Arbeit, Würde, Gerechtigkeit - Die Revolte in Tunesien weitet sich aus

Die Revolte in Tunesien weitet sich aus.
Die Proteste und Unruhen in Tunesien gehen mittlerweile in den vierten Tag und weiten sich aus. Fast genau auf den Tag fünf Jahre, nachdem der tunesische Diktator Zine el-Abidine Ben Ali aufgrund landesweiter Proteste und Unruhen nach Saudi Arabien fliehen musste, begannen die Unruhen im zentraltunesischen Kassarine. Auslöser war der Tod des 28jährigen Ridha Yahyaoui, der sich das Leben nahm, indem er auf den Mast einer Hochspannungsleitung kletterte und sich gezielt der tödlichen Hochspannung aussetzte.
Ridha Yahyaoui war wie viele in der Region seit längerem arbeitslos und seine Bewerbung um einen Job im öffentlichen Sektor, der für viele in der Region die einzige Möglichkeit darstellt, Geld zu verdienen, war kürzlich abgelehnt worden. Kassarine liegt nur um die hundert Kilometer von Sidi Bouzid entfernt, jenem Ort in dem sich im Dezember 2010 Mohamed Bouazizi das Leben nahm, weil er für sich ebenfalls keine Perspektive mehr sah. Der Tod von Mohamed Bouazini war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und trat die Revolten und Aufstände los, die das Gesicht der Region nachhaltig verändert haben.
Kassarine war schon während der Unruhen im Winter 2010/2011 eines der Zentren der Rebellion, eingebrannt in das Gedächnis der Einwohner der Stadt hat sich das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Januar 2011, als dutzende Demonstranten u.a. durch Heckenschützen massakriert wurden. Mittlerweile werden hier laut Berichten von tunesischen Medien auch Armeeeinheiten eingesetzt, da die Bullen die Lage trotz nächtlicher Ausgangsssperre alleine nicht in den Griff bekommen. Und dies, obwohl so massiv Gummigeschosse und Reizgas, sowie auch Wasserwerfer eingesetzt werden, dass in den örtlichen Krankenhäsern hunderte von Verletzten versorgt werden müssen. Nach wie vor halten Demonstranten auch das HQ des Gouverneurs in Kassarine besetzt, von der Regierung in Tunis verlangen sie verbindliche Zusagen über Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Region, sowie eine Untersuchung der Gewalt der Sicherheitskräfte. Nachdem das Büro der regierenden Nidaa Tounes Partei in Kassarine nidergebrannt wurde und ein Bulle bei den Kämpfen ums Leben kam, hat die Regierung Zusagen über die Schaffung von 5000 Arbeitsplätzen in der Region gemacht.
Doch dieser Versuch der Befriedung der Situation scheint nicht zu greifen. Nachdem in den letzten Tagen aus mehren Städten Demonstrationen und begrenzte Auseinandersetzungen berichtet wurden, so u.a. aus Tunis, wo mehrere hundert Menschen auf der geschichtsträchtigen Habib Burgiba in Solidarität mit den Menschen in Kassarine demonstriert haben, melden tunesische Medien heute Zusammenstösse u.a. aus Medenine, Gafsa, Jendouba, Beja, Tunis, Tozeur and Gabes. Sie berichten von zunehmenden Teilnehmerzahlen an den Aktionen. Auch in Sidi Bouzid kommt es heute zu Demos und Zusammenstössen. Die Protestierenden verlangen von der Regierung, dass sie konkrete Maßnahmen wie in Kassarine ergreift, um an der katastrophalen wirtschaftlichen Situation etwas zu ändern.
Während Tunesien in den Berichten der westlichen Medien zum fünften Jahrestages des Beginns des "Arabischen Frühlings" als "demokratische Ausnahmeentwicklung" gefeiert wurde, sind die ökonomischen Verhältnisse, besonders im Landesinnnern, katastrophaler als zu Zeiten der Ben Ali Diktatur. Die (offizielle) Arbeitslosenquote liegt in der Region bei 30 %, die Arbeitslosigkeit bei den unter 25jährigen noch weit darüber. Ein Sprecher des Innenministeriums betonte heute das "Recht auf friedlichen Protest", machte jedoch zeitgleich radikale Islamisten für die militanten Auseinandersetzung verantwortlich. Wenn die derzeitige Dynamik anhält, wird es der Regierung nicht gelingen, diese soziale Revolte mit derartigen billigem Denunzieren in den Griff zu bekommen.
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