Für eine Politik jenseits der Moral - Ein Diskussionsbeitrag aus Berlin

Die Berliner "Szene", bzw. was an antagonistischen Resten noch übrig ist, hat jenseits von nächtlichen Kleingruppenaktionen jegliche politische und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit eingebüßt. Darüber freut sich besonders der Berliner Verfassungschutz in seinem jüngst veröffentlichten Jahresbericht (1). In den letzten Jahren sind einige Debattenbeiträge von antagonistischen Restsplittern erschienen, die sich selbstkritisch mit dem eigenen Elend auseinandersetzen. So veröffentlichten Teile der ehemaligen Magazin Redaktion ihren Text zur "Scherbentheorie" (2), Ende letzten Jahres veröffentlichten  dann die Autonomen aus Berlin "2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren" (3). Nun kursiert eine Broschüre unter einem mehr als provozierenden Titel, die wir Euch ebenfalls nicht vorenthalten wollen (4).

Trotz ihres gewaltigen Potenzials scheinen die Kämpfe in Berlin allerorts in Sackgassen fest zu sitzen. Auf das Risiko hin, Empörung hervorzurufen werden wir versuchen, einige Hindernisse zu identifizieren, die der Selbstüberwindung der gegenwärtigen Situation im Wege stehen, um so eine tatsächlich strategische und taktische Diskussion darüber zu eröffnen, wie wir wieder in Bewegung kommen können.

 

Das größte Hindernis einer solchen Diskussion ist die Dominanz eines moralistischen Zugangs zu Macht und Widerstand. Letzterer wird am deutlichsten in den Diskussionen sichtbar, die uns rund um den Kampf der Flüchtlinge begegneten, bleibt aber auf keinen Fall darauf beschränkt. Von daher möchten wir zu Beginn die kritische Aufmerksamkeit auf jene doppelte Geste lenken, der wir routinemäßig in Berlin begegnen: das Moralisieren von Fragen der Strategie und das Strategisieren der Moral. Wenn auch vielleicht in guter Absicht (was auch immer das bringen soll), erzeugt diese Perspektive allzu oft nur Lähmung, Isolation und Selbstneutralisierung.

 

Eine Kritik dieses politisch-strategischen Moralismus wirft grundlegende Fragen zum Verhältnis von Antirassismus, einer auf Privilegien fokussierenden Politik und kapitalistischer Krise auf. Genauer gesagt stellt sie antirassistische Konzepte in Frage, die entweder auf der reinen Ablehnung eines äußeren Feindes (Antifaschismus) oder der sich selbst beglückwünschenden ‚Anerkennung‘ unserer weniger privilegierten Nachbarn aufbauen, die letztlich von weißen Schuldgefühlen getrieben ist. In beiden Fällen gelingt es nicht, uns einer linken ‚Haltung‘ zu entziehen, die niemals die Frage stellt, was wir brauchen, um unsere Handlungsmacht zu vergrößern...”

 

(1) VS Berlin Bericht 2014: https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/aktuelle-meldungen/2015/artikel.336505.php

(2) Scherbentheorie: http://www.black-mosquito.org/index.php/die-scherbentheorie-reflexionen-uber-den-club-fur-sich.html

(3) 2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren: http://de.contrainfo.espiv.net/2015/03/14/2014-das-jahr-in-dem-wir-nirgendwo-waren/

(4) Hauprojekte abfackeln - ein Manifest für Berlin http://www.mediafire.com/view/443h03s99obo01y/Hausprojekte_abfackeln_-_READ.pdf

 

Auf eine vorbehaltlose Diskussion, auch wenn der Titel erst einmal "schwierig" erscheint.

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hier bzw. kommt hierher:

 

http://ill-will-editions.tumblr.com/

... was heißt "eine Politik jenseits der Moral"? Und was hat dieser Titel mit den erwähnten Texte zu tun? Oder geht es wieder mal nur darum, durch Erwähnung und Bezugnahme die eigenen Cliquen hervorzuheben? Warum wird sonst ein Text, der nicht viel aussagt (2014 - Das Jahr in dem wir nirgendwo waren) und nur  modische Strömungen (z.B. Nihilismus) und Ereignisse (z.B Aufstände der letzten Jahren) ohne ausreichende Analyse und ohne befriedegende Bezüge in einem Topf wirft, wieder und wieder in verschiedenen Kontexten erwähnt? Es hat sich gezeigt, dass der Text nicht viele Leute interessiert aber wenn es wieder und wieder gesagt wird, dass etwas gut ist, glauben Menschen daran, dass dieses Etwas wirklich gut ist. Das nennt man dressieren durch Wiederholung. Ich wünsche mir eine Politik ohne solche Methoden und ohne Cliquen.

hier steht alles viel, viel besser: facebook.com/pages/Radikale-Linke-Berlin/646453972133563

Wie wäre es, wenn du die Broschüre lesen würdest und dich nicht bloß an der Kurzvorstellung auf Indymedia abarbeiten? Sie erhebt zumindest laut Vorwort den Anspruch konkrete Vorschläge zu machen, wie ein anderer Zugang zur Politik jenseits der Moral aussehen kann. Eine Bezugnahme in Debatten auf andere Texte zu kritisieren, halte ich für ein wenig schwach. Gerade in letzter Zeit sind die Debatte zumindest mir eher dadurch negativ aufgefallen, dass die Texte meist unvermittelt nebeneinander standen und eine explizite Bezugnahme meist unterlassen wurde. Ob du (oder andere) die Texte, auf die sich bezogen werden, lesenswert findest, steht auf einem anderen Blatt. Leuten nicht zu zutrauen sich selbst eine Meinung zu bilden (außer natürlich dir selbst), sondern eine Gefahr von "dressieren durch Wiederholung" aufzumachen, ist in meinen Augen ganz schön elitär.

Erstens, mein Kritik war nicht an die Inhalt des Textes gerichtet, sondern an das unvermittelte Nebeneinanderreihen der Texte ohne explizite Bezugnahme, wie du es gut formuliertest. Das passiert häufig in der letzten Monaten und es werden immer diesselbe Texte erwähnt.

Warum ich das kritisiere: Die linke Szene ist auch ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben. Daher ist es nicht wunderlich, wenn ich den Leuten und mir selbst nicht imer zutraue, immer in der Lage zu sein, sich selbst eigine Meinung bilden zu können. Es ist also nicht verkehrt, skeptisch zu sein und Kritik oder einfach Sorge zum Ausdruck zu bringen. Die Behauptung, wir hätten all die Mechanismen und Strukturen, mit den uns die Gesellschaft schon von Kind an fütterte, überwunden, wäre meiner Meinung nach elitär oder naiv. Ein Text ist nun mal ein Text. Debatten und Diskussionen, die Menchen dazu bringen können, etwas wirklich zu verändern, werden nicht durch anonyme Texte und durch spärliche anonyme Kommentare durchgeführt, sondern zwischen Menschen, mit Streitdiskussionen, Reibungen, gemeinsame Versuche, und hauptsächlich auf der Straße. Vielleicht ist hier das eigentliche Problem der linken Szene (oder Bewegung?) es, dass Leute isolierte Diskussionen unter sich führen und Texte veröffentlichen, die allein wegen der Sprache nur für einige Wenige zugänglich sind und, leider, die viel zu viel wertgeschätzt werden, als ob solche Texte allein das Ende der Elend der Bewegung herbeiführen könnten. Ein Text ist nur ein Begleitserscheinung oder im günstigsten Fall eine Analyse des Zustandes, nichts mehr.

Das ist nur ein Kritik an der Glaube an die Macht des Textes. Und Erwähnungen, Lobpreisungen, Zitaten erinnern mich an die Diskussionen in der Universität, wo dadurch eben Meinung gebildet werden soll darüber, wessen Wort in der Diskussion wichtiger ist und wessen Wort keine Beachtung bekommen soll.

Ich bin nicht gegen Texte, im Gegenteil, ich lese gerne politische Texte und diskutiere gerne darüber. Aber unsere Hoffnung soll doch noch immer auf der Straße und in der realen Begegnungen und Diskussionen der Menschen liegen und nicht allein auf der Papiere und schon gar nicht im Internet.