Aktivisten des antiimperialistischen Spektrums in Hamburg finden den Anschlag auf die Messe legitim. Die wahren Verbrecher seien die Gipfelteilnehmer
Das Interview führte Katharina Schipkowski
taz: Wie stehen Sie zu dem Anschlag auf die Messehallen?
Timo Schmidt: Das Wort Anschlag finde ich ein bisschen hochtrabend. Das ist auch ein legitimer Widerstand. Es wird sicher auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass es was Vergleichbares gibt.
Ernst Henning: Das ist medial sehr aufgebauscht worden. Da sind ein paar Glasscheiben zu Bruch gegangen und ein bisschen Ruß ist da. Man versteht die Leute, die Wut auf diesen Staat haben. Die, die zum OSZE oder zum G20 kommen, sind die wahren Verbrecher.
Was ist die Botschaft hinter der Aktion an der Messe?
Schmidt: Ein deutliches Zeichen des Nichtwillkommenseins. Normalerweise finden solche Gipfel ja fernab der Stadt statt. Nun musste Hamburg sich die Blöße geben, Olympia nicht bekommen zu haben – es wirkt wie eine Retourkutsche.
Verstehen Sie die Gipfel als gezielte Provokation gegen die linke Szene?
Schmidt: Ich glaube schon, dass die Stadt das Nein zu Olympia nicht auf sich sitzen lassen kann und zeigen will: Man kann solche Großevents mitten in der Stadt austragen. Es dient auch einer weiteren Aufrüstung und Militarisierung, gerade im Bereich von Großstädten, wo sich Widerstand von links formiert.
Muss die Linke sich jetzt potent zeigen?
Schmidt: Ich denke nicht, dass man jetzt Machtspiele spielen muss. Wir haben ja eine inhaltliche Kritik an dem Treffen. Wenn sich Widerstand aber auf der Straße formiert, beinhaltet dies meistens auch Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften, die den Status quo verteidigen. Aber wir würden die Gipfel auch ablehnen, wenn sie statt in Hamburg auf Sylt wären. Dann wären die Leute, die da hinkommen, immer noch Schweine, die für Ausbeutung, Unterdrückung und das Elend dieser Welt verantwortlich sind.
Sie meinen als Stellvertreter?
Schmidt: Wir machen sie für die Kriege, mit denen sie die Welt überziehen, verantwortlich. Wenn man sich Syrien anguckt, die Truppen und Milizen da: Das sind alles Truppen, die größtenteils von den G20-Staaten ausgebildet, trainiert und bewaffnet wurden.
Die Polizei sucht nach der Attacke auf die Messe die Verantwortlichen. Innerhalb der linken Szene wird sie dem antiimperialistischen Spektrum zugeschrieben, dem Sie angehören.
Henning: Das sind Mutmaßungen, daran möchten wir uns nicht beteiligen.
Aktionen wie diese polarisieren auch innerhalb der Linken – viele lehnen diese Gewalt ab.
Schmidt: Für uns haben alle Aktionsformen ihre Berechtigung. Wir wollen und können uns nicht von einer bestimmten Form des Widerstandes distanzieren, denn wenn sich die Umstände ändern, können sich eben diese auch ändern. Das, was da stattgefunden hat, ist eine Ebene, mit der wir leben können. Wir können aber auch mit anderen Aktionsformen leben, die sich deutlich weniger militant ausdrücken. Wenn sie in fundamentaler Opposition zu G20 stehen, haben sie alle eine Berechtigung.
Die Aktion wurde als Grund herangezogen, der Aktionskonferenz gegen G20 die Räume zu kündigen. Ein Eigentor?
Schmidt: Nein. Sonst wäre ja jede Aktion, die Repression zur Folge hat, ein Eigentor. Dann würde man nichts anderes als Eigentore produzieren, weil jede Aktion Polizeiprügel und Razzien zur Folge hat. Wenn sie die Konferenz an der HAW nicht wollen, finden sie auch einen anderen Grund, die abzusagen.
Henning: Es zeigt sich, dass Proteste in dieser Stadt nicht willkommen sind.
Welches Maß an Gewalt erfordert so ein Gipfel mitten in Hamburg Ihrer Meinung nach?
Schmidt: Ich denke, es ist wichtig, Widerstand auf die Straße zu bringen, der auch an den Ort will, wo das Treffen stattfindet. Wenn man von den Sicherheitszonen hört, ist klar, dass man damit anecken wird. Wir werden uns das aber nicht nehmen lassen. Was dafür erforderlich ist, wird sich zeigen.
Henning: Das Ziel ist aber nicht nur, Protest zum Ausdruck zu bringen, sondern auch, den Gipfel konkret zu behindern.
Wo ist die Grenze?
Henning: Wenn man sich gegen die Bevölkerung richtet.
Schmidt: Strafrechtsnormen und Grenzen des Staates sind für uns sekundär. Die Maßnahmen der Polizei werden der viel größere Anschlag auf die Lebensqualität der Betroffenen sein als ein paar brennende Autoreifen an einem Samstag, wo in Hamburg eh die Löcher aus dem Käse fliegen.
Verspielt man sich mit Militanz nicht Sympathien?
Henning: Eine Aktion muss vermittelbar sein und für sich sprechen. Unsere Inhalte werden meistens nicht transportiert über bürgerliche Medien, nur skandalisiert. Wenn du eine Bank einschmeißt, weiß jeder, was das heißen soll. Aber wenn du einen VW Polo anzündest, ist das vielleicht nicht vermittelbar.
Ist das nicht eine verkürzte Kapitalismuskritik?
Henning: Widerstand ist immer konkret, abstrakt kann man nicht kämpfen. Außerdem teilen wir diese Kritik nicht, denn wir sehen im Kapitalisten nicht den Juden. Das sagt ja die Kritik, die damit im Endeffekt selber antisemitisch ist. Wenn wir das Finanzkapital angreifen, meinen wir nicht nur die Finanzwelt. Es gibt kein „raffendes“und „schaffendes“Kapital, beides ist miteinander verschmolzen.
Bei Aktionen, wo Sachschäden entstehen, zahlt ohnehin die Versicherung. Es ist also reiner Populismus.
Schmidt: Die Linke darf in Teilen populistisch sein. Sie muss sich nicht zu jedem Thema mit einer Fünfseitenabhandlung melden.
Henning: Manchmal ist das zwar verkürzt, aber man erreicht mehr Leute. Die radikale Linke spricht in einem wissenschaftlichen Vokabular, das die einfache Bevölkerung nicht versteht. Aber unser Ziel ist es nicht, die Asten der Unis zu erobern, sondern die Straßen, die Fabriken, die Kindergärten, die Krankenhäuser, überall da, wo Menschen arbeiten, denen es nicht gut geht.
Was macht die Szene falsch?
Timo: Man darf sich nicht in den Asten der Unis verstecken, oder in linken Zentren. Man muss wegkommen von einer gewissen Arroganz. Zu sagen „AfD-Wähler sind dumm“, ist Unsinn. Die Problematik darf nicht im pseudo-intellektuellen Unterschichtsbashing seine Antwort finden.
Was ist beim OSZE-Gipfel zu erwarten?
Schmidt: Wichtig ist: Wir wählen unsere Aktionsformen selber. Wenn sich die Polizei ihre großen Ausschreitungen schon herbeifantasiert und sich die Knäste frei hält – wir müssen das nicht liefern. Wir wählen zu dem Zeitpunkt selber die Aktion, die wir für geeignet, vermittelbar und praktikabel halten.
Deniz Hein, 30, ist Sprecher des Roten Aufbaus. Er war früher in der antiimperialistischen Gruppe "SOL - Sozialistische Linke" aktiv, der er nach ihrem Zerwürfnis mit der Roten Szene den Rücken kehrte. Der Name ist ein Pseudonym.
Ernst Henning, 24, ist Mitglied des Roten Aufbaus Hamburg. Er arbeitet im Hafen und hat die Gruppe im Zuge des Schulstreiks mitgegründet. Der Name ist ein Pseudonym.