Wir befinden uns im Jahr 2010, Deutschland wird noch immer am Hindukusch verteidigt, die Krise ist im täglichen Leben der Menschen allgegenwärtig, es drohen Massenarbeitslosigkeit und sozialer Abstieg. Lassen wir uns bei allen geschönten Statistiken nicht täuschen, die Depression hat die Menschen in diesem Land fest im Griff.
Der Kapitalismus ist die Droge, die Krise die Ernüchterung, wo bleibt der Entzug???
Waren die Menschen vor noch nicht allzu langer Zeit überwiegend der Meinung: „Der Kapitalismus hat zwar so seine Fehlerchen aber beschert denen, die sich anstrengen, doch einen bescheidenen Wohlstand und ist daher immer noch die beste Variante…“, folgte diesem langen Kapitalismusrausch die Ausnüchterung. Trotz allen sozialen Zuspitzungen in den vergangenen Jahren, bestand immer noch die Hoffnung, dass es mal wieder bergauf geht, die bestand bei vielen auch noch am Anfang dieser Krise. 2008 dachten die meisten Menschen noch, dass diese Krise in ca. einem halben Jahr überstanden sein wird, 2009 im Superwahljahr, wählten dann viele schon gar nicht mehr (die stärkste Partei, wäre die Partei der NichtwählerInnen, wenn es sie denn geben würde…) und die, die wählten, wählten aus einem Akt der Verzweiflung heraus überwiegend schwarz-gelb. Die Illusion, dass schwarz-gelb wirtschaftlich kompetenter ist, als alle anderen Parteien, wurde durch den Spiegel der Massenmedien in die Köpfe der Menschen projiziert und von diesen, aus purer Angst bald vor dem Scherbenhaufen ihrer persönlichen Existenz zu stehen, als letzter rettender Strohhalm ergriffen. Die schwarz-gelbe Herrschaft ist das Versagen einer „Linken“ (nein, nicht die Partei…), die bis jetzt nicht in der Lage war und ist, den Menschen annehmbare und konkrete Gegenmodelle zum Kapitalismus aufzuzeigen. Es fehlt der Mut Visionen zu haben und diese auch zu vermitteln.
Die radikale Linke – Ziel aus den Augen verloren???
Stattdessen sehen wir eine zersplitterte, fast schon belanglose „Linke“, von der soziale Kämpfe in den verschiedensten Bereichen vereinzelt ausgefochten werden und die nicht in der Lage ist, diese zu einer großen Bewegung gegen das bestehende System zu bündeln, was natürlich auch daran liegt, dass es innerhalb dieser „Linken“ Kräfte gibt, deren Ziel nicht die Abschaffung sondern das Aufrechterhalten dieses Systems ist. Aber da gibt es ja noch die radikale Linke, radikal deshalb, weil sie das System abschaffen will. Auch dort das gleiche Bild, wie in der „Linken“ selbst, aufgesplittert in zahllose Einzelgrüppchen, die ihre Identifikationen jeweils über die Beschäftigung mit gewissen Auswüchsen, die dieses System fabriziert beziehen, und dadurch teilweise den Blick für die eigentliche Aufgabe, nämlich die Abschaffung des kapitalistischen Systems an sich, aus den Augen verloren haben. In der westlichen, postmodern geprägten „radikalen Linken“ findet die Identitätsbildung unter der Verwendung bestimmter Label (eigentlich Schubladen), wie z. B. ich bin Autonome(r), FreiraumaktivistIn, Antispe, FeministIn, radikal Queer, AntirassistIn, AntifaschistIn, Antinationale(r), AntimilitaristIn, AntikapitalistIn, verschiedensten Cross-overs aus genannten Gruppen, AntiimperialistIn oder gar (Anti)deutsch(e), gipfelt zuweilen, wie mensch besonders bei den beiden letzten Gruppen regelmäßig sehen kann, in internen Grabenkämpfen, die in der radikalen Linken zu einer Lähmung führen. Diese Verstrickung in endlose Kleinstkämpfe, die dem System kaum schaden, in denen unsere Kräfte jedoch größtenteils ergebnislos verpuffen, führen ins Nichts, weil - und solange sie isoliert voneinander geführt werden. Solange diese Kräfte nicht gebündelt werden und der Verursacher all dieser Probleme in seinen Grundfesten angegriffen wird, nämlich das System.
Kriminalisierung leicht gemacht
Aber diese Aufsplitterung in einzelne Interessensgruppen birgt noch eine ganz andere Gefahr – sie begünstigt die Kriminalisierung der radikalen Linken durch den Staat. Wenn die Autonome Bewegung oder die Freiraumbewegung als „linksextremistisch“ oder Autonome gar als „rotlackierte Faschisten“ kriminalisiert werden, was derzeit gerade der Fall ist, heißt das noch lange nicht, dass die restlichen Identifikationsgruppen ihnen solidarisch zur Hilfe eilen, eher ist zu beobachten, dass die x-te Militanz- oder Grundsatzdebatte über die Existenz von Freiräumen vom Zaun gebrochen wird. Im Endeffekt kommt die Solidarisierung nicht einmal innerhalb der radikalen Linken über die eigene „Szene“ also der angegriffenen Identifikationsgruppe oder deren Cross-overs hinaus. Ein weiteres trauriges Beispiel dieser Entsolidarisierung innerhalb der radikalen Linken ist die derzeitige Kriminalisierung des Staates gegen die kleine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft FAU. Einen Aufschrei der radikalen Linken gegen das Quasi Gewerkschaftsverbot und eine Solidarisierungswelle sucht mensch in Deutschland vergebens. Wie weit sind Themen die eine zentrale Rolle in der radikalen Linken spielen sollten, z. B. die Selbstorganisation der ArbeiterInnen, schon unter Lifestyle, wie Veganismus oder der neusten Riotwearmarke begraben worden? Die FAU ist Teil der radikalen Linken, ein Angriff auf sie muss als Angriff auf die radikale Linke selbst verstanden und auch so beantwortet werden! Der einzige Bereich, in dem noch keine Entsolidarisierung innerhalb der (radikalen) Linken stattgefunden hat ist der Antifaschismus, was auch nicht weiter verwunderlich ist, da sich jede/r (radikale) Linke als AntifaschistIn versteht und sich so auch problemlos mit diesem Thema identifiziert. Und dass Solidarität eine Waffe ist, sieht mensch gerade am plumpen Versuch der Dresdner Staatsanwaltschaft antifaschistischen Widerstand in Form eines Aufrufs zu Massenblockaden gegen Europas größten Neonaziaufmarsch in Dresden zu kriminalisieren, der aufgrund der breiten Solidarisierung ins Leere laufen wird...
In diesem Sinne: SOLIDARITÄT IST UNSERE WAFFE!!!
Lesetipps:
http://www.schattenblick.com/infopool/politik/report/prin0032.html
frust
In den vergangenen Jahren fand die politische Radikalisierung weniger in tatsächlichen sozialen Konflikten (die es während des noch "funktionierenden" Kapitalismuses kaum gab) sondern eher als Teil einer gewissen Identitätsbildung in der eigenen Szene statt.
Die "Szene" war die einzige Möglichkeit kritisch bzw. antagonistisch agieren zu können ohne einen großartigen Masterplan zu haben. Sie schützte vor den Folgen einer unzureichenden/veraltet linken Kritik, sie schütze uns vor den berechtigten Gegenargumenten. Die Welt ist so kompliziert geworden, wir können doch nicht aus dem Stand einen voll funktionstüchtigen Gegenentwurf zum herrschenden System konstruieren. Aber immerhin sind wir uns sicher ,dass dieser Gegenentwurf möglich ist.
Doch die Zeiten in denen es zumindestens in Deutschland genug für alle zum Überleben gab, sind vorbei. Es flammen überall soziale Konflikte auf, und wir Linken sind in unserer "Szene" gefangen. Uns ging es doch allen nicht schlecht, jedEr hat in gewisser Weise von der wirtschaftlichen Gesamtsituation profitiert, es war immer genug zum leben da. Doch plötzlich merken wir das Politik nicht nur in der Vokü stattfindet, sondern überall dort wo Menschen aufeinandertreffen. Der Schritt aus dem Autonomen Zentrum rein in die realpolitische Welt ist äußerst unattraktiv. Doch er muss gemacht werden, wenn wir uns nicht weiter wie die Puppen dieses Systems aufführen wollen. Oder wir machen weiter mit der Identitätspolitik und fühlen uns pudelwohl in der vom Kapitalismus zur Verfügung gestellten superplüsch-linker-lifestyle welt
Ja, genau das ist das Problem!
"der Verursacher all dieser Probleme in seinen Grundfesten angegriffen wird, nämlich das System."
- und die Revolution kommt und keine Knäste und so. Der Gedanke an abschließbare oder rekonstrierbare Systeme, in denen bewußt oder unbewußt agiert wird und die durch kritische Betrachtung erkannt und bekämpft werden können, ist so uralt und untauglich zur Rekonstruktion der politischen Sphäre, dass uns die SystemanhängerInnen längst in die Verschwörungstheorienecke abgedriftet sind. Überhaupt ist die Zeit des großen WIR und UNS vorbei.
Gewerkschaft FAU, ganz nett und gut, aber wer arbeitet denn heute überhaupt noch in solchen Arbeitsverhältnissen? Der/die kritische LektorIn als Honorarkraft, der/die selbstständige BauhelferIn usw.? Ne ne, das Denken in den ehemals als Links verstandenen politischen Sphären muss mal von Grund auf aktualisiert werden.