Maulwurf, bist du da?

Maulwurf, bist du da?

Das restrukturierte Kapital, der Klassenkampf und die revolutionäre Perspektive

Die „Revolutionäre“ und jene, welche versuchen, ihrer Revolte eine politische Formulierung zu geben, wollen im allgemeinen die Zeugen der Zukunft sein und ihren Diskurs und ihre Tätigkeit in die allgemeine Richtung der Antagonismen einfügen, welche die Träger der kommenden Aufstände sind. Das ist alles in allem normal: Jede Lesart der Welt geht gezwungenermassen von einer Position in ihr selbst aus und die Tatsache, das Werden der Menschheit mit seinen Wünschen in Übereinstimmung zu bringen, ist der Ausgangspunkt jeglichen revolutionären Willens. Der folgende Text versucht, einen Schritt beiseite zu treten. Er versucht, die gegenwärtige Epoche zu besprechen, indem er einige Fragen bezüglich der Artikulation zwischen der Kritik des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis einerseits und der Lesart des Klassenkampfes andererseits aufwirft – ohne jedoch eine revolutionäre Frist zu suchen (und auch nicht unbedingt auf die grossen theoretischen Polemiken einzugehen). Es geht im wesentlichen darum, diese Offensichtlichkeit erneut zu bekräftigen: Was der gegenwärtige und kommende soziale Krieg freisetzen wird, wird nie nur das Produkt der Interaktion (und des eventuellen Zusammenstosses) zwischen der allgemeinen Bewegung der kapitalistischen Herrschaft und der Tätigkeit jener sein, welche in ihr dazu gebracht werden, ihren Arsch zu bewegen. Niemand hat den Schlüssel dieser Dynamik – weder die Kapitalisten, noch ihre selbsterklärten Feinde.

 

ALLES HAT SICH VERÄNDERT, NICHTS BEGINNT

 

Nur die Freunde der Monde diplomatique glauben, dass der Kapitalismus ein wirtschaftliches System ist, das auf dem unregulierten freien Handel basiert – eine Perversion der gerechten Ordnung der Welt, angeführt von einer Bande von Fieslingen, welche nur daran denken, sich zu bereichern, indem sie die von Armen produzierten Reichtümer an der Börse platzieren, statt zu akzeptieren, sie gerecht zu teilen.

 

Der Kapitalismus strukturiert gegenwärtig die Gesamtheit der menschlichen Tätigkeit in der Form von Arbeit, von Extraktion der konkreten Abstraktion des Werts, mittels Warenproduktion (der berühmte „Reichtum“, den die Linken „teilen“ möchten, doch der nur in dieser Form „immenser Warenakkumulation“ existiert). Als Konsequenz davon strukturiert das Kapital auf tausend verschiedene Arten die Beziehungen zwischen den Menschen, ihre Geselligkeit, ihre Zeit, ihre Neurosen, ihr Verhältnis zu den Notwendigkeiten, zur Natur usw. Das Kapital ist ein totalisierendes gesellschaftliches Verhältnis. Es ist das Herz der Maschine, das immer noch gleich ist wie damals, als Marx es vor einigen Jahrzehnten analysierte.

 

Doch der Kapitalismus hat auch eine Geschichte, die aus Krisen besteht. Diese Krisen wurden bis heute alle überwunden, was zu bedeutenden Modifikationen in der Art und Weise führte, wie der Kapitalismus die gesellschaftlichen Verhältnisse formt. Sie brachten unsere Epoche hervor, in welcher das Kapital tatsächlich finanzialisiert, globalisiert usw. ist: Es ist die gegenwärtige Form, welche die Akkumulation angenommen hat – sie folgt auf andere Modelle, welche auch absolut kapitalistisch waren (Fordismus im Westen, Sozialismus in anderen Gefilden...). Doch wenn die Herrschaft des Kapitals sich heute tatsächlich vertieft hat, so ist das nicht so sehr, weil er keine Schutzmassnahmen mehr ergreift, die ihn etwas menschlicher machen. Er kennt nicht nur überhaupt kein geographisches Draussen mehr, auch die Gesamtheit der menschlichen Beziehung ist nunmehr im kapitalistischen Verhältnis einbegriffen, dies auf immer verdünntere Art und Weise: Die Vertiefung der Herrschaft des Kapitals ist logischerweise von seiner wachsenden Naturalisierung begleitet. Die Geschichte ist ihren Weg gegangen: Es existiert keine andere materielle Gemeinschaft mehr als jene des Kapitals und der Gebrauchswert selbst der Dinge ist verschwunden in der allgemeinen Bewegung des Werts.

 

Was die Perspektive eines Jenseits dieser Welt betrifft, ist diese heute, trotz einer eventuellen Verallgemeinerung der Krise, abstrakter denn je.

 

Bis zum Ende der 1970er Jahre war die revolutionäre Perspektive mit einem Aufstieg der proletarischen Klasse (die als Klasse der Produzenten verstanden wurde) verbunden, welche der Bourgeoisie die Macht entreissen würde, um der Gesellschaft ihre eigene Macht aufzuzwingen. Diese Perspektive der „Macht den Arbeitern“, welche in all ihren Deklinationen (von der Parteidiktatur bis zum Anarchosyndikalismus und der verallgemeinerten Selbstverwaltung) die Überwindung des kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisses nicht als Programm hatte (sie hob die Arbeit, den Wert oder den Fetisch-Charakter der Ware nicht auf), war inhärent mit dem Fortbestand etlicher Formen von Autonomie verbunden, in welchen eine gemeinsame Zugehörigkeit zur proletarischen Klasse erstellt wurde. Dies ist jetzt verschwunden.

 

Es ist weder ein Grund, traurig zu sein, noch sich zu freuen: Die letzte Restrukturierung, indem sie den Arbeitsmarkt globalisiert, die Formen der Subunternehmung vervielfacht, den Raum der Ausbeutung verdünnt, die Sphären der Produktion und der Reproduktion tendenziell undeutlich gemacht hat, hat dazu geführt, dass heute nichts mehr dem Kapital gegenübersteht.

 

DAS PROLETARIAT IST NICHT MEHR, WAS ES MAL WAR

 

Man soll sich dennoch nicht täuschen: Die Verfinsterung der gesellschaftlich existierenden revolutionären Perspektive bedeutet nicht eine Befriedung der Klassenverhältnisse. Sie bleibt ein bürgerliches Hirngespinst: Überall auf dem Planeten regen sich die Verdammten der Erde weiterhin und man kann wetten, dass sie nicht so bald aufhören werden, es zu tun: Armut ist Gewalt, welche dazu drängt, zu revoltieren, und es ist nicht auf der Tagesordnung, dass die Armen nicht mehr arm sind, nicht einmal, dass sie es etwas weniger sind. Denn, noch einmal, es ist nicht der Fehler der Reichen, sondern der Wirtschaft.

 

Was sich mit der in den 1970er Jahren begonnenen Restrukturierung geändert hat, ist nicht die zentrale Rolle der Arbeit in der erweiterten Reproduktion des Kapitals, sondern die Art und Weise, jene zu integrieren, welche sie liefern. Auf einem weltweiten Niveau kann das Proletariat nicht mehr auf der Grundlage des einzigen Arbeiterelements definiert werden, doch auch nicht mehr aufgrund seiner Integration in eine „stabile“ Lohnarbeit. Das heisst weder, dass die Produktion sich entmaterialisiert hat, noch dass es „keine Arbeiter“ mehr gibt: Sie waren wohl auf weltweiter Ebene noch nie so zahlreich. Doch die Arbeiter, für welche sich die Ausbeutung mit einer gesellschaftlichen, mit der Arbeit verbunden Zugehörigkeit deckt, stellen nur noch eine Minderheit der Proletarier dar und die Grenze, welche sie von den anderen trennt, wird immer dünner. Die anderen: Jene, für welche die Verhältnisse der Lohnausbeutung eine Modalität des Lebensunterhalts unter anderen darstellt, mehr oder weniger punktuell, häufig mit anderen Arten der Tätigkeit vermischt (Kleinhandel zum Beispiel) und innerhalb primärer Gruppen geteilt (eine oder zwei Personen in der Familie sind permanent Lohnarbeiter, die anderen „helfen“ so gut sie können) und vor allem ist keine gesellschaftliche Identität mehr mit ihr verbunden. Sie bevölkern jene Länder, welche man nicht mal mehr als unterentwickelt bezeichnen kann; sie bevölkern nunmehr auch die Peripherien der westlichen Metropolen – und bilden auch jene Gruppe, welche die Soziologen die prekären Arbeiter nennen. Diese Proletarier ohne Bindungen zur Lohnarbeit, gleichzeitig Mitglieder einer neuen Reservearmee und der Fronpflicht ausgeliefert, können nur schwer als formlose und merkwürdige Masse innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse betrachtet werden – sie können nicht in die Ecke der marginalen Lumpenproletarier gestellt werden, im Vergleich zu den „richtigen“ Arbeiter, welche einen Beruf haben und jeden Morgen in einer Firma auftauchen: Die Ausdehnung der proletarischen Bedingungen auf die Gesamtheit des Planeten verläuft wesentlich nach diesen Modalitäten. Und die gegenwärtigen Kämpfe und Revolte entstehen auf den Ruinen dieser mit der Arbeit verbundenen gesellschaftlichen Zugehörigkeit.

 

Diese Feststellung gilt für die Banlieue-Aufstände in Frankreich, für jene, welche regelmässig Algerien oder andere Gefilde erschüttern. Sie gilt auch für viele Kämpfe von Lohnarbeitern in den peripheren Zonen, soweit die mit den Modalitäten der Ausbeutung verbundenen Probleme im allgemeinen breitere gesellschaftliche Beziehungen als einzig das Lohnverhältnis umfassen – Verhältnis zu den Bürokratien, zum Zugang zu Dienstleistungen, zu Wohnraum, zu klientelistischen Beziehungen, zur Umwelt usw. Schliesslich gilt sie indirekt auch für die von den „stabilen“ Lohnarbeitern geführten Kämpfe im Westen, welche als Überbleibsel der fordistischen Periode stets mit dem konfrontiert sind, was die anderen Proletarier hervorbringen und direkt ihre eigenen Ausbeutungsbedingungen angreift: Ihre stets defensiven Kämpfe haben im wesentlichen als Ziel, Widerstand gegen den Druck auf den – direkten oder indirekten – Lohn zu leisten, welcher das Resultat einer scheinbar nie endenden Restrukturierung ist.

 

Totale Auslöschung jeglicher Bereiche ausserhalb des Kapitals einerseits; Auflösung des fordistischen Wohlfahrtsstaates andererseits: Diese gemeinsamen Prozesse definieren die gegenwärtige Phase der reellen Herrschaft des Kapitals über die Arbeit [1]. Als Konsequenz davon hat sich der Schwerpunkt der Kämpfe verlagert: Sie haben nunmehr eher die Modalitäten der Integration der Proletarier ins Kapital als jene der Ausbeutung als Antrieb.

 

KAPITALISTISCHE GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE UND GESELLSCHAFTLICHE KLASSENVERHÄLTNISSE

 

Dieser Epochenwandel, der nicht mehr ganz so neu ist, doch einen derartigen Keulenschlag dargestellt hat, dass es häufig noch schwer ist, die Tragweite davon zu erfassen, bringt grosse Umwälzungen betreffend der mit dem Klassenkampf verbundenen revolutionären Erwartungen mit sich.

 

Zum Beispiel: Ohne auf die Debatten zur historischen Mission der Selbstnegation (die Klasse, welche die Auflösung aller Klassen enthält usw.) einzugehen, war das Proletariat, in seiner positiven Definition, bis vor kurzem die Klasse jener, deren Ausbeutung der Arbeitskraft die erweiterte Reproduktion des Kapitals erlaubt. Diese Definition, welche lange zur Verwechslung Proletariat/Arbeiterklasse führte, wirft heute die Frage nach den Massen von Armen auf, welche nur marginal in die Verhältnisse der Lohnausbeutung und welche trotzdem in die Welt der kapitalistischen Zirkulation integriert sind. Was ist ihre Stellung im Verhältnis Kapital-Arbeit?

 

Es ist also mittlerweile sinnvoll, das Proletariat als „die Klasse jener, welche nichts haben gegenüber den Kapitalisten“ zu definieren. „Das Kapital in seiner Gesamtheit enthält einen variablen Teil, welcher die Gesamtheit der Habenichtse kauft, auch jene, welche vielleicht nie arbeiten werden“, schreibt Bruno Astarian. „In dieser Gesamtheit findet man die formellen Arbeiter (jene, welche einen Vertrag, eine Krankenversicherung, eine Pension usw. haben) und die informellen Arbeiter, die formellen Arbeitslosen (welche ein Arbeitslosengeld beziehen) und die informellen Arbeitslosen (welche die globale Lohnmasse auf andere Art und Weise als durch die Arbeitslosenversicherung teilen – die Familiensolidarität, Handel usw.), die Mehrwert produzierenden Arbeiter genau wie jene, welche nicht produktiv sind.“ Das ist eine sehr breite Definition des Proletariats in der gegenwärtigen Periode: Der globale Kauf der Arbeitskraft enthält den Prozess der Ausbeutung, doch geht auch über diesen hinaus – daneben erlaubt er es, alle Tätigkeiten des Kampfes als Teil des grundlegenden Widerspruchs Kapital-Arbeit zu konzipieren.

 

Diese Definition ist theoretisch kohärent; sie enthält aber trotzdem eine Grenze in ihrer Schwierigkeit, all das zu umfassen, was innerhalb der Kämpfe eine proletarische Erfahrung darstellen könnte, welche über die konkrete Erfahrung des Ausbeutungsprozesses hinausgeht. Wenn das Kapital heute die Welt vereint hat, so hat es auch die gesellschaftlichen Erfahrungen, welche mit seiner Herrschaft verbunden sind, verstärkt und zerstückelt. Indem sie bei weitem über den Raum der Lohnausbeutung hinausgehen, haben die kapitalistischen Verhältnisse ihr einfach identifiziertes Herz verloren. Und einer der Kollateralschäden dieser Sache ist die Fähigkeit der teleologischen Formatierung durch eine auf die Revolution abzielende Kritik eines sozialen Krieges, welcher etliche gesellschaftliche Phänomene umfasst, welche selbst durch die Vielheit der Verhältnisse hervorgebracht werden, mit welchen die kapitalistische Herrschaft in Verbindung steht. Wie gross auch die Bemühung einer zu hervorbringenden Neudefinition sein mag, das Proletariat ist heutzutage noch mehr eine theoretische Abstraktion als vor hundertfünfzig Jahren.

 

Es wird sicher weiterhin eine Lesart des Klassenkampfes in den Begriffen des Verhältnisses Kapital-Arbeit hervorgebracht werden: Der Verwertungsprozess hat sich nicht vom Ausbeutungsverhältnis autonomisiert und der Kauf der Arbeitskraft durch das Kapital ist heutzutage faktisch global. Doch es ist auch eine Tatsache, dass das, was in den Klassenverhältnissen und den gegenwärtigen Kämpfen hinsichtlich der Subjektivität auf dem Spiel steht, weit weg von den durch die Theorie hervorgebrachten strukturellen Analysen des Kapitals ist – im Gegensatz zur Erfahrung und den Arbeiterkämpfen von damals. Und das ist nicht etwas komplett kontingentes: Die radikalen Kritiken des kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisses und die Theorien seiner Aufhebung wurden immer mehr oder weniger von dieser Frage der proletarischen Erfahrung ausgehend ausgearbeitet, von Marx bis zum Operaismus, in den kommunistischen Linken und anderen Ultralinken. Diese Erfahrung ist heute zersprungen und dadurch unterhält die revolutionäre Theorie nur noch ein entferntes Verhältnis mit den Erlebnissen der Klassenkonfrontationen – dadurch ist sie dazu gedrängt, das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, indem sie auf Biegen und Brechen eine Theorie der Revolution hervorzubringen sucht, obwohl die gegenwärtigen Kämpfe keine hervorbringen.

 

Die gesellschaftlichen Klassenverhältnisse haben ihre eigenen Dynamiken und es ist eine reduzierende theoretische Operation, sie auf ihre versteckte Objektivität reduziert haben zu wollen – das gesellschaftliche kapitalistische Verhältnis vom Standpunkt seines zentralen Widerspruchs (und seines notwendigen Zerspringens) aus betrachtet. Was eine Klassengesellschaft (die, wie der Klassenkampf übrigens auch, keine kapitalistische Erfindung ist) strukturell definiert, ist die Aneignung durch eine gesellschaftliche Gruppe eines grossen Teils dessen, was von anderen produziert wird. Doch was in den gesellschaftlichen Verhältnissen die erlebte Erfahrung einer solchen Gesellschaft darstellt, ist die gesellschaftlich konstruierte Ungleichheit zwischen den Menschen. Es ist die Ausübung der gesellschaftlich eingeführten Machtverhältnisse, ihre Reproduktion, die Beziehungen zur Notwendigkeit, zum Überfluss und auch zur Freiheit, die sich daraus ergeben. Heute haben diese Beziehungen eine zentrale Vermittlung, jene des Geldes – die einzige universelle Vermittlung zwischen den Menschen in einer Welt, wo sich das Wertgesetz der Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens bemächtigt hat. Und in erster Linie in diesem Sinn sind alle Klassenverhältnisse kapitalistische Klassenverhältnisse – und nicht, weil sie notwendigerweise das kapitalistische gesellschaftliche Verhältnis schlechthin, das Verhältnis Kapital-Arbeit, umfassen. Die Theorie kann sich nicht durch das Ordnen der Welt, das sie erlaubt, an die Stelle dieser Welt selbst und des alltäglichen Krieges setzen, der sich darin abspielt.

 

DIE WELT VERÄNDERN?

 

Mit dem Ende der Arbeiterbewegung, ihrer Ideologie der „Macht den Arbeitern“ und den Formen der Autonomie, auf welche sie sich stützte, zeigt der Klassenkampf auf brutale Art und Weise, was er ist: Geführte Kämpfe gegen die durch die gesellschaftliche Hierarchie den Untergebenen zugewiesenen Stellungen und gegen die Modalitäten des Zugangs zu Waren, die sich daraus ergeben. Die Menschen, wenn sie kämpfen, revoltieren, in Massen oder allein, stehen nicht dem Verhältnis Kapital-Arbeit gegenüber. Sie stehen der konkreten Erfahrung der gesellschaftlichen Ungleichheit gegenüber, der Bedingung, welche ihnen als Untergebene innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse auferlegt wird.

 

Die Konzeption der revolutionären Überwindung dieses „normalen Verlaufs“ des Klassenkampfes – auf andere Art und Weise als als reine Notwendigkeit, die im kapitalistischen Widerspruch angelegt ist – würde voraussetzen, dass eine universelle Perspektive des Umsturzes in die Kämpfe um gesellschaftliche und/oder materielle Interessen eingefügt wird. Doch das ist weit davon entfernt, offensichtlich zu sein: „Die Welt verändern“ ist eine Perspektive, die ausserhalb der Kampfobjekte selbst steht, ausserhalb dessen, was die Klassenverhältnisse dazu bringt, sich zu einem gewissen Zeitpunkt und an einem gewissen Ort in Konfrontationen zu verwandeln. In diesem Sinn ist „die Welt verändern“ letztendlich eine Perspektive, welcher der bürgerlichen Zivilgesellschaft eigen ist. Diese hat verlorenes Terrain wieder erobert: Der Universalismus, welcher das Produkt davon ist (auch in seiner revolutionären Dimension), gehört weiterhin eigentlich derselben [2].

 

Die Arbeiterbewegung, indem sie sich als Erbin der Aufklärung präsentierte, indem sie das Ziel hatte, die menschliche Gattung zu emanzipieren und die Welt wieder auf ihre Füsse zu stellen, hatte eine Art historische Heldentat vollbracht, indem sie es schaffte, den der bürgerlichen Gesellschaft eigenen Universalismus gegen dieselbe zu wenden – indem sie ihre Sprache benutzte in den von den Armen für ihre eigenen Interessen geführten Kämpfen. Die bürgerlichen Revolutionen haben nicht die menschliche Emanzipation hervorgebracht; diese Aufgabe kam nunmehr dem Proletariat zu. Dadurch kreierte die Arbeiterbewegung, angelehnt an ausdauernde Formen der proletarischen Autonomie, eine in der Wahrnehmung der Antagonismen gemeinsame Sprache und Vorstellungswelt und eine durch die Armen aneigenbare Klassenidentität – all das implizierte auch einen Internationalismus, der nicht unbedeutend war. Doch gab sie damit vor allem den Kämpfen eine sich allgemein verbreitende Perspektive der Überwindung (welche sich, nach der Periode der „Herausbildung der Arbeiterklasse“, in der Form der „Macht den Arbeitern“ kristallisierte), in welchem das Problem der „Veränderung der Welt“ ihrer bürgerlichen Bestimmung entwischte.

 

In diesem Sinne war die alte Arbeiterbewegung ein zweischneidiges Schwert: Sie war gleichzeitig eine Bewegung der Integration der Proletarier ins Kapital und der Armen in die Zivilgesellschaft und setzte den Umsturz in Reichweite eines Aufstands durch die Vorstellungswelt und die Sprache, welche sie kreierte. Letztendlich muss man über diese heute vergangene historische Heldentat erstaunt sein und nicht über die Tatsache, dass sich gegenwärtig die Armen nicht in Revolutionäre verwandeln, wenn sie sich regen – dass sie hier und jetzt für sich kämpfen, ohne sich bei irgendeiner des Werdens der Menschheit betreffender Mission zu engagieren [3].

 

Über den Aufstand, welcher Albanien 1997 erschütterte [4]], schrieben die Revolutionäre ohne Revolution (der mittlerweile geschlossenen Bibliothek der Aufstände) damals: „Wir wissen nichts über die kurzlebige Organisation, welche die Aufständischen auf die Beine gestellt hatten, bevor sie sich der Waffen bemächtigten, und nicht einmal, wie weit sie überhaupt organisiert waren. Wir wissen nicht, ob es eine Debatte gab, und falls ja, was wahrscheinlich ist, was besprochen wurde. Wir wissen nicht, wie die Aufständischen ihren Aufstand einschätzten, wie sie Albanien, Europa und die Welt, was sie über die Ware und die westliche Information, das Leben und die Liebe dachten.“

 

Doch dieses politische Schweigen der albanischen Aufständischen ist nicht erstaunlich: Es war letztendlich das Merkmal ihrer Autonomie, natürlich nicht gegenüber dem Kapital, doch gegenüber seinen bürgerlichen Vermittlungen – und es ist auch offensichtlich, dass sie sich hinsichtlich ihrer Handlung die Fragen nicht in dieser Form stellten. Doch kann man aus einem solchen Ereignis einen „revolutionären Versuch“ machen, wo die Veränderung der Ordnung der Welt auf dem Spiel stehen würde? In Wirklichkeit hätten wir es erfahren, wenn die albanischen Aufständischen durch ihre Praktiken den Umsturz geplant hätten. Man muss sich also damit begnügen: Diese Revolte der Armen im Balkan gehört eigentlich jenen, welche sie durchgeführt haben – sie ist einzig und allein Teil der gesellschaftlichen Bedingungen, welche sie erzeugten. Und kein verstecktes historisches Drehbuch verbindet sie mit den revolutionären Erhebungen 1848 oder 1871 [5].

 

ZERKAUEN UND VERDAUUNG DES KLASSENKAMPFES

 

Die Restrukturierung des Arbeitsmarktes hat eine Schwächung der „repräsentativen“ Vermittlungen hervorgebracht, welche den Klassenkampf umrahmten. Mit dem Zerfall der Arbeiterbewegung kämpfen die Proletarier kaum mehr, um die Kontrolle der kapitalistischen Maschine zu übernehmen. Sie kämpfen nicht mehr, um der Gesellschaft ihre Macht durch ihre Organisationen aufzuzwingen (ihre Revolten stellen übrigens im allgemeinen selten die Frage des Umsturzes der über sie ausgeübten Klassenherrschaft). Als gemeinsame Konsequenz des Endes des Fordismus und der Vollendung der Proletarisierung des ganzen Planeten entstehen die meisten gegenwärtigen Kämpfe und Revolten in gesellschaftlichen Konfigurationen, wo gewerkschaftliche und paragewerkschaftliche Vermittlungen kaum wirken – was ihnen scheinbar einen wilderen Charakter gibt.

 

Einige sagen sinngemäss: Wäre es nicht letztendlich als ob eine Verriegelung hochgegangen wäre, was neue Perspektiven hinsichtlich eines unverwaltbaren und unintegrierbaren Werdens der von den Armen geführten Kämpfen öffnet? Wäre es nicht dort, wo sich der alte Maulwurf eingenistet hätte? Man möchte gerne damit einverstanden sein, doch der Optimismus dieser Hypothese endet in der Sackgasse, wenn es um die beeindruckenden Fähigkeiten des Kapitals geht, Kämpfe zu verdauen, welche die Modalitäten seiner Herrschaft verursachen.

 

Der Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis kann nicht auf die Herrschaft einer Klasse von Individuen über die anderen reduziert werden. Als Konsequenz werden die kapitalistischen Verhältnisse nicht in Frage gestellt, weil eine Bewegung des Kampfes die Macht dieser Individuen gefährdet. Solange nicht eine Subversion dieser Verhältnisse hervorgebracht wird, solange nicht die Lohnarbeit, das Geld, der Warentausch, die Eigentumsverhältnisse usw. in eine Krise gestürzt, indem andere gesellschaftliche Verhältnisse hervorgebracht werden (was, man muss es zugeben, nicht sehr häufig geschieht), bleibt der Klassenkampf ein Moment der kapitalistischen Reproduktion.

 

Mehr noch, der Klassenkampf ist konstitutiv für den Kapitalismus als Regulationsmodus des Verhältnisses Kapital-Arbeit. Häufig trafen die Kämpfe mit internen Krisen des Verwertungsprozesses zusammen (Krisen, die häufig von den Perioden intensiver Kämpfe an den Tag gebracht werden) und waren der Ansporn, welcher das Kapital dazu zwang, sich zu restrukturieren. Die von der Arbeiterbewegung geführten Offensiven trugen zum Aufkommen des Fordismus und des Massenkonsums bei [6]; die Kämpfe der 1960er/1970er Jahre waren der Antrieb für die Reorganisation des Arbeitsmarktes auf einem globalen Niveau.

 

Heute zeichnen die Formulierungen in Begriffen des Rechts und der Demokratie viele Kämpfe in der Welt aus (wie z.B. die Arbeiterkämpfe in China, die sich mit politischem Protest gegen das Regime abwechseln oder die von den Armen in der arabischen Welt geführten Kämpfe, die sich als Teil der Bewegung der demokratischen Modernisierung wiederfinden). Die Forderungen dieser Art – die die Absorbierung der gesellschaftlichen Kämpfe durch die Sphäre der Zivilgesellschaft mit sich bringen – verweisen im wesentlichen auf eine Forderung nach besserer Integration der Arbeiter ins Kapital, diesmal ohne über das Feld Klassenautonomie zu gehen. Die Fähigkeit des Kapitals, sich auf solche Kämpfe zu stützen, um seine Herrschaft zu erneuern und zu vertiefen, wird ein wichtiges Problem der kommenden Krisenzeiten darstellen...

 

...oder auch nicht. Denn die Integration der Kämpfe in die Bewegung der Erweiterung der kapitalistischen Verhältnisse ist nur eine der möglichen Formen der Neutralisierung der Klassenkonfliktualität: Vom Standpunkt des Kapitals ist es die beste, die dynamischste. Doch wenn sie in einem Kontext der Krise des Akkumulationsprozesses entstehen, wodurch die Handlungsspielräume der Kapitalisten beschränkt sind, sind die Klassenkonfrontationen häufig eher prosaisch absorbiert durch interkapitalistische Konfrontationen. Der Antagonismus kann dann schmerzhafte Lösungen erfordern für einen Teil des Führungspersonals, die bis zu ihrer sozialen Eliminierung gehen können: Die letzte Weltwirtschaftskrise wurde durch ein Kriegsgemetzel gelöst, das, neben den Millionen von Proletariern, auch Unmengen von nationalen Bourgeoisien vernichtet hat. Näher bei uns und in einem kleineren Massstab erschütterten Aufstände 1988 Algerien ausserhalb jeglichen „repräsentativen“ Rahmens im Kontext einer Krise der Rentenwirtschaft: Einen Bürgerkrieg später und nach der schnellen Beendigung einer demokratischen Lösung waren sie letztendlich der Ansporn für eine Reorganisation dieser selben Rentenwirtschaft und einer Erneuerung ihrer Klientel.

 

Für das Kapital ist es nicht notwendig, immer die Proletarier in die Vermittlungen der Zivilgesellschaft zu integrieren, es ist nur eine der Modalitäten, durch welche es seine Herrschaft regulieren kann. Dennoch implizieren die von den Armen geführten Kämpfe, welche nicht von den Bürgervermittlungen ergriffen werden und dem Anschein nach radikal sind (im allgemeinen aufständisch), nicht eine Abwesenheit jeglicher Form der Vermittlung. Sei es durch die informelle Wirtschaft („Mafias“ oder andere) oder klientelistische Strukturen – Stämme, Gemeinschaften, Religionen usw. –, welche alle Vermittlungsinstanzen gegenüber einem Staat sind, welcher nur selten eine kalte unpersönliche Maschine ist, sie werden in gesellschaftliche Konfigurationen integriert, wo die Klassenfrontalität in der Regel unwirksam ist. Es ist ebenso angebracht, wenn man sich für eine „gesellschaftliche Bewegung“ in Frankreich oder Italien interessiert, eventuelle Dynamiken des autonomen Kampfes im Verhältnis zur integrativen Funktion der Gewerkschaften, der Linken usw. zu prüfen, ähnliche Probleme entstehen im Kontext von wilderen Revolten im Verhältnis mit den oben erwähnten Vermittlungen. Denn heutzutage beteiligen sich diese an der weltweiten Reorganisation des Arbeitsmarktes, welche durch die undeutliche Trennung von Produktion und Reproduktion und einer neuen Art der Verwaltung der Proletarier geprägt ist. Weit entfernt von den Mythologien der Zivilgesellschaft und des politischen Universalismus verankern diese Vermittlungen parallel die Kämpfe und die Revolten in zersplitterte Dynamiken, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse von dort reflektieren, wo sie entstehen.

 

Und einmal mehr gilt diese Feststellung für die von den überzähligen Proletariern geführten Kämpfe, doch auch für viele Kämpfe, welche sich auf dem Feld der Ausbeutung abspielen. Man vergleicht häufig die Eingliederung in die Arbeit von Millionen von Bauern in China mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert in Europa. Diese Operation wird jedoch in einem kapitalistischen Kontext durchgeführt, der nicht der gleiche ist, und eine der Stärken des Kapitals in diesen Operationen der Proletarisierung ist es, die zuvor bestehenden gesellschaftlichen Konfigurationen neu zu gestalten, ohne komplett reinen Tisch zu machen. In diesem Stadium bleibt die gewerkschaftliche und die Bürgerintegration der Kämpfe in Asien begrenzt, was ihren zersplitterten Charakter, ihre im wesentlichen aufständischen und scheinbar unorganisierten Formen erklärt; was auch eine Verwaltung erklärt, die sich eine globale kapitalistische Lösung sparen kann. Diese Verwaltung wird durch die gesellschaftlichen Kontexte möglich gemacht, wo sich die Kämpfe abspielen, Kontexte, wo sich die Proletarier und die Kapitalisten nicht gegenüberstehen und wo etliche Vermittlungen wirksam sind, die man im allgemeinen aus der Distanz sehr schlecht kennt.

 

KRISE

 

Der Kapitalismus ist heutzutage offiziell in einer Krise. Wir werden hier nicht versuchen, diese zu analysieren und auch nicht, ihre zukünftigen Entwicklungen vorherzusehen. Dass die Krise sich in den kommenden Jahren heftig vertieft, dass die Mechanismen der kapitalistischen Regulierung sich auf weltweitem Niveau als machtlos erweisen, die Entwicklung einer weltweiten Überproduktionskrise mit all ihren gesellschaftlichen Konsequenzen vorwegzunehmen und einzudämmen, kann eindeutig nicht ausgeschlossen werden. Die Sache kann dennoch etliche und diverse Formen annehmen und vor allem ist es heute unmöglich, vorherzusehen, was ein hypothetische „Überwindung der Krise“ sein könnte. Die Existenz von Zyklen innerhalb des Akkumulationsprozesses ist nicht bestreitbar, doch ihre Überwindung – die Tatsache, dass eine Krise zu einer Restrukturierung der Produktionsweise und/oder zu einer revolutionären Krise führt – ist inhärent mit den Spannungen verbunden, die sich innerhalb des Verhältnisses Kapital-Arbeit zeigen und auch mit den Integrationsmodalitäten des Proletariats ins Kapital. Und diese Fragen sind nicht in den objektiven Gesetzen der Akkumulation enthalten: Sie bahnen sich in den Kräfteverhältnissen an.

 

Man kann dennoch die Frage stellen: Was wäre der Effekt einer allgemeinen Krise der Verwertung auf die zukünftige Entwicklung der Klassenkonfrontationen?

 

Die Konfiguration, welche sich nun schon seit einiger Zeit abzuzeichnen scheint, ist dichotomisch – und die Krise könnte sie vertiefen. Einerseits Kämpfe, welche im allgemeinen eine reformistische Sprache sprechen (seltener eine „radikale“) und von welchen man sagen könnte, dass sie im wesentlichen von den in ihrer Reproduktion blockierten „Mittelklassen“ geführt werden – was nicht auf eine präzise Klassenzusammensetzung verweist, sondern im wesentlichen auf die Tatsache, dass die betroffenen Bevölkerungen als Aggregat von Individuen politisch intervenieren und dass es für sie eine Notwendigkeit der Wiederaneignung der Gesellschaft gibt. Andererseits gibt es die Aufstände der Armen ausserhalb der Zivilgesellschaft, deren einzige Perspektive der Wiederaneignung jene der Warenlager ist, zu welchen sie aufgrund ihrer Bedingung keinen Zugang haben. Diese beiden Dynamiken der Konfrontation können zu einem gleichen Zeitpunkt koexistieren: Im Dezember 2008 in Griechenland zum Beispiel gab es einerseits die Aufständischen und die Demonstranten mit einer politischen Sprache, andererseits die „peripheren“ Bevölkerungen, welche plünderten und ihrerseits Konfrontationen suchten. Letztere gingen nicht an die Versammlungen ersterer. Der sogenannte „arabische Frühling“ entwickelte am Anfang grosso modo die gleiche Verbindung zwischen politischen Forderungen und aufständischen Ausbrüchen [7].

 

Würde die weltweite Vertiefung der gesellschaftlichen Krise der Dichotomie zwischen Tottenham einerseits und den Empörten andererseits ein Ende setzen? Kann eine wachsende Verarmung ohne eine gesellschaftlich bestehende revolutionäre Perspektive zu etwas anderem als zu einem weltweiten Bandenkrieg führen, der damit, im allgemeinen Kontext der Desakkumulation, die Grundlage der kapitalistischen Herrschaft in den kommenden Krisenzeiten wäre? Werden die zukünftigen Kämpfe dem Kapital irgendwann helfen, neue Produktions- und Herrschaftsverhältnisse hervorzubringen? Das alles und mehr erfahren wir in den nächsten Folgen.

 

Eine Sache ist gewiss: Das Kapital wird nie aufgrund der objektiven Gesetze der Wirtschaft mit dem Rücken zur Wand stehen und das Proletariat wird nie mechanisch aufgrund der inneren Widersprüche des Kapitalismus die Revolution machen. Kapitalistische Antworten auf Krisen gibt es immer. Was es ausmachen wird, dass eine Dynamik der Konfrontation nicht von einer kapitalistischen Umgestaltung integriert und verdaut werden kann, wird nie irgendeine objektive Unmöglichkeit sein, sondern ihre Fähigkeit, sich zu weigern, es zu sein, weil etwas anderes gefragt ist. Von einem solchen Prozess sahen wir bisher in der Geschichte nur Prämissen. Sollte er diese eines Tages überwinden, wird er, um triumphieren zu können, fähig sein müssen, alles zu neutralisieren, was das Kapital hinsichtlich Reorganisation der Produktion und der Herrschaft aufbieten kann, um darauf zu antworten – was bedeutet, dass er die Gesamtheit der kapitalistischen Verhältnisse in der Praxis selbst des Aufstands untergraben muss.

 

Die alte Arbeiterbewegung, welche inhärent mit einem heute überwundenem kapitalistischen Herrschaftsmodell verbunden war, wird nie aus ihren Aschen steigen. Doch sollten Klassenkämpfe mit einer revolutionären Tragweite eines Tages wieder aufkommen, so nur als Teil der Hervorbringung von Dynamiken (und einer Sprache), welche eine gemeinsame Perspektive der Überwindung der von den Armen für ihre eigenen Interesse geführten Kämpfen kreieren kann – Dynamiken, welche gleichzeitig über den Klassenuniversalimus hinausgehen, welche den Vermittlungen der Zivilgesellschaft und der Politik eigen sind.

 

Ein solcher Prozess kann nicht unabhängig von der Dynamik des Kapitals ausbrechen, denn letztendlich ist es einzig und allein sie, welche die Daseinsbedingungen der Menschen gestaltet. Dennoch wird er nie das mechanische Produkt derselben sein.

 

AUF DER BASIS DES NEINS

 

Wir sind nicht so weit. In unserer Periode ist es weniger denn je angemessen, sich vom messianischen Charakter der Perspektive einer Überwindung der Klassengesellschaft erfassen zu lassen (welche häufig von einer revolutionären Theorie vermittelt wird, die wie ein Liebender vom konzeptuellen Jenseits der kapitalistischen Verhältnisse angezogen ist, welche sie zu erfassen sucht). Denn konkret geht es in den Kämpfen nie um die Suche eines Kipp-Punktes zwischen der kapitalistischen Reproduktion und dem „kommunistischen“ Bruch: Es geht allen voran um das Hier und Jetzt der kapitalistischen Verhältnisse. Und es ist eben genau, weil das Kapital keine autonome Maschine, weil es ein gesellschaftliches Verhältnis ist und von den Tätigkeiten der Menschen lebt, dass das Verständnis des Phänomens nicht starr, definitiv errungen in den Handbüchern der Kritik der politischen Ökonomie sein kann.

 

Die Kämpfe, wenn sie sich auch als integriert herausstellen, sich auf Forderungen hinsichtlich der Teilung des Kuchens beschränken oder eine Klassengewalt ohne jegliche Perspektive der Überwindung entwickeln, erzählen uns konstant etwas vom Zustand dieses problematischen Verhältnisses, von seiner inhärenten Unfähigkeit, die Menschen in Maschinen zu verwandeln. Nicht mehr als gestern oder heute wird die Dichotomie Kampf als Moment der Reproduktion des Kapitals/Kampf als Riss in den kapitalistischen Verhältnissen deutlich auftauchen. Im Verlauf der Momente, wo die gesellschaftliche Ordnung in Krise ist (was zunehmend in jeder Klassenkonfrontation auf dem Spiel steht), entstehen immer Dinge: Es geht nicht darum, zu versuchen, die Hirngespinste oder die theoretischen Konstruktionen, welche den Revolutionären ohne Revolution eigen sind, dort hinein zu projizieren, sondern darum, ihnen zuzuhören, versuchen, ihre Sprache zu verstehen und sie hinsichtlich der allgemeinen Dynamik des Kapitalismus zu analysieren, mit welcher sie notwendigerweise interagieren.

 

Indem sie den alltäglichen Verlauf der Dinge unterbrechen, kreieren die Kämpfe immer die Möglichkeit eines Raumes der Subversion. Die Subversion zeigt in den kapitalistischen Verhältnissen, dass sie nicht nur das sind. Es ist die konkrete Organisation, welche in einem Moment des Kampfes entsteht, die Verhältnisse der Solidarität, welche sich entwickeln, die Erkennung einer gemeinsamen Bedingung und die Ablehnung derselben, die Umkehrung der Gewalt in hierarchischen Verhältnissen und auch die Vorstellungskraft, welche auf dieser Grundlage hervorgebracht wird. In diesem Sinn ist es eine enorm wichtige Frage, zu verstehen, was sich genau abspielte in Albanien als die Bevölkerung den Staat aus ihren Städten vertrieb.

 

In unserer Epoche, welche kaum geeignet ist für kommunistische Eschatologie, sollte man sich, mangels revolutionärer Beben in den Kämpfen, welche man analysieren kann (und sie bei Gelegenheit erleben), statt mit dem Finger auf die Konterrevolution zu zeigen, welche ihr entgegenstehe (und sie bei Gelegenheit zu bekämpfen), für den konfliktreichen Verlauf des Kapitalismus interessieren, für die von seiner Reproduktion getragenen Krisen und auch für die Revolten, welche er auslöst und weiterhin auslösen wird. Denn wenn auch die gegenwärtigen Revolten und Kämpfe nie mechanisch eine revolutionäre Perspektive hervorbringen werden, so ist es doch nur innerhalb solcher Momente und auf der Grundlage der Praktiken, welche sich darin entfalten, wo diese Perspektive – vielleicht – erneut auftauchen können wird.

 

POSTSKRIPTUM BEZÜGLICH DER REVOLUTIONÄRE OHNE REVOLUTION

 

Als Abbild der Epoche, welche sie hervorbringt, sind die revolutionären Aktivisten heutzutage auf eine Handvoll von „Radikalen“ beschränkt, welche durch die Reproduktionskrise der westlichen Mittelklassen hervorgebracht werden [8]. Sie sind permanent belauert durch die politische Spezialisierung ihrer Leben und haben natürlich überhaupt keine revolutionäre Tätigkeit: Ausser wenn sie sich selbst als universelle revolutionäre Subjekte ausarbeiten, sind sie stets mit den wirklichen Problemen konfrontiert, welche die Kämpfe tragen, jene der Verhandlung der Daseinsbedingungen – und nicht ihrer Beseitigung. Indem man stets die Frage „der Intervention“ stellt, anerkennt man nur eine Äusserlichkeit – jene der revolutionären Problematik und, darüber hinaus, der selbsternannten revolutionären Individuen – in Bezug auf das, was sich in den Kämpfen abspielt.

 

Es geht nicht darum, den Aktivisten von einem existentiellen Standpunkt aus eine Moralpredigt zu halten: Absolut betrachtet kann man den Wunsch/Drang, den man haben kann, Teil einer Dynamik des Kampfes, der Antagonismen, der Dinge zu sein, auf der Grundlage dessen, was man um sich herum finden kann und mit anderen, indem man die Mittel anwendet, die man zur Verfügung hat, nicht kritisieren. Es geht einfach darum, nicht zu glauben, dass die Ausdehnung dieser existentiellen Modalitäten die Revolution bringen werden und auch nicht, dass es die selbsternannten Revolutionäre sein werden, welche die Revolution auf dieser Grundlage machen werden. Das ist kein methodischer Fehler in der Art der Intervention, der Positionierung usw. Es bedeutet einfach, dass „es nicht das Bewusstsein der Menschen ist, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“: Indem sie sich untereinander gruppieren und als gleich betrachten, bringen die kleinen Gruppen selbsternannter Revolutionäre notwendigerweise eine „Radikalität“ (des Diskurses und der Aktion) hervor, welche der Stellung eigen ist, die sie selbst in den gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnissen einnehmen, und der Identität, die sie sich darin eingerichtet haben. Diese Radikalität ist nur in der Form des numerischen Wachstums einer Szene ausdehnbar, welche immer gesellschaftlich bestimmt ist, welche logischerweise dazu gebracht ist, „Politik zu machen“, d.h. zu rekrutieren, Hierarchieverhältnisse hervorzubringen, welche der politischen Spezialisierung eigen sind und aus Kämpfen ein Problem der Selbstreproduktion zu machen. Die Politik, sogar die „radikale“, will immer ein Ding andrehen und sie ist nie komplett frei von Erpressung.

 

(Es gibt dennoch keine proletarische Authentizität, welche man der „kleinbürgerlichen“ Revolte entgegenstellen könnte. Als solche sind diese Kategorien eher sinnlos: Wer steht von einem Klassenstandpunkt aus, zwischen dem Immigranten, der auf dem Bau schuftet und korrekt verdient, und dem Professorensohn und ehemaligen Studenten, welcher sich irgendwie „durchschlägt“, über dem anderen? Schwierig zu sagen. Dennoch bleiben die Verhältnisse, welche sie verbinden, Klassenverhältnisse, dadurch dass sie durch die Klassengesellschaft vermittelt sind und die Modalitäten des Zugangs zu Geld, aber auch zu gesellschaftlichem Kapital, das Verhältnis zur „Entscheidung, wie zu leben“, die kulturelle Nähe zu den herrschenden Klassen, die Fähigkeit, sich das bürgerliche Wissen anzueignen, das Verhältnis zur Sprache usw. ins Spiel bringen – ohne von all den gesellschaftlichen Formen der Männerherrschaft zu sprechen, die sich immer darin einfügen. All diese Verhältnisse, welche die Grundlage der Ungleichheit zwischen den Menschen bilden, sind auch die Objektivität der Klassengesellschaft, welcher man nicht entwischen kann, auch nicht mit dem hartnäckigsten Voluntarismus.)

 

Die intime Tragödie der Revolutionäre ohne Revolution dieses Beginns des 21. Jahrhunderts ist es, konstant von Projizierungen zu leben. Man wird dazu gebracht, Hypothesen und (zwangsläufig) Hirngespinste ausgehend von der Klassengewalt zu konstruieren, welche unsere Ohren erreicht, ohne je komplett zu erfassen, was jene hervorbringen, welche revoltieren. Wenn man auch wirklich möchte, dass es so wäre, die Problematiken eines Hittisten [9] aus Bab el-Oued sind nicht die gleichen, wenn er Steine auf die Bullen wirft, wie jene der selbsternannten Revolutionäre der westlichen Metropolen und es ist nicht so, dass der eine Recht hat, der andere nicht. Der Hittist versucht einfach nicht, Teil einer allgemeinen Konzeption der Antagonismen zu sein, welche den Radikalen eigen ist – denn es ist ihm scheissegal. Die Radikalen versuchen es und wenn sie sich auch daran reiben, so ist es schwierig, diese schreckliche Feststellung lange zu verdrängen: Die Armen verhalten sich in der Regel nicht so, wie man es gerne hätte.

 

Die Kämpfe und Revolten entspringen nicht einem Zauberkessel. Ihre Materie besteht nicht aus Träumen oder allgemeinen Ideen, sondern aus gesellschaftlichen Verhältnissen, welche dort bestehen, wo sie entstehen, und sie befassen sich zwangsläufig damit – die Wahl einer „Radikalität“ ist eine phantasmatische Projizierung und notwendigerweise ausserhalb dessen, was sich in den Kämpfen abspielt.

 

Für die selbsternannten Revolutionäre ist es immer ein kompliziertes Problem, die revolutionäre Behauptung mit der Wirklichkeit der gegenwärtigen Klassenverhältnisse und -konfrontationen zu konfrontieren. Diese Schwierigkeit beschränkt sich übrigens nicht auf die Sphäre des Aktivismus: Sie zeigt sich auch (auf andere Art und Weise) in der Theorie mit revolutionärem Anspruch. Der Punkt des Bruches der Theorie liegt in der Tatsache, dass sie eine Tätigkeit ist, die zum Ziel hat, die Dynamik dessen zu verstehen, was heutzutage das menschliche Leben hervorbringt (das Kapital), dabei jedoch einen Umsturz der Ordnung der Welt projiziert, welche von jenen ausgeht, welche gesellschaftlich beherrscht sind (unsere Freunde, die Proletarier). Doch die Fähigkeit der Theorie, mit dem zu interagieren, was letztere hervorbringen, ist gesellschaftlich beschränkt: Indem sie eine Sache der Intellektuellen bleibt, ist die Theorie Teil der bestehenden Klassenverhältnisse (oder anders gesagt, es sind nicht jene, welche beherrscht sind, welche sich dieser Tätigkeit hingeben). Und das bleibt unüberwindbar, solange die Theorie nicht direkt mit den Erfahrungen der revolutionären Kämpfe selbst interagiert. Damals, 1848, 1917, 1968 usw., war die Revolution ein laufender Prozess und ihre Theoretisierung war abhängig von dem, was an Brüchen in den Konfrontationen hervorgebracht wurde – die Theoretisierung war damals beteiligt. Ausserhalb dieser Perioden der revolutionären Agitation hatte die Theorie ihren Sinn als Theorie des Kapitals, doch die Perspektiven, welche sie hinsichtlich der Aufhebung desselben skizzieren will, bleiben theoretisch: Sie sind intellektuelle Projizierungen ausserhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und sie haben nicht die Fähigkeit, den Bestimmungen der Klasse zu entwischen, welche die Theorie als getrennte Tätigkeit hervorbringen.

 

In der gegenwärtigen Periode ist die revolutionäre Zukunftsforschung nicht mehr als ein lustiges Spiel. Sobald sie zu einer teleologischen Systematisierung wird, welche versucht, die Tatsachen mit heftigen Fusstritten in die vorgefassten Konzeptualisierungen einzugliedern, wird sie zu einer in sich selbst eingeschlossenen Tätigkeit, deren Hauptproblem die Konfrontation von Standpunkten zwischen mehr oder weniger spezialisierten Intellektuellen ist.

 

All das ist kein Grund, damit aufzuhören, die Welt zu analysieren, in welcher wir uns herumschleppen, um darin letztendlich eine Logik, eine Kohärenz zu finden – und eine totale Kritik davon zu machen. Im Gegenteil, man sollte das ernsthaft tun, denn es ist eine ernsthafte Sache. Doch man sollte es auch tun können, ohne sich allzu ernst zu nehmen, denn es steht nicht mehr das gleiche auf dem Spiel, wie damals, als diese Kritik einer gesellschaftlich bestehenden revolutionären Bewegung praktische Fragen stellte. Wir „Revolutionäre“ haben kaum die Mittel, es zu sein, und wir sind faktisch in der Klassengesellschaft, in welcher wir leben, alle im wesentlichen etwas anderes.

 

Bob

 

Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net

 

Quelle

 


[1Die von der Marxschen Theorie ausgearbeitete Unterscheidung zwischen formeller und reeller Herrschaft des Kapitals über die Arbeit bezieht sich allen voran auf die Modalitäten der Extraktion des Mehrwerts: Der absolute Mehrwert wird durch die Verlängerung der Mehrarbeitszeit produziert, während der relative Mehrwert durch die ansteigende Produktivität der Arbeitskraft produziert wird. Die reelle Herrschaft ist von einer Vorherrschaft des relativen Mehrwerts geprägt, welche begleitet wird von einer Umfassung der Reproduktion der Arbeitskraft im kapitalistischen Verhältnis. Diese beiden Formen der kapitalistischen Ausbeutung können koexistieren und sich abwechseln. Durch das Prisma der Subsumtionsweisen kann man auch die Geschichte des Kapitals lesen, welche die Geschichte seiner Krisen und Restrukturierungen ist. Was darin auf dem Spiel steht, sind weniger die Modalitäten der Extraktion des Mehrwerts, sondern jene der Integration der Proletarier in die kapitalistischen Verhältnisse. Die fordistische Periode, welche in Europa mehr oder weniger mit den Trente Glorieuses* zusammenfällt, ist jener Moment, wo sich die reelle Herrschaft des Kapitals ausbreitet durch die Entwicklung des Massenkonsums, doch auch durch den Triumph der Demokratie, sowohl im Staat wie auch im Unternehmen. Die Restrukturierung hat in den 1970er Jahren begonnen, ist weitergegangen und hat sich in Form der Ausdehnung des kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisses auf die Gesamtheit der menschlichen Tätigkeit, sowohl Produktion als auch Reproduktion, vertieft, nicht ohne jedoch manchmal zu Formen absoluten Mehrwerts in den Ausbeutungsverhältnissen in den peripheren Zonen zurückzukommen. Wenn sich also die reelle Herrschaft des Kapitals im Verlauf der letzten Periode vertieft hat, so ist es nicht aufgrund der Extraktionsweise des Mehrwerts, sondern aufgrund der wachsenden Integration der Sphäre der Reproduktion in die kapitalistischen Verhältnisse.

 

[2Die Zivilgesellschaft ist diese wirkliche Abstraktion, welche sich zeitgleich mit der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt hat und welche die Existenz „der Gesellschaft“ als eine Gesamtheit von von den Menschen für sie selbst hervorgebrachte Verbindungen setzt, welche durch das Recht und seine Instanzen vermittelt wird. Indem sie sich auf die Fiktion des Gesellschaftsvertrages stützt, verleiht sie den Individuen eine Mitgliedschaft in dieser Gesellschaft jenseits der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Zivilgesellschaft will Menschen in Bürger verwandeln, die Kämpfe in die Politik integrieren, sie dazu bringen, die Sprache des Rechts und des allgemeinen Interesses zu sprechen und ihnen einen Horizont geben, der über die Verweigerung der konkreten gesellschaftlichen Klassenverhältnisse, wie sie konkret erlebt werden, hinausgeht.

 

[3Die Kämpfe während der Periode der Arbeiterbewegung sprach gewiss eine Sprache, die ihr eigen war; viele benutzten ihre revolutionäre Syntax nur oberflächlich, als Diskurs, welcher dazu diente, Kämpfe für die eigenen Interessen gewisser gesellschaftlicher Gruppen zu führen. Es wird nie eine Umfrage dazu geben, doch es ist nicht sicher, dass so viele Proletarier, obwohl kämpfend, eine revolutionäre Perspektive hatten. Aber trotzdem.

 

[4Im Februar 1997 führte der Zusammenbruch der Anlagesysteme nach Scheeballprinzip, mit welchen fast die Gesamtheit der politischen Klasse verbunden war, zum Ruin von etlichen Albanern. Demonstrationen verwandeln sich in Ausschreitungen und dann in einen bewaffneten Aufstand nach der Plünderung der Kasernen. Ein grosser Teil des Landes (im wesentlichen der Süden) ist nicht mehr vom Staat kontrolliert, ohne dass irgendeine Form der politischen Führung des Aufstands auftaucht. Die Ordnung wird schliesslich im April durch eine europäische Militärintervention wiederhergestellt. [siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Lotterieaufstand

 

[5Was hier als „arm“ verstanden wird, soll nicht in einem Sinne der Verschönerung des Elends gelesen werden. Wir verstehen darunter gleichzeitig die permanente Konfrontation mit dem Geld als Notwendigkeit und jene mit der Hierarchie der Menschen wie sie die Klassengesellschaft modelliert – die die Frage des Zugangs zu Geld umfasst und darüber hinausgeht. Wir verstehen darunter auch die Äusserlichkeit gegenüber der Zivilgesellschaft: Die Armen sind jene (sei es der Arbeiter in Bangladesch, der malische Sans-Papier in Paris oder der Hittist in Alger oder Clichy-sous-Bois), welche nicht Teil der Produktionsmodalitäten „der Gesellschaft“ und ihren Fiktionen hinsichtlich der Verbindungen sind, welche abstrakt die zu Bürger gewordenen Menschen vereinen. Die Kategorie der Armen deckt sich nicht mit jener der Proletarier, widerspricht ihr jedoch auch nicht. Der Unterschied liegt im Niveau der Analyse: Die Proletarier sind durch ihr Verhältnis zum Kapital definiert (ein Verhältnis, das mit keinem direkten Erlebnis übereinstimmt), während es die Armen durch ihre unmittelbare gesellschaftliche Bedingung als Untergebene sind (ein direkt erlebtes Verhältnis). Alle Proletarier sind nicht unbedingt arm (einige können in die Vermittlungen der Zivilgesellschaft integriert werden, vor allem im Westen); wenn wir uns hingegen an die Definition der „Habenichtse“ halten, sind alle Armen Proletarier. Doch wenn die Armen eine politische Mobilisierung hervorbringen, ist ihre Einheit nie politisch: Sie ist das Resultat des unmittelbaren Teilens einer gesellschaftlichen Bedingung, welches gleichzeitig Teil eines Verhältnisses des Antagonismus und der Anerkennung ist und lokal hervorgebracht und reproduziert wird. Wenn die Armen etwas gegen die ihnen auferlegten Bedingungen unternehmen, sind sie potenziell mit dem Zwang konfrontiert, welche sie weiterhin in diese Bedingung zwingt (die Polizei in all ihren Formen); mit den unmittelbaren gesellschaftlichen Verhältnissen, aus welchen ihre Armut resultiert (jene, welche sie ausbeuten, die Waren zur Verfügung haben usw.); aber auch mit den Armen, welche ihnen gegenüberstehen. Sie tun das nicht, weil sie dumm sind, sondern aufgrund gesellschaftlicher Interessen (mögen sie materiell sein oder nicht), welche mit ihrer gegenwärtigen Bedingung zusammenhängen, und diese Verhältnisse sind auch durch das Kapital hervorgebrachte gesellschaftliche Verhältnisse – sie unterscheiden sich bezüglich ihrer Hervorbringung nicht von der Revolte „gegen die Unterdrücker“. Der Kapitalismus kreiert weniger denn je eine Einheit der Armen – weniger denn je macht er aus ihnen ein revolutionäres Subjekt, das sich dafür einsetzt, sich der Gesellschaft zu bemächtigen, um den Umsturz herbeizuführen.

 

[6Was zur kapitalistischen Dynamik der Trente Glorieuses* führte, war im wesentlichen eine bessere Integration der Proletarier in die kapitalistischen Verhältnisse und die Ausdehnung der reellen Herrschaft des Kapitals über die Arbeit: Obwohl 1936 die bezahlten Ferien eine schmerzhafte Konzession für die französischen Bosse war, muss die Sache letztendlich in Bezug auf das Auftauchen des Massenkonsums/der Massenproduktion und der Öffnung neuer Märkte analysiert werden. Im allgemeinen sind alle „gesellschaftlichen Errungenschaften“ der fordistischen Periode, obwohl „hart erkämpft“, Teil dieses Prozesses.

 

[7Seit einigen Jahrzehnten wird die westliche Jugend von aufständischen und Versammlungsbewegungen mit stark politischem Anstrich durchdrungen und diese scheinen sich manchmal einem gewissen Punkt des Bruches zu nähern. Man kann den Ursprung des Phänomens in der Bewegung von 1977 in Italien ansiedeln und diesen mit der Bewegung gegen den CPE in Frankreich 2006 und den Aufständen 2008 in Griechenland verbinden (mit allem, was der dreissigjährige Graben dazwischen impliziert). In diesen Bewegungen, welche genauso Revolten sind, ist der Klassendeterminismus der jugendlichen Dimension und der gesellschaftlichen Gärung untergeordnet, welche sie auslöst. Sie werden als diverse Bewegungen der Verweigerung der Mechanismen der gesellschaftlichen Reproduktion analysiert werden, eine Verweigerung, welche von diversen gesellschaftliche Lebensformen einer Jugend ausgedrückt wird, die noch nie in die Notwendigkeit projiziert wurde, ihr eigenes Gehäuse zu reproduzieren, sich somit als „ausgeschlossen“ zeigen und kollektiv „etwas anderes“ wollen kann. Von einem objektivistischeren Standpunkt aus könnte man diese Bewegungen auch als Symptome einer der postfordistischen Gesellschaft eigenen Krise der Integration der Proletarier ins Kapital lesen. Ihre Kraft des Bruches ist häufig gross und die Konfrontation mit der Polizei, verbunden mit dem verallgemeinerten Geschwätz und der Freude über eine plötzlich konstituierte kollektive Macht, scheint manchmal ein Bild der entstehenden schönen Zukunft zu skizzieren. Dennoch ist es stets die gleiche Grenze, welche diese Bewegungen nicht überwinden können: Ihre Unfähigkeit, ein Kräfteverhältnis hervorzubringen, welches sich im kapitalistischen Verhältnis selbst ausdrückt, im Verhältnis Kapital-Arbeit. Das ist überhaupt nicht kontingent: Es ist eine Konsequenz der Restrukturierung und des Endes der gesellschaftlichen Zugehörigkeit, welche mit der Arbeit verbunden war, das Leben findet nun ausserhalb der Fabrik statt und es ist auch dort, wo sich die kollektive Verweigerung des gesellschaftlichen Verhältnisses ausdrückt – obwohl diese Welt immer noch im wesentlichen in der restrukturierten Fabrik produziert wird. Es ist die gegenwärtige kapitalistische Produktionsweise, welche den „Ausschluss“ ihrer Jugend hervorbringt (eine Kategorie, die sie in der produktivistischen Euphorie der Trente Glorieuses* selbst kreiert hat) und sie hat es bis jetzt geschafft, die Subversion, welche sich dadurch ausdrücken kann, auf eine Affäre der gesellschaftlichen Disziplin zu beschränken, welche, obwohl überhaupt nicht unbedeutend, weit davon entfernt ist, eine verallgemeinerte Krise der Reproduktion des variablen Kapitals darzustellen. Die Bewegung von 1977 in Italien ist, hinsichtlich der Verweigerung der kapitalistischen Welt, die sie ausdrückt, der Moment mit dem grössten revolutionären Potenzial in den 1970er Jahren. Doch wenn der Kampf die Strasse, die Quartiere, die Unis usw. heimsucht, so bedeutet das auch, dass er das Terrain der Fabriken verlassen hat – und dass die Niederlage gewissermassen vollendet ist: Das italienische Proletariat hat 1977 die Fähigkeit verloren, das Herz der Maschine zu blockieren und die Bewegung der Subversion, welche sich daraufhin der Gesellschaft bemächtigt, bremst keineswegs die kapitalistische Offensive, welche sich parallel entwickelt, um die Ausbeutungsverhältnisse zu restrukturieren.

 

[8Der Diskurs der revolutionären Aktivisten der Peripherie ist vom „Sozialismus“ zu demokratischen Forderungen im Stil von „Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit“ abgeglitten, der Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung ist kaum mehr ein Thema.

 

[9Im Maghreb ist ein Hittist einer, der „die Mauer hält“, d.h. ein junger Arbeitsloser, der herumhängt.

 

* Der Begriff „Trente Glorieuses“ [„Die dreissig glorreichen Jahre“] wurde ursprünglich vom französischen Demographen Jean Fourastié geprägt. Er bezieht sich auf die dreissig Jahre (1946-1975) des wirtschaftlichen Aufschwungs in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg.

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keene analyse, rumjammern dit sich die balken biegen und vor allem: wer soll diese dämlichen Schachtelsätze und Abstraktionen eigentlich verstehen?

 

Man man man - und fürs intellektuelle ins Knie ficken ist die Lebenszeit zu schade..

Antiintellektuelle*r kretin.

Zu den Kommentaren: Intellektuellenbashing wäre natürlich nogo, ist ja sogar NS-kompatibel. Jemanden, der einen text nicht versteht, oder sogar nur schwere Verständlichkeit bemängelt einen dummen Kretin zu nennen ist aber glasklar reaktionär, und das gehört gelöscht.

Zum text: Es stimmt leider, gerade zum textanfang (typisch, wo die Schreibenden noch nicht drin sind), ist es unnötig umständlich formuliert. Hier lohnte ein Durchlesen nach Beendigung des Schreibens und eine einfache satzverkürzung durch Zwischenpunktuierung der Sätze. Eine erkenntnisreiche Analyse abseits der zwar wichtigen aber altbekannten Frage,"was macht der revolutionär in nichtrevolutionären Zeiten?" sehe ich auch nicht. Marxisten-Leninisten haben darauf eine klare Antwort: Sich organisieren um auf revolutionäre zeiten vorbereitet zu sein, Anarchisten fällt die beantwortung schwerer.

Ich hab die Person nicht einen Kretin genannt, weil er_sie den Text nicht verstanden hat, das wäre in der Tat reaktionär, sondern wegen dem krassen Antiintellektualismus, der aus diesem Kommentar spricht.

Wo denn?  Das ist Null und Null - und nochwat, wer nicht in Lage ist Zusammenhänge einfach darstellen und herunterzubrechen, der ist ne Vollniete auf dem Egotrieb, aber politisch völlig irrelevant.

Am besten nur die blinkenden Stichworte in grellen Neonfarben. Großgeschrieben und mit vielen Ausrufezeichen. Wofür noch tiefergehende Analysen und differenzierte Betrachtungen, wenn man sich bei politisch relevanter Kommunikation Agitation im BILD-Format wünscht. Ist doch undenkbar, dass es Sachverhalte gibt, die sich nicht in 140 Zeichen darstellen lassen oder mit einer passenden Verallgemeinerung zusammenfassen lassen. Wenn man sich Stammtischpolemik wünscht sollte man nicht von Politik reden.

rettet dem Dativ!