Seit etwa sechs Monaten existiert auch in Sachsen-Anhalt ein Kreisverband der von Christian Worch gegründeten und angeführten Neonazipartei „Die Rechte“ (DR). Sie ist ein Sammelbecken für – teilweise verbotene – Kameradschaften. Die Gründung des Kreisverbandes, der sich zunächst auf das Jerichower Land beschränkte und sich mittlerweile auf Magdeburg ausgedehnt hat, kam nicht überraschend: Er schließt eine Organisationslücke der Neonazis, die nach dem Zerfall des sogenannten „Freien Netzes“ (FN) entstanden war. Das FN – ein ehemaliges überregionalen Netzwerk militanter Neonazis mit „Aktionsgruppen“ in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – war über mehrere Jahre in der Region aktiv.
Jene Neonazis, die sich nun vor Ort in „Die Rechte“, sind bereits durch Übergriffe auf Antifaschist_innen in Burg aufgefallen. An der Spitze des Kreisverbandes steht der 31-jährige, gewaltbereite und verurteilte Neonazi Ingo Zimmermann aus Burg. Ziel der Partei ist es, im Jahr 2016 an den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt teilzunehmen. Deshalb werfen wir einen genaueren Blick auf Struktur und Personal.
Das antifaschistische Infoblatt bekommt ihr in gedruckter Form u.a. im Burg Theater
Der Kreisverband Braunschweiger Land der Partei „Die Rechte“ gab am 24. Mai 2014 auf seiner Facebook-Seite die Gründung eines Kreisverbandes Jerichower Land bekannt. Aus diesem Anlass wurde ein Foto veröffentlicht, das Parteivorsitzenden Christian Worch und, neben weitere Neonazis aus Niedersachsen, Ingo Zimmermann zeigt. Im Hintergrund: eine schwarze Fahne mit der Aufschrift „Magdeburg“. Absehbar war damit der Plan, demnächst auch in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts eine Ortsgruppe der Neonazipartei zu etablieren.
Das Einzugsgebiet Worchs, lange Zeit führender Kopf der militanten Neonaziszene in Deutschland, weitet sich dadurch nach Jahren der Abwesenheit wieder aus. Zurückgezogen hatte er sich, nachdem die Anhänger des „Freien Netzes“ um Maik Scheffler (Delitzsch/Sachsen) einen Aufmarsch Worchs im Jahr 2007 in Leipzig boykottierten: Zu seiner Veranstaltung kamen nur 37 Neonazis, viel weniger als kurz darauf zu einem FN-Aufmarsch. Das war auch eine Machtdemonstration gegen Worch. In der Folgezeit wollte das FN die „mitteldeutsche“ Szene dominieren, zeitweise bestand im Jerichower Land eine Ortsgruppe. Sie ist wieder verschwunden – Worch besetzt nun ihren Platz.
Karriere des Kreisvorsitzenden
Initiator des ersten Kreisverbandes in Sachsen-Anhalt ist Ingo Zimmermann aus Burg. Er nimmt den Posten des Kreisvorsitzenden ein. Offensichtlich waren dafür seine guten Kontakte zu Neonazis aus Braunschweig (Niedersachsen) hilfreich, die bei der Gründungsveranstaltung dabei waren.
Zimmermann, der für seine Ausbildung Ende der 1990er Jahre nach Braunschweig gezogen war, baute dort u.a. die so genannte „Kameradschaft Skinheads Braunschweig“ mit auf, deren Mitglieder für eine Reihe gewalttätiger Angriffe verantwortlich waren. So war auch Zimmermann selbst in den Jahren 2000 bis 2002 immer wieder an Übergriffen auf Linke und Migrant_innen in Braunschweig beteiligt. Anfang 2002 organisierte er außerdem im Braunschweiger Stadtteil Wenden ein als Geburtstagsfeier getarntes Neonazikonzert, an dem mehrere hundert Gäste teilnahmen und das im Laufe des Abends von der Polizei aufgelöst wurde.
Infolge der zahlreichen Vorfälle wurde Zimmermann mehrfach verurteilt. Zwischen 2003 und 2010 stand er wiederholt auf der berüchtigten „Gefangenenliste“ der schließlich im September 2011 verbotenen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG). In der Zwischenzeit musste Zimmermann offenbar gleich mehrere Haftstrafen verbüßen.
Noch in seiner Braunschweiger Zeit war Zimmerman an der Seite von Neonazis aus dem Jerichower Land zu sehen: erstmals während eines Neonaziaufmarsches im Oktober 2007 in Königs Wusterhausen (Brandenburg) sowie ein Jahr später beim so genannten „Antikriegstag“ in Dortmund (Nordrhein-Westfalen). Am 27. Januar 2012 versuchte er zudem, gemeinsam mit weiteren Neonazis eine Kundgebung anlässlich des Auschwitz-Gedenktages in der Burger Innenstadt zu stören. Am 9. Mai 2013 schließlich versuchten etwa zehn bewaffnete Neonazis, Burger Antifaschist_innen anzugreifen. Ganz vorne dabei: Zimmermann mit Baseballschläger in der Hand. Seine „Kameraden“ waren unter anderem mit Schlagstöcken ausgestattet. Nur zehn Tage später griff Zimmermann mithilfe eines weiteren örtlichen Neonazis ein Wohnhaus in der Stadt an, in dem Antifaschist_innen leben.
Die Jungs fürs Grobe
Der „Die Rechte“-Kreisverband im Jerichower Land beschränkt sich nicht auf die Region, sondern hat sich bereits auf Magdeburg ausgedehnt. Mittlerweile tritt der Verband unter der Doppelbezeichnung „Magdeburg/Jerichower Land“ auf. Der Hintergrund ist leicht erklärt. Die Neonazis im Jerichower Land sind seit mehreren Jahren personell und organisatorisch so schlecht aufgestellt, dass sie gar nicht in der Lage sind, einen eigenständigen Kreisverband zu führen. Seit Längerem müssen sie daher auf „Unterstützung“ aus anderen Regionen bauen. Der Kreisverband ist ein Ergebnis dieser Aufbauhilfe.
Besonders deutlich wurde dies im vergangen Jahr, als mehrfach Neonazis aus dem Jerichower Land gemeinsam mit weiteren „Kameraden“ aus der Region in und um Magdeburg versuchten, Antifaschist_innen in Burg anzugreifen. Hier kam es Mitte Juli zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den zwei stadtbekannten Neonazis Susanne K. (wohnhaft in Burg) und Bianka S. (wohnhaft in Stegelitz) sowie einigen Antifaschist_innen. Wenige Stunden danach hatten die beteiligten Neonazis Verstärkung geholt – etwa 15 Personen, die teils eigens aus Magdeburg angreist kamen. Gemeinsam lauerten sie Burger Antifas auf und versuchten wiederum, sie bewaffnet anzugreifen.
Eine der zentralen Personen dabei ist Martin S. (wohnhaft in Magdeburg), der von dort aus eine Führungsposition im „Die Rechte“-Kreisverband einnimmt. Zuvor war er bei den „Freien Kräften Magdeburg/Schönebeck“ und den „Autonomen Nationalisten Magdeburg-Süd“ aktiv. Als im November 2013 eine antifaschistische Demonstration durch Burg lief, sammelten sich Martin S., Ingo Zimmermann und etwa 15 weitere Neonazis aus Magdeburg und Gommern (Jerichower Land) zunächst im Stadtteil Burg-Süd. Anschließend versuchten sie, die Demo zu stören.
Facebook als einziges Sprachrohr
Dass bei den Neonazis, die der Partei „Die Rechte“ in Sachsen-Anhalt zugerechnet werden können, die Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegner_innen besonders ausgeprägt ist, zeigt ihr Internet-Auftritt im sozialen Netzwerk Facebook. Im vergangenen Jahr war die Facebook-Seite „Bürgerbündnis Zukunft in Anhalt“ gestartet worden – anfangs bestückt mit Hinweisen auf soziale Probleme, dann immer mehr fokussiert auf eine „Auseinandersetzung“ mit antifaschistischen Strukturen in Burg, die als „linke Terroristen“ dargestellt wurden.
Anfang 2014 wurde die Seite durch das „Infoportal Jerichower Land“ ersetzt. Der Name und die Verwendung des Landkreiswappens sollen einen „offiziellen“ Eindruck erwecken. Tatsächlich ist die Seite voller Falschmeldungen, darunter die frei erfundene Behauptung, ein Kind sei im Burger Goethepark von mehreren MigrantInnen verfolgt und bedrängt worden. Ziel des Berichts war offensichtlich eine rassistische Stimmungsmache. Anheizen sollten auch – ebenfalls erfundene – Berichte, nach denen mehrere Antifas einen „Nationalisten“ auf dem Magdalenenplatz zusammengeschlagen hätten.
Nachdem die Behauptung nicht zu halten war, verschwand der ganze Beitrag. Dafür wurden Namen und weitere persönliche Angaben zu Antifaschist_innen aus Burg geposted. Die Quittung dafür: erst die Sperrung, dann die Löschung der gesamten Seite. Wenige Tage später wurde eine neue Seite mit dem alten Namen angemeldet, sie existiert bis heute.
Wer sie betreibt, kann nicht zweifelsfrei gezeigt werden. Es kann sich auch um einen großen Zufall handeln, dass von die Löschung nicht nur der Facebook-Seite galt – sondern zeitgleich auch die Privatprofile von Ingo Zimmermann und des Neonazis Chris A. (wohnhaft in Stresow) verschwanden. Sie tauchten später wieder auf – am gleichen Tag wie die neue Facebook-Seite.
Mittlerweile hat deren Funktion die Seite von „Die Rechte Magdeburg/Jerichower Land“ übernommen. Sie stellt die offizielle Internetpräsenz des Kreisverbandes dar, die ihren Vorgängern in nichts nachsteht. Die ersten Falschmeldungen wurden schon veröffentlicht.
Kreisverband zum Scheitern verurteilt
Zwar besitzen nun, sechs Monate nach der Gründung des ersten Kreisverbandes von „Die Rechte“ in Sachsen-Anhalt, einige Neonazis ein Parteibuch. Aber außer, dass sie jetzt einer Partei angehören, hat sich wenig geändert. Vorteile konnten daraus bislang nicht gezogen werden, abgesehen davon vielleicht, mit der Partei zugleich einem überregionalen Mobilisierungsnetzwerk anzugehören. Womöglich wird sich die Aufmarschpräsenz hiesiger Neonazis steigern. Bislang jedoch endet die Wahrnehmbarkeit an den Grenzen der eigenen Szene.
Vermutlich wird sich daran mit dem jetzigen Kreisvorsitzenden aus Burg auch nichts ändern. Neben Zimmermann gibt es im Jerichower Land keine Kader mehr, die in der Lage wären, Organisationsaufgaben zu übernehmen, geschweige denn, den Kreisverband voranzubringen. Dass künftig NPD-Kader aus Magdeburg einspringen würden, ist aktuell nicht abzusehen.
An der hohen Gewaltbereitschaft der örtlichen Neonazis ändert sich dagegen nichts. Denkbar ist eher eine weitere Eskalation in dem Moment, in dem das Scheitern des Kreisverbandes von seinen Anhängern erkannt wird. Denn üblicherweise machen sie dafür ihre politischen Gegner_innen verantwortlich.
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den beitrag als pdf wäre schön
Ergänzung
Es gibt mittlerweile auch einen Landesverband der Partei in Sachsen-Anhalt. Ein Artikel dazu findet sich unter: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/neonazistische-expansionsbem%C3%B...