Interview: Proteste der LehrerInnen in Mexiko

Wasserwerfer

LehrerInnen in Mexiko kämpfen gegen eine neoliberale Bildungsreform. Der Zentralplatz in Mexiko-Stadt wurde letzte Woche brutal geräumt, doch heute werden sie wieder eine Zeltstadt aufbauen. Ein Gespräch mit Arturo Méndez, Lehrer aus Mexiko-Stadt und Aktivist der LehrerInnengewerkschaft CNTE sowie des Bulletins "Unsere Klasse" und der Liga der ArbeiterInnen für den Sozialismus (LTS).

 

In den vergangenen Wochen sind viele LehrerInnen in Mexiko auf die Straße gegangen. Wogegen kämpfen sie?

 

Die mexikanischen LehrerInnen kämpfen gegen die vor kurzem beschlossene Bildungsreform, die unsere Arbeitsrechte beschneidet und auch Verfassungsänderungen beinhaltet, die den öffentlichen und kostenfreien Charakter der Bildung verletzten. Ganz im Sinne der neoliberalen Offensive der vergangenen Jahrzehnte werden dadurch Probezeiten sowie befristete Verträge eingeführt und Entlassungen erleichtert. Außerdem werden Studiengebühren legalisiert und das Bildungssystem für Privatfirmen geöffnet.

 

Am 13. September hatten LehrerInnen auf dem Zócalo demonstriert, dem wichtigsten Platz von Mexiko-Stadt. Die Polizei griff ein – was genau ist passiert?

 

Einheiten der Bundes- und der Stadtpolizei haben den Platz geräumt, auf dem wir Zelte aufgebaut hatten und haben 31 Demonstranten verhaftet. Dutzende wurden schwer verletzt, einige sind seitdem verschwunden. Seit 1968, als die damalige Regierung über 300 Studierende massakrieren ließ, die mehr Demokratie forderten, war dieser Platz nicht mehr geräumt worden.

 

Die Regierung rechtfertigt ihr hartes Vorgehen damit, sie sei "sehr tolerant" gewesen – die LehrerInnen hätten jedoch keinen Dialog gewollt. Schon seit Wochen hetzen die Massenmedien gegen uns, wir werden als Kriminelle beschimpft, als Faulpelze oder Aufsässige, die nicht unterrichten wollen. Wir bleiben trotzdem auf der Straße und erfahren immer mehr Solidarität.

 

Und worin besteht die?

 

Nur zwei Tage nach der Räumung wurden wir von einem "Marsch der Genugtuung" überrascht. Zehntausende Studierende aus den wichtigsten Universitäten des ganzen Landes protestierten massenhaft gegen die Repression. Sie reifen: "Von Chiapas [im Süden des Landes] bis Sonora [im Norden], sind wir mit der Koordinierung!" Das bezieht sich auf die Nationale Koordinierung der ArbeiterInnen der Bildung (CNTE), also die Gewerkschaft der kämpfenden LehrerInnen.

 

Sie erinnerten uns an die heroische mexikanische Jugend von 1968 und auch an die Jugendbewegung "#yosoy132" der letzten Jahre. Auch die Gewerkschaft der ElektrikerInnen und viele linken Organisationen waren dabei. In den Schulen machen wir große Anstrengungen, der Kriminalisierungskampagne entgegenzuwirken und die Unterstützung der Eltern zu gewinnen. Wir haben auch Hilfe von LehrerInnen aus anderen Ländern bekommen, zuletzt aus Argentinien.

 

Die Regierung des PRI-Politikers Enrique Peña Nieto versucht, den staatlichen Ölkonzern PEMEX zu privatisieren. Gibt es auch dagegen Proteste?

 

Am 31. August und am 8. September gab es wichtige Aktionen gegen den Verkauf von PEMEX, sie wurden von Teilen der LehrerInnenschaft unterstützt. Leider ist es noch nicht gelungen, die diversen Proteste zusammenzuführen – nur gemeinsam lässt sich diese neoliberale Politik verhindern. Zunächst müsste erreicht werden, dass sich die LehrerInnengewerkschaft CNTE mit anderen Gewerkschaften koordiniert. Dann brauchen wir einen einheitlichen Kampfplan, wie sich die "strukturellen Reformen" zurückweisen lassen, die unter dem Etikett "Pakt von Mexiko" mit Schlagstöcken durchgesetzt werden. Das gilt sowohl für die Bildungs- als auch für die Energiepolitik.

 

Wie verhalten sich die Oppositionsparteien, die PAN und die PRD?

 

Beide Parteien sind Partnerinnen des "Paktes für Mexiko". Sie unterstützen diese Gesetze und auch die Repression vom 13. September. Die Mitte-Links-Partei PRD steckt zur Zeit allerdings in einer Krise, weil eine interne Opposition diese Politik lauwarm kritisiert. Der Zócalo wurde ja nicht nur von Bundespolizei geräumt, die unter dem Befehl der PRI-Regierung steht. Auch die lokale Polizei war beteiligt, für die die PRD-Regierung von Mexiko-Stadt verantwortlich ist.

 

Wie gehen die LehrerInnenproteste weiter?

 

Auf einem Koordinierungstreffen wurde am Samstag beschlossen, dass wir am heutigen Mittwoch erneut demonstrieren: vom Revolutionsdenkmal bis zum Zócalo. Dort wollen wir erneut eine Zeltstadt errichten. Außerdem wird es am Donnerstag und Freitag einen landesweiten Streik von verschiedenen Bereichen der LehrerInnenschaft geben.

 

Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

Eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt am 18. September

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