Die Stadt Nienburg rollte für die Partei „Die Rechte“ den roten Teppich aus.
Am 28.01.2017 marschierten ca. 40 Neonazis im Rahmen einer, vom niedersächsischen Landesverband der Partei „Die Rechte“ angemeldeten, Demonstration durch die Nienburger Innenstadt. Ein zeitgleicher Gegenprotest war nahezu unmöglich – aus verschiedenen Gründen.
Torben Franz, Mitglied des Nienburger Stadtrates für „Die Linke“, hatte Anfang Januar eine Kundgebung auf dem Ernst-Thoms-Platz unter dem Motto „Rechtspopulisten stoppen“ am 28. Januar 2017 angemeldet. Im Kooperationsgespräch, welches am 26. Januar stattfand, wurde ihm mitgeteilt, dass seine Kundgebung verlegt werden solle, da eine andere Veranstaltung angezeigt sei. Franz wurden daraufhin zwei Plätze in auffallend weiter Entfernung zum eigentlichen Kundgebungsort vorgeschlagen. Auf eine Frage mit Bezug auf die andere angezeigte Veranstaltung wollte man keine weiteren Äußerungen treffen. Am Tag darauf bekam Franz die Auflagen übersendet, in denen ausdrücklich die Verlegung durch die Befürchtung von Auseinandersetzung zwischen der von Franz angemeldeten und einer gleichzeitig stattfindenden rechten Veranstaltung begründet wurde.
Durch eine Anfrage 27.Januar wurde der schon länger bestehende Verdacht, dass Neonazis erneut in Nienburg demonstrieren wollten vom Ordnungsamt der Stadt Nienburg bestätigt. Warum diese Information einem Stadtratmitglied allerdings verwehrt blieb, steht offen.
Nach Aussage des Ordnungsamtes sei eine Kundgebung der Partei „Die Rechte“ am 28. Januar ab 11 Uhr am Ernst-Thoms-Platz angemeldet wurden. Daraufhin wurde eine Kundgebung des Runden Tischs gegen Rassismus und rechte Gewalt Nienburg zum „Gedenken an die Opfer rechter Gewalt – im Holocaust und heute“ angemeldet, die ab 11 Uhr in der Langen Straße / Ecke Jahnstraße stattfand und sich in das Programm zum Gedenken an den Holocaust einreihte.
Am Abend des 27. Januars wurde bei der Eröffnung der Ausstellung
„Breslau und seine jüdische Gemeinschaft“ im Nienburger Rathaus auf die
am nächsten Tag bevorstehende rechte Kundgebung in Nienburg hingewiesen
und zu der Gedenkkundgebung des Runden Tisches mobilisiert.
Gegen 19 Uhr begannen wir ebenfalls mit einer öffentlichen Mobilisierung nach Nienburg für den nächsten Tag.
Trotz dieser schlechten Umstände und der geringen Zeit um einen Gegenprotest zu organisieren,
kamen fast 100 Menschen am Morgen des 28. Januars in der Innenstadt zusammen.
Bei der angemeldeten Gedenkkundgebung wurde von verschiedenen RednerInnen an die Opfer rechter Gewalt vom Holocaust bis heute gedacht. An der Kundgebung nahmen rund 60 bis 70 Menschen teil. Hier konnte auch ein großer Teil der Menschen erreicht werden, die zum Wochenmarkt in die Stadt gekommen waren. Ganz ohne Zwischenfälle lief die Kundgebung dennoch nicht ab. Ein Sinto wurde im Bereich der Leinstraße in der Nähe der Kundgebung durch Neonazis bedroht und angepöbelt.
Auf dem Ernst-Thoms-Platz versammelte sich zeitgleich eine Gruppe von
ungefähr 30 AktivistInnen, die den Veranstaltungsort der Neonazis
blockierten. Dieser wurde zudem über Nacht mit antifaschistischen
Parolen verschönert.
Auffällig war hier bereits, dass weder Rechte noch Polizei den Protesten
viel Aufmerksamkeit schenkten. Das Polizeiaufgebot war eher mau.
Schätzungsweise waren im Innenstadtgebiet 5 Polizeiwagen unterwegs.
Am Morgen gab es bereits Gerüchte über eine eventuelle zeitliche Verschiebung der Kundgebung der Neonazis. Selbst die Presse, die zu der Gedenkkundgebung gekommen war, erhielt von der Polizei keine konkrete Antwort. „Wenn eine rechte Kundgebung zeitgleich wäre, hätte man ein größeres Polizeiaufgebot“, hieß es sinngemäß. Zu der bestehenden Möglichkeit einer späteren Kundgebung der Rechten wollte die Polizei keine Aussage machen.
Gegen 12.30 Uhr wurde die Gedenkkundgebung beendet und auch die AktivistInnen auf dem Ernst-Thoms-Platz reisten nach und nach wieder ab. Trotz bisheriger Ruhe und einem Tweet der „Aktionsgruppe Nienburg/Weser“ (Zusammenschluss Rechtsextremer aus dem Nienburger Bereich), es seien zu wenig Teilnehmende für ihre Veranstaltung zusammengekommen, war vielen ziemlich klar, dass der Tag noch nicht vorbei sei.
Kurz nach 16:15 Uhr wurden am Bahnhof mehrere Polizeibusse sowie ein LKW der Polizei gesichtet. Auf telefonische Anfrage gab die Polizei nun an, dass eine Veranstaltung um 18 Uhr vor dem Bahnhof angemeldet sei. Kurz darauf fuhr ein Konvoi der Bereitschaftspolizei Hannover und einer BFE-Einheit mit etwa 10 Polizeibussen von der Polizeiwache kommend zum Bahnhof. Die einzelnen Busse bogen teilweise in verschiedene Nebenstraßen der Wilhelmstraße ab. Nun war relativ klar, dass die Neonazis nicht nur eine Kundgebung, sondern einen Aufmarsch durch Nienburg planten.
Immer mehr Polizeiwagen hielten am Bahnhof und in den angrenzenden Straßen, sowie auf dem Ernst-Thoms-Platz. Eine Gruppe von ca. 10 AntifaschistInnen hatte sich in der Nähe des Bahnhofs an der Ecke zur Friedrichstraße versammelt. Kurz darauf kam eine Gruppe PolizistInnen auf diese zu und fragte recht aggressiv, was man denn hier wolle. Man würde den AktivistInnen außerdem nicht dazu raten, zu versuchen, an die Wilhelmstraße zu gelangen. Dabei stellte sich unteranderem auch heraus, dass die Demonstration der Neonazis schon seit Längerem für 18 Uhr angesetzt war.
Eine kleinere Gruppe des bürgerlichen Spektrums hatte es kurzfristig
ebenfalls zum Bahnhof geschafft und stand auf dem Bahnhofsvorplatz. Den
wenigen Personen, die am Bahnhof gegen die Neonazis protestieren
wollten, wurden aber weiterhin Steine in den Weg gelegt. Der Gruppe
junger AktivistInnen wurde lange Zeit nicht erlaubt, sich dem Bahnhof zu
nähern. Polizeibeamte reagierten pauschalisierend und unhöflich auf
Bitten, sich zu den anderen Personen begeben zu können.
In Begleitung einer zur Unterstützung geeilten Person aus der anderen
Gruppe versuchten die jüngeren AktivistInnen nun ebenfalls auf den
Bahnhofsvorplatz zu gelangen. Daraufhin bildete sich eine Polizeikette
vor der Gruppe. Die zur Unterstützung gekommene Person durfte weiter,
die jungen Menschen nicht.
Kurz darauf wurde eine spontane Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz angemeldet, zu der dann auch die Gruppe junger AktivistInnen, unter leichtem Widerwillen und unter Polizeibegleitung, geführt wurde. Kurzfristig konnten sich so in etwa 30 Menschen zusammenfinden und wenigstens für kurze Zeit zusammen gegen die Neonazis protestieren, die bereits zu Teilen am Nienburger Bahnhof angekommen waren. So bekamen wir schließlich nun mit, dass die Neonazis ihren Aufmarsch bis 22 Uhr mit mehreren Zwischenkundgebungen durch die Innenstadt Nienburgs und einen Fackelaufmarsch genehmigt bekommen hatten.
Mittlerweile waren schätzungsweise 30 bis 40 Polizeibusse in Nienburg unterwegs, der Bahnhof, die Wilhelmstaße und der Ernst-Thoms-Platz wurden hermetisch abgeriegelt. Der Gegenprotest durch Polizeibusse und Polizeiketten von der Naziroute abgeschirmt.
In etwa 10 Metern Entfernung sammelten sich die Neonazis auf dem
Parkplatz zwischen Bahnhofsgebäude und Parkhaus. Gegen 18:30 Uhr stellen
sich die etwa 35-40 AnhängerInnen der rechten Szene zum Aufmarsch auf.
Neben Nienburger Neonazis waren beispielsweise auch der Freundeskreis
Thüringen/ Niedersachsen, der am 19.11.2016 einen Naziaufmarsch durch
Nienburg angemeldet hatte, und Mitglieder von „Die Rechte“ Verden
vertreten.
Während die Neonazis nahezu im Sprint vom Bahnhof in die Wilhelmstraße
marschierten, konnte ihnen durch viel Lärm und deutliche Parolen die
Botschaft mitgegeben werden, dass Nienburg keinen Platz für sie hat. Ob
dies jedoch auch die Meinung der Stadtverwaltung ist, daran lässt sich
momentan zweifeln.
Kurz darauf wurde die spontane Gegenkundgebung aufgelöst. Die AktivistInnen zogen sich anschließend aus Sicherheitsgründen vom Bahnhof zurück.
Ohne Umwege marschierten die Nazis dann zum Ernst-Thoms-Platz. Dort angekommen entzündeten sie Fackeln und hielten Reden. Gegen einen der Redner wurde ein Strafantrag wegen des Werbens für den Nationalsozialismus gestellt. Vor Ort war nur noch ein kleiner Teil der AktivistInnen der Kundgebung vom Bahnhof, weiterer Protest war durch das massive Polizeiaufgebot fast nicht möglich. Gegen 20 Uhr beendeten die Neonazis ihre Veranstaltung.
Die Neonazis freuten sich schon am Abend über den offenen Empfang der
Stadt Nienburg und kündigten auf Facebook an, bald wieder
aufmarschieren zu wollen.
In mehreren Nienburger Facebookgruppen und auf Lokalpresseseiten
inszenierte sich unter anderem der Nienburger Neonazi Christopher
Siedler, der eine zentrale Rolle in der lokalen Naziszene spielt, unter
seinem Pseudonym „Alex Cordes“ als „Normalbürger“ und sprach
scheinheilig von einem „schlechten Zeitpunkt“, als man ihn auf das
gerade stattfindende Gedenken an den Holocaust, ansprach.
Viele Fragen bleiben nach einem solch erschreckenden Tag offen.
War die Information der Stadtverwaltung, eine Kundgebung der Rechten sei um 11 Uhr angemeldet, eine gewollte Fehlinformation? Wenn nicht – Ab wann war die Demonstration um 18 Uhr bekannt? Wieso wurde diese Information nicht weitergeleitet und warum wollte niemand der Verantwortlichen eine Aussage zu den Gerüchten machen? Was wusste eigentlich der Bürgermeister von alledem? Warum kann man erst unter einem Vorwand erfahren, dass in Nienburg in der nächsten Stunde Neonazis aufmarschieren?
Fest steht: Den Neonazis wurde in Nienburg – bewusst oder unbewusst – der rote Teppich von Verwaltung und Polizei und anderen Verantwortlichen ausgerollt. Durch ein massives Polizeiaufgebot und das Zurückhalten von Informationen sollte offensichtlich ein Gegenprotest und ein öffentlicher Diskurs kleingehalten werden.
Vielen Dank an alle SupporterInnen und jede*n vor Ort. Sobald wir neue Informationen haben hört ihr von uns.
Bilder ?
Gibt es Bilder der Faschos ?
Bilderstrecke des Nazi-Fackelmarsches
Die recherche-nord war allem Anschein nach mal wieder vor Ort. Eine Bilderstrecke findet sich hier:
http://recherche-nord.com/gallery/2017.01.28.html