Leipzig im Widerstand gegen „NS Area“ und Polizei

Ein sichtlich angeschlagener Christian Worch (Bundesvorsitzender „Die Rechte“)

Als Anfang November klar wurde, dass gleich drei rechtsradikale Demonstrationen im Süden Leipzigs angemeldet wurden, überschlug sich die Presselandschaft. Leipzig-Connewitz ist bundesweit als linker und alternativer Stadtteil bekannt. Dass dort „Thügida“, „Offensive für Deutschland“ und das neonazistische Sammelbecken von ehemaligen Mitgliedern aus freien Kameradschaften „Die Rechte“ aufmarschieren wollten, war selbstverständlich kein Zufall. Die Neonazis wollten ein Zeichen setzen, in dem sie nicht nur in der „roten Hochburg“ aufmarschieren, sondern auch eine beachtliche Aufmerksamkeit erzielten. Der vergangene Samstag hat gezeigt, dass ihr Vorhaben gänzlich gescheitert ist, denn unter der hermetischen Abriegelung der Südvorstadt und im Schutz von hunderten Polizist_innen 600 Meter durch einen Teil des Leipziger Südens zu laufen, ist kein Kunststück. Im Gegenteil hat Sachsens Polizei im vergangenen Jahr bewiesen, wo viele sie bereits vermutet hatten: Am rechten Rand.

 

Die drei Organisationen planten zunächst einen „Sternmarsch“. Dies ist eine spezielle Form einer Demonstration, bei der Aufzüge aus verschiedenen Richtungen auf einen gemeinsamen Abschlusspunkt zu laufen. An drei verschiedenen Startpunkten in der Südvorstadt wollten die Nazis demonstrieren, um sich dann vor der HTWK Leipzig zu treffen. Insgesamt angemeldet wurden im Vorfeld 1150 Nazis. Am Mittwoch, dem 9. Dezember 2015, verfügte die Versammlungsbehörde neue Routen für die rechten Demonstrationen. Dagegen zogen sowohl Silvio Rösler, als auch David Köckert vor Gericht und kündigten an, bis in die letzte Instanz gehen zu wollen. Am Freitag, 11. Dezember 2015 ergab sich in einem Kooperationsgespräch eine andere Lösung bei der alle drei Demonstrationen zusammen gelegt wurden und über die Kurt-Eisner-Straße bis zur Arthur-Hoffmann-Straße Ecke Arndtstraße ziehen sollten. Dementsprechend wurden auch die Gegenkundgebungen an andere Orte in Hör- und Sichtweite verlegt.

 

Die antifaschistische Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch lief bereits im November auf Hochtouren und wurde von einigen Aktionen begleitet. Dabei wurde teilweise zu reaktionären Mitteln gegriffen. Die Reproduktion von Männlichkeitsidealen, in diesem Fall ging es um die Penisgröße, sollten der Vergangenheit angehören. Ob Alexander Kurth das registriert hat und sich ärgert, wird sein Geheimnis bleiben. Was jedoch außer Frage steht ist, dass Sexismus gegen Rechts weder emanzipatorisch noch radikal ist. Nach wie vor gilt: Die Überwindung von Kapitalismus, Patriarchat und Ausbeutung, sowie der Kampf gegen rechte Strukturen sollte sich nicht an dem bedienen, das wir selbst versuchen zu bekämpfen. Positiv hervor zu heben ist die Vorabenddemo am Freitag, dem 11. Dezember 2015, an der ca. 1000 Antifaschist_innen teilnahmen, um sich auf den Folgetag einzustimmen und zu verdeutlichen, dass Nazis und Diskriminierung im Leipziger Süden nicht erwünscht sind.

 

Am Samstag, 12. Dezember 2015 starteten viele Antifaschist_innen und Gegendemonstrant_innen früh in den Tag und waren dabei ab morgens diversen Polizeikontrollen ausgesetzt. Um 11 Uhr begann die erste Kundgebung von „the future is unwritten“ unter dem Titel: „Nieder mit dem Ba’ath-Regime in Syrien! – Gegen den Naziaufmarsch in Connewitz!“. Damit bezog sich die Gruppe explizit auf die Titel der rechtsradikalen Demonstrationen und verfasste in einem Aufruf eine kurze antinationale Analyse auf die Verhältnisse in Syrien bezüglich der kurdischen Verteidigungskämpfe und der Opposition gegenüber Assad und dem „Islamischen Staat“. Thematisiert wurde ebenfalls warum Parteien wie „Die Rechte“ Solidarität mit Assad zeigen und welche politischen Positionen sie gemein haben.

 

Außerdem hatte auch das Bündnis „Leipzig nimmt Platz“, bestehend aus diversen Parteien und Initiativen, zu Protesten aufgerufen. Das Verhältnis von radikal linken Kräften zu dem Bündnis, in dem auch jene vertreten sind, die die rassistische Gesetzgebung zugelassen und gefördert haben, scheint relativ solide. Dennoch ist die stetige Verurteilung und Entsolidarisierung von radikalen und militanten Antifaschist_innen, also den Mitstreiter_innen kein akzeptabler Zustand.

 

Die Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt in einem linken Bündnis zeigt wie tief die Extremismustheorie in der Mehrheitsgesellschaft verankert ist. Dabei stehen vor allem Parteien wie „Die Linke“ doch teilweise weiter rechts, als sie sich selbst sehen. Denn in Sachen Querfront-Bildung ist „Die Linke“ sehr weit vorn dabei. Die Überschneidungen zu rechtsradikalen Inhalten und Zielen, zu antisemitischen und antiamerikanischen Stereotypen und Aufmärschen sind tendenziell steigend.

 

Die strukturelle Gewalt, über die das Bündnis selten spricht, der fehlende Druck auf Bündnispartner_innen wie z. B. auf „Bündnis 90/Die Grünen“ und die Abhängigkeit in die sich viele Antifaschist_innen selbst begeben, erschwert es den Druck zu erhöhen. Die Leidtragenden sind nicht jene die rassistische Gesetzgebungen durch die Parlamente jagen, sondern Geflüchtete und Migrant_innen. Die Querfrontbildung durch den grassierenden Antisemitismus bzw. Antiamerikanismus spielt ebenfalls nur denen in die Karten, die ohnehin mit faschistischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt ihre Ziele erreichen wollen.

 

Hier liegt auch der Unterschied zwischen rechter und linker Militanz. Die eine richtet sich gegen all das was Neonazis als nicht-deutsch markieren, also Jüd_innen, Migrant_innen, Emanzipation, Homosexuelle, Trans- und Intergender. Es ist der Angriff auf alles, was nicht in die Logik von Staat, Nation und Kapital integrierbar ist. Es ist der Anspruch auf Macht, Führung und Herrschaft durch Ausgrenzung, Unterdrückung und Ausbeutung auf Kosten von Minderheiten, der von rechts propagiert und mit Gewalt umgesetzt wird.

 

Dagegen stellen sich diejenigen, die für eine befreite Gesellschaft eintreten und kämpfen. Es sind vor allem die, die mehrfach von Ausbeutungsverhältnissen und Diskriminierung betroffen sind, aber auch jene, die eben diese erkannt haben und sich solidarisch erklären. Die Radikalität misst sich nicht daran, wer wie viele Steine wirft, sondern am Inhalt, der Reflexion und der Kritik an einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft. Dabei ist militanter Widerstand dagegen eben das, was Faschismus, Kapitalismus, Nation und Staat am meisten bedroht.

 

Die Debatte und Diskussion über Militanz und die einzusetzenden Mittel muss selbstverständlich stetig geführt und weiterentwickelt werden, aber unsere Solidarität darf nicht darunter leiden. Sie muss ungebrochen sein, mit all jenen die für eine befreite Gesellschaft kämpfen, ob mit oder ohne militanten Mitteln. Hier wird klar wie grundsätzlich unterschiedlich die politischen Ziele sind und warum Widerstand gegen eine totalitäre Ordnung, gegen Faschismus und Diskriminierung niemals mit rechter Gewalt gleichgesetzt werden kann.

 

Am 12. Dezember war in der Leipziger Südvorstadt all das Beschriebene wieder hautnah zu erleben. Ob es damit begann wie willkürlich Antifaschist_innen kontrolliert, schikaniert, bedroht, angegriffen und verprügelt wurden oder mit der strukturellen Gewalt, die die Neonazis alleine durch ihre Fahnen, Forderungen und Parolen deutlicher nicht hätten zeigen können. Bereits um 12 Uhr trafen rund 100 Neonazis, bestehend aus Mitgliedern der Partei „Die Rechte“ aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und dem Kreis Magdeburg/Jerichower Land, der Brigade Bitterfeld und der Brigade Halle ein.

 

Jede_r musste eine Kontrolle durch die Polizei über sich ergehen lassen. Währenddessen versuchten Gegendemonstrant_innen neben den Gleisen des S-Bahnhofs „MDR“ auf die Route der Nazis zu gelangen. Die Polizei wusste dies zu verhindern und durchsuchte das gesamte Gebiet. Die Kontrollen zogen sich über zwei Stunden, bis letztendlich ca. 150 Neonazis am Auftaktort, der Kurt-Eisner-Straße, standen. Angemeldet hatten die Organisationen rund 1000 Menschen mehr, dennoch wussten sie sich zu inszenieren und skandierten: „Connewitz – wir sind da, eure Anti-Antifa!“.

 

Dass das nicht der Wahrheit entsprach, dürften sie, nach den Kooperationsgesprächen mit der Versammlungsbehörde, gewusst haben. Kurz vor der Auftaktkundgebung, blockierten rund 50 Menschen auf der Arthur-Hoffmann-Straße die Route. Angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge, der Sicherung durch Wasserwerfer, Räumpanzer, BFE Einheiten, sowie Hundertschaften der Bundes- und Landespolizei, auch aus NRW, eine äußerst gelungene Aktion. Leider wurde die Blockade relativ zügig geräumt und war etwas zu früh dran, da die Nazis erst um ca. 14:45 Uhr diesen Teil der Route erreichten.

 

Die Demonstration der Neonazis, die auch von „freie Kameradschaft Dresden“ und „Europäische Aktion“ unterstützt wurde, begann kurz nach 14 Uhr und startete mit musikalischen Beiträgen von Annett Müller, ehemalige NPD-Kandidatin in Niedersachsen und bekannte „Liedermacherin“ in der extremen Rechten. Silvio Rösler (Orga OfD, ehemals Orga-LEgIdA) fungierte offenbar als Anmelder der zusammengelegten Demonstrationen, während David Köckert (NPD-Mitglied im Stadtrat Greiz, ThügIdA) ihn in der Versammlungsleitung unterstützte. Zudem wurden die umfassenden Auflagen verlesen, vor dem Start des Aufzuges sprachen noch Silvio Rösler und Anne Zimmermann (Wir lieben Sachsen, ThügIdA) zu den Teilnehmer_innen. Inhaltlich beschäftigten sich die Redebeiträge mit einem Angriff vom Mittwoch auf den Leipziger NPD-Vizechef Axel Radestock.

 

Nach dem Angriff sprach die NPD von „versuchtem Mord“ durch „Waffengewalt entweder mit einem Hammer oder Totschläger“. Dies veranlasste Anne Zimmermann bei ihrer Rede dazu von der „roten SA“ zu sprechen. Damit relativierte sie die zunächst paramilitärische Kampforganisation der NSDAP und später staatliche Organisation, die unter der SS (Sturmstaffel) stand und ebenfalls an der Vernichtung von über sechs Millionen Jüd_innen bzw. „Nicht-Deutschen“ beteiligt war.

 

Um 14:35 Uhr setzte sich die Demonstration mit Ansprachen von David Köckert in Bewegung, vorne weg bewegten sich Neonazis aus diversen Bundesländern von der Partei „Die Rechte“, darunter z. B. Michael Fischer, ein zentraler Akteur bei ThügIdA, Mitglied bei „Die Rechte“ in Thüringen und Hooligan bei „Kategorie Erfurt“, ebenfalls war er an zahlreichen Protesten gegen Unterkünfte für Geflüchtete in Thüringen beteiligt. Als Ordner_innen fungierten u. A. Romy Kurth, (Administratorin der Facebook-Seite „Die Rechte Sachsen“, NPD-Kandidatin für den Stadtrat Leipzig) und Cornelia „NS-Conny“ Reller. Mit von der Partie waren ebenfalls der rechte Vordenker und Bundesvorsitzende von „Die Rechte“ Christian Worch. Er schien auf einem gesundheitlich absteigenden Ast zu sein.

 

Zum Auftakt machten die Neonazis gleich ihre Forderungen klar: Im Stile der autonomen Nationalist_innen traten sie auf und skandierten „Nationaler Sozialismus – jetzt!“, „frei, sozial und national“, „Antifa Hurensöhne“ und „Hier marschiert der nationale Widerstand“. Voran gingen vor allem auch die offenbar erlebnisorientierten Gruppen wie „Brigade Halle“ und „Brigade Bitterfeld“, die auch schon beim ersten OfD-Aufmarsch am 26. September 2015 zahlreich vertreten waren und Auseinandersetzungen zu Antifaschist_innen suchten.

 

Nach wenigen Metern stoppte der Aufzug bereits und die Polizei bat darum, dass die Versammlungsteilnehmer_innen ihre Vermummung ablegen sollten. Das tat niemand, es gab daraufhin auch keine weiteren Maßnahmen und die Demonstration bewegte sich weiter. Auf der Kurt-Eisner-Straße gab es lauten Protest von den Anwohner_innen durch musikalische Beiträge, Fahnen und Transparente. Von links kamen durch einen Hinterhof diverse Gegendemonstrant_innen und versuchten den Aufmarsch militant zu stören, wurden jedoch von der Polizei mit Pfefferspray fern gehalten und mit einer mutwilligen Zerstörung eines Hauseingangs in den Hinterhof verfolgt.

 

Der Umzug der Neonazis näherte sich dann der Abbiegung zur Arthur-Hoffmann-Straße, wo ebenfalls durch eine Lokalität und Anwohner_innen lautstark Protest geäußert wurde. Kurzerhand stürmten noch einige Aktivist_innen aus einem Hauseingang und versuchten die Route zu blockieren, wurden aber von Polizist_innen sofort und brutal geräumt. Aus Seitenstraßen flogen für kurze Zeit auf der Arthur-Hoffmann-Straße einige Böller neben den Naziaufmarsch, was für eine kurze Verunsicherung sorgte.

 

Während des Aufmarsches kam es bekanntlich zu vielen, teils schweren, Auseinandersetzungen in der Südvorstadt zwischen Antifaschist_innen und der Polizei. Diese setzte laufend Wasserwerfer, Räumpanzer, sowie Tränengas und Pfefferspray ein. Ebenfalls wurde massiv körperliche Gewalt angewendet, wie am Beispiel eines schwer am Kopf verletzten Antifaschisten klar wurde. Sachsens Polizei berichtete von 60 verletzten Polizist_innen, dabei wird jedoch nicht erwähnt, wie diese verletzt wurden. Bisher ist bekannt, dass zahlreiche durch den Einsatz von Pfefferspray, aber auch durch das Tränengas verletzt wurden. Keine Angaben gab es hingegen zu Verletzungen von Gegendemonstrant_innen, obwohl es zahlreiche angemeldete Versammlungen gab, die selbstverständlich unter dem Schutz des Versammlungsgesetzes stehen, die örtlichen Polizist_innen jedoch nicht daran hinderten diese aus dem Nichts anzugreifen oder gar rechtswidrige Identitätsfeststellungen und Kontrollen durchzuführen.

 

Pünktlich um 15 Uhr erreichten die Faschist_innen den Platz ihrer Zwischenkundgebung, nach eigenen Angaben wurden die Faschist_innen gebeten ihre Demonstration dort nicht aufzulösen, sondern erst beim Startpunkt der Demonstration. Es ist zu bezweifeln, dass es sich dabei um eine spontane Lösung gehandelt hat, da es am Vortag weitere Kooperationsgespräche zwischen beiden Parteien gab. Zu den Neonazis sprachen im Verlauf Alexander Kurth (Landesvorsitzender „Die Rechte“ in Sachsen, ehemals Führungsfigur NPD Leipzig und „Kameradschaft Leipzig-Möckern“), der sich mit einer Nordkorea-Fahne geschmückt hatte und sich in seiner Rede inhaltlich mit autoritär-nationalistischen Regimen solidarisierte, so z. B. mit dem syrischen Ba’ath-Regime. Damit bezog er sich direkt auf den von seiner Partei herausgegebenen Titel für die Demonstration.

 

In etwa zum gleichen Zeitpunkt wurde Lothar König von Polizist_innen ins Gesicht geschlagen und inklusive seines Lautsprecherwagens mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs in Gewahrsam genommen. Bei König handelt es sich um einen Pfarrer aus Jena, der durch seine Aktivitäten bei Protesten gegen Naziaufmärsche bekannt geworden ist. König war bereits einmal Ziel einer Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs, in deren Zusammenhang sich herausstellte, dass die Polizei über 160 Stunden Videomaterial vorenthalten hatte. Diese trugen zur Entlastung des Pfarrers bei. Letztendlich wurde das Verfahren, trotz der Manipulationsversuche von Polizei und Staatsanwaltschaft, im November 2014 gegen eine Strafe von 3000 € eingestellt.

 

Weitere Reden hielten „Brigade Bitterfeld“ und der oben erwähnte Michael Fischer für den Landesverband Thüringen von „Die Rechte“. Diese bezogen sich auf vor allem auf den Stadtteil Connewitz bzw. die Südvorstadt und versuchten die dortigen Anwohner_innen von neonazistischer Propaganda zu überzeugen. Außerdem stand die „Systemkritik“ im Fokus, genauer gesagt also die Verbreitung von völkischem Antikapitalismus und damit Antisemitismus. Nach rund zwanzig Minuten, durch die Kundgebung fahrenden Wasserwerfern, laufenden Beamt_innen und der Wendung des Lautsprecherwagens begab sich die Demonstration zurück zum Auftaktort.

 

Dieses Mal jedoch deutlich langsamer, zeitweise pöbelten die Neonazis Antifaschist_innen an, die über die Seitenstraße ihren Protest äußerten. Sie blieben mehrfach stehen und wurden von der Polizei durch freundliche Ansagen wie „Gehen Sie bitte weiter in Richtung Bahnhof“ aufgefordert ihren Weg fortzusetzen. Dem kamen Sie mit ein wenig Verzögerung nach, Druck von den umstehenden Polizist_innen bzw. Maßnahmen zur Durchsetzung gab es dabei nicht. Erkennbar wurde außerdem, dass einige Neonazis ein bekanntes Motiv von antifaschistischen Gruppen mal wieder kopiert haben. Zu lesen ist auf den Aufnähern „NS Area“ in der gleichen Farbkombination wie es bei dem Original-Motiv „Antifa Area“ zu sehen ist.

 

Der Rückweg der Faschist_innen verlief etwas ruhiger, weiterhin waren sie jedoch stets vermummt, was die Polizei nicht dazu veranlasste zu reagieren. Auf der Kurt-Eisner-Straße gab es von den Anwohner_innen weiterhin Protest aus den Häusern. Die Neonazis waren weniger erfreut darüber, dass sie nur ca. 400 Meter tatsächlich ungestört hinter sich bringen konnten. Kurz vor dem Eintreffen am Auftaktort bedankte sich David Köckert noch bei dem Bündnispartner, der Polizei Sachsen, die „heute einen super Job gemacht haben“. Zu Wort kamen noch einmal Silvio Rösler und David Köckert, die sich über eine „Kriminalisierung von patriotischen Meinungen“ beklagten. Ebenfalls verdeutlichten Sie wie wichtig ihnen der Standort Leipzig ist als sie behaupteten: „Wenn Leipzig fällt, fällt das System“. Es dürfte klar sein, das dieser Satz insbesondere allen galt, die sie als „Nicht-Deutsch“ markieren und wahrnehmen.

 

Vor der Auflösung der Versammlung stimmten sich die Neonazis für die Abfahrt nach Hause oder wahlweise nach Eisenberg mit dem „Lied der Deutschen“ ein, also der Nationalhymne Deutschlands inkl. erster und zweiter Strophe.

 

Im Verlauf des Abends lieferte sich die Polizei weiterhin massive Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrant_innen, dabei kam es zu rund 20 Festnahmen. Die in Gewahrsam genommenen Antifaschist_innen wurden von einer spontanen Antirepressionskundgebung der Gruppe „the future is unwritten“ empfangen und versorgt. Während und in unmittelbarer Nähe der Kundgebung gab es noch zwei polizeiliche Maßnahmen bzw. Kessel von zwei Bezugsgruppen. Zunächst eine gegen 21 Uhr bei der drei Großraumfahrzeuge inkl. Insass_innen die Bezugsgruppe willkürlich kontrollierten. Der angebliche Grund waren offenbar zwei aus Weichholz bestehende kleine Fahnen. Über ca. 20 Minuten dauerte die Kontrolle an bei der auch ein Pressevertreter bedroht wurde, was ohnehin den ganzen Tag über zum Standartrepertoire der Polizeiarbeit gehörte.

 

Videos vom Tag belegen Schläge, den Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen, die sich ausweisen konnten und ihrer journalistischen Sorgfalt nachgehen. Wieder einmal hat die Polizei massiv die Pressefreiheit eingeschränkt, dabei schreckt sie nicht zurück Gewalt anzuwenden und Journalist_innen zu schikanieren, zu bedrohen oder zu beleidigen. Die vorläufig letzten Personen, die sich in Gewahrsam befanden, wurden um 22.50 Uhr entlassen und von einigen Antifaschist_innen empfangen, um sie zur Kundgebung zu bringen. Diese standen, ebenso wie ein Großraumfahrzeug der Polizei einige Minuten vor der Gefangenensammelstelle. Kurz nachdem die letzten Personen freigelassen wurden, stiegen die Beamt_innen aus und kesselten die eben frei gelassenen und wartenden Aktivist_innen ein. Als Grund wurde angegeben, dass vor der Polizeiwache keine Ansammlungen von größeren Menschenmengen geduldet werden und dass die Aktivist_innen angeblich dort warten würden um, falls es weitere Gefangene geben sollte, die Maßnahmen zu stören.

 

Die Kundgebung gegen Repressionen und Kriminalisierung von Antifaschismus war ursprünglich bis 23 Uhr angemeldet, so kann bezweifelt werden, dass es sich bei diesem Kessel um einen Zufall gehandelt hat. Um ca. 23.15 Uhr wurden der Kessel aufgelöst und gegen einen Teilnehmer ein Platzverweis für einen nicht definierten Ort ausgesprochen, ebenfalls wurde dieser nicht schriftlich übergeben und sollte von der Person, die diesen Verweis bekommen hat an die anderen weiter getragen werden. Auch hier erschließt sich die Maßnahme nicht, da keinerlei Gefahr von den Antifaschist_innen ausging und diese Art des Platzverweises wohl kaum der entsprechenden Regelung eines solchen entspricht. Bei der Kundgebung gab es außerdem noch zwei Redebeiträge zu Polizei und sächsischen Verhältnissen sowie zum PKK-Verbot.

 

In der Berichterstattung werden die Auseinandersetzungen, errichtete Barrikaden und Antifaschist_innen kriminalisiert und skandalisiert. Dabei sprach Leipzigs Oberbürgermeister Jung von „offenem Straßenterror“. Kritische Meldungen und Berichterstattungen waren rar, Differenzierungen kaum vorhanden. Die Polizei bezeichnete die Neonazi-Demonstration in ihrer Pressemitteilung als „rechtspopulistisch“. Vor dem Hintergrund der unaufgeklärten Straftaten von rechter Seite, der stetigen Entpolitisierung von rassistischen und antisemitischen Anschlägen, von über 800 Anschlägen auf Asylunterkünfte und auch der Kooperation zwischen Inlandsgeheimdienst und Nazi-Terrorist_innen im Rahmen des NSU mutet es wahnwitzig an, dass Burkhard Jung den Widerstand gegen den mittlerweile alltäglichen rechten Terror als „Straßenterror“ bezeichnet.

 

Es ist die Bestätigung dafür, wie weit rechts die Mehrheitsgesellschaft bereits steht, wie die Extremismustheorie in den Köpfen der Menschen verankert ist und was rassistische und antisemitische Mobilmachung erreicht hat: ob es verschärfte Asylgesetze sind, die kollektive Diskriminierung von Roma oder die Heraufbeschwörung eines vermeintlichen „Kampf der Kulturen“. Die Entsolidarisierung innerhalb der Nazi-Gegner_innen ist nur ein weiterer Erfolg für rechte Parteien wie CDU, AfD oder eben „Die Rechte“ und führt zwangsläufig weiter zu noch rassistischeren Gesetzgebungen, einer erstarkenden Rechten, die sich der Rassentheorie bedient und die Grenzen schließen will. Wer antifaschistischen Widerstand mit rechter Gewalt gleichsetzt, spielt denen in die Karten, die durch die Unterstützung der strukturellen Gewalt ein Klima der Angst und Unterdrückung schaffen wollen.

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Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. hat Zweifel an einseitiger Schuldzuweisung in Bezug auf die Schuld an der Eskalation wie sie bundesweit aber besonders in Leipzig (LVZ & L-iz) medial inszeniert wurde

 

http://www.grundrechtekomitee.de/node/733

https://linksunten.indymedia.org/de/node/162266