[B] Der „Mietenvolksentscheid“ – Chance vertan!

debatte mietenvolksentscheid

Eine soziale Bewegung, die sich auf die Verhandlung von Gesetzen einlässt, kann nur verlieren! (Der folgende Artikel ist als erster Diskussionsbeitrag zur Debatte um den Berliner Mietenvolksentscheid auf wirbleibenalle.org erschienen. Mehr Infos dazu siehe unten.*)

 

Es war einmal… So beginnen normalerweise Märchen mit einem guten Ende. Ein bisschen hat auch der Berliner „Mietenvolksentscheid“ mit einem Märchen gemein. Im August des Jahres 2014 versammelten sich mehr als 50 Aktive aus Mieter- und Stadtteilinitiativen und politischen Gruppen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Zielsetzungen, darunter auch vereinzelte Aktivist*innen von Parteien. Gemeinsam hatten sie sich das Ziel gesetzt, mit einer Kampagne um einen Volksentscheid den Wahlkampf im Jahr 2016 zu begleiten und einen Richtungswechsel in der Berliner Wohnungspolitik einzuläuten. In den folgenden vier Monaten wurde über sämtliche Aspekte der Landes-Gesetzgebung und mögliche Änderungen für eine mieter*innenfreundliche Politik debattiert. Herauskam ein umfangreicher Entwurf zur „Neuausrichtung der Sozialen Wohnraumförderung“.

 

Die Initiative hatte mit ihrer Verallgemeinerung des Entwurfs als „Mietenvolksentscheid“ in der Berliner Bevölkerung einen Nerv getroffen. Beim viel versprechenden Start an einem Wochenende im April wurden über 3.000 Unterschriften gesammelt. Nach acht Wochen anstatt der zulässigen sechs Monate wurden knapp 50.000 Unterschriften übergeben, mehr als doppelt so viele wie benötigt. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, der „in Gesprächen“ zwischen dem Berliner Senat und Vertreter*innen der Initiative entwickelt wurde. Einzelne Forderungen des Zusammenschlusses wurden dabei berücksichtigt. Von dem angekündigten Richtungswechsel ist aber nur wenig zu spüren. Die Wohnungsbaugesellschaften können weiter wurschteln wie bisher und Mieter*innen zwangsräumen oder Wohnungsbewerber*innen ablehnen. Die Forderungen nach billigen Mieten für Sozialwohnungen wurden von einer überaus klug handelnden SPD-Führung, die sich dieses Mal nicht auf das Ignorieren der Probleme beschränkte, in eine bereits vor Jahren festgelegte Strategie im Umgang mit der „Wohnungsfrage“ eingepasst.

 

Von der eingereichten Vorlage und den Vorstellungen aus der Anfangszeit ist nach den Verhandlungen nur noch ein Torso übrig geblieben. Das Plenum der Initiative muss dem Entwurf zwar noch zustimmen. Dies dürfte allerdings nur eine Formsache sein. Die erwarteten negativen Ergebnisse bei der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Volksbegehrens dürfte das Übrige dazu beitragen. Unter dem Druck von langwierigen gerichtlichen Verfahren werden dann wohl auch die vereinsinternen Kritiker*innen schweren Herzens dem „Kompromiss“ ihr Einverständnis geben.

 

Die Grenzen …

 

Der Einsatz von Volksentscheiden als Mittel der Meinungsbildung und Politikgestaltung ist in der mieten- und stadtpolitischen Szene zu Recht umstritten. Volksentscheide sind per se dem bestehenden System verhaftet und können als solche die Bedingungen der kapitalistischen Verwertung von Wohnungen als Ware nicht verändern. Insofern ist die von der orthodoxen Linken der DKP oder von Karl-Heinz Schubert in trend-online geäußerte Kritik an dem Gesetzentwurf des Vereins, die gerade dieses in letzter Konsequenz von einem solchen Entscheid fordern, wahlweise dämlich oder grober Unfug.

 

Ein Blick über die Grenzen in das Musterland des Volksentscheids, die Schweiz, lässt leicht erkennen, dass das Instrumentarium an sich auch keine fortschrittlichen Inhalte befördert. Gegen die Festsetzung eines Mindestlohnes, für verstärkte Abschiebung von Ausländer*innen waren hier die Begehren, die mit großer Mehrheit beschlossen wurden. Selbst gewonnene Volksentscheide wie das Berliner Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserverträge weisen auf eine wenig nachhaltige Wirkung hin. Die Wasserbetriebe wurden zwar zurückgekauft, allerdings zu einem Preis, der ganz im Sinne der kapitalistischen Logik den Eigentümer*innen wenig wehtat und die Berliner*innen weiterhin belasten wird. Dem Trägerverein Wasservolksbegehren wurde weiterhin die Einsicht in Gutachten verweigert. Der erste stadtentwicklungspolitische Bürgerentscheid auf Bezirksebene, die gegen alle Parteien angestrengte Forderung „Spreeufer für Alle!“, wurde anschließend von Senat und Bezirk vollkommen ignoriert. Die Privatisierung der Spreeufer fand genauso wenig ein Ende wie ihre Bebauung mit Unternehmenssitzen und Luxuswohngebäuden.

 

Wie eng der rechtliche Rahmen für die Formulierung von Volksentscheiden ist, musste auch die Initiator*innengruppe bei der Entwicklung des jetzigen „Mietenvolksentscheids“ erfahren. Ursprünglich angetreten mit dem Anspruch, die mietenpolitische Gesetzgebung in sämtlichen Bereichen zu verändern, musste sie erkennen, dass dies keineswegs so einfach ist. Wichtige Bereiche wie der Erhalt von Kleingartenanlagen und Grünflächen, die allgemeine Regulierung von Mieten, das grundsätzliche Verbot von Zwangsräumungen oder der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die Legalisierung von Hausbesetzungen u.a.m. blieben auf der Strecke, weil sie der bundespolitischen Gesetzgebung unterliegen und durch Entscheide auf Landesebene nicht beeinflusst werden können. Andere Punkte wie der Kampf gegen die Zweckentfremdung von Wohnungen oder gegen die gezielte Verwahrlosung von Wohnhäusern zur Erzielung höherer Profite konnten nicht berücksichtigt werden, da sie nicht sinnvoll mit dem vorliegenden Entwurf verknüpft werden konnten. Und auch die geplante Reduzierung der Mieten für Normal- und Geringverdiener*innen in Sozialwohnungen, eine Kernforderung des „Mietenvolksentscheids“, kann bei den zugrunde liegenden Verträgen sogar dem Interesse von Eigentümer*innen entsprechen; denn schließlich soll die Differenz zwischen bisher geforderter und künftig abgesenkter Miete aus öffentlichen Geldern subventioniert werden. Das absurde System der Kostenmieten und der Bereicherungsmöglichkeiten für Eigentümer und Bauherren von Sozialwohnungen wird dagegen gar nicht angegriffen.

 

…. und Möglichkeiten eines Volksentscheids

 

Trotz der grundsätzlich begrenzten Wirkung können Volksentscheide zu einem politischen „Paradigmenwechsel“ beitragen, wenn sie Ausdruck und Vehikel breiterer gesellschaftlicher Diskussionen und Bewegungen sind, Teil weit größerer politischer Kampagnen also. Bestes Beispiel ist trotz der bereits angesprochenen Schwäche die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Ein Verkauf des staatlichen Tafelsilbers wird danach nur noch schwerlich möglich sein. Vor 10 bis 15 Jahren haben sich die Parteien noch gegenseitig darin überboten, die besseren Privatisierer zu sein. Heute würde jede Partei, die dies zum Ziel hätte, bei der nächsten Wahl böse abserviert werden. Ein anderes Beispiel sind die von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BiMa) geplanten Grundstücksverkäufe zum Höchstpreisverfahren, die ohne die jetzigen Auseinandersetzungen und Widerstände schon lange unter Dach und Fach wären. Denn mittlerweile können Parteien in den Umfragen und Wahlen davon profitieren, wenn sie prominente Anti-Privatisierungs-Forderungen unterstützen. Und der letzte erfolgreiche Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof hat sehr deutlich gezeigt, dass auch die Regierungsparteien und die mit ihnen verbundenen Vereinigungen mit einem millionenschweren Werbeetat den Ausgang einer Abstimmung fürchten müssen. Wer erinnert sich heute noch an die „Tempelhofer Freiheit“, die Lobbyorganisation für die Bebauung des Tempelhofer Feldes?

 

Wo blieb die „Kampagne“?

 

Eine zentrale Bedeutung auf dem Weg zu einem tief greifenden mieten- und stadtpolitischen Paradigmenwechsel kommt der Öffentlichkeitsarbeit im Zuge des Entscheids zu. „Der Mietenvolksentscheid ist ein Schritt auf dem Weg zu einer sozialen, demokratischen und ökologischen Stadt. Wir werden bei diesem Schritt nicht stehen bleiben. Wir wollen den Ausverkauf unserer Stadt aufhalten. Wir werden unsere Stadt nicht länger der Politik und der Immobilienwirtschaft überlassen.“ So nennen es die Aktivist*innen in ihrem Flyer. Gemessen an diesem Anspruch kann die Öffentlichkeitsarbeit und der öffentliche Auftritt von einzelnen Akteur*innen nur mit einem Wort bezeichnet werden: katastrophal.

 

Die Regierungen der letzten 15 Jahre haben fast nichts unternommen, um die Verdrängung des ärmsten Drittels der Bevölkerung zu verhindern. Im Gegenteil, die Probleme wurde jahrelang verleugnet, die Verdrängung durch den Rückzug des Staates sogar noch beständig gefördert. Dennoch stimmte in der Sendung einer Talkshow ein Akteur des „Mieten-Volksentscheid“ in das Hohelied des vom Vertreter der Immobilienwirtschaft geforderten Neubaus ein, statt diesem energisch zu widersprechen und darauf hinzuweisen, dass die hier geschaffenen Wohnungen weder von Normal- noch von Geringverdiener*innen zu bezahlen sind. In einer Debatte mit einem Politiker der SPD verzettelt sich ein Anderer in Auseinandersetzungen um die Kosten des Volksentscheids, statt die tragende Rolle sämtlicher Regierungsparteien bei der Verdrängung der Bevölkerung zu benennen. Sichtlich genießend, dass jetzt auch Mainstream-Medien und Politiker*innen das Anliegen ernst nehmen, werden alle Gelegenheiten in den Wind geschossen, die herrschende Politik scharf zu kritisieren.

 

Aber die Kritik wurde nicht nur von den Protagonist*innen der Initiative bei den sich bietenden Gelegenheiten unterlassen. Eine Thematisierung der über die unmittelbaren Inhalte des Volksentscheids hinausgehenden Punkte wurde auch allgemein weitgehend unterlassen. Dabei würde ein verantwortungsvoller und politisch weiter reichender Umgang mit einer medialen Aufmerksamkeit heißen, auf die vielen anderen Initiativen zu verweisen und sich auf diese zu beziehen. „Erfolge“ wurden in der Regel jedoch in der Zahl der gesammelten Unterschriften gemessen statt in der Prägnanz und Radikalität des eigenen Auftretens.

 

Verhandlungen ohne Mandat

 

Nach dem überaus erfolgreichen Start war das Interesse der Parteien am Volksbegehren groß. Bereits im Juni wurde vom „Aktivenplenum“ als dem höchsten entscheidenden Organ beschlossen, dass erste Gespräche mit Politik und Verwaltung über die Weiterführung des Volksbegehrens geführt werden sollten. Hierbei sollte ausgelotet werden, in welcher Art und Weise der Gesetzesentwurf geändert oder ergänzt werden könnte, um die festgestellten formalen Fehler im Gesetzestext auszumerzen. Die ersten Gespräche mit dem Staatssekretär der SPD und Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fanden noch öffentlich statt, die weiteren wurden mit einzelnen Vertreter*innen des „KO-Kreises“ hinter verschlossenen Türen geführt. Was dann folgte, war eine Verletzung von basisdemokratischen Spielregeln sondergleichen. Die interessierte Öffentlichkeit und die Aktiven der Plena erfuhren nur wenig vom Inhalt dieser „Gespräche“. Selbstredend wurde auch die Forderungen nach Transparenz von grundsätzlich freundlich gesonnenen Initiativen wie dem Berliner Ratschlag ignoriert. Die Beteiligten der „Verhandlungsgruppe“ deuteten die seit Juli 2014 erscheinenden regelmäßigen Berichte aus der Presse über eine mögliche „Einigung“ zwischen dem Träger des Mieten-Volksbegehrens und dem Senate als Fehl- bzw. Falschinformationen der Journalist*innen. Mitte August ereilte die Aktivist*innen dann eine Nachricht wie ein Paukenschlag: In einem 20stündigen Marathon mit der Senatsverwaltung und der SPD sei von der „Verhandlungsgruppe“ angeblich in allen wesentlichen Punkten eine Einigung erreicht worden. Die Presse berichtete bereits am folgenden Tag von diesem Übereinkommen. Ein Mandat für die Führung von Verhandlungen hat es jedoch zu keinem Zeitpunkt gegeben. In einem bisher kaum bekannten Ausmaß werden damit die Prinzipien missachtet, auf denen jede außerparlamentarische Initiative basiert. Wieso nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt den beteiligten Personen die Befugnis zur Außenvertretung entzogen wurde, bleibt das Geheimnis der Gruppe um den „Mietenvolksentscheid.“

 

Wahlkampfhilfe für die SPD

 

Mit dem jetzigen Gesetzentwurf wurden zwar einzelne Forderungen berücksichtigt. So sollen nunmehr die Mieter*innen einen Platz im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaften erhalten. Zwangsräumungen sollen zwar nicht ausgeschlossen, aber erschwert werden und Sozialmieter*innen eine finanzielle Unterstützung erhalten. Mit den einstmaligen grundlegenden Forderungen des Trägerkreises hat diese in Geheimverhandlungen abgestimmte Vorlage nur wenig zu tun. Der Entwurf trägt in wesentlichen Punkten die Handschrift der bereits vor mehreren Jahren festgelegten Strategie der SPD. Es bewahrheitet sich damit eine alte Weisheit: Initiativen, die sich auf die Verhandlung von Gesetzen einlassen, können nur verlieren. Insbesondere dann, wenn sie angesichts einer verlockenden Anerkennung durch die Regierenden nichts dafür tun, dass der Druck auf der Straße verstärkt oder auch nur aufrechterhalten wird.


Der jetzige Gesetzentwurf wird die weiter andauernde Verdrängung von Normal- und Geringverdiener*innen zwar nicht verhindern. Mit der Vorlage wird die SPD jedoch die Bedeutung dieses Themas im Wahlkampf abschwächen können. Die unmittelbare Wirkung geht sogar noch weiter: Mit wenig mehr als kosmetischen Korrekturen gegenüber der jetzigen Politik wird es der Regierungspartei SPD mit aktiver Unterstützung der „Verhandlungsgruppe“ gelingen, sich gleichzeitig als parlamentarische Vertretung von Mieterinteressen zu präsentieren und vorzutäuschen, man ginge aktiv und weitreichend auf die berechtigten Forderungen der Mieter*innenbewegung ein. Der „Mietenvolksentscheid“ wird auf diese Weise zu einer hervorragenden und zudem sehr billigen Wahlkampfhilfe.


Mit dem Berliner „Mietenvolksentscheid“ wurde eine Chance vertan, den dringenden Bedarf an einer breiten außerparlamentarischen Organisierung rund um die Wohnungsfrage zu verdeutlichen, die alltäglichen Kämpfe in den Mittelpunkt zu stellen und auch die Grenzen des Instrumentariums Volksentscheid aufzuzeigen: Welche gesellschaftlichen Bedingungen sind es, die verhindern, dass wir mit einem Volksentscheid gute Wohnungen und gutes Wohnen für alle schaffen können? Sobald diese Fragen angerissen werden, lässt sich auch nicht mehr die Eigentumsfrage umgehen, die unbestreitbar einen zentralen Punkt in der Wohnungsfrage bildet.

 

Der „Mietenvolksentscheid e.V.“ hat der Initiativen-Landschaft einen Bärendienst erwiesen. Der Entscheid ist politisch gescheitert. Das Märchen wird nicht gut ausgehen. Aber vielleicht reicht es für den persönlichen Karriereschub von einzelnen Vertreter*innen.

 

Von Paul & Paula

 

(Erschienen am 13.09.15 auf wirbleibenalle.org)

 

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*Mit  Informationen und Diskussionsbeiträgen rund um den Berliner Mietenvolksentscheid wird sich wirbleibenalle.org in den nächsten Wochen zu einer redaktionell gestalteten Plattform der außerparlamentarischen stadt- und sozialpolitischen Bewegung in Berlin erweitern.

 

Neben den gewohnten tagesaktuellen Blogeinträgen werden zukünftig redaktionelle Artikel zu Schwerpunkten oder aktuellen Anlässen erscheinen. Unserer Meinung nach fehlt es in der Stadt an bewegungsöffentlichen Debatten über das, was jeden Tag an Protest, Aktionen und politischer Arbeit passiert. Wir wünschen uns, dass wirbleibenalle.org ein Ort dafür wird.

 

Mit dem Berliner Mietenvolksentscheid haben wir uns einen Anlass ausgewählt, der bereits jetzt kontrovers diskutiert wird, und der viele Gruppen und Initiativen betrifft. Hierzu veröffentlichen wir die ersten Artikel. Wir freuen uns über weitere Beiträge hierzu!

 

Außerparlamentarische Stadt- und Sozialpolitik beschränkt sich aber nicht bloß auf die Themen Mieten und Wohnen. Für uns findet sie überall dort statt, wo Menschen die soziale Frage stellen, sich gegen Verdrängung organisieren, und um die Stadt als Ort zum Leben kämpfen.

 

Wir sind offen für alle Themen- und Artikelvorschläge. Schreibt uns, nur dann kann die Diskussion richtig beginnen.

 

Redaktion von http://wirbleibenalle.org/ & http://mietenstopp.blogsport.de/

Kontakt: kontakt@wirbleibenalle.org

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Die derzeitige Entwicklung rund um das Thema "Mieten-Entscheid" ist alles Mögliche - nur überraschend ist sie nicht.

 

Alle Entscheidungen zum sogenannten "Volksentscheid", sowohl bezüglich der Frage ob ein solcher gerade sinnvoll ist als auch die Forderungen bis ins letzte Detail, wurden von einem kleineren Klüngel, geprägt v.a. von IL-Strukturen, hinter verschlossenen Türen getroffen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Forderungen dem Senat übergeben wurde, gab es keine einzige öffentliche Informations- oder Diskussionsveranstaltung hierzu.

 

Nachdem der hinter verschlosssenen Türen ausgehandelte Forderungskatalog dem Senat übergeben und die Presse per Pressekonferenz informiert worden war, wurden alle Aktivist*innen, deren Beteiligung bis dahin nicht erwünscht war, aufgefordert, doch diesen Entscheid zu unterstützen und hier aktiv zu werden. Nur wenige Menschen haben sich davon angesprochen gefühlt. Dass in kurzer Zeit so viele Unterschriften zusammenkamen, ist keineswegs einer geglückten Kampagne zuzuschreiben, sondern einfach nur auf die Brisanz des Themas zurückzuführen. Wie schon oben geschrieben wurde, gab es weder Ansätze einer breiten Kampagne, noch eine Verknüpfung mit anderen Miet- und sonstigen Kämpfen in der Stadt.

 

Eine breite Kampagne wäre sicher möglich gewesen, wenn der Endscheid von Beginn an transparent, öffentlich und basisdemokratisch entwickelt worden wäre. Doch das war von den karrierebewussten Bewegungsmanager*innen von IL und Co und den zuständigen "Expert*innen" nie gewollt.

 

Offizieller "Sprecher" des sogenannten Mieten-Entscheids ist übrigens Rouzbeh Taheri (lange Polit-Karriere, u.a. bei PDS und WASG).

 

Die offizielle Webseite des "Mieten-Endscheids" ist zwar langweilig und nicht aktuell (der letzte angekündigte Termin etwa ist vom Juli, und sogenannte "Kiezgruppen" scheint es auch keine mehr zu geben), aber es lohnt doch, da mal einen Blick drauf zu werfen. Von dort:

 

"Die Defizite der sozialen Wohnungsversorgung haben sich durch diese Wohnungsmarktdynamik und die regressive Wohnungspolitik der letzten Jahre drastisch ausgeweitet. Angetrieben von der Privatisierung öffentlichen Wohnungsbestandes und einer hohen Ertragserwartung privater Eigentümer und Investoren, erfolgen bei jeder Möglichkeit Mieterhöhungen, wodurch die Spielräume für Haushalte mit geringen Einkommen sowohl im Bestand als auch im Angebot des Berliner Mietwohnungsmarktes immer kleiner werden."

 

Und so weiter und so fort. Was ist das Problem? Profithungrige Eigentümer*innen, die die Mieten nach allen Kräften hochsetzen, und eine weitverbreitete Armut? Nein, das Problem ist ein ganz anderes, wenn es nach der Einschätzung von IL und Co geht: Das Problem ist alleine die Politik, die es versäumt, den offenbar naturgegebenen kapitalistischen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt eine Regulierung entgegenzusetzen. Widerstand gegen steigende Mieten und Zwangsräumungen kommt, sofern er nicht auf politische Regulierung durch die herrschenden Reihen setzt, einfach nicht vor.

 

Auf der kompletten Webseite des "Mieten-Entscheids" gibt es keine einzige Erwähnung des seit Jahr existierenden Widerstandes gegen steigende Mieten in verschiedenen Stadtteilen von Berlin, der Kampagne gegen Zwangsräumungen oder von sonstigen selbstorganisierten stadtpolitischen Protesten. Natürlich gibt es zu hierzu auch keinen einzigen Link, geschweige denn Berichte oder Hinweise. Dass beispielsweise am nächsten Mittwoch eine größere Demo gegen die Vertreibung von Potse und Drugstore geplant ist, ist natürlich den Bewegungsmanager*innen vom "Mietenentscheid" genauso wenig einen Hinweis wert wie der Aktionstag gegen Verdrängung und Zwangsräumungen im Wedding am letzten Samstag. Hier ist plastisch zu sehen, wie sehr die Macher*innen des "Mieten-Entscheides" auf alle anderen Aktivist*innen - also diejenigen, die durch vielfältige Proteste und Aktionen das Thema Mieten in den letzten Jahren in Berlin in den Fokus der politischen Debatte gedrückt haben - scheissen. (Übrigens nicht erst seit dem Mieten-Entscheid eine langjährig praktizierte IL-Strategie: Sich eines Themas zu bemächtigen, sobald dieses eine gewisse Bedeutung erlangt hat, und dann versuchen, die alleinige Deutungshoheit über dieses Thema zu erlangen.)

 

Dass sich die Checker*innen vom "Mieten-Entscheid" jetzt mit der herrschenden Politik einigen wollen, ist also nur folgerichtig. Dass hierdurch auch die Qualifikation für eine zukünftige fest angestellte Tätigkeit bei einer der staatstragenden Parteien nachgewiesen wird, dürfte kaum bezweifelt werden.

Gute Analyse, aber was tun wa nun mit der Situation? Ok, irgendwie mist, irgendwie nen paar realpolitische Verbesserung, irgendwie die eigene Basis nicht mitgenommen und jetzt die Interpretation der herrschenden Klasse im Wahlkampf überlassen... irgendwie unbefriedigent.

Das wohnungspolitische Duo „Paul&Paula“ ist enttäuscht von der MVE-Kampagne und will nun aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen. Wie Paul&Paula die Kampagne erlebt haben, soll zu einer Aufarbeitung des Scheiterns des MVE und der Entwicklung neuer stadtpolitischer Perspektiven beitragen. Bevor sie sich dem zuwenden, verkünden sie erst einmal ein politisches Credo: „Volksentscheide sind per se dem bestehenden System verhaftet und können als solche die Bedingungen der kapitalistischen Verwertung von Wohnungen als Ware nicht verändern.“

 

Dass Volksentscheide dem bestehenden System verhaftet sind, ist eine Binsenweisheit, denn sie sind ganz offensichtlich Teil bürgerlich-kapitalistischer Klassenherrschaft. Diese Mitteilung wäre also überflüssig, wenn sie nicht dem zweiten Teil der Aussage Sinn verleihen soll. Und das tut sie leider nicht. Denn die Bedingungen der kapitalistischen Verwertung von Wohnungen sind beständig in Veränderung.

 

Was sich im Kapitalismus nicht verändert, ist die Verwertung selber. So auch die Verwertung der Immobilie als Leihkapital in Warenform.

 

Hätten Paul&Paula jedoch Recht, dann bedarf es sowieso keiner sozialen Kämpfe, die auf Verrechtlichung bestimmter erkämpfter Positionen abzielen. Tatsächlich aber musste das Proletariat in seiner Geschichte fortwährend Kämpfe um seine Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen führen. Die damit einhergehenden Verrechtlichungen – wie z.B. der monatelange Massenstreik der BRD-Metallarbeiter*innen, der zum Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall führte – verändern immer die Profitgröße, das heißt die Bedingungen des sich verwertenden Kapitals. Dass die Kapitalist*innenklasse solche für sie negativen Verrechtlichungen rückgängig machen wollte und will, was ihr immer dann gelingt, wenn das Proletariat schwach aufgestellt ist, liegt auf der Hand. Was diese ökonomischen Kämpfe nicht bewirken, ist die Aufhebung des Kapitalismus, doch das ist auch nicht ihr Gegenstand.

 

Ärgerlich wird die Sache nur, wenn das Duo, dass zu solchen Differenzierungen nicht fähig oder nicht willens ist, meint, die DKP oder mich als Dummbeutel abwatschen zu müssen, weil wir angeblich bei der MVE-Kampagne die Forderung nach Aufhebung der Wohnung als Ware vermissen:

 

Insofern ist die von der orthodoxen Linken der DKP oder von Karl-Heinz Schubert in trend-online geäußerte Kritik an dem Gesetzentwurf des Vereins, die gerade dieses in letzter Konsequenz von einem solchen Entscheid fordern, wahlweise dämlich oder grober Unfug.“

 

Ein Link auf den ersten Teil meiner dreiteiligen Kritik soll dieser Fehldeutung die Würde der Richtigkeit verleihen. Auch das ein Eigentor. Im ersten Teil befasse ich mich überhaupt nicht mit der Frage, ob die MVE-Kampagne eine gesellschaftstransformative Stoßrichtung hat. Dies tue ich am Ende des zweiten Teil und in meinen Vorträgen.

 

Hier das diesbezügliche Substrat aus meinem Vortrag:

 

Dass der MVE mit diesem Gesetzentwurf (GE) "überflüssig" ist, ist nicht Gegenstand des Vortrags. Vielmehr soll aufgezeigt, dass es sich hier um ein "falsches Herangehen" an die Wohnungsfrage handelt, da die Immobile nicht als Leihkapital in Warenform verstanden und behandelt wird. Das würde nämlich heißen, bereits unter kapitalistischen Bedingungen zu versuchen, die Profitmacherei mit Immobilien bei ihrer Produktion und Verteilung durch außerökonomische Maßnahmen (Gesetze, Verordnungen, Kontrollstrukturen) zu limitieren....Eine sozialemanzipatorische Alternative zur Eindämmung der Wohnungsnot im Kapitalismus, die eine gesetzliche Regulierung anstrebt, sollte sich aus der verfassungsrechtlich fixierten Sozialbindung des Eigentums ableiten. Damit stellt sie das verfassungsrechtliche Individualrecht auf Wohnraum über das Mietvertragsrecht des BGB. Dadurch wird Wohnen als unwiderrufliches Nutzungrecht gesetzt, welches der Forderung "Die Häuser, denen die drin wohnen" eine antikapitalistische Perspektive gibt und einem entsprechenden Volksbegehren die sozialpolitischen Leitplanken liefert.“

 

Abschließend möchte ich noch anmerken, dass es angesichts Paul&Paulas limitierter Denke nicht verwunderlich ist, dass ich von ihnen mit der DKP in einen Topf geschmissen werde, nur weil wir im Resultat unserer Untersuchungen DIESEN Volksentscheid wegen seines Gesetzentwurfs ablehnen. Das DKP-Konzept der antimonopolistischen Demokratie, das auf Fehlinterpretationen von Klassenstrukturen der 1970er Jahre beruht und damit ein staatsfetischistisches Sozialismuskonzept als transformatives Ziel begründet, ist wahrlich nicht „meine Welt“.

 

Meine Texte zur kapitalistischen Wohnungswirtschaft, zum kommunalen Wohnungsbau und zum Volksentscheid bei TREND online zum Nachlesen.

 

Verwertung und Realisierung von Kapital in der Immobilienwirtschaft
Eine schematische Darstellung
http://www.trend.infopartisan.net/trd0613/t250613.html

 

Den kommunalen Wohnungsbau als Klassenfrage behandeln
Ergänzende Vorschläge zur INKW-Erklärung
http://www.trend.infopartisan.net/trd0914/t270914.html

 

Diese Kröten sind nicht zu schlucken!

Den Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin kann mensch nur ablehnen!

http://www.trend.infopartisan.net/trd0415/t120415.html

 

Der revolvierende Fonds
Ein gewöhnlicher Vorschlag für die Profitmacherei mit Wohnraum
http://www.trend.infopartisan.net/trd5615/t155615.html

 

Der "gläserne Sozialbaumieter"
Objekt der kapitalistischen Kostenstruktur

http://www.trend.infopartisan.net/trd0715/t070715.html

 

Wohnungsnot und Mietpreistreiberei
Was ist von dem Gesetz zu erwarten, das der Senat mit der MVE-Initiative ausgekungelt hat.

http://www.trend.infopartisan.net/trd0915/t190915.html