Einige Gedanken zur Kundgebung des Bochumer Bündnis gegen Rechts gegen die ProNRW-Kundgebung am Flüchtlingsheim an der Wohlfahrtstraße
Als wir uns gestern auf den Weg zur Kundgebung des BgR gegen die ProNRW-Kundgebung am Flüchtlingsheim an der Wohlfahrtstraße machten, erwarteten wir soliden, relativ lauten, wenn auch eher symbolischen Protest gegen die Hetze von ProNRW. Neulich in Hamme vor dem Sozialen Zentrum – und auch bei vielen anderen Gelegenheiten – hat das ganz gut geklappt. Meistens können zu solchen Anlässen sogar im Vergleich zu anderen Städten im Ruhrgebiet relativ viele Leute mobilisiert werden, die der Hetze etwas entgegensetzen wollen. Und vielleicht haben wir dem BgR bisher zu selten dafür gedankt, dass es sich verdienstvollerweise immer wieder darum kümmert, Gegenproteste gegen Naziveranstaltungen aller Art zu organisieren.
Diesmal haben wir uns allerdings sehr über die Ausgestaltung der Kundgebung geärgert und nehmen dies zum Anlass, eine Debatte über die Grenzen von Bündnispolitik anzustoßen. Auf der Kundgebung fielen zunächst die vielen SPD-Fahnen auf, was uns etwas gewundert hat, da Parteifahnen aller Art bei ähnlichen Veranstaltungen oft ausdrücklich nicht willkommen sind. Hinzu kommt, dass die SPD bisher nicht durch ein besonderes antifaschistisches Engagement geglänzt hat – was für eine Partei, die 1993 den Asylkompromiss mitbeschlossen und den Ausbau der Festung Europa und der europäischen Grenz“sicherungs“agentur FRONTEX vorangetrieben hat, irgendwie konsequent ist. Kurzum, dieselbe SPD lief nun also mit gefühlt drei Personen und fünf Fahnen auf. Angesichts der bisherigen Position der SPD zu Flüchtlingen wirkt das etwas deplaziert. Wir gehen davon aus, dass die über lange Jahre erfahrenen Genoss_innen des BgR das selbst wissen und dazu keine Belehrung von uns brauchen.
Aber okay, es mag Situationen geben, in denen breite Bündnisse nützlich sein können. Und es soll auch nicht darum gehen, dass unsereins sich über SPD-Fahnen und die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten wundert. Gerade, wenn es darum geht, Flüchtlinge zu unterstützen und gegen die Hetze von Rechtspopulist_innen zu schützen, wiegen solche „Befindlichkeiten“ vielleicht nicht so schwer. Zumal, wenn es, wie uns ein BgR-Aktivist erklärte, ausdrücklich darum ging, breitere zivilgesellschaftliche Kreise einzubinden, um ein möglichst großes Maß an Unterstützung für die Flüchtlinge zu erreichen.
Der Redebeitrag des Bezirksbürgermeisters Helmut Breitkopf-Inhoff (SPD) ist allerdings aus unserer Sicht auch in einem breiten Bündnis bis hin zur SPD untragbar. Breitkopf-Inhoff äußerte sich dahingehend, dass man die berechtigten Ängste von Anwohner_innen vor „Überfremdung“ ernstnehmen müsse. So oder ähnlich hätte mensch das sicherlich auch auf der ProNRW-Kundgebung auf der anderen Straßenseite hören können. Breitkopf-Inhoff erntete dafür zwar einige Kritik und Pöbeleien von anderen Kundgebungsteilnehmer_innen. Einer der Veranstalter, der im Anschluss an Breitkopf-Inhoff sprach, hatte dazu allerdings nicht viel mehr zu sagen, als dass es in Bündnissen ja immer unterschiedliche Meinungen gebe. Da der Genosse über viel Erfahrung und politisches Einschätzungsvermögen verfügt, muss leider davon ausgegangen werden, dass er genau wusste, was er tat: Der Redebeitrag des SPDlers war zwar unsäglich – aber aus Bündnisraison darf das nicht laut ausgesprochen werden. Da ist es einfacher, sich hinter der Vielfalt der verschiedenen Meinungen zu verstecken.
Wir denken, dass das Hochhalten des Bündnisfriedens nicht so weit gehen darf, dass Bündnispartner_innen nicht mehr kritisiert werden dürfen, wenn sie sich ähnlich äußern wie die, gegen die das Bündnis ins Leben gerufen wurde. Die Rede von angeblicher „Überfremdung“ ist eine völlig falsche Analyse und spielt ProNRW, NPD und Konsorten in die Hände. Es gibt keine „Überfremdung“! Und deshalb müssen – vermeintliche oder tatsächliche – „Überfremdungs“ängste von Anwohner_innen auch nicht ernstgenommen, sondern abgebaut werden. Sogar den Anwohner_innen selbst hilft es nicht weiter, wenn sie sich weiterhin der Illusion einer angeblichen „Überfremdung“ hingeben. Möglicherweise reale Ängste der Anwohner_innen vor sozialem Abstieg und/oder eigener Armut müssen zwar ernstgenommen werden – das geht aber sehr viel besser, wenn sie als Angst vor Armut thematisiert und auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt werden, anstatt soziale Verhältnisse zu ethnisieren und Flüchtlinge für soziale Probleme verantwortlich zu machen.
Wir hätten uns vom BgR eine deutlichere Abgrenzung von Breitkopf-Inhoffs „Überfremdung“srede gewünscht. Ein Aktivist des BgR, den wir darauf angesprochen haben, empfahl uns, doch demnächst eine eigene „linksradikale“ Kundgebung ohne die SPD anzumelden. Dazu möchten wir noch sagen, dass Kritik am Begriff der „Überfremdung“ sowie am europäischen Grenzregime und der deutschen Migrationspolitik noch nicht besonders linksradikal ist, sondern auf vielfältige Weise auch von Personen und Gruppen aus dem eher ‚bürgerlichen’ zivilgesellschaftlichen Spektrum vorgebracht wird. Insofern wäre zu erwarten, dass auch das Bochumer Bündnis gegen Rechts in der Lage ist, einen SPDler, der von „Überfremdung“ daher redet, in die Schranken zu weisen. Solchen Mist wollen wir auf BgR-Kundgebungen demnächst nicht mehr hören und fordern deshalb das BgR auf, Konsequenzen zu ziehen und seine Bündnispolitik neu aufzustellen!
Kontext
Der Kontext unserer Gedanken ist übrigens die Kundgebung über die hier berichtet wird: http://www.bo-alternativ.de/2013/10/05/pronrw-hetze-ohne-resonanz/
Sorry, war schon spät!
Pflichtlektüre fürs BgR
Vielleicht sollte sich das BdR auch einmal über das unsägliche Verhalten der SPD zum Flüchtlingsprotest in München (SPD - regiert) und Berlin (SPD/CDU) informieren. Auch zu den Herren Sarrazin, Buschkowsky (Berlin) und Nowak (Bremen).
Findet sich alles ganz leicht, z.B. hier im Archiv.
Wer mit der SPD kleinere Probleme hat, wie mit "Linksradikalen", hat echt etwas nicht verstanden.
Selbst organisieren?
Eigentlich gehört diese Diskussion nicht auf Indymedia, aber da ihr sie bereits angestoßen habt, meine 2 Cent:
Ich habe die Rede des Bezirksbürgermeisters selbst verpasst, aber scheint ja NoGo gewesen zu sein. Ob mensch überhaupt "Eine_n von der Stadt" reden lässt ist je nachdem wie die Person zu den Flüchtlingsunterkünften steht manchmal taktisch sinnvoll, in diesem Fall offenbar fatal. Mehr Leute hat es zumindest nicht mobiliert (wie ihr geschrieben hatten: 3 SPDler, 3 Fahnen), ansonsten eher im weitesten Sinne "linkes" Klientel.
Ich sehe das BgR als die Institution, die anmeldet wenn sich sonst keine_r kümmert. Leider passiert dass in letzter Zeit zu oft in Bochum. Für die Zukunft gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die Linksradikalen kriegen es mal hin sich abzusprechen und was Eigenes zu machen oder das BgR muss überzeugt werden, seine Praktiken zu überdenken.
Ein weiteres Negativ-Beispiel war übrigens der Protest gegen ProNRW im März in Leite (Bo-Wat). Wir hatten uns damals eingebracht und uns dann doch sehr darüber geärgert, dass z.B. die FDP mit einem Infostand verteten war, welcher die Bilder dominierte. Konkret haben wir die Konsequnez gezogen: wenn Arbeit reingesteckt wird, auch bei Bündnispolitik , muss klar sein dass Parteipropaganda nicht erwünscht ist. Wer es ernst meint kommt als Einzelperson, wer nur seine Partei inszenieren will, muss andere Wege dafür finden.
P.S.: Mittwoch früh aufstehen und den Bundeswehr-Einsatz im RuhrCongress zur politischen Niederlage für Stadt und Jugendamt machen...