[FR]: Erklärung der NebenklägerInnen im Prozess gegen Neonazi Florian Stech

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Gestern wurden im Prozess gegen den Neonazi Florian Stech die Plädoyers verlesen. Nach den Plädoyers der NebenklagevertreterInnen verlasen die NebenklägerInnen eine Erklärung. Im folgenden dokumentieren wir die Erklärung.

ACHTUNG: Die Urteilsverkündung gindet am Freitag den 31.01. um 14 Uhr (nicht wie ursprünglich 9 Uhr) im Landgericht statt!

Erklärung der NebenklägerInnen vor dem Freiburger Landgericht im Prozess gegen den Faschisten Florian Stech

 

Wir wollen hier und heute unser Verhältnis zu diesem Prozess darlegen.

 

Nach vielen Stunden, die wir im Verlauf der ersten und der jetzigen zweiten Instanz im Gerichtssaal verbracht haben, sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass wir aus antifaschistischer Sicht nichts von diesem Gericht zu erwarten haben. Im Folgenden wollen wir nun – als Verfahrensbeteiligte, Betroffene und als erklärte Antifaschistinnen und Antifaschisten – die Gründe dafür darlegen:

 

Vorneweg: Der Verlauf dieses Prozesses ist ein Paradebeispiel für das Verhältnis der deutschen Justiz und Polizei zur faschistischen Bewegung, ihrer Hetze und ihren Gewalttaten und Morden einerseits sowie denjenigen, die sich den braunen Banden in den Weg stellen, andererseits. Verharmlosung und Relativierung, bis hin zur Leugnung faschistischer Strukturen und ihrer menschenverachtenden Aktivitäten, während gleichzeitiger Kriminalisierung ihrer linken Gegnerinnen und Gegner. Der Begriff der „Gleichsetzung von rechts und links“ scheint noch untertrieben. Das ist die genauso unwissenschaftliche wie dumme Extremismusdoktrin in Reinkultur. Im übrigen gelten ja hier diejenigen, die auf den Schmutz hinweisen, für viel gefährlicher als die, die den Schmutz machen.

 

Woran wir das in diesem Verfahren konkret festmachen?

 

Da wären zuerst die so zahlreichen angeblichen Ermittlungspannen. Diese fangen mit der unsäglichen Behandlung des Mordversuchs vom Faschisten Stech als „Verkehrsunfall“ an. Obwohl mehrere Zeugen unmittelbar am Tatort von einem Mordversuch gesprochen hatten, blieb es bei dieser polizeilichen Einschätzung und so wurde der Täter, nicht wie bei jedem anderen Fall, wenn der Verdacht auf eine Tötungsabsicht vorliegt, zur Untersuchungshaft festgenommen, sondern musste sich lediglich einem Alkoholtest unterziehen. Dass dieser am frühen Abend, vorgenommen bei einem Schleuser für eine überregionale Naziveranstaltung, negativ ausfallen würde, musste zumindest dem anwesenden Staatsschutzbeamten Hochstein bewusst sein. In diesem Sinne ist schon das allererste polizeiliche Wirken in diesem Fall höchstens als Vortäuschen von Ermittlungsarbeit zu werten. Das, was neben der Verhaftung des Verdächtigen das Normalste gewesen wäre, nämlich eine Spurensicherung am Tatort anzuordnen, blieb genauso aus, wie die eigentlich bei Verdacht auf ein Tötungsdelikt obligatorische Hausdurchsuchung. Letzteres übrigens bis heute.

 

Wäre dies jetzt die einzige „Panne“ geblieben, ließe sich vielleicht tatsächlich von einer solchen sprechen. Es ging aber ja noch weiter:

Es gab keine Anstalten, zu versuchen, den Facebook-Eintrag Stechs, in dem er seine Mordphantasien gegen politische Gegner ausbreitete, sicherzustellen. Die in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen des Beamten Hochstein sind: Er hätte sich auf die Angaben des Angeklagten Stech verlassen, denn er hätte seinen Account gelöscht und deshalb sei da nichts mehr zu finden. Auch von Facebook selbst keine Daten mehr zu bekommen, ist selbstverständlich, wie wir spätestens seit dem letzten Sommer wissen, eine glatte Unwahrheit. Ein „Kriminalhauptkommissar“ glaubt einfach so den Angaben des Mannes, gegen den er die Ermittlungen führen muss, ohne sie zu überprüfen? Er weiß nichts von der Möglichkeit, einen PC zu beschlagnahmen oder eine Anfrage an Facebook zu stellen? Das sollen wir ernsthaft glauben? Nun, das Gericht tut das offenbar schon.

 

Der nächste Punkt ist, dass die verschiedenen Staatsschutzbeamten sich in erster Instanz weigerten, wichtige Fragen zu beantworten, die die strukturellen und organisatorischen Hintergründe der lokalen Naziszene betreffen, in die der Angeklagte ja eingebunden war und die eng mit der Frage des Motivs für seine Tat verbunden sind. Dass die Beamten dies in zweiter Instanz trotz nun vorliegender Aussagegenehmigung wiederum nicht taten, vervollständigt lediglich das gegebene Bild, das man von ihnen haben muss. Verbunden mit der Antwort Hochsteins auf die Frage in erster Instanz, was denn die Nazikameradschaft „Kameradschaft Südsturm Baden“ (KSB) so mache, antwortete er, dass die „sich halt treffen und zusammen deutsche Lieder singen“. Daraus lässt sich keine polizeiliche Naivität, sondern ausschließlich politische Kumpanei mit den Faschisten schlussfolgern.


Um dies zu erkennen, hätte es die ständigen Verweise auf die Gefährlichkeit der Linken, dass die Antifaschistinnen und Antifaschisten am Tatort Streit angefangen hätten und die letzten zwei Jahre ja so häufig aufgefallen seien, gar nicht gebraucht.


Zusammengefasst: Es gab nie ernsthafte Versuche der Polizei, in Richtung versuchten Mordes zu ermitteln – im Gegenteil: Alles, was diese These hätte stützen können, wurde unterlassen.

 

 

Die Freiburger Justiz reiht sich hier nahtlos ein. In erster Instanz wurde die Linie des Relativierens faschistischer Gewalt und ihrer Gefährlichkeit nicht zuletzt an dem unsäglichen Freispruch für Stech deutlich. Aber es spricht auch eine deutliche Sprache, dass seitens des Gerichts in jetziger Instanz immer wieder versucht wird, die vermeintliche Gefährlichkeit der beteiligten Antifaschistinnen und Antifaschisten ins Verfahren einzuführen.


Letztlich sind wir jetzt, während sogar eine DNA-Entnahme des am meisten betroffenen Nebenklägers angeordnet wurde – immerhin ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte – an einem Punkt angelangt, an dem das Verfahren eindeutig in eine Richtung gelenkt wird, die zumindest die Gleichsetzung der antifaschistischen Betroffenen mit dem faschistischen Täter zum Ziel hat.

Dies ist die praktische juristische Umsetzung der oben erwähnten, vom Verfassungsschutz, also dem Inlandsgeheimdienst, erfundenen doktrinären Extremismustheorie. Diese Theorie ist von rechten Köpfen der reaktionären sogenannten Politikwissenschaft erfunden, konstruiert und offiziell etabliert worden. Diese Theorie hat keine wissenschaftliche Grundlage, sondern dient einzig und allein als ideologisches Herrschaftsinstrument der Führenden in Staat und Politik gegen alle, die diese Gesellschaft mit ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen von Grund auf anders aufbauen möchten. Zwei Kammern des Freiburger Landgerichts folgten – bewusst oder unbewusst – dieser Argumentation im Laufe dieses Verfahrens und etliche Zeitungen und Medien, die es eigentlich besser wissen müssten, berichteten aus dieser Perspektive.


Faschisten, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft angreifen und in den letzten 24 Jahren über 200 Menschen ermordet haben, plus die im Moment noch im Ausmaß unklare Dunkelziffer, werden mit denen auf eine Stufe gestellt, die sich ihnen in den Weg stellen!


Konkret: Der Faschismus als brutales und terroristisches Werkzeug der politischen und wirtschaftlichen Eliten – gegen jegliche objektive Interessen der Massen – wird gleichgesetzt mit den Ideen und Bewegungen, die aktiv für eine solidarische Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung, Hunger und Krieg stehen.

 

Nun, wir hätten uns zwar den Verlauf dieses Verfahrens durchaus anders vorstellen können, verwundert sind wir aber auch nicht. Insbesondere politische Erwartungen hatten wir an die bürgerliche Justiz ohnehin nicht – eine Justiz, die faschistische Strukturen, trotz gesetzlicher Möglichkeiten, nicht verbietet, regelmäßig Naziaufmärsche zulässt und die Polizei, die solche Aufmärsche dann immer wieder gerne mit exzessiver Gewalt gegen den Widerstand tausender Antifaschistinnen und Antifaschisten aus allen demokratisch-fortschrittlichen Lagern durchsetzt, anschließend juristisch deckt und immer wieder öffensichtlich lügt, ist nicht in der Lage, den Faschisten wirkungsvoll Grenzen zu setzen.

 

Es kann und darf keine Illusionen darüber geben, dass die bürgerliche Justiz, die wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich eine bruchlose personelle und strukturelle Kontinuität zum deutschen Faschismus vorweist, Teil antifaschistischer Politik sein kann. Rechten Umtrieben Einhalt zu gebieten, dies kann nur über gesellschaftlich breites antifaschistisches Engagement an der Basis wirklich erfolgreich sein. Das muss meist nicht mit, sondern gegen Polizei und Justiz durchgesetzt werden. Das lehren uns diese Verhältnisse in der Bundesrepublik, wobei wenige Ausnahmen die Regel bestätigen.

 

Um das noch einmal klarzustellen:

Uns geht es in diesem Prozess in erster Linie nicht um Rache. Es geht uns darum, die prinzipielle und häufig auch nur allzu konkrete Bereitschaft von Faschisten zum politischen Mord an ihren politischen Gegnern, Andersdenkenden oder einfach nur Menschen, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen, aufzuzeigen und solche Taten zu verhindern. Der Mordversuch auf dem Park&Ride Parkplatz in Riegel ist dafür ein anschauliches Beispiel. Deswegen haben wir uns an diesem Prozess beteiligt: Weil Faschisten für ihre Verbrechen nicht ungeschoren davonkommen dürfen. Das mag zwar in der Bundesrepublik Tradition bis heute haben, aber die Gesetzbücher gegen Faschisten und Feinde der Bevölkerung müssen offensichtlich erst noch geschrieben werden.

 

Es liegt nun auf der Hand, dass wir vom kommenden Urteil nichts zu erwarten haben. An irgendwelchen juristischen oder rhetorischen Tricks und lächerlichen Spielereien, die den Sachverhalt noch weiter von den Tatsachen entstellen und ihn vollends entpolitisieren, beteiligen wir uns natürlich nicht. Es reicht, wenn das der Angeklagte mit seinem Verteidiger übernimmt. Wir wissen, dass die Geschichte eine andere Sprache spricht.

 

Um deutlich zu machen, dass der Prozessverlauf diesen Ansprüchen, wenn schon nicht grundsätzlich, so wenigstens taktisch-politisch, nicht mehr genügt, sondern lediglich die Mythen einer allgemeinen extremistischen Gefahr pflegt, werden wir an der Urteilsverkündung nicht teilnehmen.

 

29. Januar 2014, Freiburg

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Auf der einen Seite fordert ihr mehr Repressionsmaßnahmen, auf der anderen beschwert ihr euch, wenn diese bei den "Falschen" angewendet werden.

Und am Ende schreit ihr gar nach einem strengen Gesetzbuch mit Gesetzen, die natürlich nur gegen eure Gegner angewendet werden dürfen.

Wohin wollt ihr eigentlich?

Es ist ja gut derartige Prozesse kritisch zu begleiten. Es ist auch gut, wenn auf Missstände aufmerksam gemacht wird. Und es ist gut, wenn man die, die für bestehende Gesetze eintreten, auch an diese erinnert und somit die Frage aufwirft, ob sie wirklich davon überzeugt sind und die Einhaltung Sinn macht.

Aber die Konzequenz, die ihr daraus zieht finde ich sehr bedenklich.