Bei "Notes of Berlin" gibts zur Zeit ein Adbusting aus der Berliner Georgenstraße. Es zeigt Werbung für Salat. Und eine Sprechblase legt dem netten Farmer*innenpäarchen ein "Oh je, zum Glück muss ich diesen heteronaormativen Päarchen-Quatsch nur fürs Foto ertragen" in den Mund. Und selbstverständlich gibts auch die üblichen Trollsprüche dazu. Für uns eine gute Gelegenheit, noch mal zu erklären, was eignetlich das Problem mit dem ganzen Sexismus-Dingsdabums ist.
Sexismus trotz Gleichberechtigung?
Trotz Frauenquote und Frauenparkplätzen, trotz Erziehungsgeld und Frauenwahlrecht ist die auf Sexismus basierende strukturelle Privilegierung von Männern nicht überwunden. Allen Anstrengungen zum Trotz verdienen Frauen sowohl gesamtgesellschaftlich betrachtet, als auch häufig individuell, für dieselbe Arbeit weniger als Männer. Doch die Ausformungen der auf Sexismus basierenden Herrschaft von Männern über Frauen geht noch viel weiter.
Zweigeschlechtlichkeit als Normierungsprozess
Sexismus bedeutet zuerst einmal aufgrund angeblicher oder realer „biologischer Unterschiede“ zwischen „Mann“ und „Frau“ auch sozial zu unterscheiden, und diese biologischen Geschlechter (engl. sex) durch Zuschreibungen bezüglich der Psyche oder des Verhaltens mit Eigenschaften zu belegen. So werden „soziale“ Geschlechter konstruiert (engl. gender). Diese „sozialen“ Geschlechter konstruieren sich aus Normen, Werten und Vorurteilen, und ergeben einen Diskurs, der Menschen aufgrund ihres biologischen Geschlechtes angebliche Eigenschaften zu- und bestimmte Verhaltensweisen vorschreibt. Dies fängt bereits im Kleinkindalter an. So werden „Mädels“ oft in rosafarbene Kleidung gesteckt und „Jungs“ in blaue. Des weiteren bekommen „Mädels“ Anerkennung, Aufmerksamkeit und Sozialprestige, wenn sie sich möglichst „klein“, „niedlich“ oder „süß“ geben, während „Jungs“ als positive Werte „Größe“, „Stärke“, „Dominanz“, „Tapferkeit“ u.ä. vorgelebt bekommen. Diese Normierungsprozesse funktionieren erstaunlich gut, da selbst die kleinsten Kinder schon ein äußerst ausgeprägtes Gespür dafür haben, mit welchen Verhaltensweisen sie positives Feedback der Erwachsenen bekommen können.
Anpassungsdruck
Über diese Normierung werden schon sehr früh mindestens zwei gesellschaftliche Fakten geschaffen. Zum einen wird es zur als natürlich wahrgenommenen Normalität, das eigene Selbstbild entweder am Archetyp „weiblich“ oder am Archetyp „männlich“ auszurichten, und zum anderen erscheint es damit als selbstverständlich, auch die dem jeweiligen Rollenbild zugeschriebenen Eigenschaften zu übernehmen. Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass diese Verhaltensweisen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen auf die ein oder andere Weise eingefordert werden.
Hierarchisierung
Mit dem Einteilen in Rollenbilder und dem Zuschreiben von Eigenschaften ist per se noch keine Wertung oder Hierarchie entstanden. Über das, was alle gesellschaftlichen Akteuere gemeinsam als "Normal", "gut" und "wünschenswert" im Diskurs konstruieren, wird eine subtile Fremdbestimmung auf die jeweiligen Individuen ausgeübt. Neben dem generellen Problem mit diskursiver Herrschaft sind diese Mechanismen besonders problematisch für Leute, die es aus welchem Grund auch immer, schwer haben, sich einer bipolaren Gender-Logik unterordnen wollen. Denn die Hierarchisierung und Wertung geschieht in dem Moment, wo abweichende Verhaltensweisen (entweder weil sich Individuen überhaupt nicht erst in überkommene bipolare Schemata pressen lassen wollen, oder ihre Verhaltensweisen nicht „ihrem“ Rollenbild entsprechen) als „unnormal“, „abartig“ oder „krank“ definiert werden. Dies ist jedoch notwendig, um subtil und unterschwellig die gesellschaftlich geforderte Einhaltung der Norm als wünschenswert erscheinen zu lassen.
Zuschreibungen
Weitere Hierarchisierungen zeigen sich zudem bei der Betrachtung der Verhaltensweisen, die den jeweiligen konstruierten Rollenbildern gesellschaftlich zugeschrieben werden. So entstehen die Stereotypen. Die „männlich“ definierten Eigenschaftspakete werden im gesellschaftlichen Diskurs größtenteils als „gut“ oder „wünschenswert“ wahrgenommen. So sind Männer angeblich „rational“, „überlegt“ oder „durchsetzungsfähig“, während Frauen mit z.B. „emotional“, „unsicher“, „reden viel“, „können nicht einparken“ beschrieben werden. Dass sich dies durch Diskursverschiebungen innerhalb von Gesellschaften verändern lässt, zeigt die Entwicklung im letzten Jahrhundert, in der Frauenbewegungen in vielen Ländern viele Fortschritte erkämpften.
Diskursverschiebungen
Die Verschiebungen in den gesellschaftlichen Diskursen zur Rolle der Frauen in diesen seit dem 19. Jahrhundert sind sehr drastisch. Um nur einige bis vor wenigen Jahren unvorstellbare Beispiele zu nennen: In der Armee finden sich Frauen in Kampfeinheiten, es gibt Frauen in Führungspositionen in Unternehmen, seit 2005 ist in D-Land der Bundeskanzler eine Bundeskanzlerin. Dies zeigt zum einen, dass die viele Jahre als für „wahr“ befundenen biologistischen Stereotypen zur Rollenverteilung Gesellschaften reine diskursive Erfindung waren. Gleichzeitig zeigt die erwähnte weiter fortbestehende gesellschaftliche Diskriminierung auf, dass diese Veränderungen lediglich Verschiebungen waren. Der Kreis der durch Herrschaft privilegierten Menschen hat sich also nur ein weiteres Mal geöffnet, ist durchlässiger geworden, aber nicht verschwunden. Es hat also eine Modernisierung stattgefunden, neben welcher u.a. sexistische Herrschaftsmechanismen weiter fortbestehen.
Diskriminierungen
Konkret erlebbar wird sexistische Diskriminierung in vielen Situationen. Menschen, die nicht „männlich“-dominant auftreten, werden in Gesprächen oft übergangen. Auch in vielen politischen Gruppen fehlt häufig die Sensibilität für nicht als „stark“ codiert auftretende Menschen. Durch eine solchen „Ellenbogen“-Kultur werden diese Menschen krass diskriminiert. Dies kann auch Männer treffen, wenn diese die von ihnen erwarteten Codes nicht erfüllen. Auch laufen über sexistische Muster oft unreflektiert Aufgaben- und Rollenverteilungen ab. So sind es in politischen Gruppen oder auf Camps mit emanzipatorischen Ansprüchen oft eher „Frauen“, die sich um die Reproduktion kümmern (Kochen, abwaschen, aufräumen, Gemüse schnippeln), während „wichtige“ Aufgaben eher von „Männern“ erledigt werden. Doch auch bei Frauen in Führungspositionen lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Oft erfüllen diese eher „männliche“ Stereotypen: „engagiert“, „redegewandt“, „durchsetzungsstark“. Offensichtlich sind viele (u.a. linke) Herrschaftsstrukturen zwar für Frauen offen, aber nicht für Menschen, die nicht über die in einer auf Leistung beruhenden Ellenbogengesellschaft gewünschten Eigenschaften verfügen.
Reproduktion im emanzipatorischen Umfeld
Eine außerdem viel zu oft unterschätzte Problematik in Bezug auf Sexismus in emanzipatorischen Zusammenhängen spielt sich im zwischenmenschlichen Bereich ab. Da diese gesellschaftlichen Subräume keine gesellschaftlichen Inseln sind, und die sich in diesen Zusammenhängen bewegenden Individuen ihre Sozialisation fast alle in einem wie selbstverständlich sexistisch agierendem Umfeld erlebt haben, reproduziert sich dies auch in den Verhaltensweisen in einem sich als emanzipatorisch verstehenden Umfeld. Dies geht von geschlechterspezifischen Diskriminierungen in Diskussionen über die Aufgabenverteilung in Projekten, bis hin zu sexistischen Macho-Attitüden, sexistischen Übergriffen und Vergewaltigungen, die leider „selbstverständlich“ auch in antagonistischen Zusammenhängen vorkommen. Darin zeigt sich, dass Emanzipation ein Prozess der Auseinandersetzung ist, der sehr vielschichtig sein muss, und einer ständigen kritischen Reflexion bedarf. Dieser Prozess ist noch ganz am Anfang, und kann oft nur eine Annäherung an Herrschaftsfreiheit sein, die ständig neu erkämpft werden muss.
Gemeinsame Gegenwehr
Das bedeutet, dass es nicht die eine perfekte Lösung gibt. Vielmehr kann versucht werden, über verschiedene Verhaltensweisen und Auseinandersetzungen sexistische Verhaltensweisen zurückzudrängen. Ein erster Schritt dazu kann die eigene Sensibilisierung für sexistische Übergriffe auch gegenüber anderen sein. Daraus kann sich eine Praxis des Eingreifens zur Beendigung von Übergriffen entwickeln. Hierfür gibt es jedoch auch keine festen Regeln oder Mechanismen, da die Schwelle, ab welcher Verhaltensweisen als Grenzüberschreitung empfunden werden, bei jeder Person unterschiedlich sind, und Sensibilität für Menschen und Situationen erfordern. Deshalb ist es langfristig notwendig, in Zusammenhängen mit einem irgendwie emanzipatorischen Selbstverständnis ein Auseinandersetzungsklima zu schaffen, in dem die beteiligten Menschen in der Lage sind, über Verletzungen, Diskriminierungen und Traumatisierungen miteinander zu sprechen, um gemeinsame Umgangsformen und Möglichkeiten der Gegenwehr zu entwickeln.
Konkrete Hilfe
Konzepte zur Zurückdrängung von Sexismus in Gesellschaften müssen zum einem die Erhöhung der „Selbstverteidigungsfähigkeit“ von potentiell Betroffenen beinhalten. Dies kann durch Aufklärung über Grenzüberschreitungen, sexistische Übergriffe, Vergewaltigungen und die Entstehung und Wirkungsweise von Traumatisierungen gelingen. Gleichzeitig muss durch eine End-Tabuisierung des Themas ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden. Dies kann dazu führen, dass es Betroffenen leichter fällt die Geschehnisse zu verarbeiten (was hoffentlich Verdrängung und Traumatisierung erschwert) und es einfacher gelingt, bei anderen Menschen Hilfe und Unterstützung zu finden.
(Dieser Text basiert zu weiten Teilen auf dem Text "Wer putzt dein Klo?" In: Herrschaftskritik. Analysen. Aktionen. Alternativen. Reiskirchen 2010. S. 24-28.).
Mehr Infos:
Mehr politische Theorie praktisch erklärt:
http://maqui.blogsport.eu/theoretisches-praktisch/
Gender-Trouble-Ausstellung auf dem Klo:
http://maqui.blogsport.eu/2015/11/06/berlin-humbolt-uni-gender-trouble-ausstellung-auf-den-klos/
Rezension: Andrea Truman: Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus:
http://maqui.blogsport.eu/2015/08/24/rezension-andrea-truman-feministische-theorie-frauenbewegung-und-weibliche-subjektbildung-im-spaetkapitalismus/
Rezension: Voß, Hans-Jürgen: Geschlecht. Wider die Natürlichkeit:
http://maqui.blogsport.eu/2015/06/18/rezension-voss-hans-juergen-geschlecht-wider-die-natuerlichkeit/
Kritik an Kritik
Die Werbung zeigt lediglich zwei Menschen die in "Frische" verliebt sind. Auch ich liebe frische Salatköpfe, die esse ich lieber als zu früh geerntete und in Plastik verpackte Blätterklumpen.
Es sei zu kritisieren, dass er* seinen* Arm um sie* legt, aber das machen Menschen unabhänig von Gender und Begierde und liegt hier daran, dass sie die Ernte trägt.
Andererseits erntet sie* wohl den 'natürlichen' Salat und arbeitet mit Nahrungsmitteln, und er* macht lieber Bilder mit der 'Technik'. Da könnte eine Bildanalyse ansetzen. Aber wer sagt denn, dass die beiden ein hetero Paar sind. Wenn Kritik so pauschal und verblöded daher kommt, dann könnt ihr euch diese Kritik an Heteronormativität auch schenken. Die nehme ich als Hetero*mann* dann nämlich nicht ernst, da mache ich lieber meiner Freundin nen Salat, wenn sie gleich von der Arbeit kommt!
gogogo
Puh ist der Text schlecht. Die negativen Seiten des Normierungsprozesses, die für euch unmittelbar mit den Geschlechterrollen zusammenhängen, tauchen euch zufolge "oft" auf. Dies und das ist "oft" der Fall. Wenn das also "oft" der Fall ist, dann ist es gar nicht immer der Fall. Es hängt demnach gar nocht so zwangsläufig mit den Geschlechterrollen zusammen, sondern noch mit irgendwas anderem, sonst wäre es ja bei den Geschlechterrollen "immer" der Fall. Aber mit was?
Ich habe den Eindruck, dass ihr zwische Ursache und Folge gar nicht unterscheiden könnt. Und wie die Leute leben und lieben, ob Rollenkonform oder nicht, dass muss man den Leuten wol selber überlassen, nicht wahr? Oder wollt ihr das nun selber irgendwie normieren, dass es "so" ok ist und "so" dann wieder nicht, weswegen ihr dann interveniert? Ich hoffe bloß, dass ihr mich in Ruhe lasst.
Arbeitsbedingungen
EIn naheligender Zugang zur Kritk des Bildes sind auch die Widersprüche zwischen dargestellter STitaution und realer Arbeitsbedingung in der europäischen Landwirtschaft. Themen wie Arbeitsmigration und damit verbundenen Ausbeutung wären ggf griffiger für dieses Bild als und lassen (leider) auch genug Raum für eine Analyse mit einem feministischen Fokus. Sprich Wer muss unter welchen Umständen eigentlich für das ganze Essen im Supermakrt schuften. WIe werden Frauen im Sinner der mehrfachdiskrimmnierung in diesem System ausgenutzt und wer wird für diese dämlichen Werbefotos angefragt und bezahlt.
wenn es denn so einfach wäre
einfach mal lesen, darber nachdenken und verstehen:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/178329
mein klo putzt übringens mein mitbewohner(männlich)
Auzug:
.......Geschlechter‘ bestehen in kulturwissenschaftlicher Sicht nicht bloß aus ein paar durch körperliche Tatsachen begrenzten Sozialisationseinflüssen, sondern aus einer historisch trägen Gemengelage aus Klassifikationspraktiken, kognitiven Schemata, sprachlichen Kategorien, Verhaltensgewohnheiten, Stereotypen, institutioneller Trägheit, Machtinteressen und diversen sich verstärkenden oder abschwächenden Bedingungskonstellationen. Wegen dieser Vielschichtigkeit ist diese soziale Konstruktion eine recht stabile Realität. Biologen können dem nur die Behauptung hinzufügen, dass dies auch notwendig und ewig so sein müsse. Dies ist für die Gender Studies nicht mehr als ein Datum, denn sie rekonstruieren auch biologische Forschungsergebnisse und Konzepte – nicht im Sinne von politisierender Wissenschaftskritik, sondern von empirischer Wissenschaftsforschung, die den Wandel biologischen Wissens begleitet und die Reflexivität dieser Fächer beträchtlich steigern kann.
Gender als rhetorischer Lack
Neben diesem präzisen Sinn von Gender Studies wird das Etikett aber auch noch anders verwendet: Zum einen ist ‚Gender‘ ein dünner rhetorischer Lack auf einer traditionellen Frauenforschung, die sich als feministische Gegenwissenschaft versteht. Sie ist im Wesentlichen Geschlechterforschung geblieben, die in der Feststellung sozialer Ungleichheit ihr Zentralthema hat. Zum anderen verschleift sich das Label ‚Gender‘ in einem politischen Etikettenschwindel: Auf der einen Seite tarnen sich mit ihm verzweifelte hochschulpolitische Versuche, hartnäckige Männerdomänen in bestimmten Fächern mit ‚Frauenprofessuren‘ aufzubrechen; auf der anderen Seite macht das sog. ‚Gender Mainstreaming‘ von Bürokratien die analytischen Gewinne des Konzeptes zunichte, indem es Personen unausgesetzt mit der Geschlechterunterscheidung beobachtet und ‚gendert’, ohne zu reflektieren, dass dies das Geschlecht beständig reproduziert, obwohl es doch einmal erklärtes Ziel dieser Politik war, dessen soziale Relevanz abzubauen. In dieser traurigen Gestalt ist der Feminismus zu einer Staatsmacht geworden, die sich gebärdet wie eine Guerilla im Kampf gegen einen übermächtigen Klassenfeind.
Das Konzept ‚Gender‘ ist in der öffentlichen Wahrnehmung auf diese Weise heillos mit feministischer Politik und bürokratischer Frauenförderung verquickt worden. Für eine Naturwissenschaftlerin ist diese Politisierung schwer verständlich. Aber alle Sozial- und Kulturwissenschaften haben es schwerer, sich von gesellschaftlich aufgedrängten Problemen und politisch verlangten ‚Lösungen‘ zu distanzieren. Ihnen stellen sich Herausforderungen der Professionalisierung, von denen Wissenschaften hinter Labormauern keine Vorstellung haben.
So war auch die Politisierung der Geschlechterfrage lange die wichtigste Triebkraft zur Institutionalisierung der feministischen Geschlechterforschung. Inzwischen ist sie das größte Hemmnis ihrer intellektuellen Entfaltung. Trotz aller Akademisierung ist sie immer noch politisch gerahmt: in der Positionierung als kritische Gegenwissenschaft, in der Vereinnahmung durch Ministerien und soziale Bewegungen, in der Handlungsorientierung des Wissens und in der Rekrutierung ihres Personals. Sie folgt noch immer der Logik einer sozialen Bewegung: Sie fasst das Forschungspersonal in Termini politischer Repräsentation auf und fraktioniert Frauen, Männer und Queers. Und sie lässt sich als Vehikel der Frauenförderung verzwecken, um auf diese verquere Weise einen Teil der Karrierehemmnisse für Frauen an Universitäten aus dem Weg zu räumen.
Die feministische Geschlechterforschung ist so zu einer gendered science geworden. Sie sieht genauso aus wie die Wissenschaft, die sie so vehement als androzentrisch kritisiert hat. Einen solch hohen Grad homosozialer Verdichtung und Schließung gibt es in keinem anderen Forschungsgebiet. Und die Geschlechterforschung steckt eben deshalb so tief in den Unterscheidungsroutinen der Gesellschaft, die sie kritisiert, weil sie sich durch ein besseres, kritisches Bewusstsein von diesen Routinen ausgenommen sieht. Es ist eine einzige Peinlichkeit, dass der Feminismus, der das Gendering von Wissensprozessen mit guten Gründen kritisierte, selbst nicht in der Lage war, Wissensprozesse unter Absehung von Geschlecht zu organisieren.
Dies hat intellektuelle Folgen: Leicht erkennbar ist eine politisch selektive Themenwahl der Forschung. Maximale Sensibilität gibt es – verständlicherweise – für Aufstiegshemmnisse von Frauen und persistente soziale Ungleichheiten; völlig unterforscht bleiben dagegen kulturelle Aspekte des Geschlechterverhältnisses (etwa politisch inkorrekte Attraktivitätsnormen oder lebensweltliche Biologismen) sowie die vorhandenen Benachteiligungen von Jungen und Männern. Sie wurden den – verständlichen – Ressentiments von Männerrechtlern überlassen.
Ein weiterer, viel schwerer zu überwindender Bias der Geschlechterforschung liegt in der systematischen Überschätzung der Relevanz, die die Geschlechterunterscheidung für moderne Gesellschaften hat. Wir leben nicht mehr in einer Genusgesellschaft, die alle Tätigkeiten und Positionen mit geschlechtlichem Sinn versieht, sondern in einer Gesellschaft, die zwar in bestimmten Feldern noch hartnäckig nach Geschlecht unterscheidet, es in vielen Feldern aber erfolgreich vermeidet. Es gibt eine längst realisierte Geschlechtsblindheit der modernen Gesellschaft, deren Bedeutung eine ‚Geschlechterforschung‘ auch deshalb unterschätzt, weil sie fast nur von Frauen betrieben wird. Denn wir strukturieren unsere Weltwahrnehmung nach unserer Selbstwahrnehmung. Die von Frauen wird aber kulturell ungleich stärker als die von Männern darauf verpflichtet, die Geschlechtszugehörigkeit überhaupt für einen hochrangigen Umstand ihres Lebens zu halten. Die Geschlechterforschung wird daher von Personal durchgeführt, auf das die Gesellschaft das Geschlecht projizierte. Vor allem dieser Bias bestimmt ihre Wissensproduktion. Und auch die Überzeugung, das Geschlecht sei eine weibliche Eigenschaft, ist ein wissensgeschichtliches Erbe des 19. Jahrhunderts. Die Frauenforschung hält in ihrer Sozialorganisation emphatisch an diesem Erbe fest: Das Geschlecht sind die Frauen. Es ist ihre Zuständigkeit und sie sind die kulturellen Stammhalter dieses Erbes.
Der Feminismus wird in der Geschlechterforschung von vielen immer noch als Name einer Art politischer Partei aufgefasst – eine geschlossene Wagenburg – anstatt als das viele (auch den Autor dieser Zeilen) prägende Generationenprojekt, das er war. Der Kern des feministischen Bekenntnisses liegt in einer großen, stillen Hoffnung: das Böse in der Welt in einem Geschlecht verorten zu können und insofern selbst ‚das andere‘ zu bleiben. Der Feminismus bleibt damit der Geschlechterunterscheidung so verpflichtet wie der Atheismus der Religion. Er kann sie nur gebrauchen, repräsentieren und wütend kritisieren, aber nicht beobachten wie die Gender Studies das tun, um einen Fall von Humankategorisierung zu verstehen. Dafür braucht es (1) ein anderes Rollenverständnis und (2) eine andere Organisation der Forschung.
Ein anderes Rollenverständnis
1. Die Forschung über Frauen, Männer und Queers muss ihren tradierten politischen Separatismus endlich überwinden und auf dem Weg einer professionellen Distanzierung ihre angestammten Loyalitäten gegenüber sozialen Bewegungen in den Griff kriegen. Gefragt sind nüchterne Bestandsaufnahmen ungleicher Chancen in der Konkurrenz der ‚Geschlechter‘, Explorationen der Vielfalt neuer, posttraditionaler Lebensstile, luzide Analysen der Paradoxien im Geschlechterverhältnis, und kaltblütige Bilanzierungen der historischen Gleichzeitigkeit des politisch Ungleichzeitigen – von archaischen Gewaltakten gegen Frauen über die Irrelevanz von Geschlecht bis zur Benachteiligung von Männern. Wer diesen Nerv nicht hat, sollte nicht über Geschlechter forschen. Wer ihn hat, könnte das Motto variieren, das Hans-Joachim Friedrichs einmal für die Rollendifferenzierung des Journalisten vom politisch denkenden Bürger prägte: „Eine gute Gender Forscherin erkennt man daran, dass sie sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.”
Eine ebenfalls quasi-journalistische Aufgabe liegt in einer anderen Darstellung der Geschlechterforschung in der Öffentlichkeit. Sie fällt auch hier eher durch politischen Lärm auf. Da treten Professorinnen, die sich in ihrem besseren politischen Bewusstsein eingebunkert haben, zum Vergnügen der Massenmedien in eine traurige Gesellschaft von revanchistischen Männern und Comedians, die ausrangierte Sexismen pflegen – ein unerquickliches Schlammcatchen ewig Gestriger gegen ewig Vorgestrige. Anstelle eines subkulturellen Jargons voller Kampfvokabeln, der auf exklusive Gruppenbildung zielt, braucht es eine Kommunikationsstrategie, die Verantwortung für den Denkstil des je eigenen Faches übernimmt und auf diese Weise öffentlich verstehbar den nostalgischen Biologismen unserer Gesellschaft entgegentritt. Eine ‚Gegenwissenschaft‘ kann das nicht, sondern nur ein Fach, das seine Zuständigkeit gegenüber der Gesellschaft wahrnimmt.
Eine andere Forschungsorganisation
2. Neben einem veränderten Rollenverständnis braucht es eine Öffnung des disziplinären Horizonts. Vor allem die Gender Studies (im engeren Sinne) stehen hier vor zwei Erweiterungen: a) eine Überführung der Lektionen und Gegenstände der Geschlechtsdifferenzierungsforschung in den Kanon ihrer jeweiligen Fächer, also etwa der Allgemeinen Geschichte, Allgemeinen Soziologie usw. Dieser Prozess hat längst begonnen (vor allem in der Geschichts- und Literaturwissenschaft) und macht dem thematischen Separatismus ein Ende. b) Eine Überführung der Gender Studies in eine erweiterte transdisziplinäre Differenzierungsforschung, die die Unterscheidung der Menschen nach Geschlecht nur mehr als einen interessanten Fall unter anderen untersucht. So braucht es auch einen Ausstieg aus den Gender Studies, um die Fragen der Kreuzung von Gender mit ähnlich politisierten Unterscheidungen – etwa Rasse, Ethnizität und Religion – nicht in eine fruchtlose ‚oppression olympics‘ münden zu lassen, sondern ohne gender bias zu analysieren.
Die Gender Studies sind jenes kulturwissenschaftliche Unternehmen, das den praktischen Vollzug der Geschlechterdifferenz in der Gesellschaft beobachtet: ihren historischen Auf- und Abbau, ihre hartnäckigen Rekonstruktionen, ihre Wandlungs- und Verfallsprozesse, paradoxen Wendungen und ihre widersprüchliche Selbstabwicklung. Vor unseren Augen werden alte soziale Kategorien dekomponiert: die ‚Homosexualität‘ löst sich in geschlechtsgleiche Intimbeziehungen auf, die ‚Mutter‘ wird durch die Reproduktionsmedizin in verschiedene Figuren aufgespalten, der ‚Mann‘ verliert sich in Rollen (wie Ernährer, Beschützer, Kämpfer usw.), die allesamt auch Frauen einnehmen können. Die Männer werden dabei weiter Macht abgeben müssen. Aber auch den Frauen wird das passieren: bei der Mutterschaft etwa, deren millimeterweise Abtretung auch ihnen Ersetzbarkeitskränkungen beschert; und bei der Moralität: Erfolgreiche Frauen werden die einst unbescholtene ‚Weiblichkeit‘ weiter desavouieren und die alte Hoffnung des Feminismus zersetzen. Und das ist gut so.
Postscriptum
P.S.: Ein Text wie dieser wird zwangsläufig hineingesogen in die Stimmungen und Strömungen, in denen er sich artikuliert: der eingeübten Indifferenz der meisten, bei einem immergleichen Thema auf taub zu stellen, dem verdrucksten Schweigen der politisch Gutwilligen, die schon lange ahnen, dass etwas schief läuft, dem revanchistischen Lauern von Maskulisten auf schlagkräftige Argumente und der misstrauischen Hermeneutik der Insassinnen der Wagenburg, die den Autor schon an seiner vermeintlichen Geschlechtszugehörigkeit als potenziellen Frauenfeind verbuchten. Ach Schwestern! Es gibt ein postnormatives Denken nach dem Feminismus: klar, heiter, kritisch, theoretisch innovativ und empirisch lernfähig. Sein einziger Nachteil: Es weiß nicht immer sofort, wer der Täter war.
immer diese männer!
- dies trifft also auch männer? also geht es umgangsprachlich ausgedrückt eher darum wer sich zu wort meldet, oder halt vorlaut ist? krasse erkenntnis mensch!
keine ahnung was bei "emanzipatorischen camps" so standard ist und wer was macht. das letzte mal war ich auf einem ökologischen jugendfreizeit-camp vor 15 jahren und dort wurde die arbeit ganz klar eingeteilt. jede/r musste mal kochen,einkaufen, abwaschen etc. waren die grünen ökos etwa weiter als irgendwelche "emanzipatorischen camps" und wenn ja; warum legt man sowas nicht einfach fest? genauso lief es übrigens später bei meiner konzertgruppe völlig unproblematisch mit der arbeitsteilung, wobei ich zugeben muss das ich als mann lieber koche und schnipple als mich um die technik zu kümmern und aufzuräumen. ich finde es mitunter relativ seltsam das ich einige männer kenne die echt wahnsinnig gerne menschen bekochen und frauen die sich von diesen bekochen lassen, es aber bei sich selbst als dekradierend empfinden. ausserdem: was sind "wichtige" aufgaben bei einem camp? ich habe echt keine ahnung, erklärt es mir?
oder aber, ellenbogen sind gar keine männlichen körperteile und auch keine brauchbare metapher für männliche eigenschaften, sondern einfach nur das optimierte körperteil was im kapitalismus benötigt wird um karriere zu machen und die frauen die diese ellenbogen einsetzen wurden gar nicht von der bösen männerwelt dazu verführt und verdreht, sondern sind immernoch frauen die einfach das machen was man halt tut um spitzenpositionen auf dem arbeitsmarkt zu erreichen.