Nach der Ermordung von Adama Traoré - Rassistische Polizeigewalt und Repression in Frankreich

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Im Laufe des letzten Jahres sind in Frankreich verstärkt Proteste aufgeflammt. Diese Proteste richteten sich gegen das neoliberale Loi Travail mit seiner Prekarisierung der Lohnarbeit, den Angriffen auf die ZADs, der Repression gegen geflüchtete Menschen und Migrant*innen, dem Aufstieg des Faschismus, dem herrschenden Ausnahmezustand und gegen die Normalität der Polizeigewalt. Nach der brutalen Vergewaltigung von Théo durch Bullen begannen im Februar Gymnasiast*innen landesweit Schulen zu blockieren, um gegen Polizeibrutalität zu demonstrieren.

 

Adama Traoré und Théo waren nicht die ersten Opfer staatlicher Polizeigewalt. In Frankreich wurden in den vergangenen 50 Jahren 445 Menschen von der Polizei ermordet. Das bedeutet, dass alle zwei Monate ein Mensch durch die Hand von Bullen getötet wird. Doch die Situation eskaliert. Im Durchschnitt der letzten Jahre sterben pro Monat 1 bis 2 Menschen. Adama ist nur das letzte Opfer staatlich legitimierten Rassismus'. Im folgenden eine Chronologie der Ereignisse und der Repression.

 

19. Juli 2016
Am Tag seines 24. Geburtstags stirbt Adama Traoré in der Bullenstation von Persan-Beaumont. Seine Familie wird erst drei Stunden nach seiner Ermordung verständigt. Im Stadtteil Boyenval, der die Bullen für Adamas Tod verantwortlich macht, bricht ein Aufruhr aus.

20. Juli 2016
Zuerst übernehmen die Medienberichte die offizielle Version, dass Adamas Tod auf seinen schlechten Gesundheitszustand zurückzuführen sei. Sie berichten auch unrichtigerweise, dass Adama von den Bullen wegen Erpressung gesucht worden war. Am 20. Juli gehen Familienmitglieder und Freund_innen zur Bullenstation, um die Leiche zu sehen und um eine Erklärungen zu fordern. Sie werden mehrmals ohne Vorwarnung mit Tränengas attackiert.

21. Juli 2016
Erste Autopsie des Körpers von Adama Taroré. Erklärung des Staatsanwalt Yves Jannier, der von einem «Herzinfarkt» und einer akuten «schweren Infektion» spricht, die mehrere Organe betroffen hätte. Der Bericht, der am Abend des Dramas verfasst wurde, erwähnt, dass Cannabis und Alkohol im Blut des Opfers zu finden waren. Diese Information wird später dementiert.

22. Juli 2016
In mehreren Städten Frankreichs werden Trauermärsche im Andenken an Adama Traoré organisiert. Die erste Pressemitteilung der Familie präzisiert, dass «entgegen dem Gehörten die Todesursache noch nicht geklärt ist». Die Angehörigen sind überzeugt, dass ihnen Infos vorenthalten werden und dass die Bullen irgendwie verantwortlich sind.

28. Juli 2016
Eine zweite Autopsie widerlegt die These einer Infektion. Sie bestätigt, im Gegenteil, Hinweise auf Ersticken, die schon in der ersten Autopsie erwähnt wurden – eine Information die bis dahin nicht vom Staatsanwalt von Pontoise kommuniziert wurde. Seine Lügen und Verheimlichungen werden immer offensichtlicher. Die Rolle des neuen Anwalts der Familie, Yassine Bouzrou, wird bestimmend sein. Er wird dazu beitragen, die Lügen des Staates immer weiter aufzudecken.

29. Juli 2016
Die Justiz verweigert eine dritte Untersuchung des Körpers von Adama Traoré. Auszüge des Protokolls der mündlichen Einvernahme der Bullen, die den jungen Mann festnahmen, werden aufgedeckt. So erfahren wir, dass Adama Traoré während seiner Festnahme vom Gewicht der drei Bullen – etwa 240 Kilo – niedergedrückt wurde. Die Ursachen der Erstickung werden deutlicher.

30. Juli 2016
Eine Versammlung am Bahnhof Gare du Nord wird von den Bullen blockiert. Stundenlang bleiben die DemonstrantInnen gekesselt. Ein Editorial der New York Times, das die Unantastbarkeit von Bullen thematisiert und Black Lives Matter in einen französischen Kontext setzt, macht von sich reden. Bis dahin war Rassismus eigentlich kein Thema gewesen.

1. August 2016
Das Bild ist jetzt klarer. Einige Medien veröffentlichen einen detaillierten Bericht über die Festnahme von Adama Traoré. Während seiner Befragung hatte er mehrere Male geklagt, keine Luft zu bekommen. Niemand hatte ihn ernst genommen. Einige Minuten später war er tot am Boden der Bullerei von Persan gelegen.

5. August 2016
Es wird bekannt, dass das Gericht von Pontoise eine Untersuchung gegen Adama Traoré wegen Widerstand eingeleitet hat – nachdem seinem Tod. Währenddessen wird in Paris eine Salat Janaza (muslimisches Totengebet) organisiert.

6. August 2016
Die Familie bringt zwei Beschwerden gegen die uniformierte Staatsgewalt ein. Die erste wegen Totschlag ohne Tötungsabsicht («vorsätzlicher Gewalt, die ohne Tötungsabsicht den Tod herbeigeführt hat») und die zweite wegen Dokumentenfälschung und Veränderung des Tatorts gegen eine Bullin, die u.a. beschuldigt wird, am Abend des Dramas Falschinformationen in ein Einvernahmeprotokoll eingefügt zu haben.

8. August 2016
Ungefähr ein Monat nach seinem Tod wird Adama Traoré in Mali, dem Herkunftsland seiner Eltern, beerdigt.

10.August 2016
Das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung erscheint. Entgegen der Aussage des Gerichtsmediziners hatte Adama Traoré zum Zeitpunkt seiner Festnahme nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol gestanden.

10. September 2016
Zum 40. Tag seiner Ermordung organisiert die Familie eine Mahlzeit im Viertel Boyenval in Beaumont-sur-Oise.

13. September 2016
Die Anhörung des Oberbullens durch den GIGN (Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale) ermöglicht, die Umstände des Dramas noch genauer zu präzisieren: Während seiner Festnahme klagt Adama Traoré, keine Luft zu kriegen. Er ist ausser Atem, verliert allmählich das Bewusstsein und nässt im Auto ein. Der Oberbulle erklärt, er hätte ihn in stabile Seitenlage gebracht und auf die Feuerwehr gewartet.

14.September 2016
Die Feuerwehrleute widersprechen der Version der Gendarmen. A. Traoré war nicht in stabile Seitenlage gebracht worden. Er hatte mit dem Gesicht auf dem Boden gelegen. Erst nach Eintreffen der Feuerwehr waren ihm die Handschellen abgenommen worden. Die Familie erhebt Beschwerde wegen unterlassener Hilfeleistung.

21. September 2016
Die wegen Protokollfälschung und Veränderung des Tatortes angezeigte Bullin verklagt die Familie von Adama Traoré und die investigative Online-Zeitung Médiapart wegen Verleumdung.

12. Oktober 2016
Die drei Bullen, die A. Traoré festgenommen haben, erläutern ihre eigene Version. Ihre Anwältin erklärt, sie hätten Todesdrohungen hätten, sie wären in ihrem eigenen Interesse versetzt worden, sie und ihre Familien hätten unter dem Umzug sehr gelitten. Die Bewohner_innen von Boyenval prangern immer wieder die wiederholten Provokationen der uniformierten Staatsgewalt seit dem 19. Juli 2016 an. Die Lage in Beaumont ist gespannt.

2. November 2016
Innenminister Bernard Cazeneuve erklärt, dass er «diese ständige Infragestellung der Polizeiarbeit nicht mehr dulden könne, vor allem wenn es nie Lob für die Arbeit der Uniformierten» gibt. Er verkehrt die Anklage und spricht von Aggression gegen Polizist_innen.

15. November 2016
Tausende Menschen nehmen in Paris an einem Gedenkmarsch für A. Traoré teil.

16. November 2016
Natalie Groux, die Bürgermeisterin von Beaumont, kündigt ihre Abicht an, gegen Adamas Schwester Assa Traoré eine Verleumdungsklage einzubringen.

17. November 2016
Die Angehörigen von Adama Traoré dürfen eine eigentlich öffentliche Gemeinderatsitzung nicht beobachten und werden stattdessen von Bullen empfangen. Die Gemeinderatssitzung, in der über Schutz für Bürgermeisterin Nathalie Groux abgestimmt hätte werden sollen, wird abgesagt. Am Abend führt die Polizei gewalttätige Razzien im Viertel Boyenval durch. Samba Traoré erhebt Anklage wegen Polizeigewalt.

23. November 2016
Adamas Brüder, Bagui und Youssouf Traoré, werden vom Gericht in Pontoise in U-Haft genommen. Ihr Urteil wird bis zum 14. Dezember 2016 verzögert.

28. November 2016
Letzte Berichte: Der Einspruch gegen die Untersuchungshaft von Bagui und Youssouf Traoré soll am 6. Dezember von einem Richterkollegium geprüft werden.

29. November 2016
Nach den Ereignissen vom 17. November erhalten vier Gemeindebullen vom Präfekten eine Medaille für «mutiges und ergebenes Handeln». Die Gemeinde, die eine Mediatorin und eine Sozialassistentin eingesetzt hat, um die Beziehungen zur lokalen Bevölkerung zu „befrieden”, erinnert daran, dass die Gemeindebullen von Beaumont in einigen Monaten bewaffnet sein werden.

15. Dezember 2016
Gerichstverhandlung der Brüder Traoré: Sie werden in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Bagui Traoré wird zu 8 Monaten unbedingter Haft verurteilt und zu 2 Jahren Aufenthaltsverbot in Beaumont. Youssef wird zu 3 Monaten bedingter Haft verurteilt und freigelassen. Außerdrem werden die Brüder zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von 7.400 Euro verurteilt.

19. Dezember 2016
Bagui Traoré kündigt über seinen Anwalt an, gegen die Verurteilung Berufung einzulegen. Wie Youssouf wehrt er sich seit Beginn gegen die Anschuldigungen.

28. Feber 2017
Bagui Traoré, der seit Dezember unter Hausarrest steht, wird am frühen Morgen von der Bullerei abgeführt und in Untersuchungshaft geworfen. Der Vorwurf der Repressionsbehörden lautet diesmal auf versuchten Polizistenmord. Bagui wird beschuldigt bei den Protesten gegen Polizeigewalt nach der Ermordung Adamas auf Bullen geschossen und 13 von ihnen verletzt zu haben. Assa, Youssouf und Tata Oumou Traoré, ihre Mutter, werden von den Bullen einvernommen. Das Verhör von Tata Oumou dauert vier Stunden lang. Noch am gleichen Tag wird bekannt gegeben, dass der Prozess gegen Bagui am 27. März 2017 statt finden wird. Die Familie und ihre Nächsten sprechen das Offensichtliche aus: "Es handelt sich um den Versuch der Kriminalisierung. Hier wird eine Inszenierung in Gang gesetzt, um unsere Bewegung zu zerstören."

Neben den fortgesetzten Blockaden der Schüler*innen finden deswegen in Frankreich massive Proteste gegen Polizeigewalt statt.

4. März: Grand Meeting der von Polizeigewalt betroffenen Familien und in Erinnerung an Amadou Koumé in Paris. Amadou wurde im März 2015 von Bullen ermordet.

6. bis 10. März: Prozess gegen den Polizisten Damien Saboundijan, der am 21. April 2012 Amine Bentounsi durch einen Schuss in den Rücken ermordete.

15. März: Internationaler Tag gegen Polizeigewalt. "Wie sich gegen Polizeigewalt organisieren?" Ein juristischer, medialer und politischer Ausbildungstag.

19. März: Marsch für Gerechtigkeit und Würde. Namentlich u.a. von den Familien Lamine Dieng, Wissam El Yamni, Hocine Bouras, Amadou Koumé, Lahoucine Ait Omghar, Abdoulaye Camara, Morad Taout, Ali Ziri, Babacar Gueye, Rémi Fraisse, Jean-Pierre Ferrara, Amine Bentounsi, Théo Luhaka organisiert.

25. März: Protestmarsch gegen die Einstellung des Verfahrens zur Ermordung Lahoucine Ait Omghar, 2013 von der Polizei getötet.

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Bagui befindet sich im Hungerstreik