Panne bei Saalfelder Mai-Demo - Reizgas-Abschuss ohne Einsatzbefehl

Erstveröffentlicht: 
01.07.2015

Die Sonneberger Straße liegt im Südwesten von Saalfeld. Sonst eine beschauliche Wohn- und Geschäftsmeile, war sie am 1. Mai dieses Jahres der Schauplatz für einen Polizeieinsatz, der inzwischen den Thüringer Landtag beschäftigt. Rechtsextremisten der Bewegung "III. Weg" hatten in Saalfeld zu einem Aufmarsch aufgerufen. Rund 600 Neonazis und Mitglieder von braunen Kameradschaften waren gekommen. Bereits am Mittag marschierten sie in die Innenstadt.

 

Gegen 15 Uhr wollte die Polizei damit beginnen, den Zug der Neonazis aufzulösen und sie in Richtung Bahnhof zu geleiten. In der Sonneberger Straße hatten die Einsatzkräfte ein Teilstück abgeriegelt. In der Mitte der Pulk von Rechtsextremisten. Immer wieder kam es zu kleineren Rangeleien und verbalen Attacken gegen die Polizisten.

Kurz nach halb vier ertönte in der Straße ein Knall und eine Gaswolke breitete sich über den Neonazis aus. Innerhalb weniger Sekunden kam es zu tumultartigen Szenen. Menschen rannten kreuz und quer über die Straße, um sich vor dem ausbreiteten Gas in Sicherheit zu bringen. Ein Kamerateam des MDR wurde von Rechten Demonstranten überrannt. Es kam zu Auseinandersetzungen mit Polizisten, Fäuste und Gummiknüppel flogen. Fazit des Tages: 19 verletzte Beamte und eine unbekannte Zahl verletzter Demonstranten. Was war passiert?

 

Beamte der Bereitschaftspolizei fragten, aus bisher unbekannten Gründen, bei ihrem Zugführer nach, ob sie eine Gaspatrone vom Typ CS8 abfeuern sollten. Angeblich würden die Angriffe zunehmen und das würde zur Beruhigung der Lage beitragen. Doch der Zugführer lehnte per Funk ab. Trotzdem feuerte einer der Polizisten die Gaspatrone auf die Demonstranten.

 

"Warteschlangen" im Funkverkehr

 

MDR THÜRINGEN hat bei der Landespolizeidirektion (LPD) angefragt, wie es zum Einsatz der Gaspatrone kam. In einem ersten Antwortschreiben wird der ganze Vorgang auf Probleme im Digitalfunk geschoben. So schreibt die LPD, dass es zum Zeitpunkt des Abschusses einen erheblichen Funkverkehr gegeben habe. Dadurch sei es zu Störungen in der Kommunikation gekommen. Der Polizist habe fälschlicherweise verstanden, dass er feuern solle. Obwohl ihm der Zugführer genau das Gegenteil angewiesen habe.

 

Als MDR THÜRINGEN nach dem Grund der Störung nachfragte, ruderte die LPD zurück. Es habe inzwischen eine Auswertung der Funkdaten gegeben. Aufgrund des hohen Aufkommens von Gesprächen sei es nur zu "Warteschlangen" im Funkverkehr gekommen. Das habe zu Verzögerungen von ein bis zwei Sekunden bei der Übertragung geführt. Aber eine grundsätzliche Störung des Digitalfunks habe es nicht gegeben. Allerdings konnte die LPD bis jetzt nicht aufklären, warum der Beamte die Anweisung des Zugführers, nicht zu schießen, so missverstanden hatte.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass es Probleme mit dem Digitalfunk bei der Thüringer Polizei gibt. Bereits bei einer großen Demonstration am 1. Mai 2013 in Erfurt fiel der Digitalfunk zeitweise komplett aus. Damals mussten die Polizisten zwischenzeitlich mit Handys und alten analogen Funkgeräten untereinander Kontakt halten. Hintergrund für die Probleme sind unter anderem der schlechte Ausbau des digitalen Netzes in Thüringen und die teilweise völlig veralteten digitalen Funkgeräte. Beim Spezialeinsatzkommando (SEK) des Landeskriminalamtes traut man der neuen Technik nicht. Nach MDR THÜRINGEN-Informationen verwenden die Scharfschützen weiter den analogen Funk. Hier könnte ein Übertragungsfehler, wie in Saalfeld, tödliche Folgen haben.