Gründungserklärung der Gefangenen Gewerkschaft der JVA Tegel

Knastsstern

Mit der Gründung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ als eine sogenannter nicht-rechtsfähiger Verein nach BGB § 21 i.V.m. § 54 schaffen wir uns als Inhaftierte eine Interessenvertretung, die insbesondere  auf die Unterstützung der in den JVA's arbeitenden Gefangenen zielt. Wir nehmen in diesem Zusammenhang auf das grundgesetzlich verankerte Recht der Koalitionsfreiheit Bezug, welches im Art. 9 Abs. 3 GG verankert ist.


Unser Gewerkschaftsverein, den man als eine Art basisgewerkschaftliche Initiative oder „Spartengewerkschaft“ (ähnlich wie Cockpit und GDL) bezeichnen könnte, steht allen in Tegel einsitzenden Beschäftigten offen. Zwei Themen brennen uns auf den Nägeln: gesetzlicher Mindestlohn und Rentenversicherung. An diesen Punkten setzten wir an...

Die Gewerkschafts-Idee hinter Gittern praktisch werden lassen...

Eine solche gewerkschaftliche Initiative von beschäftigten Gefangenen ist Ausdruck einer Normalisierung, d.h. einer Anpassung an jene Verhältnisse, die außerhalb der Haftanstalten vorherrschen.


In der Regel sind die in der Bundesrepublik tätigen Gewerkschaften ebenfalls wie unsere Initiative nicht-rechtsfähige Vereine. Als Inhaftierte schließen wir damit an eine gängige Praxis gewerkschaftlicher Organisierung an.


Da sich die Gründung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ nicht im Rahmen der sogenannten Gefangenenmitverantwortung nach § 160 StVollzG bewegt, haben wir einen Autonomiegrad als Inhaftierte erlangt, der es uns ermöglicht, im Sinne unserer Interessen innerhalb und außerhalb der Haftanstalt selbstorganisiert aufzutreten.


Wir sehen eine Parallele zum öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsverhältnis der Beamten mit dem Staatsapparat, denn als Gefangene unterliegen gleichfalls einem Sonderstatus. Beiden Gruppen wird jeweils die Arbeit zugewiesen. Gefangene unterliegen weiterhin der sog. Arbeitspflicht (§ 41 StVollzG). Im Gegensatz zur Beamtenschaft, die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gebildet hat, sind Gefangene ohne Gewerkschaft. Hier besteht Nachholbedarf, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen.


Jahrzehntelang sind Projekte von „gewerkschaftsähnlichen Vertretungsformen“ in den JVA's der Bundesrepublik bereits im Anfangsstadium gescheitert. Die Interessenvertretung Inhaftierter (Iv.I), die 2005 gegründet wurde, hat hinsichtlich der Gefangenenorganisierung eine Menge Vorarbeiten geleistet. Ergänzend hierzu ist unsere eigenständige und unabhängige Knast-Initative einer Gewerkschaft zu sehen.


Auch wenn Gefangene in einem „öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis eigener Art“ und nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, stellen sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Denn auch Inhaftierte haben lediglich ihre Arbeitskraft als Ware zum Verkauf anzubieten, um sich in den Haftanstalten beispielsweise über den erforderlichen Zusatzeinkauf zu versorgen oder ihre Angehörigen draußen finanziell zu unterstützen. In diesem Sinne sind sie faktisch Arbeitnehmer wie ihre Kollegen vor den Toren der JVA's. Gefangenen den Arbeitnehmer-Status abzusprechen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund absurd.

Gefangene bringen sich ein...

Damit unsere Gewerkschaftsinitiative konkret Gestalt annehmen kann, ist vorzugsweise an zwei thematischen Strängen zu ziehen: Zum einem ist die Frage des vorgesehenen flächendeckenden Mindestlohns von € 8,50 pro Arbeitsstunde aufzugreifen, da die Situation von arbeitenden Gefangenen in den bundesrepublikanischen Haftanstalten in diesem Kontext bislang kaum thematisiert wurde. Zum anderen ist wiederholt der Missstand anzuprangern, dass Inhaftierte, die innerhalb der Anstalt in den diversen Betrieben Arbeit verrichten, von der Rentenversicherung ausgenommen sind.


Vom Mindestlohn sollen laut Gesetzesvorlage Praktikanten, Beschäftige unter 18 Jahre und Langzeitarbeitslose ausgenommen sein. Damit ist der flächendeckende Mindestlohn bereits löchrig. Inhaftiere scheinen in dieser Debatte überhaupt nicht auf, obwohl Zehntausende von ihnen in den Haftanstalten u.a. für externe Konzerne Produkte fertigen und für staatliche Stellen arbeiten.


Der Ausschluss von der Rentenversicherung für Beschäftige in der Haft hat gravierende Folgen. Nicht nur, dass Rentenansprüche hierdurch minimiert werden, sondern es ist vorprogrammiert, dass Gefangene, die langjährige Haftstrafen abzusitzen haben, nach ihrer Haftzeit direkt in die Altersarmut entlassen werden.
Sowohl die Frage des Mindestlohn als auch die nach der Zukunft der Rente werden aktuell in der Gesellschaft breit diskutiert. Gefangene sind von diesen gesellschaftlichen Debatten ausgeschlossen. Ein Zustand, den wir ändern wollen.

Gewerkschaftliche Solidarität nach innen und von außen einfordern...

Der Doppelcharakter einer gewerkschaftlichen Initiative besteht darin, dass sie nach innen genossenschaftlich-solidarisch, d.h. nach dem Prinzip gegenseitiger Hilfe organisiert ist, während sie nach außen als Verein die legitimen Forderungen der Arbeitenden der Anstalt vertritt.


Eine gewerkschaftliche Selbst-Initiative von Inhaftierten kann eine Voraussetzung sein, damit sich unter ihnen ein stärker ausgeprägter Gemeinschaftssinn und ein engeres Zusammengehörigkeitsgefühl entfallen können. Die Ausbildung kollektiver Interessenlagen kann über die Problematisierung der Arbeitsverhältnisse in den Knästen befördert werden. Wir erhoffen uns, dass wir von DGB-Einzelgewerkschaften (Verdi, IG Metal) und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen (IWW, FAU) eine konkrete Unterstützung erfahren, damit die Knäste für die Inhaftierten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind. Wechselseitige Unterstützung und eine beiderseitige Stärkung stellen wichtige Faktoren, um auf allen gesellschaftlichen Feldern die Gewerkschaftsfreiheit durchzusetzen. Warum sollte der Knast als „sozialer Ort“ davon ausgenommen sein?


Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in anderen Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigen Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen. Die „Gefangen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ will hierbei ein Sprachrohr sein...

Gefangen-Gewerkschaft der JVA Tegel – Ende Mai 2014

Sprecher: Oliver Rast // stellv. Sprecher: Attila-Aziz Genc

Seidelstraße 39
13507 Berlin

Weitere Infos: www.soligruppe.blogsport.eu | www.solikom-olli.site36.net

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Weiter so! :)

http://www.neues-deutschland.de/artikel/934432.tegeler-gefangene-gruende...

 

Von Peter Nowak

 

30.05.2014

 

Berlin / Brandenburg

Tegeler Gefangene gründen GewerkschaftHäftlinge der Justizvollzugsanstalt fordern einen Mindestlohn für Inhaftierte und eine Rentenversicherung

»Gefangene haben bisher keine Lobby. Die schaffen wir uns mit der Gefangenengewerkschaft nun selber«, erklärte Oliver Rast in der Presseerklärung zur Gründung der Gefangenengewerkschaft in der JVA Tegel. Rast war wegen Mitgliedschaft in der linksautonomen militanten gruppe (mg) zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Gemeinsam mit einer Gruppe Gefangener hat er die Gewerkschaftsgründung seit Monaten vorbereitet. Mit der Struktur eines nichtrechtsfähigen Vereins soll der Bestand der Gewerkschaft längerfristig gesichert werden, betont Rast. In der Vergangenheit waren kurzfristige Gewerkschaftsgründungen meist schnell beendet, wenn die Gründer das Gefängnis verließen. Aus diesen Erfahrungen haben die jüngsten Gewerkschaftsgründer gelernt. Den Versuch, so viele Gefangene wie möglich mit einzubeziehen, sieht Rast als erfolgreich an.

Die Gründungserklärung der Knastgewerkschaft sei von zahlreichen Gefängnisinsassen in Tegel unterzeichnet worden. Zu der Unterstützung dürfte beigetragen haben, dass sich die neue Gewerkschaft auf zwei zentrale Forderungen konzentriert: einen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde und eine Rentenversicherung für Gefängnisinsassen. Diese Forderungen werden auch von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen außerhalb der Gefängnismauern unterstützt. Damit soll verhindert werden, dass Häftlinge nach einem längeren Gefängnisaufenthalt mittellos und ohne soziale Absicherung entlassen werden.

Doch wie bei Gewerkschaftsgründungen außerhalb der Gefängnismauern stößt auch die Interessenvertretung in der JVA nicht überall auf Sympathie. Nach der Veröffentlichung der Gründungserklärung wurden in den Zellen von Rast und einem weiteren Gewerkschaftsaktivisten bei einer Zellenrazzia zahlreiche Unterlagen zur Gewerkschaftsgründung beschlagnahmt. Der Leiter des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit der JVA Tegel, Lars Hoffmann, wollte auf Nachfrage gegenüber »nd« zu der Gewerkschaftsgründung und der Durchsuchung keine Stellungnahme abgeben.

Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der Rast juristisch vertritt, betont, dass die gewerkschaftlich engagierten Häftlinge nur ihr Grundrecht wahrnehmen. Schließlich gelte das in Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis. Auch der Gefangenenbeauftragte des zivilgesellschaftlichen Komitees für Grundrechte und Demokratie, Christian Herrgesell, sieht in der Gewerkschaftsgründung die Wahrnehmung eines Grundrechts. Allerdings zeige die Erfahrung immer wieder, dass die Anstaltsleitungen häufig mit der Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der JVA argumentieren, um Grundrechte in Bezug auf die politische Willensbildung im Gefängnis einzuschränken. Daher sei es immer wichtig, dass solche Initiativen hinter Knastmauern von außen unterstützt werden.

In der Gründungserklärung der Knastgewerkschaft werden ausdrücklich verschiedene gewerkschaftliche Strukturen angesprochen. »Wir erhoffen uns von DGB-Einzelgewerkschaften und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen eine konkrete Unterstützung«, heißt es dort. Kritisiert wird in der Erklärung, dass bei der aktuellen Debatte über den Mindestlohn Inhaftierte vergessen werden, »obwohl Zehntausende von ihnen in den Haftanstalten u.a. für externe Konzerne Produkte fertigen und für staatliche Stellen arbeiten.« Die Unterstützung der Knastgewerkschaft könnte so auch verhindern, dass Gefängnisse als gewerkschaftsfreie Zonen zum Lohndumping beitragen.



taz:

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F05%2F3...

Razzia bei der IG Knast

JUSTIZ In Tegel werden Zellen zweier Insassen durchsucht, die eine Gewerkschaft gründen

Die Leitung der Justizvollzugsanstalt Tegel hat die Zellen zweier Häftlinge durchsuchen lassen, die zuvor den Aufruf zur Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft verbreitet hatten. Dies bestätigte Justizsprecherin Lisa Jani am Donnerstag der taz. Auf dem mit einer Unterschriftenliste verbundenen beschlagnahmten Aufruf sei die Einführung des Mindestlohns für Gefangene sowie deren Aufnahme in die Rentenversicherung gefordert worden.

"Gefangene haben bisher keine Lobby. Die schaffen wir uns mit der Gefangenen-Gewerkschaft nun selber", erklärt ihr Sprecher Oliver Rast in der Presseerklärung zur Gründung. Rast, dessen Zelle durchsucht wurde, war wegen Mitgliedschaft in der linksautonomen militanten gruppe (mg) zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Gefangener hatte er die Gewerkschaftsgründung bereits seit mehreren Monaten vorbereitet.

Grundrechte im Knast

Der Rechtsanwalt Sven Lindemann, der Rast juristisch vertritt, kritisierte die Durchsuchung und betonte, dass die gewerkschaftlich engagierten Häftlinge lediglich ihr Grundrecht wahrnehmen: Schließlich sei das in Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis nicht aufgehoben.

Justizsprecherin Jani erklärte hingegen, dass jedwede politische Aktivitäten, wozu auch das Sammeln von Unterschriften gehöre, zuvor mit der Anstaltsleitung abzusprechen seien, "um der Gefahr vorzubeugen, dass es zu einer Aufwiegelung" komme. Das Vorgehen gegen die Gefangenen begründete Jani mit dem Verstoß gegen diese Regel. Es sei nicht darum gegangen, die Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft zu verhindern.

PETER NOWAK, PLUTONIA PLARRE

Die FAU Berlin verurteilt scharf das Agieren der Gefängnisleitung der JVA Tegel gegen den Basisgewerkschafter und Sprecher der neu gegründeten Gefangenengewerkschaft JVA Tegel Oliver Rast, sowie seinen stellvertretenden Sprecher Atilla-Aziz Genc. Die Zellen wurden am 27. Mai in Abwesenheit aufgrund des Aufrufs zur Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft durchsucht. Diese wollte sich u.a. mit dem Themen Mindestlohn für Gefangene und Rentenversicherung für Gefangene auseinandersetzen.

Die FAU Berlin fordert darüber hinaus auch weiterhin seine sofortige Freilassung und solidarisiert sich mit dem mutigen Unterfangen, innerhalb der brutalen Wirtschaftszone Gefängnis, in der Gefangene mit unterirdischen Löhnen, Arbeitszwang und minimalen Rechten konfrontiert sind, eine Interessenvertretung der arbeitenden Gefangenen aufzubauen.

Gewerkschaftliche Organisierung ist ein Menschenrecht, und im Rahmen der Koalitionsfreiheit auch durch das Grundgesetz gewährleistet. Weil die Gründung der Gewerkschaft nicht mit der Gefängnisführung abgesprochen war, konnte jene wegen angeblicher „Aufwiegelung“ eine Razzia in Abwesenheit des Gefangenen durchführen. Da es klar ersichtlich war, wie und wofür die Gefangenengewerkschaft antritt, kann diese Argumentation nur als absolute Gewerkschaftsfeindlichkeit betrachtet werden.

Die FAU Berlin fordert daher: Schluss mit der Gewerkschaftsfeindlichkeit in der JVA Tegel und Solidarität mit den Basisgewerkschaftern im Gefängnis!

https://berlin.fau.org/news/solidaritaet-fau-berlin-verurteilt-razzia-gegen-gewerkschafter-in-haft

Wenn das Gefängnis keine gewerkschaftsfreie Zone mehr ist

In der JVA Tegel wird ein Novum versucht

weiterlesen:

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-das-Gefaengnis-keine-gewerkschaftsfreie-Zone-mehr-ist-2212580.html