[Berlin/Paris] Gegen die Langeweile

„Nach dem Mittgeteilten muß ich auf Mittwoch abend zurückgehen. Truppen junger Burschen, die man an ihren Kleidern und ihrem Benehmen nach auf den ersten  Blick als die gewöhnlichen Besucher der berüchtigten Barrierenbälle erkannte, zogen lärmend und schreiend auf den Marktplatz von Belleville und Menilmontant, wo sie die eisernen Stangen der Markthütten aus der Erde rissen  und mit diesen harmlose Leute insultierten. Gleichzeitig drangen viele derselben  in jene Kaufläden, die nicht früh genug schließen konnten, und zertrümmerten daselbst viele Schränke und Auslegekästen. Auch an anderen Punkten des Boulevards, wie in der Villette, Montmartre und im Faubourg du Temple, fanden starke Zusammenrottungen statt, bei denen einzelne Omnibusse  und friedliche Menschen mit Steinen beworfen  wurden; sobald sich jedoch eine Eskorte Polizei zeigte, entflohen die Verdächtigen, und es blieben nur Haufen Neugieriger zurück….


Um zehn Uhr  rotteten sich Haufen Arbeiter meist jugendlichen Alters zusammen, begannen, die Marseillaise zu singen… und die Laternen einzuwerfen. Bis  11 Uhr ging diese eigentümliche Bewegung vor  sich. Zerrissene Kleider und herrenlos gewordene Hüte waren die Opfer. Doch man amüsierte sich eben! Jetzt aber schien die Sache einen ernsteren Charakter gewinnen zu wollen. Aufwärter der zahllosen Pariser Restaurants, Cafes und Bierhäuser gingen zu den Blusenmeuterern über, man begann mit Macadamsteinen zu werfen und kam auf die Idee Barrikaden zu errichten. Aber woher das Material bei der ungeheuern Weite des Terrains? Omnibusse waren, wie gesagt, nicht vorhanden; in Ermangelung eines anderen nahm man die Eisengitter am Fuße der Bäume auf, zertrümmerte  die Buden der Zeitungsverkäufer, die Anschlaghäuschen der Theater und die Fiacre-Stationshäuschen, auch die Boulevardbänke wurden nicht ohne Mühe losgerissen. Hierauf zog sich ein Teil der Neugierigen zurück. Das Militär sah sich genötigt, an der Ecke des Faubourg Montmarte sowie an der Ecke der Rue Richelieu einzuschreiten. …“

Um eins vorweg zu nehmen: für mich sind ein paar Krawalle noch lange keine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse und bis jetzt sind diese nur partiell befriedigend für mich gewesen.

Was mich jedoch noch weniger befriedigt, ist mein Alltag in dieser beschissenen Stadt Berlin, in der man einfach nichts erleben kann und die Langeweile regiert. Es gab nur eine handvoll Situationen, die ich erlebt habe, bei denen man überhaupt noch von Erfahrungen sprechen kann. Ein paar davon fanden nachts im kollektiven Verbund am Kottbusser Tor statt und wurden meist schnell von den Bullen beendet. Wieso schaffen wir es nicht uns dort oder an anderer Stelle häufiger zu treffen und uns dabei auch einmal wirklich zu begegnen? Braucht es dafür immer einen beschissenen "politischen" Anlass oder reicht nicht die Scheiße, die wir täglich auslöffeln müssen? Mich stört, dass bei solchen nächtlichen Verabredungen viel zu wenig miteinander gesprochen wird, auch über Taktik und Strategie im Scharmützel. Und warum zum Teufel gibt es nie guten Wein zum Feuerwerk? Wenn man sich sofort vermummt dort einfindet, wird das Spiel niemals lange genug dauern, um wenigstens ein bisschen für die täglichen Übel zu entschädigen.

Vielleicht sollte man auch ernsthafter darüber nachdenken die Örtlichkeit zu wechseln. Am Kotti sitzen nachts zu viele Leute in den Cafes, welche sich mit einer passiven Zuschauerrolle im Leben begnügen. Möglicherweise sieht das in gewissen Plattenbausiedlungen anders aus. Grundsätzlich sollte an der Stelle mehr experimentiert werden, denke ich.

Hic rhodus, hic salta!

ein angepisster Arbeitsloser

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Pubertäres "Ichwillwaserleben"-Geschreibsel. Wenn du Wein und Feuerwerk willst, geh auf ne Silversterparty. Riot ja. Aber von Leuten, die wissen, was sie tun und - vor allem - die wissen, warum und wofür. Das hier ist jedenfalls nur spätbürgerlicher Erlebnisdrang, von einem, der weil er sich Malle nicht leisten kann auf den Kotti angewiesen ist.

Ach junge, du hast noch nicht viel begriffen. Denkst du die Revolution ist nur eine Angelegenheit für ernste Berufsaktivisten? Du willst wohl nichts mehr erleben? Als wäre eine Kritik am Alltagsleben keine gerechtfertigte Grundlage für einen Aufstand. Eine soziale Revolution muss auch wirkliche Erfahrungen/Beziehungen und den Genuss des Lebens wiederbeleben und neuentdecken, sonst wird sie scheitern.

"Geh Arbeiten" würde jetzt ein Normalo sagen.

zünseln? wann und wo?

Woher hast Du den Text?

Der ist doch nicht aktuell, sondern stammt aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts.

auszug aus die "die großen 72 tage" von jean villain

Immer nur Kreuzberg, Kreuzberg, Kreuzberg ... Kotti, Lausitzer Platz und evt. mal den Mariannenplatz ...

 

Gibt noch andere Ecken in Berlin ... hier mal ein paar Vorschläge = Wedding/Gesundbrunnen, Spandau oder Schöneberg ... von mir aus auch Neukölln ...

 

Seit Jahren ist die Situation in Kreuzberg im stillstand ... die Cops haben ihre Strategien nahezu perfektioniert, kennen sich dort nach Jahrelangen Demos bestens aus, die Anwohner sind es gewohnt und lassen die Demos langsam kalt, die Touris sitzen lieber in den Cafes und glotzen zu ... da geht nicht mehr viel! Neue Akzente sind dringend Nötig !!! Warum nicht einfach mal an nem Abend im Wedding treffen ? Walpurgisnacht war da ja auch erst. Ansonsten Spandau - verkommt an bestimmten Ecken immer mehr - vergleichbar mit Gropiusstadt, MV oder den Hamburger Ortsteil Wilhelmsburg.

 

Vielleicht ein paar Denkanstöße für einige hier ...

Wenn du mit Leuten reden willst, warum engagierst du dich nicht in einer Gruppe, Kollektiv oder Initiative? Auf der Straße sind die meisten Leute doch mit ihren Bezugsgruppen unterwegs und eher wenig diskussionsfreudig, vor allem mit Unbekannten.

KUDAMM!!!!!!!!!!!

...am besten Taktiken im INTERNET diskutieren, hier lesen ja natürlich nur die richtigen Menschen mit. Manchmal. Meh.