Streit um die Spiele

Erstveröffentlicht: 
19.11.2015

Hamburg stimmt über Bewerbung für Olympische Spiele 2024 ab. Die Gegner des Großevents rufen zur Demonstration am Samstag auf

 

Von John Lütten

 

 

Noch bis zum 29. November wird in Hamburg per Referendum darüber abgestimmt, ob die Stadt sich als Austragungsort für die Olympischen und Paralympischen Spiele im Jahr 2024 bewerben soll. Der Hamburger Senat bewirbt die Spiele als Chance zur Stadtentwicklung, auch Unternehmerverbände wittern große Geschäfte und fordern ein »Ja«. Doch nicht überall herrscht olympische Euphorie: Linke Parteien, Organisationen und Initiativen äußern Zweifel am Planungskonzept der Stadt und lehnen die »Spiele der Reichen« ab. Am Samstag wollen die Olympiagegner in Hamburg auf die Straße gehen.

Die Hansestadt ist einer von fünf internationalen Kandidaten für die Olympischen Spiele in neun Jahren. Gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, der als Nationales Olympisches Komitee der Bundesrepublik fungiert, hat die Stadt bereits Mitte September ihre Bewerbung eingereicht. Im laufenden Referendum wird darüber abgestimmt, ob die Stadt diese aufrechterhalten soll. Das nötige Quorum von mindestens 20 Prozent der knapp 1,3 Millionen Stimmberechtigten, die zur Gültigkeit des Referendums teilnehmen müssen, ist laut Medienberichten schon erreicht. Die einfache Mehrheit wird entscheiden: Olympia gilt als gewünscht, wenn mehr Ja- als Neinstimmen vorliegen. Im Februar müsste die Stadt dem Internationalen Olympischen Komitee dann ein genaueres Konzept vorlegen.

Geht es nach dem rot-grünen Hamburger Senat, dann stünden der Stadt mit Olympia goldene Zeiten ins Haus: Die Spiele sollen die Stadtentwicklung, den Ausbau der Infrastruktur und insbesondere den »Sprung über die Elbe« – also die stadtpolitische Erschließung der südlich der Elbe gelegenen Stadtteile – voranbringen, Arbeitsplätze sowie neue Wohnungen schaffen und ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit stehen. Die Hamburger Handelskammer finanziert eine breitangelegte Werbekampagne unter dem Motto »Wir sind Feuer und Flamme«, Slogans wie »Diese Spiele sind für uns alle ein Gewinn« zieren Plakate in der ganzen Stadt.

Selbst die Hamburger Grünen sind olympisch berauscht: Die Spiele seien ökologisch und inklusiv geplant und böten außerdem die Chance, etwa Flüchtlinge zu integrieren, lässt die Partei wissen. Hieß es im vergangenen Wahlkampf noch, eine unabhängige Studie über die Kosten des Großevents sei neben dem Referendum eine notwendige Bedingung für Olympia, scheint dies seit Beginn der rot-grünen Koalition vergessen. Auch die jüngsten Anschläge in Paris haben ihren Platz in der pro-olympischen Kampagne der Stadt gefunden: »Jetzt muss sich eine freiheitliche Gesellschaft wie die unsere deutlicher denn je zu Olympia bekennen«, zitiert die Hamburger Morgenpost den Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Meyer.

Dabei dürfte es vor allem die Hamburger Wirtschaft sein, für die die Spiele ein Gewinn wären. Der Stadtteil Hamburg-Kleiner Grasbrook, eine knapp 90 Hektar große Hafenfläche, soll zum Hauptaustragungsort umgebaut und komplett neu gestaltet werden – für knapp 596 Millionen Euro soll hier das neue Olympiastadion gebaut werden. Die Infrastruktur und ansässigen Hafenbetriebe müssten verlagert werden, die Kosten für den Umzug – ganze 206,4 Millionen Euro – sollen komplett öffentlich getragen werden. Die Hafenbetriebe würden so eine neue, aus Steuermitteln bezahlte Infrastruktur erhalten – Zusagen für den Erhalt der Arbeitsplätze bzw. Tarifverträge sucht man hingegen vergebens.

Insgesamt 11,22 Milliarden Euro sollen die Olympischen Spiele dem Anfang Oktober von der Stadt veröffentlichten Finanzreport zufolge kosten. Erwartet werden Einnahmen von 3,81 Milliarden Euro, die Differenz von rund 7,4 Milliarden Euro soll ebenfalls der Steuerzahler tragen. Hamburg will davon maximal 1,2 Milliarden übernehmen, den Rest soll nach Wunsch von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) der Bund tragen. Dieser prüft die Berechnungen allerdings noch, mit einer Zusage ist im November nicht mehr zu rechnen. Heißt: Im laufenden Referendum wird über ein Finanzierungskonzept entschieden, über das noch gar keine Einigkeit besteht.

Sowohl die unklare Finanzierung als auch das Megaevent selbst finden daher nicht nur Befürworter in der Hansestadt. »Bislang sind alle Olympischen Spiele deutlich teurer geworden als ursprünglich kalkuliert – im Durchschnitt sogar mehr als doppelt so teuer«, mahnt etwa die Partei Die Linke, die zu einem »Nein« bei der Abstimmung aufruft. Olympia mache »die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer«. Auch Wissenschaftler und Experten stellen das Planungskonzept in Frage. »Es gibt keine konkreten Zahlen, die langfristig positive Effekte für Veranstaltungsorte belegen«, kritisiert etwa der Aufruf »Olympiakritik aus der Wissenschaft«, den zahlreiche Sozialwissenschaftler unterschrieben haben. Die durch Olympische Spiele geschaffenen Arbeitsplätze seien fast ausschließlich »befristete Niedriglohnjobs«, auch die Nachhaltigkeit des Sport- und Kommerzevents sei fraglich.

Das Bündnis »NOlympia Hamburg« warnt vor Verdrängungsprozessen: »Überall, wo in der Vergangenheit olympische Spiele stattfanden, waren steigende Mieten und Verdrängung von Menschen mit weniger Einkommen die Folge«, heißt es auf dessen Homepage. Die geplanten neuen Wohnungen auf dem Kleinen Grasbrook würden »keine spürbare Entlastung des Miet- und Immobilienmarktes bieten«. Auch das Bündnis fordert, beim Referendum mit »Nein« zu stimmen.

Am Samstag wollen die Olympiagegner auf die Straße gehen. Unter dem Motto »Nein zu Olympia! Die Spiele der Reichen verhindern!« ruft das Bündnis »Revolutionäre Linke Hamburg« zu einer Demonstration durch die Hamburger Innenstadt auf. Gewinnen würde durch die Spiele nicht die Stadt, »sondern eine Klasse von Standortpolitikern, Wirtschaftsbonzen und Sportfunktionären«, heißt es im Aufruf. »Jene, die seit jeher unter den Folgen der neoliberal-kapitalistischen Umverteilung von unten nach oben zu leiden haben, können dabei nichts gewinnen.« Eine Anti-Olympia-Broschüre des Bündnisses warnt ebenfalls vor steigenden Mieten, kritisiert die Militarisierung des Sports sowie ökologische Schäden durch das Großevent. Die Demonstration beginnt um 16 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof, als Redner sind unter anderem der Linke-Politiker Mehmet Yildiz sowie Vertreter von Linksjugend, DIDF und »Roter Aufbau Hamburg« angekündigt.

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