In Berlin leben über 85 Prozent der Menschen zur Miete. Bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt wird immer knapper. Menschen mit geringem Einkommen finden fast nur noch Wohnungen am Stadtrand. Die Verdrängung von Mieter*innen nimmt zu. Über 10 000 Zwangsräumungsklagen pro Jahr werden in Berlin eingereicht. Die Deutsche Wohnen AG ist mit 110 000 Wohnungen in Berlin die größte Vermieterin. Für Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen zählt nur der Gewinn, die Wohnungen sind für sie eine Kapitalanlage, die eine möglichst hohe Rendite abwerfen soll. Solange der Wohnraum nach kapitalistischer Logik verwertet wird, steigen die Mieten und werden Menschen verdrängt und zwangsgeräumt. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Versuche der Arbeiter*innenbewegung und anderer sozialer Bewegungen den Wohnraum der Marktlogik zu entziehen, zum Beispiel durch Gründung von Genossenschaften oder kommunalem Wohnungsbau.
Hermann Werle von der Redaktion Mieterecho wird über die aktuelle Mietsituation in Berlin, Schwerpunkte der Mieter*innenbewegung und über Perspektiven jenseits des Abwehrkampfes sprechen.
Dienstag | 11. April 2017 | 19 Uhr | Bandito Rosso | Lottumstraße 10a
11.4. - Todestag von Rosemarie F.
Heute vor vier Jahren starb Rosemarie F., zwei Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt worden war. Sie war 67 Jahre alt und obwohl sie schwer krank war, hat Rosemarie in ihren letzten Monaten gemeinsam mit anderen gekämpft, hat sich an Blockaden, Versammlungen und Demonstrationen beteiligt.
Über Rosemaries Wohngebiet schrieb Rainer Zitelmann, zentrale Figur der Neuen Rechten und einer der bekanntesten Investitionsberater für Immobilien in Deutschland (Zitat: „Für mich ist neoliberal ein Ehrentitel“): „Bezirke wie Reinickendorf sind bisher die grauen Entlein des im Scheinwerferlicht stehenden hauptstädtischen Immobilienmarkts. Sie werden eine neue Bedeutung bekommen, wenn es um risikoarme Investitionen in einfach Lagen geht.“
Mit Rosemarie aber war das Geschäft nicht zu machen. Als das Grundsicherungsamt die Mietzahlung hinter ihrem Rücken und ohne rechtlich haltbare Begründung einstellte, nahm die Eigentümerin das zum Anlass für die Kündigung. „Solche Leute können ja in den Dschungel ziehen oder sich umbringen – uns ist das egal“ waren die Worte des Ehemanns Hartig.
6 Wochen vor ihrem Tod schrieb Rosemarie in einem verzweifelten Brief an das Gericht: „Es geht in erster Linie ihr um die schnellstmögliche Entfernung aus der Wohnung mit nahezu jedwedem Mittel, einer Euthanasie gleichkommend … Offensichtlich steht dem Zivilgesetz nach der Eigentümerschutz für Begüterte im Rang höher als der Schutz von Menschenleben, insbesondere von Sozialhilfe-Empfängern. Eine derartige privilegierte Rechtsauffassung macht einen Staat nicht zum Sozialstaat, sondern zum eskalierenden Unrechtsstaat, Diktatur der Privilegierten.“
Die Frage der Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums geht alle an! Alle Menschen müssen sich in die Entscheidungen über Produktion und Verteilung der Dinge gleichermaßen einbringen können! Das gilt auch für Wohnraum. In einer marktförmigen Gesellschaft ist das von vornherein ausgeschlossen. Die Stellung des individuellen Eigentümers schließt gleichrangiges Zusammenwirken aller aus. Der (Neo)liberalismus nennt das Freiheit, aber es ist eben nur die Freiheit des individuellen Eigentümers, sein Eigentum nach Belieben zu verwerten. Für die Menschen, die davon betroffen sind, bedeutet es Unfreiheit, die im schlimmsten Fall in den Tod führt.
https://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/