Rückblick: Die Straßenschlacht…

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Vor etwas über einem Jahr planten Neonazis drei Aufmärsche in bzw. nach Leipzig-Connewitz. Die angemeldeten Routen wurden ihnen schon vorab untersagt, da Stadt und Polizei wussten, was Naziaufmärsche in Connewitz zur Folge haben würden. Vor einigen Wochen, ein Jahr nach dem ereignisreichen Tag, blickten mehrere Medien auf den 12. Dezember 2015 zurück. Da darf eine linke Perspektive nicht fehlen.

 

Vorbereitung


Nach der Ankündigung der Nazis, in Connewitz aufmarschieren zu wollen, entwickelte sich in Leipzig eine antifaschistische Mobilisierung in lang nicht gesehener Stärke. Unzählige Plakate, Aufkleber und Flyer wurden verbreitet, einige Aufrufe geschrieben und jede Menge Streetart kreiert. Das Thema fand bundesweite Aufmerksamkeit, einige luden scherzhaft zum Jahresabschluss der “ersten Liga für Autonome” ein. Ein solches Engagement fehlt leider regelmäßig bei Demonstrationen und Aktionen gegen rechte Strukturen, die nicht in “Szenekiezen” stattfinden. 

 

Der Tag


Gerade einmal 150 Neonazis marschierten schließlich durch die Südvorstadt – fünfhundert Meter, von der Kurt-Eisner-Straße Ecke Altenburger Straße bis kurz vor den Albrecht-Dürer-Platz. Auch wenn einige Neonazis sich in Connewitz wähnten und damit ihre Ortsunkenntnis zur Schau stellten, war der Tag für die Neonazis kein Erfolg. Connewitz erreichten sie nie und auch ihr Weg durch die Südvorstadt gestaltete sich schwierig. Schon vorab hatten sie es vermieden, sich in der Stadt zu sammeln.

 

Auch Polizei, Medien und der Oberbürgermeister glänzten mit Unkenntnis, als sie behaupteten, dass die antifaschistischen Aktionen an jenem Tag sich nicht gegen die Neonazidemo gerichtet hätten. Noch bevor die Neonazis ihren Auftaktort erreichten, hatte der Morgen schon mit einigen dezentralen Aktionen im Stadtgebiet begonnen. Auf der Route der Neonazis kam es dann zu einer Sitzblockade und auch zu Angriffen aus Hinterhöfen.

 

Nach dem Tag waren AntifaschistInnen uneinig, ob “noch mehr drin gewesen wäre”. Offenbar waren fast alle Ressourcen der Polizei auf die kurze Route der Nazis konzentriert. Dennoch versuchten mehrfach größe und kleinere Gruppen auf die Route der Neonazis zu gelangen und griffen dabei die Polizei mehrmals an. Diese schwärmte jedoch erst am späteren Nachmittag mit allen Kräften aus, um “die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen”.

 

An der Karl-Liebknecht-Straße Ecke Kurt-Eisner-Straße gab es den ersten größeren Versuch, mit mehreren hundert AntifaschistInnen in die Nähe der Neonazis zu gelangen. Ein erfolgreicher Durchbruch zielte direkt auf ihre Route und ihren Startpunkt. Schon hier zeigte sich, dass viele an diesem Tag gewillt waren, den Naziaufmarsch auch militant zu verhindern.

 

Den zweiten größeren Versuch gab es am Südplatz, hier entstanden die wohl eindrucksvollsten Bilder des Tages von einer sehr langen und heftigen Auseinandersetzung zwischen AntifaschistInnen und der Polizei. Ein erfolgreicher Durchbruch hätte direkt zum Endpunkt des Naziaufmarschs geführt, wobei die Polizei den Aufmarsch dort letztendlich nicht beendete, sondern die Neonazis lieber zum Ausgangspunkt zurück führte.

 

Für viele AntifaschistInnen war die Straßenschlacht am Südplatz die heftigste seit den neunziger Jahren in Leipzig. Beispiellos war auch der massive Beschuss mit Tränengasgranaten, den es in dieser Form in Deutschland schon lange nicht mehr gab. Weite Teile der Südvorstadt verschwanden in Tränengas. Weder bei “Blockupy” in Frankfurt noch beim G8-Gipfel in Heiligendamm wurde derart massiv mit Gasgranaten agiert. Diese sind bei der sächsischen Polizei offenbar beliebt. Nicht nur in Frankfurt waren es sächsische Einheiten, die Tränengas verschossen, auch am 1. Mai 2015 in Saalfeld kamen die Verantwortlichen Beamten aus Sachsen.

 

Deutlich wurde am 12. Dezember 2015 jedoch, dass es der Polizei trotz zahlreicher Hundertschaften, mehrerer Pferdestaffeln und einiger Wasserwerfer nicht gelang, die Kontrolle über die Südvorstadt zu erlangen, sodass es ihnen als besonders clever erschien, ganze Straßenzüge unter Tränengas zu setzen.

 

Die meisten Kommentierungen des Tages dichteten die Auseinandersetzungen zu sinnloser Randale um, die sich nicht gegen die Neonazis gerichtet habe. Dabei zeigte sich an jenem Tag eine äußerst zielgerichtete Militanz, auch bei den Sachbeschädigungen. Der massive Barrikadenbau etwa diente dem Eigenschutz und war erfreulicherweise so gestaltet, dass die meisten Barrikaden sich nur schwer wegräumen ließen. 

 

Gesellschaftliche Folgen


Politisch wurden von allen Seiten eine Verurteilung der “linken Gewalt” gefordert, zum Verhalten der Polizei, die einen ganzen Stadtteil und angemeldete Demonstrationen mit Tränengas beschoss, jedoch kein Wort verloren. Oberbürgermeister Burkhard Jung sprach abermals vom linker Gewalt am Rande des Terrorismus. Weiterhin wurde zusammen mit dem “Institut B3” ein Forschungsprojekt namens “Urbane Gewalt” auf den Weg gebracht, das eine Entpolitisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen vorantreiben wird. Die erste Fachtagung am 30. November 2016 stand unter dem Titel “Gemeinsam für unsere Stadt”. 

 

Repression


Schon früh wurde auf mögliche Repression und den Umgang damit hingewiesen. Im August 2016 kam es in Leipzig zu Hausdurchsuchungen. Ein gemeinsamer und solidarischer Umgang mit Repression ist in Leipzig mittlerweile kaum noch möglich, da der überwiegende Teil der Betroffenen staatliche Repression nicht öffentlich macht und sich auch nicht immer an Antirepressionsstrukturen wendet. Dabei ist das Geschehen für die staatlichen Stellen noch nicht abgeschlossen, weitere Hausdurchsuchungen sind möglich. Dass weiter ermittelt wird, berichtete auch der MDR vor wenigen Wochen:

  • “Wie die Staatsanwaltschaft Leipzig MDR SACHSEN mitteilte, konnte die Polizei mehr als 100 Verdächtige nach den Krawallen identifizieren. Insgesamt wurden 166 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich hierbei in 115 Fällen um mutmaßlich linksmotivierte Straftaten, in 14 Fällen um mutmaßlich rechtsmotivierte Straftaten und in 37 Fällen um Verfahren mit nicht eindeutig geklärter bzw. noch aufzuklärender Motivation.”

Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz wird mit den Worten zitiert:

  • “Wir haben hier eine dreistellige Zahl von Tatverdächtigen und Beschuldigten. Wir müssen jetzt versuchen die Straftaten, die wir erfasst haben, diesen Personen zuzuordnen. Ich bin optimistisch, die einfachen, kleineren Straftaten aufzuklären, sondern auch die schwereren Straftaten.”

Auch die Leipziger Volkszeitung hat den fortgeschrittenen Stand der Ermittlungen kürzlich zusammengefasst. Anders sieht es beim Naziangriff auf Connewitz am 11. Januar 2016 aus, dort kommen die Ermittlungen nur schleppend voran. Der Feind steht in Sachsen nun mal links.


Die sächsische Polizei beschrieb in der “Zeitschrift für die Polizei Sachsen” ihre eigene Sicht auf den 12. Dezember 2015.