AUF ZU NEUEN TATEN - Nachbereitungstext zu den NOWKR-Protesten 2015

Auf zu neuen Taten

Mit dem folgenden Text möchten wir als NOWKR-Bündnis die Proteste gegen den Wiener Akademikerball 2015 nachbereiten und das Ende der Kampagne NOWKR verkünden und kritisch reflektieren. Text auch auf: http://nowkr.at/

 

DEN WIENER AKADEMIKERBALL MÖGLICH GEMACHT

Am Abend des Akademikerballs und in den Wochen davor stand uns ein österreichischer Staat gegenüber, der einmal mehr autoritär und antiliberal agierte und dabei auf polizeistaatliche Methoden zurückgriff. Am Tag selbst wurde diese Eskalation auf die Spitze getrieben. Es gab so viele Festnahmen wie noch nie, prügelnde Cops marodierten durch die Innenstadt, am Schwarzenbergplatz kam es zu besonders unschönen Szenen.

 

In den Wochen davor beherrschte die Frage nach einer Distanzierung von Gewalt den medialen und gesellschaftlichen Diskurs um den Akademikerball. Die Debatte war damit dermaßen weit von der eigentlichen Sache – dem extrem rechten Event in der Hofburg – entfernt, dass es HC Strache beispielsweise mehrmals möglich war, ohne dass ein großer Aufschrei gefolgt wäre, von Antifaschist_innen als SA (Sozialistische Antifa) zu sprechen. Wenn Strache die antifaschistischen Proteste gegen den Akademikerball mit der SA gleichsetzt, steckt dahinter der Wunsch, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, zu leugnen oder zu verharmlosen, um sich weiter ungebrochen mit dem schuldbeladenen nationalen Kollektiv identifizieren zu können. Diese Täter-Opfer-Umkehr war und ist prägend für den Umgang der österreichischen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus und findet sich nicht nur bei ausgewiesenen Rechtsextremen. Zudem lässt sich hier anschaulich aufzeigen, wie die extreme Rechte in Österreich die Grenze des Sagbaren immer weiter zu ihren Gunsten verschiebt. Was vor ein paar Jahren einen kurzen Skandal wert war, ist es kurze Zeit später nicht mehr und kaum jemand stößt sich noch daran. Dass eine Skandalisierung rechtsextremer bis neonazistischer Positionen in Österreich ohne Konsequenzen bleibt, lässt sich anhand der medialen Berichterstattung und den Reaktionen der politischen Parteien immer wieder beobachten.

 

Unser Versuch, die Gewaltdebatte, die nach den kleineren Zwischenfällen im Jänner 2014 vorauszusehen war, als Sprungbrett für eine breitere, radikale Kritik der Gesellschaft zu nutzen, hat in weiten Teilen der österreichischen Gesellschaft wie zu erwarten Hass und Ablehnung hervorgerufen. Was wir mit Gewalt und ihrem Ende meinten interessierte abseits der radikalen Linken kaum jemanden. Stattdessen kam es zu einer Entpolitisierung des Protestes und dem gelungenen Versuch der Spaltung in „gute“ und „böse“ Antifaschist_innen, also in all jene, die sich von Militanz distanzieren und jene, die sich die Ebenen und Mittel antifaschistischer Arbeit nicht vorschreiben lassen wollen. Die Polizei versuchte eine Bekenntnisdemokratie einzuführen. Nur wer ausschließen könne, dass keine anderen Dinge passieren, als jene, zu denen man selbst aufgerufen hat, soll demonstrieren können.

 

Der nächste Schlag nach der medialen Delegitimierung von NOWKR und der Angstmache vor dem ausstehenden „Bürgerkrieg“ war das Totalverbot all unserer Demos, welches der Wiener Polizeipräsident Pürstl in der Pressekonferenz am 28.01, frei nach ZSK's „egal wo ihr auftaucht, wir sind zuerst da“, verlautbarte. Die mithin heftigsten Schläge der Repression verpasste uns der Polizeiapparat jedoch erst am Vorabend des Balles: Über die Medien erfuhren wir von einem Antrag auf vorläufige Festnahme unserer beiden Pressesprecher, gefolgt von einer Anzeige der Polizei bei der Staatsanwaltschaft wegen §278 StGB (kriminelle Vereinigung) gegen NOWKR.

 

Die Kombination aus Isolation und Repression gegen uns sowie dem Demoverbot hatte alle Pläne über den Haufen und uns in einen Zustand der Ideenlosigkeit und Einschüchterung geworfen. In großen Teilen der Welt finden politische Auseinandersetzungen auf der Straße statt, in Österreich werden sie gerne untersagt. Teile der Öffentlichkeit wünschen sich eine Friedhofsruhe im ersten Bezirk, während deutsch-völkische Rassist_innen und Antisemit_innen auf dem Tanzparkett der Hofburg feiern. Dass am Abend selbst dann doch nicht alles ruhig verlief, ist denjenigen Antifaschist_innen zu verdanken, die sich von alldem nicht haben einschüchtern lassen.

 

ALLES IST GUT!

Große Teile der Zivilgesellschaft treten mit der absurden Behauptung auf, NOWKR würde „ihren“ Protest kaputt machen auf. Absurd, weil die Zivilgesellschaft erst seit 2012, vier Jahre nach den ersten autonome Protesten – und das maximal mit symbolischen Kundgebungen – gegen den Ball mobilisiert. Bei anderen Aufmärschen der extremen Rechten („Identitäre“ im Mai, Burschenschafter im Juni, PEGIDA im Februar) lässt sich die „Zivilgesellschaft“ ohnehin nicht blicken. Anders verhält sich die “Offensive Gegen Rechts”, die, zumindest verbal, für aktive Blockaden einsteht. Sich allerdings bei angemeldeten „Blockadepunkten“, die ohnehin schon von Polizeigittern versperrt sind und in der Polizeistrategie nicht als Zufahrtswege genutzt werden, hinzusetzen, erscheint uns nicht als wirksame Methode.

 

Die OGR, in vorauseilendem Gehorsam gebetsmühlenartig wiederholend, dass von ihr keine Eskalation ausgehe, feierte den 30. Jänner trotz des stattgefundenen Balls als vollen Erfolg. Darüber, dass NOWKR jegliche Demonstration untersagt, jeglicher Ausdruck genommen wurde und den Mitgliedern Kriminalisierung droht, die Eskalation von Seiten der Polizei also schon längst da war, verliert die OGR in der Nachbereitung kein Wort, gilt es doch, den Schein des Erfolgs zu wahren. Diese Inszenierung von gewaltfreiem Protest trieb die Spaltung in „gute“ und „böse“ Antifaschist_innen voran und erleichterte die politische Entscheidung des Verbots aller NOWKR Demos. Dass sie es sich trotzdem nicht nehmen lassen, sich gerne einmal Erfolge anderer auf die Fahne zu schreiben, zeigen die Proteste gegen den ersten PEGIDA‐Aufmarsch am 2. Februar deutlich: Während großteils autonome Antifaschist_innen den Hooligan‐Mob aktiv und effektiv durch Blockaden und Ketten stoppten, spazierte die OGR „Keinen Meter“‐schreiend fernab des Geschehens.

 

UNSERN HASS DEN KÖNNT IHR HABEN!

Der tatsächliche Aufschrei gegen NOWKR und autonome Protestformen begann jedoch schon vorher: die Ausschreitungen (eine Ballgästin wurde aggressiv bespuckt) von 2013 noch im Genick sitzend, sah sich die Gesellschaft mit dem Demo‐Motto „Unseren Hass, den könnt ihr haben“ in dem bestätigt, was sie schon lange bestätigt haben wollte: Der wahre Feind des bürgerlichen Friedens, das sind nicht die tanzenden Anzugträger mit „umstrittener Gesinnung“, sondern jene Menschen, die Nazis hassen. In den Fokus der Berichterstattung waren das Spektakel, die Sensationslüsternheit nach Krawall und Aufruhr und die Verabscheuung militanter Aktionsformen gerückt, wohingegen der Ball selbst so gut wie gar nicht thematisiert wurde. Dies sei hier festzuhalten: In Österreich, dem Nachfolgestaat jener Gesellschaft, die keine 75 Jahre zuvor das Projekt der industriellen Massenvernichtung beinahe vollendete, in diesem Österreich sorgt es für Empörung, Distanzierung und Delegitimierung, wenn man sagt, dass man jene, die den Vernichtungsgedanken direkt oder indirekt weiterleben lassen, hasst. Menschen wiederum, die Kühnengrüße machen, in nazistischen Wehrsportgruppen aktiv waren, die NOWKR‐Proteste als „Reichskristallnacht“, sich als „neuen Juden“ und Antifas als neue Faschisten bzw. SA bezeichnen, werden von einem Drittel der Bevölkerung bejubelt. Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht.

 

JEDES JAHR DIESELBE SCHEISSE?

Wir haben als autonome Antifas den damaligen WKR‐Ball 2008 das erste Mal kritisiert und angegriffen. Seitdem konnten wir einige Erfolge verbuchen: Die Zahl der Protestierenden vergrößerte sich indirekt proportional zur Zahl der Ballbesucher_innen – vom „größten couleurstudentischen Gesellschaftsereignis im deutschsprachigen Raum“ ist längst nicht mehr zu sprechen. Zudem konnten Burschenschafter bzw. ihre Ideologie als extrem rechts enttarnt und mit relativ breiter gesellschaftlicher Zustimmung kritisiert werden. Das Fernbleiben namhafter Gäste aus dem Ausland in den letzten Jahren hat dem Ball den Charakter des „rechtsextremen Vernetzungstreffens“ genommen und zu dem gemacht, was er jetzt ist: die traurige Zusammenkunft einiger letzter, der Sache treu gebliebener Schmissfressen.

 

Von den Anfängen bis heute wurde es geschafft, eine breite Beteiligung zu erreichen. Beispielhaft dafür steht die öffentlichkeitswirksame Initiative einiger Taxifahrer_innen, Ballgästen die Fahrt zur Hofburg zu verwehren. Ein dezidiert linksradikaler Ausdruck litt jedoch darunter, weil er marginalisiert und dieses Jahr (wieder einmal) verboten wurde. Spätestens 2011 wurde von NOWKR der Versuch gestartet, die Kritik nicht bei Burschenschaftern stehen bleiben zu lassen, sondern einen Schritt weiter zu gehen: Die Ballgäste der extremen Rechten bieten als “Spitze des reaktionären Eisbergs” ein dankbares Beispiel für den Alltag in Österreich bzw. in diesen Verhältnissen. Sie wollen jene Gesellschaft, die bürgerlich‐kapitalistische, an deren Abschaffung wir arbeiten, durch ihren Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, etc. noch schlimmer gestalten, als sie ohnehin schon ist. Diese radikale Gesellschaftskritik, als Hauptunterscheidungsmerkmal zu anderen Bündnissen, wurde durch Texte, Veranstaltungen und den Democharakter nach außen getragen. Trotz dieser Erfolge wird es, ist der Ball doch von bewaffneten staatlichen Truppen beschützt, wohl nicht möglich sein, ihn komplett zu verhindern. Unserer Einschätzung nach ist das Event für Link(sradikal)e inzwischen weitaus wichtiger geworden, als er an Bedeutung für die extreme Rechte noch darstellt. Deshalb haben wir bereits im Vorfeld angekündigt, dass dies die letzte große Mobilisierung war: NOWKR ist Geschichte. Linksradikaler Protest darf nicht zum Selbstzweck werden oder gar in purer Tradition untergehen. Das heißt natürlich weder, dass wir als autonome Antifaschist_innen nächstes Jahr nicht erneut gegen Burschenschafter auf der Straße stehen werden, noch, dass unsere linksradikale Politik hier ihr Ende findet. Im Gegenteil:

 

ENDE HEISST ANFANG

Es gibt nach wie vor viel zu tun. Die radikale Linke konnte auf die staatlichen Repressionsschläge kaum bis gar nicht reagieren. Uns als Bündnis gelang es nicht, an dem Abend trotz des Demoverbots einen eigenständigen, entschlossenen, dem Verbot angemessenen Ausdruck auf die Straße zu bringen. Ebenso konnten die Proteste der FPÖ nicht wirklich schaden. Die Entscheidung, sich durch eine aktive Pressearbeit ins mediale Getümmel zu stürzen, war eine bewusste. Zwar konnten wir in vielen Medien unsere Inhalte unterbringen, jedoch war es illusorisch, zu glauben, eine Debatte über Gewaltverhältnisse entfachen zu können und mehr als die Freude am Spektakel zu befriedigen. Die radikale Linke sollte sich nicht in rastloser Politikmacherei ausdrücken, sondern die eigenen inhaltlichen und praktischen Positionen reflektieren und weiterbringen. Wir werden den Fokus unserer Kritik und unseres Handelns in Zukunft zunehmend in Richtung dessen, was als „gesellschaftliche Mitte“ historisch und aktuell anschlussfähig für reaktionäre Ideologie war und ist, rücken. Nämlich die Kritik an Staat, Nation, Kapital und Patriarchat auf die „Mitte“ der Gesellschaft zu tragen und das zu starten, was lange aussteht: eine Offensive gegen Österreich. Wir laden alle autonomen, antifaschistischen Genoss_innen ein, daran teilzuhaben, in welcher Form auch immer.

 

Für ein Ende der Gewalt. Für den Kommunismus!

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Bei aller Selbstkritik solltet ihr euch bitte auch vor Augen halten, dass ihr sehr viel erreicht habt. (Vergleicht euch nicht immer mit der autonomen Szene aus D.)
Viele GenossInnen konnten in den letzten Jahren wertvolle Erfahrungen sammeln und sich dabei auch ideologisch festigen. Ihr hattet mit euren Mobilisieren großen Anteil daran. Ebenso positiv sind die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die breite Solidarität an denen wir auch in Zukunft werden anknüpfen können.

Auch wenn die heurige Mobilisierung nicht so gelaufen ist, wie wir es uns alle erwartet haben. So Manche hatten sehr wohl ihren Spaß ;)
Strategisch-Tatkisch kann mensch von Wien 2015 sehr viel lernen:

Niemals das tun was erwatet wird.
Werden Krawalle herbeigeschrieben, muss genau das Gegenteil passieren und umgekehrt.
Bleibt unkontrollierbar.
Kraft&Liebe aus den Bergen