Die Pegida-Zähler

Menschen statt Bäume zählen: Matthias Schuh studiert eigentlich Forstwirtschaft. Nun erfasst er mit seiner Digitalkamera jeden Montag die Pegida-Demonstranten und erzielt damit sehr genaue Ergebnisse.
Erstveröffentlicht: 
06.05.2015

Immer wieder gibt es Streit um Teilnehmerzahlen. Studenten setzen nun auf Fotos, leben dabei aber nicht ungefährlich.

 

Fast unsichtbar thront die Kamera über den Köpfen der Demonstranten, die unten am Terrassenufer vorbeiziehen. Es ist wieder Pegida-Montag. Zwischen den Geländerstäben der Brühlschen Terrasse nimmt die Digitalkamera alle Teilnehmer auf, die zurück zum Kundgebungsort am Schloßplatz laufen. Matthias Schuh guckt aufs Display. „Diese Woche sind es mehr als letzte“, schätzt der 25-jährige Student. Erst am Ende wird das Video einen Überblick darüber liefern, wie viele demonstriert haben.

 

Seit Monaten gibt es Streit um die Teilnehmerzahlen. Polizei, Veranstalter und Beobachter liegen in ihren Einschätzungen weit auseinander. Matthias Schuh und zwei weitere Studenten der TU Dresden haben das Verfahren vergangene Woche das erste Mal bei Pegida eingesetzt. Während die Polizei auf 3 000 Teilnehmer kam, zählten Schuh und seine Kommilitonen nur rund die Hälfte. Die Polizei nutzt mehrere Methoden, unter anderem Schätzungen nach Fläche. Demnach passen zwei bis drei Menschen auf einen Quadratmeter. Diesen Montag wäre die Messung fast ausgefallen. Wegen der Initiative „Nein zum Heim“, die am Freitag in Freital demonstrierte. In sozialen Netzwerken feiern sich die Organisatoren zwar für eine friedliche und gewaltfreie Demo. Aber Matthias Schuh hat das anders erlebt. Als er Überblicksfotos von außerhalb des Veranstaltungsgeländes machte, sei ein Demonstrant auf ihn zugekommen und habe gefragt, für welche Zeitung er arbeiten würde. „Ich antwortete: für keine, aber ich kann ja Fotos machen“, sagt Schuh. Zu weiteren Erklärungen kommt es nicht. Er solle „sich verpissen“, bekommt Schuh zu hören. Noch einer sei dazugekommen und habe ihn am Pullover gepackt. Schuh will den geordneten Rückzug antreten, geht zu einem 50 Meter entfernten Polizeiauto.

 

Auf dem Weg dahin stürmen weitere Anti-Asyl-Demonstranten von der Seite heran. Fünf Mann gehen auf Matthias Schuh los. „Einer von ihnen hat mich getreten“, sagt er. „Diese Aggressivität hat mich überrascht.“ Die Polizisten stellen schließlich die Identität des Schlägers fest. Schuh will Strafanzeige gegen den Täter erstatten. „Der Angriff hat mich ganz schön mitgenommen“, sagt der Student. „Dass man beleidigt und angemacht wird, damit kann ich leben, aber dass die einem an die Wäsche wollen, ist eine andere Dimension.“

Deshalb habe er auch bei der jüngsten Pegida-Demo zunächst um seine Sicherheit gebangt, sich später aber gesagt: „Jetzt erst recht.“ Zudem seien in Dresden mehr Polizisten im Einsatz. Bis gestern Vormittag haben Schuh und seine Mitstreiter das Video ausgewertet. Das Ergebnis: 2 992 Menschen liefen im Pegida-Aufzug mit.

 

Software liefert genaue Ergebnisse

 

Dafür haben die Wissenschaftler knapp zwölf Minuten Video in Einzelbilder unterteilt und am Ende 117 Fotos ausgewählt. Per Software wird jeder mit einem grünen Punkt markiert. Menschen, die auf mehreren Fotos zu sehen sind, erhalten in Folgebildern einen roten Punkt. Per Computer werden dann die grünen Punkte ausgezählt. Bei maximal fünf Prozent liege die Fehlerquote. Die komme unter anderem durch Auszählungsfehler zustande. Die Ergebnisse von Schuh und seinen Mitstreitern kann jeder selbst prüfen. Sie stehen im Internet.

 

Eine Kontrolle der Zahlen aus der vergangenen Woche durch Wissenschaftler der Uni Leipzig ergab 1 488 Demo-Teilnehmer. Die Dresdner Studenten hatten 1 462 gezählt. Das sind knapp zwei Prozent Abweichung. Demonstranten per Videozählung zu erfassen, sei eine Feierabendidee gewesen, erzählt Schuh. Pegida sei das Thema in der Stadt. Der Student und seine Mitstreiter hätten sich immer wieder amüsiert, wie die verschiedenen Akteure Zahlen ermitteln. „Keiner hat bisher ein überzeugendes Ergebnis geliefert, das belegbar ist“, sagt Schuh. „Wir wollten testen, ob man es genau zählen kann.“ Sonst zählt der Forstwirtschaftsstudent eher im Wald. Zum Beispiel, wie viele Bäume in welcher Größe auf einer bestimmten Fläche stehen, um das Holzvolumen zu ermitteln.

 

Daneben stehen nun Menschen im Fokus. „Uns geht es vor allem um Transparenz, egal, bei welcher Veranstaltung“, sagt Matthias Schuh. Auch bei der Tolerade am vergangenen Wochenende waren die Studenten. „Das war ein Horror, weil man nie genau sehen konnte, wer nun Teilnehmer oder Zuschauer ist“, sagt Schuh. „Da kann ich zwar punktuell zählen, repräsentativ ist das aber nicht.“ Auch an den nächsten Montagen und bei anderen Großveranstaltungen soll die Videotechnik wieder zum Einsatz kommen. „Wir lassen uns auch nach dem Erlebnis in Freital nicht unterkriegen.“

 

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ergab 1488 Demo-Teilnehmer

*schmunzel*