Der 30. November 2016 war kein guter Tag für die Naziszene in Dresden. Dieser Mittwoch brachte nicht nur „Besuch“ durch die Polizei in zahlreichen Wohnungen und sechs Haftbefehle, sondern im Nachgang auch ordentlich Streit unter den Kameraden. In den Morgenstunden durchsuchten ca. 200 Polizeibeamte 18 Wohnungen und ein weiteres Objekt in Dresden und Heidenau. Im Zentrum der Ermittlungen stehen 17 Personen, 15 Männer und 2 Frauen zwischen 16 und 30 Jahren. Sechs Personen wurden dem Haftrichter vorgeführt und sitzen seither in Untersuchungshaft, für den einen oder anderen keine neue Erfahrung.
Der Vorwurf
Der Vorwurf lautet Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Gruppe „Freie Kameradschaft Dresden“ wird vorgeworfen 14 Straftaten zwischen Juni 2015 und August 2016 begangen zu haben, vor allem Angriffe auf Geflüchtete und politische Gegner_innen. So wirft die Staatsanwaltschaft u.a. schweren Landfriedensbruch, versuchte Brandstiftung, Beteiligung an der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, mehrere Körperverletzungs- und Sachbeschädigungsdelikte vor. Die Gruppe habe sich an den Ausschreitungen in Heidenau im August 2015 und an der Bremer Straße im Juli 2015 in Dresden ebenso beteiligt, wie auch an dem Angriff auf das Hausprojekt Mangelwirtschaft in Dresden-Übigau im Oktober 2015. Letztere Tat findet sich auch in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gegen die „Gruppe Freital“, deren Mitglieder sich voraussichtlich ab Frühjahr 2017 u.a. wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchtem vierfachen Mord vor Gericht verantworten müssen. Beide Gruppen sollen miteinander in Verbindung gestanden haben. Ebenfalls zur Last gelegt wird der „Freien Kameradschaft Dresden“ eine versuchte Brandstiftung in einem ehemaligen Real-Supermarkt in Freital im November 2015, der gerüchtehalber als Asylunterkunft im Gespräch war.
Als „Kleine Bürgerwehr“ sollen sie zuletzt im August 2016 auf dem Dresdner Stadtfest Migrant_innen angegriffen haben. Die Polizei berichtete damals in ihrer Pressemitteilung von „einer Schlägerei, an der bis zu 30 Personen beteiligt gewesen sein sollen.“ Und weiter: „Zunächst waren mehrere Nordafrikaner untereinander in Streit geraten. In der Folge beteiligten sich auch deutsche Festbesucher an den Auseinandersetzungen. Sechs Nordafrikaner erlitten dabei Verletzungen, drei wurden als Tatverdächtige vorläufig festgenommen.“ Die Presse berichtete über diesen Angriff wenige Tage nach dem Stadtfest. Sie hatte die Betroffenen im Krankenhaus ausfindig gemacht. Deren Schilderungen klangen ganz anders als die Polizeimeldung: Sie berichteten von einem hinterhältigen Überfall deutscher Neonazis. Zuvor hatten bereits Augenzeugen davon gesprochen, dass die „Schlägerei“ im Gegensatz zur Darstellung der Polizei wie ein gezielter rassistischer Angriff organisierter Nazis und Hooligans ausgesehen habe.
Um wen geht es?
Die Freie Kameradschaft Dresden tauchte unter diesem Namen Ende Juli 2015 als Facebookprofil erstmalig auf und versammelte sowohl schon länger aktive Nazis als auch Szenenachwuchs, der vor allem durch die zum Teil gewalttätigen Anti-Asyl-Proteste mobilisiert wurde. Von sich selbst schrieben sie: „Die Gründungsväter dieser Kameradschaft sind junge Nationalisten, welche Parteilos Nationale Interessen verfolgen. Natürlich haben wir auch erfahrene Kameraden unter uns, um von deren Wissen zu Profitieren. Uns hat es gestört, dass es für uns in Dresden keinen Echten Anlaufpunkt und seit Jahren schon keine Kameradschaft mehr gibt.“
17 Personen, 15 Männer und zwei Frauen, wurden durchsucht. Darunter war auch die Zelle des zur Zeit inhaftierten Michel Kunath in der JVA Dresden. Bereits Ende 2015 wurde er wegen Körperverletzung u.a. zu eine neunmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt und zuletzt zu sechs Monaten mit Bewährung, weil er bei den Ausschreitungen an der Bremer Straße im Juli 2015 eine Warnbake geworfen hatte.
In Untersuchungshaft genommen wurden nach Presseangaben Nick F., Florian N., Robert St., Benjamin Z., Robert H. und Rene H. Für Robert Stanelle ist das keine neue Erfahrung, er saß bereits von Dezember 2015 bis Mai 2016 in U-Haft wegen seiner Beteiligung an einem Angriff auf die Asylunterkunft in Dresden-Stetzsch am 23. August 2015. Gemeinsam mit mehreren Nazis attackierte er das Gebäude. In dem Zimmer, in dem Steine und Feuerwerkskörper einschlugen, befanden sich zwei Personen. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Außerdem wurde Stanelle die Beteiligung an einem Angriff auf eine Gruppe Jugendlicher im Alaunpark im Juni 2015 vorgeworfen. Im folgenden Gerichtsprozess erhielt er am 1. Juni 2016 eine Bewährungsstrafe, er zeigte sich reumütig und hatte angekündigt, sich von der Freien Kameradschaft Dresden zu lösen. Doch kaum wieder auf freien Fuß nahm er an rassistischen Demonstrationen teil, so am 8. Juni 2016 in Dresden-Laubegast, und posierte auf Facebook mit den „alten“ Kameraden.
Mit Benjamin Zein sitzt ein enger Freund des NPD-Ortsbeirats René Despang in Untersuchungshaft. Gemeinsam hatten beide am 3. Oktober 2016 unter dem Motto „Dresden bleibt grade“ eine Demonstration vom Blauen Wunder in die Innenstadt angemeldet. Auf dem Front-Transparent der 60-Leute-Demonstration prangte sinnigerweise der Spruch: „Der Mob hat Bock.“ Ebenfalls verhaftet wurde Nick Fischer. Er nahm in den vergangenen Jahren regelmäßig an neonazistischen Demonstrationen teil, etwa am 1. Mai 2015 in Saalfeld oder beim „Tag der deutschen Zukunft“ in Neuruppin im Juni diesen Jahres. Er war auch an den rassistischen Ausschreitungen im August 2015 in Heidenau beteiligt, ein von Nazis publiziertes Video zeigt Fischer beim Werfen eines Steins.
Und nun?
Die Ermittlungen gegen die „Freie Kameradschaft Dresden“ richten sich gegen einen wesentlichen Teil der gewalttätigen Nazistrukturen in Dresden. Diese dürfte für zahlreiche Angriffe auf Geflüchtete, deren Unterkünfte und auf Linke verantwortlich sein. Das Ermittlungsverfahren, die Hausdurchsuchungen und die Festnahmen sorgten für einige Verunsicherung in der Dresdner Naziszene.
Auf Facebook kochten die Gemüter jedenfalls schnell hoch. Der alteingesessene Kameradschaftsführer Maik Müller (inzwischen JN Dresden) attackierte René Despang ganz unverblümt:
„Sag mal schämst du dich nicht Du elende Drecksau? Du hast diese Scheiße immer befeuert, bist Mitbegründer, bist gestern ohne Alles weggekommen und postest jetzt bei Facebook eirnsthaft ‚Freiheit für alle Nationalisten‘!? Ich glaub ich spinne. Du verheizt die gutwilige Jugend, hast potentielle JN-Interessenten für ‚Deine‘ ‚Kameradschaft‘ abgeworben, spielst Aktivisten zum eigenen Vorteil gegeneinander aus, gerierst dich als großer ‚Macher‘ …“
(Fehler im Original)
Die Razzia war offenbar willkommener Anlass um alte Rechnungen zu begleichen. Denn der Konflikt zwischen den „alten Kadern“ reicht schon länger zurück. Der Dresdner Alt-Neonazi Ronny Thomas ging René Despang und sein junges Gefolge bereits anlässlich der Demonstration am 3. Oktober 2016 öffentlich an. Einmal weil Despang zur Kundgebung „Festung Europa“ von Tatjana Festerling mobilisierte, was Ronny Thomas harsch abkanzelte: „Und das war jetzt der Zusammenhalt deiner Bürgerbwegungen? Wohl eher ein Treffen der Intriganten, Demotouristen und Aufschneider…“. Thomas missfiel auch der öffentliche Aufruf zur „Dresden bleibt grade“-Demonstration: „(…) und nun bewirbst Du das hier noch öffentlich. Manche denken wirklich nur von der Wand bis zur Tapete.“
Eine Anmerkung, die einiges über den Zustand der Dresdner Naziszene verrät. Der junge aktionistische Kern ist nicht willens den alteingessenen Kadern zu folgen, stattdessen bauen sie auf den laut Maik Müller „teuersten Flugblattverteiler Sachsen[s]“ René Despang. Die Parteiarbeit eines Maik Müller erweist sich als unattraktiv, um junge Leute in größerer Anzahl zu rekrutieren. Gleichzeitig relativiert diese Einschätzung die Leistung der sächsischen Ermittlungsbehörden. Das Vorgehen der „Freien Kameradschaft Dresden“ war oftmals plumb und offen darauf ausgerichtet, Gewalttaten zu begehen. Seit über anderthalb Jahren trat der immer gleiche Personenkreis vor allem im Umfeld von rassistischen Demonstrationen in Erscheinung.
Dass die Polizei nun auf eine Strukturermittlung nach §129 setzt, wirft die Frage auf, ob die Polizei, die einzelnen Gewalttaten tatsächlich ausermittelt hat. Nun steht ein langwieriges Verfahren an, bei dem schon allein aufgrund der hohen Anzahl der Beteiligten der Ausgang ungewiss ist. Die Erfahrung zeigt: die Strafen nach §129 waren für viele Nazis weitaus milder, als sie bei Verurteilungen zu konkreten Einzeltaten zu erwarten wären. Dass die Naziszene sich von diesen Verfahren dauerhaft beeindrucken lässt, ist nicht zu erwarten.