Fette Ratten verdrehen Forschungsergebnisse

Erstveröffentlicht: 
04.03.2010

Die Unfähigkeit, zu erkennen, dass viele Labortiere ein ungesundes Leben führen, mag dazu führen, dass Forscher ihre Ergebnisse fehldeuten – was Bemühungen, therapeutische Medikamente zu entwickeln, potenziell fehlleiten könnte.

Das Problem, so berichtet eine Gruppe des US National Insitute  on Aging in Bathesda, Maryland, ist, dass viele in Experimenten benutzte Ratten und Mäuse derart übergewichtig sind, dass sie Glucoseintoleranz zeigen und einem frühen Tod entgegensteuern (B. Martin et al. Proc. Natl Acad. Sci. USA doi:10.1073/pnas.0912955107; 2010). Daraus folgt, dass Daten dieser Tiere – beispielsweise bzgl. der Wirkungen eines Medikamentes gegen Krebs – unter Umständen nicht auf normalgewichtige Tiere zutreffen.

"Die überwiegende Mehrheit der Experimentleiter, die Ratten und Mäuse einsetzen, erkennen nicht, dass deren Normalzustand ziemlich ungesund ist", sagt Mark Mattson, Leiter des neurowissenschaftlichen Labors am National Institute on Aging und Co-Autor der o.g. Publikation. "Die logischste Extrapolationsmöglichkeit ist zu sagen: Alle Daten, die wir anhand des Tiermodells gewinnen, sind eher passend für übergewichtige,  vorwiegend ruhende Menschen als für normalgewichtige, aktive Individuen."

Mattson und seine Kollegen bemerken, dass die übliche Laborpraxis, Ratten und Mäusen fortwährenden Zugang zu Nahrung zu ermöglichen, ohne gleichzeitig Bewegungsmöglichkeiten einzurichten, dazu führen kann, dass das Gewicht einzelner Tiere auf bis zu 1 kg steigen kann. Zuträgliche Effekte eines potenziellen Medikamentes oder Verhaltens könnten sich einfach aus deren Auswirkungen auf die Konsequenzen eines ungesunden Tierlebensstiles ergeben, sagen sie, und Studienergebisse, die zeigen, dass beschränkte Energieaufnahme die Lebenserwartung erhöhen kann, müssen ggf. neu bewertet werden.

"Ein Hauptgrund, warum die Lebenserwartung von Ratten und Mäusen durch beschränkte Energieaufnahme verlängert wird, ist, dass von einem ungesunden Ausgangszustand ausgegangen wurde", argumentiert Mattson. Er und seine Mitarbeiter identifizieren verschiedenartigste Gebiete wie Immunfunktion, Krebs und neurologische Störungen, die von dem Problem betroffen sein könnten.

Mattson sagt, dass das Anbieten von Laufrädern in den Käfigen sowie die Fütterung an wechselnden Tagen das "fette Ratten"-Problem lösen könnten. Er fügt hinzu, dass die die Experimente überwachenden und genehmigenden Institutionen Experimentatoren ermuntern sollten, das Problem anzupacken.

Die Fette-Ratten-Hypothese ist sicherlich glaubwürdig, sagt Robin Franklin, Neurowissenschaftler und Forschungsleiter am Department of Veterinary Medicine an der Universität Cambridge, UK. "Aber ich vermute, dass es einer von vielen Faktoren ist, die für die Unterschiede zwischen Tiermodellen und menschlichen Krankheiten verantwortlich sind", sagt er, und fügt hinzu, dass das Problem in seiner Forschung bisher nicht auftrat.

Dennoch: Mattson und seine Kollegen haben "Hunderte Publikationen mit Nagetier-Modellen [verfasst] und sind in ihrem Feld weithin bekannt", sagt Chtisian Newcomer, Geschäftsführer der Association for Assessment and Accreditation of Laboratory Animal Care (Vereinigung zur Prüfung und Akkreditierung von Labortier-Pflege), eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Frederick, Maryland, die Tiervewendung in vielen Laboratorien akkreditiert, einschließlich derer der US National Institutes of Health. "Ich denke, [die Publikation] wird ziemlich viel Gewicht haben."

Daniel Cressey