Geht es darum, Schülern mehr Toleranz hinsichtlich der sexuellen Orientierung anderer nahezubringen, oder droht der Verlust von Werten? Das Thema Homosexualität polarisiert – auch am Heidenheimer Werkgymnasium.
Silja Kummer | 09.01.2014
„Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ heißt eine Petition im Internet, die ein Realschullehrer aus Rohrdorf (Kreis Calw) initiiert hat. Darin wendet sich der Lehrer gegen ein Arbeitspapier des Kultusministeriums, in dem es um fünf Leitprinzipien geht, die die Bildungspläne der Schulen im Land künftig prägen sollen. Ein Aspekt stört den Initiator und die mittlerweile 65 000 Unterzeichner der Petition massiv: die in dem Papier benannte „Akzeptanz sexueller Vielfalt“.
Verlust von Werten
Auch der Vorsitzende des Elternbeirats am Werkgymnasium teilte die Befürchtungen hinsichtlich des neuen Bildungsplans und informierte die anderen Elternvertreter im Dezember über die Petition. „Es geht um den Verlust und die systematische Zersetzung von Werten. Um eine Änderung hin zum ,alles ist normal, was gefällt'“, schrieb er in einer Mail. Er forderte die Elternvertreter auf, die Unterschriftensammlung persönlich zu unterstützen und auch über die Klassenverteiler an die anderen Eltern weiterzugeben. Er habe aber auch geschrieben, dass es sich um seine persönliche Meinung handle und niemand gezwungen sei, die Petition zu unterschreiben oder weiterzuleiten, so der Heidenheimer gestern.
Er bat darum, auch aus Rücksicht auf seine Kinder, seinen Namen nicht zu nennen – zu aufgeheizt sei die Diskussion um das Thema. Er finde die Petition, die mittlerweile auch in überregionalen Medien große Beachtung findet, nach wie vor unterstützenswert, so der Elternbeiratsvorsitzende. Ihm gehe es nicht um eine Attacke gegen Homosexuelle, sondern darum, dass auch andere Minderheiten vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Dies komme in den Leitprinzipien nicht vor, konstatierte der Elternvertreter – obwohl er zugeben musste, dass er das bisher vom Kultusministerium unveröffentlichte Arbeitspapier nicht kennt.
Kultusministerium: Petition verzerrt Sachverhalt
Gegen seine Vermutung steht die Aussage von Kultusminister Andreas Stoch (SPD), der gleichzeitig Landtagsabgeordneter für den Kreis Heidenheim ist: Sein Ministerium sei mitten in der Erarbeitung des Bildungsplans, es gebe bisher nur Arbeitsfassungen. Die Online-Petition verzerre bewusst und arbeite mit Verkürzung und Verfälschung. „Wir wollen an den Schulen ein Klima der Toleranz und Offenheit“, sagt Stoch. Dabei spiele auch die Akzeptanz sexueller Vielfalt eine Rolle – neben vielen weiteren Punkten, in denen Offenheit und vorurteilsfreier Umgang wichtig seien. Der Vorwurf der sexuellen Umerziehung sei völlig absurd und schüre auf unverantwortliche Weise Ängste.
Überrascht von der Initiative des Elternbeiratsvorsitzenden war auch WeG-Schulleiter Werner Schölzel. Er wurde von der Bundespressestelle des Schwulen- und Lesbenverbandes (LSVD) darauf aufmerksam gemacht, dass der ehrenamtliche Elternvertreter sich für die Petition stark gemacht hatte. „Ich distanziere mich als Schulleiter von dieser Aktion“, so Schölzel. Es sei nicht Sache der Schule, eine solche Diskussion unter den Eltern zu entfachen. Auch missfiel ihm der Alleingang des Elternsbeiratsvorsitzenden.
Der Schwulen- und Lesbenverband weist in einem Anschreiben an den Elternbeiratsvorsitzenden auf seine Stellungnahme zum Thema unter der Überschrift „Schule ist kein Ort für Fundamentalisten“ hin, aber auch auf das Leitbild des Werkgymnasiums, wie es auf der Homepage der Schule zu lesen ist: „Grundlegende Werte wie Toleranz und gegenseitiger Respekt, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen leiten und prägen das Handeln aller am Schulleben Beteiligten. Diese Werte sind zugleich Ziel jeglicher pädagogischer Arbeit.“ Diese Grundsätze könnten den neuen Leitlinien des Kultusministeriums sehr nahe kommen – wenn sie denn auch praktiziert werden.
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siehe auch
http://aahdh.blogsport.de/2014/01/30/164/
"Kommenden Samstag planen Gruppierungen aus dem rechtskonservativen und christlich-fundamentalistischen Spektrum in Stuttgart eine Demonstration gegen den Bildungsplan der aktuellen Landesregierung für mehr Vermittlung sexueller Toleranz im Unterricht.
Das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart ruft zu Gegenprotesten auf:
„Die Demonstration ist im Kontext der homophoben und rechtskonservativen Hetze gegen den Bildungsplan Baden-Württembergs 2015 geplant, in dem die Thematik der Sexuellen Vielfalt aufgegriffen werden soll. Aus homophoben Kreisen wurde bspw. eine Internet-Petition gegen den Bildungsplan gestartet, die mitlerweile von fast 200.000 Menschen unterschrieben wurde. Offen rassistische Gruppen wie die „Bürgerbewegung Pax-Europa“, „Politically Incorrect“ oder auch die Partei „Alternative für Deutschland“, unterstützen die homophoben Proteste.
Das lassen wir uns natürlich nicht bieten! Nicht nur Nazis und Rassisten jeglicher Coleur, haben in Stuttgart oder sonstwo etwas zu suchen, noch lesben/trans/schwulenfeindliche Hetzer. Beteiligt euch kreativ und lautstark am Protest gegen die geplante Demo.
Treffpunkt für die Gegen-Proteste: Kundgebung der Partei Die Linke, 14 Uhr Schlossplatz, Stuttgart.“
Auch in Heidenheim erlebten wir vor kurzem eine positive Bezugnahme auf die genannte homophobe Petition. So rief am Heidenheimer Werkgymnasium der Elternbeiratsvorsitzende Karsten T. in einer Rundmail andere Elternvertreter dazu auf, die Petition zu unterstützen und weiterzuleiten.
Der Aktion folgte eine Distanzierung durch den WeG-Schulleiter Werner Schölzel, zudem stellte der Schwulen- und Lesbenverband in einem Anschreiben an den Elternbeiratsvorsitzenden treffend fest:
„Schule ist kein Ort für Fundamentalisten“.
Zuspruch erhielt Karsten T. in Online-Foren u.a. durch lokale Anhänger der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“. Diese fällt auch in der Region Ostalb vermehrt durch homophobe und sexistische Postionierungen und eine unverhohlene Nähe zum rechtsradikalen Spektrum auf.