ESSINGEN: Politisch motivierte junge Leute haben ehemaliges Güterabfertigungsgebäude besetzt und gestern freiwillig wieder geräumt
Die
Aktion war gut organisiert. Schon die Tage zuvor hatten die
Initiatoren Stromaggregat, Wassertanks und Musikanlage in den
leerstehenden ehemaligen Güterabfertigungstrakt direkt neben dem
Bahnhofsgebäude gebracht. Bei den jungen Leuten, die am Mittwochabend
das Haus samt angrenzender Halle besetzt und gestern Nachmittag wieder
verlassen haben, handelt es sich laut ihrem Sprecher um einen „losen
Zusammenschluss links-alternativer Gruppierungen aus dem Kreis Esslingen
und aus Stuttgart“.
Von Claudia Bitzer
Nennen wir ihn
Alexander. Seinen richtigen Namen will er lieber nicht in der Zeitung
lesen. Nicht wegen der Polizei - die kennt ihn ohnehin -, sondern wegen
„der rechten Szene“, für die er nicht noch deutlicher Zielscheibe sein
will.
Keine homogene Gruppe
Was am Mittwochabend passiert ist,
liest sich im Polizeibericht folgendermaßen: „Eine Gruppe
offensichtlich politisch motivierter junger Menschen hat beim Esslinger
Bahnhof ein Gebäude besetzt. Die ältere Lagerhalle gehört der Stadt
Esslingen und steht leer. Gegen 19.40 Uhr wurden etwa 15 vermummte
Personen dabei beobachtet, wie sie in das Gebäude gingen und es
besetzten. Anschließend präsentierten sie vom Dach aus und aus den
Fenstern verschiedene Transparente.“ An der Hauswand prangte gestern ein
Plakat der Alternativen Jugend Esslingen neben einem Banner der
Antifaschistischen Aktion Esslingen. Auf einer weiteren Stoffbahn an der
Klinkerfront war zu lesen: „Die Häuser denen, die sie nutzen.“
Die
Polizei sprach von rund 50, laut Alexander waren es bis zu 80 Personen,
die in der Nacht zum Donnerstag im Erdgeschoss des Gebäudes und in der
Halle Party machten. Gestern Mittag waren die meisten schon weg, am
Nachmittag konnte die Polizei wieder ein leeres Gebäude vermelden. Für
Alexander und seine Mitstreiter ist die Sache damit aber noch nicht
gegessen: „Das war und ist eine politische Aktion. Wir wollten auf
Stuttgart 21 aufmerksam machen, aber auch darauf, dass hier ein Gebäude
seit Jahren verfällt, das wir noch prima nutzen könnten.“ Die Polizei
war zunächst mit massiver Präsenz vor Ort, hat dann aber von allen
weiteren Aktionen abgesehen, die die Situation hätten aufheizen können.
„Einige kannten wir. Sie kommen aus der linken Szene Esslingens und
Nürtingens. Andere kannten wir nicht. Aber wir wollten nichts eskalieren
lassen und haben deshalb auch keine Personalien aufgenommen“, so
Polizeisprecher Fritz Mehl.
Besetzer wollen Nutzungsvertrag
Polizei
und Stadt sprachen noch am Mittwochabend mit den jungen Leuten. „Wir
haben gefordert, dass sie ihre Vermummungen ablegen sollen und wir auf
einen Strafantrag verzichten werden, wenn sie das Gebäude bis
Donnerstagabend verlassen“, gibt der Erste Bürgermeister und
Baudezernent Wilfried Wallbrecht die Verhandlungen wieder, die
Ordnungsamtsleiter Gerhard Gorzellik seitens der Stadt geführt hat. „Wir
haben uns an unseren Teil der Abmachung gehalten“, sagte Alexander
gestern gegenüber unserer Zeitung. „Aber wir hoffen, dass wir unseren
Verhandlungspartnern auch trauen können. Die Stadt hat uns versprochen,
dass sie prüfen will, ob wir nicht einen Nutzungsvertrag über acht
Wochen für das Gebäude bekommen können.“ Bekanntlich will die Stadt den
Güterbahnhof überbauen lassen - und der betreffende Bürotrakt samt Halle
soll schon in Bälde fallen. Wallbrecht: „Wir wollen während des
Weihnachtsmarkts dort die anreisenden Busse parken lassen.“ Er
versprach, den Wunsch der jungen Leute zu prüfen, hat jedoch massive
Bedenken, ob die Sicherheit in dem baufälligen Gebäude überhaupt
gewährleistet werden kann.
Laut Polizeisprecher Fritz Mehl wurde
die Polizei in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch zwei Mal an
den Bahnhof gerufen. In dem einen Fall habe ein Mann beim Tanz auf dem
Dach eines geparkten Taxis für rund 500 Euro Sachschaden gesorgt. Der
etwa 20-jährige „im Militärlook und mit Springerstiefeln bekleidete
Mann“ sei dann in das besetzte Haus nebenan geflüchtet. Im zweiten Fall
wurde eine Schlägerei zwischen zwei Gruppen gemeldet, an der
„Stuttgarter Rechte“ beteiligt gewesen sein sollen. Als die Polizei kam,
war nichts mehr zu sehen. Laut Mehl haben sich auch keine Geschädigten
gemeldet.
Dass jemand aus der Hausbesetzer-Szene für die Schäden
am Taxi in Frage komme, schließt Aktivisten-Sprecher Alexander aus.
„Militärlook und Springerstiefel? Von so etwas distanzieren wir uns.“
Stattdessen bestätigt er, dass es etwa um zwei Uhr nachts vor dem
Gebäude zu einer handfesten Auseinandersetzung der Alternativen „mit
Hooligans und Neonazis“ gekommen sei, die die Hausbesetzer mit Steinen
und Flaschen attackiert hätten.
Fascho-Angriffe
Im Laufe der Nacht provozierte immer wieder eine Gruppe von 15-20 Nazis u. Hools aus dem Raum Stuttgart.
Die Angriffe konnten erfolgreich abgewehrt werden.