Im Rahmen der Proteste gegen die Einheitsfeierlichkeiten wurde am 3. Oktober 2013 in Stuttgart auf der sog. "Blaulichtmeile" ein Infostand der Polizei BW von einer Personengruppe zwischen "5 -10 Personen überfallen". Es wurden ca 50 Hochglanzbroschüren und 30 Flyer zerissen. Heute fand am Amtsgericht Stuttgart der Prozess gegen drei angeklagte Personen wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung statt. Der Prozess endete mit zwei Freisprüchen und einer Strafe zu 30 Sozialstunden.
Es folgt nun der Prozessbericht!
Tatvorwurf: Sachbeschädigung gemäß § 303 Absatz 1, 25 Absatz 2 StGB
Sachschaden: ca. 30€
Prozessbeteiligte Personen:
Richter: Herr Savas
Staatsanwältin: Frau Hans
Beweismittel:
Geladene Zeugen:
PHM Uwe Weber (Zivi)
Frank Buth (ehem. Landespolizeipräsident)
Uwe Vincon (Infostandbetreuer)
Christine Menyhart (Infostandbetreuerin)
PHM Markus Liebl (Zivi)
Urkunden:
Auszug aus dem Bundeszentralregister
Strafantrag
sonstige Beweismittel:
Lichtbilder
Anklageschrift:
Die Staatsanwaltschaft legt aufgrund ihrer Ermittlungen den Angeschuldigten Person 1 /2 /3 folgenden Sachverhalt zur Last:
Am 3.10.2013 zwischen 17:30 Uhr und 17:45 Uhr nutzten die Angeschuldigten zusammen mit etwa fünf bis zehn weiteren Begleitern aus dem linken Spektrum die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart-Mitte zu einer Kundgebung im Bereich der „Blaulichtmeile“ im Wolfgang-Windgassen-Weg, um ihre Missachtung gegenüber der Polizei auszudrücken. Während eine unbekannte weibliche Person aus der Gruppe mittels Megaphon Parolen aussprach, entnahmen die Angeschuldigten im bewussten und gewollten Zusammenwirken einem Ständer des Nachwuchswerbestandes ca. 50 Broschüren und ca. 30 Flyer im Gesamtwert von rund 30 Euro an sich, zerissen diese und warfen sie zu Boden, um durch die Unbrauchbarmachung der Unterlagen die Aufklärungsarbeit der Polizei zu erschweren.
Die Angeschuldigten werden daher beschuldigt, gemeinschaftlich rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört zu haben, strafbar als 1 Vergehen der Sachbeschädigung gemäß §§303 Absatz 1, 25 Absatz 2 StGB, bei den Angeschuldigten Person 1 und 2 i.V.m §§1, 105,108 JGG.
Nachdem Person 3 keine Einlassung sowie Aussagen zur Sache geäußert hat erteilt Richter Herr Savas den Angeklagten Personen 1 und 2 das Wort.
In ihren Einlassungen gehen sie auf die Institution Polizei und ihre Fehlverhalten ein. Zur Sache äußerten sie sich jedoch nicht!
Nach Abschluss der Einlassungen wurde die Beweisaufnahme eröffnet.
Zuerst wurde Herr PHM Uwe Weber, stationiert in Weil am Rhein in den Sitzungssaal gebeten.
Dieser gab in seiner Aussage an, dass er durch einen Hinweis auf mögliche Aktionen auf der Blaulichtmeile aufmerksam wurde. Durch sein Bauchgefühl folgte besagter Beamte 2 Personen, einer mit einer „Rastafrisur“ sowie einer mit dunklen Tent.
Auf Höhe des Infostandes der Polizei sah er dann mit eigenen Augen wie Person 2 Prospektmaterial vom Tisch genommen hat und diese in der Luft zerissen hat.
Person 1 konnte er bei keiner aktiven Handlung beobachten.
Person 3 hat er erst beachtet als sich die Gruppe aus bis zu 15 Personen vom „Tatort“ entfernt hat und sich die Personen 1 / 2 / 3 mit einer weiteren weiblichen Person von der Gruppe trennten.
Somit hat er Person 3 während des „Überfalles“ nicht gesehen.
Nach seiner Aussage wurde er vom Vorsitzenden Richter Savas gefragt wie es sein kann, dass seine Aussage im Wortlaut IDENTISCH zu der von Herrn Liebl ist!
Hierauf antwortete Herr U. Weber, dass diese zusammen im Wechsel geschrieben wurde.
Bei der weiteren Befragung durch die Angeklagten und dem anwesenden Richter konnte man den Eindruck gewinnen, dass dieser nicht wirklich etwas gesehen habt! Zitat: „Herr Liebl hat gesagt...“
Für die Personen 1 und 2 wurden folgende Personenbeschreibungen angefertigt:
Person 1: männlich, ca 20 Jahre, zwischen 175-180 cm, auffallende helle Rasta Locken, dunkle Sonnenbrille, beige Jacke und dunkler Rucksack
Person 2: männlich, ca 20 Jahre, ca 180cm, kurze dunkle Haare, dunkler Teint, dunkel gekleidet und Rucksack
Auf die Nachfrage ob er an diesem Tag weitere Menschen mit Rasta Locken gesehen hat, bejahte er dies. Ebenso die Frage nach weiteren Menschen mit dunklen Teint.
Anschließend wurde der Zeuge unvereidigt entlassen.
Nun kamen weitere Zuschauer_innen in den Saal. Angeklagte Person 2 stellte einen Antrag auf Laienverteidigung, welche abgelehnt wurde.
Nun gab es eine kurze Beratungspause beantragt durch Person 1 und 2.
Anschließend wurde ein Beschwerdeantrag geäußert. Richter Savas wollte nun den Prozess vertagen, bis eine Entscheidung des Beschwerdegerichts vorlag. Nachdem bereits ein Termin festgelegt wurde, zog Person 2 diesen Antrag jedoch wieder zurück.
Das Publikum wandte sich sehr oft, teils auch etwas laut stark an den Richter, welcher äußerst besonnen in dem heutigen Prozess agierte. In Stuttgart wäre bei einem anderen Richter schon sehr früh der Saal geräumt geworden! Ebenso wurde kein Bußgeld verordnet!
Anschließend wurde Herr Frank Buth damaliger Landespolizeipräsident in den Zeugenstand geladen.
Dieser gab folgenden Sachverhalt zu Protokoll:
Er wurde von Passanten angesprochen, dass an „unserem Nachwuchswerbestand eine Aktion“ stattfinden würde. Von der Aktion selbst hat er nichts mitbekommen. Die Polizei habe hunderte Flyer vor Ort gehabt. Er kann nicht genau beziffern wie viele Flyer tatsächlich zerstört wurden.
Der anwesende Rechtsanwalt beantragte mit dem Gericht und Herrn Buth die Bilder des zerstörten Infomaterial zu sichten.
Diesem Antrag wurde statt gegeben. Herr Buth bestätigte nochmals, dass er nicht genau beziffern kann wie viele Flyer tatsächlich zerstört wurden.
Der Zeuge Buth wurde unvereidigt wieder entlassen.
Danach wurde KHK Uwe Vincon in den Zeugenstand gerufen.
Dieser erzählte zuerst von dem stark frequenziertem Informationsstand der Polizei. Von der „Aktion“ selbst hat er nichts mitbekommen. Als eine Hand nach seiner Schreibkladde griff, dachte er zuerst an einen Scherz eines Bekannten. Als er feststellte, dass die entsprechende Person ihm nicht bekannt vor kam, folgte dieser der Person, welche sich in einer Gruppe befand.
Nachdem er die weibliche Person darauf angesprochen hat, dass dies seine Unterlagen seien, wurden diese nach einer kurzen Diskussion wieder zurück gegeben. Zu keinem Zeitpunkt ging von der Gruppe eine Aggression aus. Daher ging er von einem Scherz einer „Oberstufen“ Gruppe aus.
Als er wieder an den Stand zurück kam, wurde er von seinen Kolleg_innen darauf hingewiesen, dass der Stand „überfallen“ wurde. Er hält es für nicht ausgeschlossen das es zwei unterschiedliche Gruppen waren.
Dies bestätigte er auf Nachfrage der angeklagten Personen.
Des weiteren sah er den Werbeerfolg nicht wirklich beeinträchtigt dadurch.
Allgemein machte der Zeuge einen ehrlichen Eindruck, welche eine Absprache mit anderen Beamt_innen ausschloss!
Nach einer weiteren Pause wurde der Zeuge Liebl vernommen.
Dieser gab an, dass er an der Haltestelle Charlottenplatz mehrere Personengruppen wahrgenommen hat, welche sich auf dem Weg Richtung Blaulichtmeile sich befanden.
Er äußerte, entgegen der Aussage von Herrn Weber, dass Person 1 und 3 Plakate auf Dixitoiletten beim Verlassen der Blaulichtmeile geklebt hätten.
Des weiteren bestätigte er die gemeinsam angefertigte Aussage mit Herrn Weber.
Wen wunderts?
Nun wurde Frau Christine Menyhart in den Zeugenstand gerufen.
Diese gab an, von dem Überfall erst nach einem Hinweis eines Passanten mitbekommen zu haben.
Sie hörte nun eine Person durch ein Megaphon etwas sagen. Was konnte sie nicht verstehen.
Sie hat niemanden erkennen können. Der Stand war sehr gut frequentiert, sah keine Schädigung der Meinungsäußerung der Polizei. Sie weiß nicht wie viele Flyer wirklich zerstört wurden. Es könnten 20 -30 -40 -50 oder auch 60 Flyer gewesen sein, da der Stand so gut besucht war.
Nach der Rückfrage des Richters wie viele Flyer in ein Fach des Ständers passen gab sie an, dass ca 20-30 rein passen würden.
Vom Auftreten her wirkte sie äußerst ehrlich, da sie eindeutig aus ihrer Erinnerung sprach und nicht im Vorfeld die Akten „auswendig“ gelernt hat!
Nach der Zeugin Menyhart wurde die Hauptverhandlung geschlossen. Die Staatsanwältin verließ ihr Plädoyer. Ihre Forderungen Person 1 sei freizusprechen! Person 2 wurde nachgewiesen, dass diese zumindest 1 – 2 Flyer zerrissen hat, daher ist er zu verurteilen in Form von Sozialstunden nach §§303. Die Höhe der Anzahl der Sozialstunden liege im Ermessen des Richters. Person 3 kann nichts nachgewiesen werden und muss somit freigesprochen werden.
Der Rechtsanwalt der Person 3 plädiert ebenso auf Freispruch. Person 3 schließt sich dem Rechtsanwalt an. Person 1 betont, dass wir hier von Papier reden, mit vagen Behauptungen und teilweise gemeinsam angefertigten Zeugenaussagen. Er plädiert ebenso auf Freispruch seiner Person.
Person 2 äußert in seinem Schlusswort, dass er „um genau zu sein 2 Flyer NACHDEM er diesen überflogen hat“ symbolisch zerrissen hat, da er nicht mit dem Inhalt einverstanden war.
Nach den Einlassungen zog sich Richter Savas für 15 Minuten zurück.
Urteilsverkündung:
Person 1 + 3 werden freigesprochen, da ihnen keine Tat nachgewiesen werden konnte. Die Auslagen trägt die Staatskasse.
Person 2 wird wegen §303 Abs. 1, zu 30 Sozialstunden verurteilt. Diese hat Person 2 innerhalb von 3 Monaten zu leisten.
Urteilsbegründung:
Er betont, dass man auch andere Meinungsäußerungen gelten lassen soll und diese aktzeptieren sollte. Die „Gewalt“ an diesem Tag ging eindeutig NICHT von der Polizei aus. Was bei der Festnahme und Überführung zum Polizeipräsidium statt fand kann er nicht gutheißen, dies wurde jedoch nicht heute behandelt! Er weiß, dass bei der Polizei auch einige „Schwarze Schafe“ vorhanden sind, jedoch gibt es einem nicht das Recht, einen Informationsstand der Polizei zu „überfallen“
Schon während der Urteilsbegründung wurde der Unmut über die Entscheidung des Gerichts lautstark geäußert. Richter Savas zeichnete sich wiedereinmal als „guter“ Richter aus, da er den Dialog mit den Zuschauern nicht scheute.
Fazit:
Für 2 der 3 angeklagten Personen ist dieser Prozessausgang ein voller Erfolg, da sie persönlich freigesprochen wurden. Jedoch wurde eine angeklagte Person zu 30 Sozialstunden verurteilt. Laut dem Vorsitzenden Richter sei dies noch ein „Mildes Urteil“. In Anbetracht der angeblichen Schadenshöhe von „ca. 30€“, welche nicht explizit geklärt werden konnte da es die unterschiedlichsten Aussagen gegeben hat zu der Anzahl der beschädigten Informationsmaterialien ist dieses Urteil eindeutig zu hart! Für „ca. 30€“ wurde ein Prozess geführt, bei dem es von Anfang an klar war, dass es mindestens 2 Freisprüche geben wird...
Armer, armer Steuerzahler!
Person 3 hat es heute mit seinem T-Shirt passend auf den Punkt gebracht:
„Wir lassen uns nicht kriminalisieren!"
Super!
Sehr guter Prozessbericht! Wäre schon wenn in Zukunft mehr Berichte in diesem Stil zu lesen wären!