Podiumsdiskussion: Kriminalität und Radikalisierung in Leipzig auf dem Vormarsch

Erstveröffentlicht: 
22.04.2015

Leipzig. Die Kriminalität auf Rekordniveau, die Polizei am Rande der Belastbarkeit, die Extremisten gewaltbereit wie noch nie: Es gab viel zu besprechen, als die Friedrich-Ebert-Stiftung am Dienstagabend zur Podiumsdiskussion ins Studio 3 am Friedrich-List-Platz einlud. „Kann man in Leipzig sicher leben?", fragte Moderator Holger Tschense zu Beginn.

 

Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) berief sich auf jüngste Umfragen: „Die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung ist gewachsen." Polizeipräsident Bernd Merbitz bemühte die aktuelle Kriminalstatistik, wonach es mit 79.235 Straftaten im Jahr 2014 so viele Delikte gab wie seit 1999 nicht mehr. „Wenn das subjektive Sicherheitsgefühl gestört ist, kann man nur schwer erklären, dass Leipzig sicher ist", so Merbitz. CDU-Stadtrat Achim Haas ist selbst zum Opfer von Einbrechern geworden. „Als ich Heiligabend heimkam, war das Haus aufgebrochen und alles weg, was einem lieb ist." Er haderte mit der Rechtssprechung: „Ich wünsche mir, dass ein Täter nicht 17 Mal erkennungsdienstlich behandelt wird, sondern auch mal eingesperrt wird." Leipzigs SPD-Chef Hassan Soilihi Mzè, dessen Vater zu DDR-Zeiten vom Inselstaat Komoren nach Zwickau gekommen war, lobte Leipzigs Weltoffenheit: Anfeindungen wie anderswo habe er hier noch nicht erlebt. Allerdings sei eine politische Radikalisierung von Gewalt zu beobachten.

Damit war die Runde auch schon beim dominierenden Thema der vergangenen Wochen: Die Ausschreitungen im Umfeld der wöchentlichen Legida-Aufzüge sowie die Angriffe von Linksautonomen auf Polizei- und Gerichtsgebäude. „Ich stelle mit Erschrecken fest, dass die Brutalität zugenommen hat", so Merbitz. Erst am Montag habe er mit jenen zwei Beamten gesprochen, die sich im Connewitzer Polizeiposten befanden, als dieser Anfang Januar von Vermummten angegriffen wurde. „Die Kollegen sind fertig", berichtete der Polizeichef merklich berührt, „ich weiß nicht, ob sie jemals wieder in den Dienst zurückkommen." Gewalt habe es in der Connewitzer Szene schon vor 20 Jahren gegeben, so der frühere Leiter der Abteilung Staatsschutz beim Landeskriminalamt Sachsen. „Aber meine mahnenden Worte sind damals überhört worden", erinnerte Merbitz. Auch Haas sah die Verantwortung bei der Stadt. „Das, was in Connewitz passiert, haben wir vor 20 Jahren dort platziert und es ist Stück für Stück gewachsen."

„Auf beiden Seiten wird der Ton schärfer und die Gewaltbereitschaft steigt", stellte Hassan Soilihi Mzè angesichts der Legida-Problematik fest. „Sie können sich nicht vorstellen, wie vulgär wir bei den Demonstrationen beschimpft werden", berichtete Rosenthal, „das habe ich in meiner Amtszeit noch nicht erlebt." Die Stadtgesellschaft sei aufgefordert, die Diskussion zu führen. „Ein funktionierendes Gemeinwesen, ein soziales Miteinander – da sieht es nicht gut aus", so der Ordnungsbürgermeister. Auch Merbitz ist für „argumentieren statt ignorieren", denn die Polizei allein könne das Problem um Legida und die Proteste nicht lösen. Ohnehin sind die Beamten im Dauerstress. Voriges Jahr gab es 126 Polizeieinsätze aufgrund von Demos und Kundgebungen, informierte Merbitz, im ersten Quartal 2015 waren es immerhin schon wieder 43.

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