Workshop-Tag zum kritischen Umgang mit Demokratie
In den ersten Monaten des Jahres 2011 entstand in Spanien die Bewegung „Democracia Real Ya“ (1). Mit den Occupy Wallstreet Protesten im Herbst des gleichen Jahres schwappte die Parole von der „Democracia Real“ als Forderung nach „echter Demokratie“ nach Deutschland. (2) Übermorgen, am Sonntag, den 26.1., wird in der Berlin (in der B-Lage (3)) ein kritischer Blick zurück auf die damalige Protestszene und überhaupt auf das gängige Reden über „Demokratie“ gewagt.
Die linkskommunistische Gruppe Internationale Kommunist_innen (4) veranstaltet dort in Zusammenarbeit mit politischen Gruppen aus anderen Spektren und unorganisierten politischen Theoretiker*innen einen Workshop-Tag unter der Überschrift „Demokratie – die süßeste Versuchung seit es Politik gibt?“
Die Gruppe *andere zustände ermöglichen (*aze), die 2012 zusammen mit den InterKomm und weiteren Gruppen in Berlin (5) an der Vorbereitung des internationalen antikapitalistischen Aktionstages M 31 (6) beteiligt war, wird bei dem Workshop-Tag einen Input-Beitrag unter der Überschrift „Radikal, aber nicht revolutionär? – Zum Konzept der radikalen Demokratie“ beisteuern (7) und eine gerade fertig gestellte Broschüre zum „D-Wort“ vorstellen.
Neben dem Konzept der „radikalen Demokratie“ von Philosoph*innen wie Jacques Rancière (8) wird über die Haltung Lenins zur Form der Demokratie (9) und über die Demokratie-Kritik des italienischen Linkskommunisten Amadeo Bordiga (10) sowie Nicos Poulantzas Staatstheorie (11) referiert werden. Rüdiger Mats wird „freiraum-gradualistischer Konzeptionen von Vergesellschaftung und direkter Demokratie“ kritisieren (12).
Schließlich wird eine eher tagespolitisch-aktionsorientierte Abschlussdiskussion zwischen
- Anna Dohm, die kürzlich zusammen mit John Malamatinas in der – an der Interventionistischen Linken (IL) beteiligten – Zeitung „analyse & kritik“ über direkte Demokratie als Mittel der „Organisierung des Gemeinsamen“ schrieb (13),
- der Hannoveraner Gruppe Fast Forward (14) des kommunistischen …ums Ganze!-Bündnisses (15)
und
- den InterKomm (16)
zur Frage „Herrschaft und Ausbeutung abschaffen – geht das demokratisch?“ stattfinden.
Bereits im Vorfeld hat der Workshop-Tag einige Wellen ausgelöst: Die taz schreibt in ihrer Veranstaltungsankündigung: „Am Sonntag wird in der B-Lage (Mareschstraße 1, 13.30 Uhr) der ‚Workshop-Tag’ eröffnet, und zwar geht es dort in mehreren Runden um den kritischen Umgang mit Demokratie. Wie wir nicht erst von spätberufenen Radikalinski-Akademikern erfahren haben, ist der Fetisch, den die Demokratie in den westlichen Staaten inzwischen abgibt, einer, der eine gerechte Gesellschaft in vielen Punkten verunmöglicht. Auch haben wir gelernt, dass Basisdemokratie eine konsequente Politik in der Realität eher behindert als befördert. Was tun?, lautet da die Frage, und siehe, auch hier ist der vor genau 90 Jahren verstorbene Lenin nicht weit, seine Thesen zum Demokratie-Essentialismus werden hier neben anderen referiert. Das aber soll nicht heißen, dass man zu dem Ergebnis kommen sollte, Demokratie sei per se sinnlos und der Mullah oder Baschar Hafis al-Assad seien in Persona das, was die von ihnen Unterdrückten sich für Leib und Geist wünschen. Das sollten die Demokratiekritiker_innen bitte auch immer im Auge behalten.“ (17)
Auch im blog http://neoprene.blogsport.de/ (18) und von TOP B3erlin (19) wird der Workshop-Tag angekündigt. Bei http://systemcrash.wordpress.com findet sich zur Vorbereitung ein Artikel zum Thema „‚Demokratie’ und ‚revolutionärer Bruch’“ (20).
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Plataforma_Democracia_Real_Ya
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Occupy_Wall_Street#International
(3) http://b-lage.de/index.php
(4) http://interkomm.so36.net/archiv/2014-01-26/2014-01-26.php
(5) http://m31berlin.blogsport.de/
(6) http://march31.net/de/ und http://strikem31.blogsport.eu/
(7) Vgl. http://aze.blogsport.eu/archives/category/demokratie
(8) Es „ertöne neuerdings der Ruf nach einer ‚guten’ Demokratie, in der die Regeln des öffentlichen Zusammenlebens per Gesetz festgelegt und staatlicherseits durchgesetzt werden.
Ein Beispiel für eine derartige fragwürdige Haltung entdeckt Rancière in der aktuellen Kopftuchdebatte, wo die ‚guten’ laizistischen Werte der Republik der individuellen Freiheit entgegengesetzt werden. Sehr deutlich hat sich in dieser Debatte der Republikanismus als Gegenpol zum Zerfall des Gemeinwesens in individualistische Positionen in Szene gesetzt. Doch nach Rancières Auffassung ist der Republikanismus in Wirklichkeit kaum mehr als eine ideologische Verbrämung der Tatsache, dass eine intellektuelle Elite für sich das Vorrecht beansprucht, der übrigen Gesellschaft ihre Ordnungsvorstellung zu diktieren. Sie folgt damit einer Logik der ‚Polizei’ (…). Denn als ‚polizeilich’ gilt ihm die Vorstellung, dass jedem Einzelnen in der Gesellschaft ein fester symbolischer Ort zugewiesen ist.
Die Frage danach, aus welcher Perspektive sich diese ‚polizeiliche’ Aufteilung der Gesellschaft aufbrechen ließe, hat den 1940 in Algier geborenen Jacques Rancière schon früh beschäftigt. 1965 wurde er zunächst bekannt als Koautor der von Louis Althusser und Etienne Balibar veröffentlichten Studie ‚Lire le Capital’. (…).
In seinen Augen geht es heute darum, den ursprünglichen ‚Skandal’ der Demokratie wieder in Erinnerung zu rufen: dass jede Stimme in der Entscheidung über öffentliche Angelegenheiten zählt – und gleich viel zählt. ‚Politik’, wie Rancière sie definiert, bedeutet, dass eine vorherrschende Ordnung immer wieder durch gesellschaftliche Gruppen, die in ihr nicht oder nicht ausreichend repräsentiert sind, in Frage gestellt und in der Konsequenz das vorherrschende Machtgefüge unterbrochen werden kann. Demokratie ist daher im Wesentlichen Streit über die Gestaltung des öffentlichen Lebens. In den westlichen Demokratien herrsche dagegen die Logik des Konsenses. Unter dem Vorwand, dass ökonomische Globalisierung und finanzielle Knappheit der sozialen Systeme nur sehr eingeschränkte Lösungsmöglichkeiten offen ließen, tritt die Politik ihre Gestaltungskompetenz an Experten ab und werde so, so Rancière, auf die Rolle des ‚Managers’ lokaler Konsequenzen reduziert, wodurch wirkliche Demokratie und wirkliche Politik ausgelöscht würden.“ (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2006/05/12.mondeText.artikel,a0055.idx,18)
(9) Vgl. http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/01/19/mit-lenin-den-demokratie-essentialismus-kritisieren/#comment-17429 und http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/01/19/mit-lenin-den-demokratie-essentialismus-kritisieren/#comment-17495
(10) http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/01/23/wer-war-amadeo-bordiga/
(11) S. z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Poulantzas und http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/ab_ideengeschichte/mitarbeiter_innen/roth/Working_Papers/Working_Paper_Rosenberger.pdf?1373561285, S. 10, 17 - 22, 35 - 45, 55 und 60 - 62.
(12) Vgl. seine Kritik des Linksreformismus: https://soundcloud.com/umsganze/zur-kritik-des-linksreformismus – oder als Videodateien: http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=ax_EQPG0_1Q, http://www.youtube.com/watch?v=jE1a7kJnRJE&feature=player_embedded, http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=mk9gM_3qCFQ und http://www.youtube.com/watch?v=DKApl_0kmvg&feature=player_embedded
(13) ak 587 vom 15.10.2013, S. 4; http://akweb.de/ak_s/ak587/index.htm; der Artikel im Volltext: http://bassrandale.blogsport.de/2013/10/21/vom-ausnahmezustand-zur-organisierung-des-gemeinsamen/
(14) http://kongress.umsganze.org/programm/echte-demokratie-jetzt-oder-nie-workshop/ und http://www.fastforwardhannover.net/ankuendigungen/workshoptag: „In Zeiten in denen große Teile der Welt von der Wirtschaftskrise erfasst sind, ist nicht nur das kapitalistische Wirtschaften wieder Gesprächsthema über die radikale Linke hinaus. Auch die bisher als selbstverständlich beste Regierungsform angenommene parlamentarische Demokratie wird inzwischen kritisiert. Das reale Elend vieler Menschen in der EU als einer der reichsten Regionen der Welt provoziert die Frage nach der richtigen Repräsentation der Bevölkerung durch ‚die da oben’.
So hat dann auch die Bewegung der Empörten aus Spanien die Forderung von ‚Democracia Real’, also echter Demokratie, in die deutschen Occupycamps gebracht, zumindest in deren kurzer Hochzeit. Dies zog ein Anknüpfen an diesen Slogan in linksradikalen Kreisen nach sich, so z.B. in den Blockupy-Protesten 2012. Diese Forderung nimmt erstmal an, dass eine Repräsentation aller durch ein demokratisches System möglich ist, ohne kritisch zu hinterfragen, wie gut dieses eigentlich dazu beigetragen hat, die alltägliche Krise unserer Gesellschaft zu befrieden.
Wir möchten in unserer Veranstaltung versuchen zu zeigen, wie bürgerlicher Staat und repräsentative Demokratie zusammen funktionieren, über was man bei so einer Bundestagswahl eigentlich alles abstimmen kann und wie politische Teilhabe hier überhaupt funktioniert.“
(15) Vgl. von anderen UG-Gruppen zu Occupy & Demokratie: http://basisgruppe-antifa.org/wp/2011/11/17/antikapitalismus-statt-echter-demokratie-2/ und http://top-berlin.net/de/texte/beitraege/occupy-capitalism-100
(16) http://interkomm.so36.net/archiv/2013-12-06/2013-12-06.php [Abschnitt 1.c) Unkritischer Umgang mit Demokratie und Abschnitt 5.c) Demokratiefetisch]
(18) http://neoprene.blogsport.de/2013/09/27/15-11-13-hamburg-dillmann-und-mats-in-hamburg/#comment-97466 und http://neoprene.blogsport.de/2014/01/23/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt-workshop-tag-in-berlin/
(19) http://top-berlin.net/de/termine/berlin/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt
(20) http://systemcrash.wordpress.com/2014/01/20/demokratie-und-revolutionarer-bruch/
Anscheinend blutfreie Schlachtung - Berichte vom Workshop-Tag
Neoprene:
http://neoprene.blogsport.de/2014/01/23/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt-workshop-tag-in-berlin/#comment-98153
und
http://neoprene.blogsport.de/2014/01/23/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt-workshop-tag-in-berlin/#comment-98166
Beitrag eines “Gegenstandpunkt”-lers bei dem Workshop-Tag (nach Darstellung von Neoprene):
http://neoprene.blogsport.de/2014/01/23/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt-workshop-tag-in-berlin/#comment-98232
TaP (Ergänzungen / Korrekturen zu den Berichten von Neoprene und Einwände gegen den "Gegenstandpunkt"-Beitrag):
http://neoprene.blogsport.de/2014/01/23/demokratie-die-suesseste-versuchung-seit-es-politik-gibt-workshop-tag-in-berlin/#comment-98258