ihre Bühne nehmen möchten und ihre Paranoia davor zeigt uns, dass es die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt ist.
Der
G20-Gipfel kommt näher und die Regierenden scheinen geradezu stolz
darauf zu sein, dass sie ganze Stadtviertel zu ihren Privatzonen
deklarieren können. Sie möchten es uns allen nochmal so richtig schwarz
auf weiß zeigen, dass sie die Macht und die Mittel haben, dies
durchzusetzen. Kommt es zu oppositioneller Organisierung, die sich
außerparlamentarisch und klar herrschaftsablehnend positioniert, gibt es
von staatlicher Seite (wir reden hier von einer rot-grünen und einer
rot-rot-grünen Koalition) offenbar nur eine Antwort:
Die Polizei übernimmt das Ruder und soll für Ruhe und Ordnung sorgen.
Mit
dem Knüppel, der Pfefferspray-Dose, dem Wasserwerfer, dem Rammbock. Mit
der Faust. Und einer untertänigen kommerziellen Medienlandschaft,
begleitet von pseudokritischem Staatsfunk, deren Redakteur*innen vor
allem eine Priorität zu haben scheinen: die guten Kontakte zur Polizei,
zu Innenpolitiker*innen etc. nicht riskieren.
Aus Berliner Bullen,
die in Hamburg eben nicht nur gefeiert haben, sondern anderen Bullen mit
Schlägerei gedroht und damit gezeigt haben, was für ne staatlich
bezahlte Schlägertruppe sie sind (und zwar inklusive der
Hundertschaftsführer), sind mittlerweile die "Feierpolizisten" geworden.
Wir sollten nicht so dumm sein zu denken, dass wegen einiger Bier,
Pinkeln und Sex westdeutsche Bullen dafür sorgen, dass ihre Kolleg*innen
abfahren müssen. Nein, dort ist anderes geschehen, aber die bürgerliche
Presse hat schnell gemerkt, dass das später Ärger geben könnte
(Interviewverweigerung usw.) und vor dem G20 nicht staatstragend wäre da
jetzt weiterzustochern. Deshalb sind es jetzt nur noch Party-Cops.
Klar, das besoffene Fußball-Hool-Geprolle war sicher auch ohne
Gewaltandrohung nervig für einzelne andere Bullen. Ohne die
Gewaltandrohung wäre es aber höchtswahrscheinlich nicht zu dem
Nachhauseschicken der Berliner*innen gekommen, schließlich ist es auch
für die Hamburger Einsatzleitung etwas peinlich, so etwas machen zu
müssen. Hier war eine Grenze überschritten, übers Saufen, Pissen und den
Sex hätte sich reden lassen. Aber der Staat hält sich hier keinen
Karnevalsverein, sondern eine Schlägertruppe, die genau dies auch sein
soll: Link zu Twitter-Video.
Aber bitte nicht gegen Kolleg*innen.
In einer Einladung zu einer Vollersammlung am Sonntag, 02.07. in die Rote Flora heißt es richtig:
Dass Dinge wie Schlafen, Essen oder Duschen Verboten sind, ist ein existentieller Angriff auf alle und alles.
Bemerkenswert
an den aktuellen Zeiten ist, wie rasant sich gesellschaftlich Sag- und
Machbares verändern. Noch vor einigen Jahren, gab es innerhalb der
deutschen Politiker*innen noch einen beträchtlichen Anteil von Leuten,
die "liberale Zivilgesellschaft", die stolz auf ihren sogenannten
Rechtsstaat verwiesen, auf die Gewaltenteilung und das alles. Erinnern
wir uns an das Gerede von der Justiz, die die Exekutive kontrolliert?
Oder die Unschuldsvermutung? Z.B., dass eine Demonstration nicht
verboten werde könne, weil staatliche Stellen meinen, die sich
Versammelnden könnte ja dies und jenes tun? Sondern, dass es eben diese
verfluchten Grundrechte gab und es dann eben mal in Kauf genommen wurde,
dass nicht 100% "Ruhe und Ordnung" herrschten, weil Menschen diese
Grundrechte eben nutzen, auch für Dinge, die am Ende ggf. Gesetzen
zuwiderlaufen. Rechsstaatlich gesehen war das nie kein Problem: der
Staat durfte ja nach Straftaten ermitteln und war da, ausgenommen
vielleicht der NSU, selten zimperlich.
Aber einfach präventiv alles verbieten? Da gab es eigentlich immer Widerspruch.
Nicht
von der CDU, aber vielleicht mal von den Grünen, die immerhin 15%
hinter sich hatten und ne Tageszeitung (Taz). Jedenfalls dafür waren sie
manchmal noch gut, den Staat an den eigenen Ansprüchen zu messen.
Heute? Schweigen, zaghafte Twittereien einzelner, ansonsten:
Koalitionsfrieden. Die Teilhabe an der Herrschaft ist wichtiger als
alles andere. Für die "Links"-Partei gilt dasselbe.
Die Taz schreibt
in diesen Tagen über das Aussehen der Polizeibeamt*innen und - gähn -
darüber, dass der Protest wenig nütze, jedenfalls keine Revolution zu
erwarten sei. Dass sich die Gesellschaften global in rasanter Dynamik
befinden, meist stark nach rechts in Richtung Autoritarismus, und sich
die BRD da im Kontext des G20 auf eine Ebene mit dem real existierenden
Versammlungsrecht des durchschnittlichen G20-Staates begibt? Wird nicht
gesehen. Stattdessen: Protest bringts ja nichts, weils ja keine
Revolution wird. Lieber zusehen, fair gehandelten Kaffee schlürfen, die
Taz kaufen und damit das Redakteur*innen-Gehalt sichern und dann aber ab
ins Yoga-Studio! Innerer Frieden als der Bringer. Und die Grünen
wählen, für mehr Bio-Käse! Damit vertreibt sich also das ehemals
bürgerrechtlich engagierte Milieu die Zeit und die Gedanken und deren
Entpolitisierung ist Teil des rasanten Wandels, des Rechtsrucks, einer
globalen konservativen Revolution mitsamt deren faschistischer
Ausläufer.
Die Spinnen, Die Bullen, Die Schweine. Schon immer.
Eine
der wichtigsten Lobbygruppen für einen grundrechtsfeindlichen
Obrigkeitsstaat ist mittlerweile die Polizei selbst geworden. Sie
treiben die Innenpolitik vor sich her, bzw. laufen In der Polizei
träumen viele diesen Traum vom "Supergrundrecht auf Ruhe, Ordnung,
sogenannte Sicherheit", das alle anderen überwiegt. Sie sind
Sicherheitspersonal und haben sich aus ergebener Liebe zu dieser
Sicherheit in den Staatsdienst begeben. Sie haben ihre eigene Mündigkeit
aufgeben und widmen ihr leben dem Gehorsam und dem Befehlen. Wer es
nicht schafft, in der Hierarchie aufzusteigen, darf immerhin auf der
Straße ne Absperrung machen, Leuten Platzverweise erteilen, Rassismus
und Ressentiment durch willkürliche Kontrollen ausüben, Menschen
abtasten, treten oder boxen, demütgen, mit Axt und Flex ne Tür
zerdeppern, Macht ausüben. Sie sind Bullen, nicht mehr, nicht weniger.
Und für sie sind alle diese sogenannten Grundrechte, die ihrem Streben
nach "Ruhe, Ordnung, sogenannter Sicherheit" entgegenstehen, störend. Am
ersichtlichsten ist das mit dem Recht auf Widerstand. Das gehört zu
einer demokratisch-bürgerlichen Staatstheorie dazu. Aber für Bullen ist
es lästig und sie haben es erfolfreich bekämpft, sodass es nunmehr das
Gegenteil geworden ist: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gilt
fortan als ganz besonders schlimm. Der Staat selbst soll von den
Menschen unangetastet bleiben, während "die Bürger*innen" sich gefälligt
in ihre Handys gucken lassen sollen, Befehle der Cops "ey, hier gehts
nicht weiter. Daaa lang!" untertänigst befolgen sollen. Sie sollen sich
zwangsräumen, vom Jobcenter schikanieren lassen. Aber aufmucken,
Widerstand? Die Bullen wollen - mehrheitlich jedenfalls - Macht ausüben
zur Durchsetzung ihres Kontroll-Wahns. Nichts neues. Dass Charaktere,
die sich das ausgesucht haben den größten Teil ihrer Lebenszeit in
autoritären Strukturen zu verbringen, deren externer
Konfliktlösungs-Kompotenz immer mit Gewalt(Androhung) einhergeht, wenig
emanzipatorisches Gedankengut hegen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Und
genauso agieren sie, wenn sie alles verbieten, was ihren Zielen einen
Strich durch die Rechnng machen könnte. Das ist nicht rechtsstaatlich,
natürlich nicht. Aber was dann? Was ist das, diese widerliche Forderung
eines Supegrundrechts auf Sicherheit, das Polizeigewerkschafter*innen
fordern und rund um den G20-Gipfel offenbar großer praktizierter Konsens
aller Parteien ist? Was also erfolgreich durchgesetzt worden ist? Wo
die bürgerlichen Grundrechte (fast) nicht mehr zählen und auch andere
rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden?
Das ist
erstmal folgendes: keine bürgerliche Demokratie, denn die definiert sich
nunmal aus diesem ganzen Kladeradatsch mit Gewaltenteilung,
Grundrechten, etc., und darf sich auch nur so nennen, wenn sie diese
Standards auch in "angespannter Gesamtlage" zu garantieren vermag. Es
gibt tausend Phrasen wie "Freiheit ist immer die Freiheit der
Andersdenkenden" oder "Demokratie muss sich gerade im Umgang mit ihren
Feinden beweisen" - Es sind Sätze, die ein bürgerlich-liberales
Demokratieverstädnis umschreiben sollen. Und sie sind in aktuell in
Hamburg oder bei der Friedel-Räumung in Berlin außer Kraft. Beim
Trump-Wahlkampf war die deutsche Medienlandschaft noch ganz aufgeregt,
als es um Fake-News ging. Nun scheinen sie den Begriff vergessen zu
haben, wenn die Berliner Polizei die Lüge twittert, es habe einen
Mordversuch via Stromschlag am Türknauf gegeben. Stattdessen ist alles
ungewiss und ungeklärt. Wie gesagt: Da will sich niemand ernsthaft die
guten Kontakte in den Herrschaftsapparat verderben.
Ok. Also keine bürgerliche Demokratie, abseits der Bundestagswahlen.
Wollten
wir ja sowieso nicht, wir radikalen Linken, also halb so schlimm. War
ja eh größtenteils ein nervendes Spektakel und in Maßen gehörte der
Ausnahmezustand ja immer schon dazu. Trotzdem: dahinter zurück? Wollten
wir das?
Vielleicht müssen wir das erstmal verdauen. Diese
sogenannten Grundrechte sind von linksradikaler Seite zurecht dafür
kritisiert worden, von bürgerlicher Seite genutzt worden zu sein, die
strukturelle Gewalt der Gesellschaft zu verschleiern. Eine
Top-Down-Gesellschaft, die nur Oben und Unten und die Konkurrenz ums
gute Leben kennt, sind Rassismus, Sexismus und Ausbeutung keine
Betriebsunfälle, sondern Grundpfeiler dieser Ordnung, da ändern
Grundrechte wenig dran. Haben wir immer betont. Wie lassen sich
nationalstaatliche Grenzen tödlich absichern, ohne rassistisch zu sein?
Wie lassen sich Menschen als Arbeitnehmer der Bundeswehr dafür gewinnen,
auf andere zu schießen: sicher nicht dadurch, dass ihnen erzählt wird,
das Leben der anderen sei genauso viel Wert wie das eigene oder der
eigenen Schwestern/Brüder (bildlich gesprochen). Grundrechte in einem
kapitalistischen Nationalstaat waren immer auch eine Farce.
Wir
wissen, dass die Grundrechte etwas sind, dass der Legitimierung dieser
widerlichen Welt diente. Der deutsche Staat ist da ohnehin speziell mit
dessen real-existierender Gewaltenteilung. Es ist nämlich kein
Straftatbestand, wenn ein Einsatzleiter oder ein Innenminister unsere
Grundrechte verletzt. Sie dürfen das ruhig tun. Die Gerichte können zwar
feststellen, dass das dann nicht rechtens war und meinen, dadurch
hätten sie ihre Rechtsstaatlichkeit unter Dach und Fach. Aber die
individuellen Rechtsbrecher*innen, erfahren keine Sanktion. Keine
Strafe, keine Haft, sie müssen nichts befürchten. Höchstens etwas
dienstrechtliches, doch die Verantwortlichen haben ausgesorgt, bei den
hohen Besoldungsstufen, auf denen sich z.B. G20-Einsatzleiter*innen
befinden. Aber statt Sanktionen kommt gern auch das Gegenteil, eine
Prämie z.B. durch erneute Ernennung zum Einsatzleiter bei einer
Großlage. Denn bei vielen Einsätzen soll es ja exakt so sein, dass
unsere sogenannten Grundrechte verletzt werden. Warum also nicht wen
nehmen, die*der sich bewährt hat? Wie Herrn Dudde, dessen illegale
Einsätze als Teil staatlicher Auftandsbekämpung eben dazugehören,
weshalb er wieder ausgewählt wurde. Oder letztes Jahr die Amtshilfe der
Berliner Polizei in der Rigaer Straße. Nicht legal, aber der
Bullenpräsident sitzt fest im Sattel und schickt seine feiernden
Schlägertrupps zur Räumung in die Friedel54. Die einzige Strafe, die
droht, ist eine institutionelle, d.h., der Staat muss vielleicht mal ne
Entschädigung für nen illegalen Kessel zahlen. So wird es auch in
Hamburg passieren. Damit kauft sich der Staat aus seiner
Menschenrechtsverletzung raus, zeigt aber gleichzeitig den
Verantwortlichen: macht es ruhig wieder, euch droht nichts!
Grote durchsuchen und entführen. Am Ende ne Entschädigung aus der Solikasse. Why not?
Das
ist schon interessant, dass die Justiz und die staatstreuen
Rechtsgelehrten sich dennoch so ernst und wichtig nehmen mit ihrer
ach-so-heroischen Rolle im Rechtsstaat. Stellen wir uns doch mal vor,
wir würden ganz offensichtlich, sagen wir mal, das Grundrecht auf
Unverletztheit der Wohnung von Andy Grote übergehen. Dort mal
reinspazieren, alles durchwühlen. Und ihn vielleicht seiner Freiheit
entziehen, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer
"terroristischen Vereinigung, die unsere Grundrechte mit Gewalt
abschafft."
Am Ende würde jedoch rauskommen, dass das alles nur ein
Missverständnis war und Grote nur schlechte Berater*inen hatte und zu
der Zeit zu viel feierte und einfach nicht bei der Sache war. Nun hätten
wir als kleine autonome Zelle, die das durchgezogen hat, aber keine
Kosequenz zu befürchten. Das einzige, das passieren würde, wäre, dass
die Flora sich öffentlich entschuldigt und unsere autonome Gruppe ne
Soliparty organisieren muss, damit die 465,99 Euro für die Reparatur der
Türen des Herrn Grote vom Flora-Konto überwiesen werden können. Und
damit wäre das geklärt. Doof für Andy, weil wir ihn auch geboxt haben,
aber er wollt ja nicht freiwillig mitkommen (so sagten es die Bullen auf
der Friedel-Räumung: wer in der Blockade bleibe, müsse eben mit
Schmerzen rechnen).
So, nur andersherum, sieht es mit staatlichen
Repräsentant*innen aus, die die von ihnen selbst erschaffenen
Grundrechte anderen nicht gewähren. Ihnen geschieht nichts relevantes,
maximal zahlt der Staat eine Entschädigung. Deshalb tun sie, was sie für
richtig halten. Grundrechte hin oder her.
Das als ein Ausschnitt
zu den Grundrechten. Schlimm, dass sich Autonome mit so bürgerlichen
Diskursen beschäftigen müssen. Scheinen allerdings, zusätzlich zu
anderen direkt betroffenen (Geflüchtete, etc) die einzigen zu sein, die
das wahrnehmen, dass die gerade handstreicharteig beseitigt werden.
Bedenkenswert
ist ja nicht, dass es gesellschaftliche Kräfte wie die Polizei gibt,
die eine andere Gesellschaftsvorstellung als eine liberale Demokratie
möchten. Es ist aber verstörend dass die Auslöschung letzterer gar keine
Verteidiger*innen von gesellschaftlicher Relevanz mehr hat, außer ein
paar außerpalamtarischer Linker Aktivist*innen.
Wir möchten ganz sicher nicht die Rolle der ehemals Grünen übernehmen und das Grundgesetz verteidigen.
Dennoch:
nur, weil die bürgerliche Gesellschaft die Grundrechte so funktional im
Sinne der Herrschaftslegitimierung einzusetzen vermag, heißt das nicht,
dass sie nicht auch Gedanken enthalten, die erkämpfenswert waren und
sind. Versammlungsrecht ist ein global umkämpftes Gut. Wenn es
abgeschafft wird, und sei es nur temporär, müssen wir widerständig aktiv
werden. Wie das Freedom of Movement als "Everybody's Right".
Nun
ist es also passiert, der Staat macht einen große Schritt nach rechts.
Schöner für emanzipatorisch orientierte Menschen ist es sicher nicht,
wenn Polizeistaatlichkeit zunimmt. Aber es ist passiert und der Prozess
geht weiter, dynamisch und wir reagieren zu langsam, desorientiert. Wie
nennen wir das? Postdemokratisch? Faschistisch? Auf welcher Skala sind
wir wo? Haben die Leute, die 2013 den Gezi-Park besetzt hatten und
offensive Riesen-Demos mit Hundertausenden auf die Beine stellten, sich
vorstellen können, wo die Türkei heute stehen würde? Dass
gesellschaftliche Verhältnisse sich nicht zu emanzipatorischen Gunsten
verschieben würden, sondern in die Gegenrichtung. Hätten sie etwas
anders gemacht oder machen sollen?
Und was ist mit unserer
Phantasie? Wenn wir heute, 2017 kein Camp als politische Versammlung
durchsetzen können, wie ist es dann um die Kräfteverhältnisse bestellt?
Jedenfalls nicht besser als für die Leute, die vor 4 Jahren Jahren in
Gezi kämpften. Dort hatte sich der Staat zeitweilig zurückgezogen, das
Gelände wurde teils durch Bagger gesichert. Die Deeskalation war
temporär. Aber würden deutsche Bullen 2017 sowas machen? Temporärer
Rückzug für ein paar Tage? Gäbe es, würden wir kämpfen wie die Menschen
damals in Gezi, auch hier Tote? Wie war das noch mit Genua 2001? Und was
ist unsere Schlussfolgerung? Dürfen wir die Türkei von vor 4 Jahren mit
der BRD heute vergleichen oder glauben wir daran, dass das hier schon
nicht so weit kommen werde, ausgerechnet in Deutschland? Wo sind wir in
vier Jahren? Oder: Wo in 10 Jahren? Wohin geht die Reise und wohin
wollen wir eigentlich mit der Anti-G20-Mobilisierung?
Und, wenn
wir uns solche Fragen beantworten. Was tun wir dann? Nicht zum G20
fahren? Uns abschrecken lassen? Frustriert von der gefühlten Ohnmacht
das individuelle Familiennglück suchen: Job, Pärchen, Familienglück?
Schäfchen ins Trockene bringen, wenn es geht. Oder damit glücklich sein,
das in so einem Exportweltmeisterland immer noch genügend Essen zum
Containern übrig bleibt, um es sich gutgehen zu lassen, auch in zehn
Jahren. Anders als in der Türkei. Und eben diese globale Ungleichheit,
von der nur die mit den richtigen Pässen profitieren (können),
ignorieren?
Wir sind Teil von einer Gesellschaft, deren Spielregeln
sich verändern und zwar entgegen unserer Ideen. Hier ist nichts mehr
statisch oder bleiern, wie die Taz behauptet, wenn dort steht Proteste
würden nichts bringen. Wir sind in multiplen Krisen, das müssen wir hier
nicht wiederkäuen und das politische Denken und Fühlen der Menschen
verändert sich innerhalb weniger Wochen. Die Leute gewöhnen sich an
jeden Scheiß, an Trump, Erdogan, Kriege, Tote im Mittelmeer.
Und in der BRD wird ein Politgipfel in bestem autokratischen Stil über die Bühne gebracht.
In
Zeiten, in denen es keine starke außerparlamentarische Opposition mit
breiter gesellschaftlicher Basis gibt. Das, was die gerade mit G20, aber
auch der Friedel54-Räumung abziehen, ist ein Vorgeschmack auf die
Vorstellung, dass in diesem Deutschland z.B. 6 Millionen Leute
arbeitslos wären, die Mieten noch höher und das Hartz nochmal weiter
gekürzt wäre, und sich dann größere Teile entschließn würden sich
alltags- und massenmilitant zu organisieren. Es würde nicht mehr
passieren, dass Berliner Bullen nordrein-westfälischen aus Langeweile
eine Schlägerei androhen. Denn sie hätten regelmäßig
Zeckenklatschen-Einsätze. Gäbe es wehrhafte Stadtguerilla, die den Staat
herausfordert? Sie würden die Gefangenen foltern. Mindestens das. Die
70er und 80er haben die Richtung angezeigt. Das Personal in der
deutschen Politik und der "demokratischen Institutionen" wäre um keine
Deut "menschlicher" als der türkische Staat, wenn eine revolutionäre
Bewegung wie die PKK auf größeren Teilen des deutschen Staatsgebiets
agieren würde. Sie drehen ja schon bei Vermummung, Pürotechnik und
Low-Tech-Sachbeschädigung ab.
Es sieht mittelfristig natürlich
nicht nach einer größeren Organisierung mit inhaltlich-radikaler
Grundlage aus. Stattdessen ist die Gesellschaft in absurde
Parallelwelten unterteilt. Billigfliegen, Party, laue Sommernächte,
Abschiebung, Beten, Knast, Punkkonzert, Uni, Drogen, Gangsterrap,
Beziehungsstress, Start-ups, Psychatrie, Info-Veranstaltung, Theater,
Kunst, Zwangsräumung, Sport, Liebe. Passiert alles jeden Tag,
nebeneinander her, wie ein gut geöltes Räderwerk.
Sowas wie die
Friedel-Räumung bzw. die Gegen-Mobi stört das Bild dieser ach so gut
geschmierten Maschine. Mit ihren Feierpolizist*innen. Da ist nichts mehr
geölt, wenn die Bullen ab 4 Uhr bis 20 Uhr einen ganzen Straßenzug
absperren. Da knirscht es, da ist Sand im Getriebe. Da scheint was
durch: dass diese Gesellschaft stinkt, in der der Profit von
Eigentümer*innen über allem steht. Die kapitalistische Stadt hat sich
ihre Blöße gegeben. Dass die Leute nicht alle gleich sind, dass diese
beschissene Würde natürlich antastbar ist und dauernd angetastet wird.
Dass einer der wichtigsten Sätze dieser Verfassung eben der ist: "Die
BRD ist eine (....) Marktwirtschaft". Kapitalismus. Alles andere, ob das
Grundrecht auf Asyl, auf Versammlungsfreiheit, auf "informationelle
Selbstbestimmung". All das wird ausgesetzt. Nicht aber der
kapitalistische Wohnungsmarkt.
Was heißt das, wenn wir das
beobachten? Wenn wir sehen, wie ein Bundesverfassungsgericht ein
Grundrecht bekräfitgt, die Bullen das ignorieren und außer uns, den
wenigen Linksradikalen in Deutschland, niemand ein Problem damit zu
haben scheint? Was heißt das, wenn Amnesty-Polizei twittert, so etwas
hätten sie noch nicht erlebt? Aber Die Presse schreibt über die
Party-Polizei und, dass die Saudiarabische Delegation ihre Kamele mit
nach Hamburg bringen werde.
Es kann heißen, dass wir
bedeutungslos und schwach sind. Wenn wir uns so zeigen, was wir aber
nicht müssen oder, wenn wir uns von ihrer Inszenierung beeindrucken
lassen. Noch sind viele von uns in Hamburg und dann gibt das Bilder von
Ohnmächtigkeit, wenn der Polizeistaat schon mit allem vor Ort ist. Das
wird sich in den nächsten Tagen ändern. Wir kennen es vom Castor und
vielen anderen Protesten. Zudem bestehen unsere Stärke und
Überzeugungskraft niemals allein aus unserer Anzahl oder militanten
Schlagkraft (beides aber auch nicht unwichtig;). Es zeigen, historisch
und aktuell, häufig Menschen, dass sie, in enormer Bedrängnis, trotzdem
erfolgreich kämpfen können. Wir erinnern an die wenigen, die sich
existenziell der Räumung der Gerhard-Hauptmann-Schule widersetzten und
damit eine ganze Stadt in Atem hielten.
Wir sollten aus dem Ausnahmezustand lernen. Allein dafür lohnt es nach Hamburg zu fahren.
Und
wir sollten uns fest vornehmen, nach diesem Gipfel die Debatte
weiterzuführen. Nicht vergessen, wer uns das eingebracht hat.
Analysieren, was das für unsere längerfristigen Strategien zu bedeuten
hat, wenn der Polizeistaat ganz ohne Widerspruch von einer Rot-Grünen
Landesregierung installiert wird. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass
dies deutlich mehr als ein Gipfelprotest ist, sondern Widerstand gegen
eine innenpolitische Eskalation, die wir länger nicht mehr erlebt haben.
Selbst in Bayern zum G7 gab es ein Camp. Küfas im Kontext von
Versammlungen sind Standard. Was bedeutet es, wenn wir das ernst nehmen,
dass der Staat hier einen Angriff gegen uns alle und alles fährt? Was
sind die Konsequenzen, abseits von hoffentlich noch mehr Wut in Hamburg?
Wir
müssen die Pläne der Bullen zum Einsturz bringen, sie an der Eskalation
scheitern lassen. Es ist wahnsinnig, wie ihnen jedes Mittel recht ist,
diesen Gipfel ohne Störung über die Bühne zu bringen. Sie sind offenbar
unruhig. Sie mögen unsere Kritik nicht, sie wollen keine Bilder einer
verwüsteten Stadt und brennender Barrikaden, fliegender Steine. Es soll
kein Signal radikalen Widerspruchs um die Welt gehen. Sie haben
verstanden, dass wir uns ihre Bühne nehmen möchten und ihre Paranoia
davor zeigt uns, dass es die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt ist.
Wir
haben vieles, was uns selbsbewusst machen sollte. Unsere Feindschaft
gegen Herrschaft und unsere ehrliche Ablehnng der Scheiße, die in dieser
Welt der G20 alltäglich passiert. Wir müssen unsere Dissidenz zu ihrer
Welt in kreative, unberechenbare Entschlossenheit umwandeln. Wir sollten
nach Hamburg fahren, um dort zu zeigen, dass eine andere Welt nicht nur
nötig, sondern auch möglich ist. Lasst und mit stolz auf unsere
Solidarität, unser nicht Abgestumpft-Sein, unseren Humor, unser
gegenseitiges Verständnis für unsere Grenzen und individuellen
Prioritäten und unsere Wut, Hoffnung und Entschlossenheit, diesen Gipfel
zum Desaster zu machen, nach Hamburg fahren. Lieber heute als morgen.
Darum wird es gehen. Nicht nur wie viele wir sind, sondern mit welcher
Haltung wir uns in Hamburg die Straßen nehmen. Wir sollten mit dem Ziel
nach Hamburg fahren, authentisch die Überzeugung auszustrahlen, dass
diese Welt der G20 abgeschafft gehört und ein emanzipatorisches
Miteinander in unserem Widerstand und unseren Alltags-Strukturen
entstehen muss. Ob der Gipfel stattfindet oder nicht. Denn es geht
danach weiter.
Alle nach Hamburg!
einige berliner autonome
Nachbereitung: 12.7., 19:30 Mehringhof, Versammlungsraum, Berlin
Schöner Text!
Wir werden euch in Hamburg mit offenen Armen empfangen, gemeinsam im Kampf um Befreiung!