Die Aufstände in Taksim – zwischen Hippie-Flair, Selbstverwaltung und Nationalismus

Anarchist*innen auf dem Taksim-Platz

Von Karakök Autonome  - erschienen in der Juli-Ausgabe der Gǎi Dào

Die aktuellen Proteste in Taksim (Istanbuler Stadtteil) begannen am 27.05.2013 in Form einer gentrifizierungskritischen Aktion. Aufgerufen hatten Stadtentwicklungs-, Öko-, LGBTQ-, Tierrechtskreise sowie Anarchist*innen. Konkret ging es um die geplante Zerstörung des Gezi Parks, dessen Bäume gefällt und einem neuen Einkaufszentrum weichen sollten. Doch wie konnte diese anfangs kleine Aktion sich in einen Aufstand der Massen verwandeln?

 

 

Auch in Nordafrika begannen die Aufstände im vergangenen Jahr mit der Aktion eines Einzelnen. Manchmal können kleine Proteste der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und kollektive Forderungen entfacht. Ebenso schaffte es die kleine Kundgebung in Taksim, die Unzufriedenheit von Tausenden von Menschen offenzulegen, so dass sich die Thematik völlig von ihrem Ursprung verschob und zu einer Bewegung gegen die Regierungspartei AKP („Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) und insbesondere gegen ihren Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan sowie gegen ihre Polizei heranwuchs.

 

Während der initialen Gezi-Park-Aktion wurde eine Kundgebung abgehalten sowie Zelte im Park aufgestellt, der bereits von Baubaggern umgeben war. Am 1. Juni stürmte die Polizei um 5 Uhr morgens das Gelände und zündete die Zelte der Schlafenden an (!). Die erwachten und aus den Zelten stürmenden Menschen attackierte sie mit Schlagstöcken und versuchte, sie vom Gelände zu vertreiben. Es war wohl diese immense und brutale Repression der Behörden gegenüber der zivilen Bevölkerung, welche die Verbreitung der Proteste auslöste.

 

Wieso tauchten plötzlich Nationalflaggen auf?


Einzelne Politiker*innen der BDP („Partei des Friedens und der Demokratie“, vertritt die Interessen der kurdischen Bevölkerung auf parlamentarischer Ebene) hörten von der Repression und kamen zum Park, um sich den Protesten anzuschliessen. Dabei verbreitete sich unter anderem ein Foto, welches einen BDP-Politiker dabei zeigte, wie er sich gegen die Bagger stellt, um ein Sägen der Bäume zu verhindern.

 

Dies wiederum bewegte die kemalistische CHP („Republikanische Volkspartei“, 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk gegründet, als er die Nation „türkei“ gründete) zu Taten, da diese befürchtete, die BDP führe die aktuellen Parkproteste an und gewinne dadurch an Popularität. Um die eigene Partei zu profilieren, tauchten dann Politiker*innen und Mitglieder der CHP plötzlich mit türkischen Nationalflaggen und Atatürk-Konterfeis im Gezi Park auf. So begann die erste nationalistische Prägung der Proteste. Dies traf anscheinend den Nerv der Zeit, da durch die Erdogan-Regierung das allererste Mal in der Geschichte der türkei der Kemalismus an Macht und Einflussnahme verloren hatte. Unter anderem hatte Erdogan die Allmacht des Militärs gebrochen, welche als Hüter des Kemalismus fungierten und dies in der Vergangenheit auch in Form von mehreren Militärputschen gewaltsam zum Ausdruck gebracht hatten. So waren nun im Gezi-Park auf einmal überall Nationalflaggen zu sehen sowie Parolen zu hören wie: „Wir sind alle Kemals Soldaten!“, „Rücktritt der Regierung!“ oder „Dikator Tayyip!“.

 

Mittlerweile hatten sich auch Organisationen jeglicher anderer Couleur den Protesten angeschlossen, u.a. Marxist*innen. Um zu verstehen, weshalb die türkische Nationalflagge nicht nur von kemalistischen Kreisen verwendet wurde, muss man etwas ausholen. Die historische Erziehung in der türkei ist stark geprägt von der Auffassung, die kemalistische Armee sei ein revolutionärer Vorreiter gewesen, habe die europäische Besatzung beendet und einen anti-imperialistischen Krieg geführt, Konservatismus und Islamismus beendet und den Laizismus gebracht. Als um 1968 herum diverse marxistische Bewegungen entstanden, riefen viele marxistische Anführer angesichts der kleinen Arbeiter*innenklasse dazu auf, sich mit dem Kemalismus zu vereinen, da man nur so einen sozialistischen Sieg erreichen könne. Manche marxistische Organisationen begannen dann, die türkische Flagge als Symbol der Unabhängigkeit von kapitalistischen, imperialistischen Staaten (USA, Europa) zu verwenden. Dadurch geriet die nationale Symbolik auch in linke Kreise und beschränkt sich nicht nur auf die Anhänger*innenschaft der CHP. Diese historische Entwicklung war auch die Grundlage dafür, dass die Nationalfahne in den aktuellen Protesten von verschiedensten Menschen als Symbol der Proteste verwendet wurde. Als Anarchist*innen finden wir das natürlich haarsträubend, aber angesichts der historischen Grundlage nicht verwunderlich.

 

Allerdings stand während der ganzen Proteste keine Partei oder Organisation im Vordergrund, was sehr ungewöhnlich für die türkei ist. Kreise der CHP haben die Proteste zwar national geprägt, im Vordergrund stand jedoch eher die generelle Unzufriedenheit am Regime. Eine Vielzahl von Menschen war auf der Strasse, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken, oder mehr Freiheit und Autonomie zu fordern – insbesondere junge Menschen. Bei vielen stand der Kemalismus gar nicht wirklich im Vordergrund und sie liessen sich einfach durch die Dynamik der Proteste mitreissen – durch die vielen Nationalflaggen schien es jedoch fälschlicherweise so, als bestünde eine einheitliche Ideologie.

 

Die Entwicklung der Proteste und die Taksim-Kommune


Im Laufe der Proteste schlossen sich auch die Gewerkschaften DISK und KESK den Ereignissen an und riefen gar zum Generalstreik aus. Die PKK und BDP hielten sich hingegen mittlerweile im Hintergrund, weil sie wohl die Friedensverhandlungen mit der Regierung nicht gefährden wollten. Was aber wirklich verwunderlich ist, ist, dass sogar die MHP („Partei der nationalistischen Bewegung“, die sog. „Grauen Wölfe“, ultra-rechtsextreme Partei), an den Protesten teilzunehmen begann. Es gab nun überall Gefechte mit der Polizei, welche das ganze Spektrum von links bis rechts vereinte.

 

Nachdem die Proteste kein Ende zeigten und sich die gegenseitigen Attacken zwischen Polizei und Demonstrierenden eher noch weiter aufheizten, änderte die Polizei nach einer Woche die Strategie und zog sich zurück. In Taksim wiederum wurde nun eine riesige „Kommune“ gegründet: ein selbstverwaltetes Areal mit Zelten, Aktivitäten, Workshops und abendlichen Plenen. Hier wurde das Geld aufgehoben: Getränke und Essen wurden durch die Unterstützung von allen organisiert und gratis auf dem Areal verteilt. Es gab keine zentrale Verwaltung, sondern Versammlungen am Abend, wo die Ereignisse des Tages besprochen und auch weitere Aktivitäten geplant wurden. Tagsüber sassen Tausende von Menschen auf der Wiese, viele von ihnen blieben auch nachts mit ihren Zelten. Überall wurde Musik gemacht, gemeinsam gesungen, gekocht und VoKüs durchgeführt. Auf grossen Monitoren wurden Filme (und sogar Fussballspiele) gezeigt und Konzerte wurden durchgeführt. Ärzt*innen errichteten trotz eines Verbots durch die Regierung Krankenstationen, um Verletzte zu versorgen. In angezündete oder eingeschlagene Polizeiautos wurden Bücher gestellt und Bibliotheken gegründet.

 

Die Kommune erzeugte ein grosses Echo. Von anderen Städten gab es Wegweiser an den Strassen mit der Aufschrift „Taksimer Kommune“. In nur einer Woche wurde die Kommune von 2 Millionen Menschen besucht: von Familien mit Kindern, Rentner*innen, Schauspieler*innen, Fussballspielern und vielen mehr. Dadurch gewann sie immer mehr an Unterstützung. Die Entwicklung war für die Regierung höchst beängstigend, so dass die Polizei nun einen weiteren Interventionsbefehl erhielt und das Gelände am 11. Juni räumte.

 

Zu betonen ist, dass es ein solches Konzept in der Geschichte der türkei noch nie gegeben hat, was es umso aussergewöhnlicher macht. Ein derart kollektivistisches Konstrukt wäre bisher unvollstellbar gewesen. In linken Kreisen, welche bisherige Proteste geprägt hatten, war bisher eine immense Spaltung aufgrund ideologischer v.a. persönlicher Streitigkeiten auszumachen. Ebenso zwischen verschiedenen Ethnien. Und erst recht zwischen Linken und Rechten.

 

In den aktuellen Protesten hingegen wurden diese Barrieren überwunden. Beispielsweise gab es keine Konflikte zwischen Anarchist*innen und Menschen, welche die Nationalflagge hissten. Auch nahmen antikapitalistische Moslems an den Protesten teil und führten 5x/täglich ihre Gebete durch, ohne dass Linke intervenierten. Andererseits hat die Überwindung der Barrieren ein derart bedenkliches Ausmass erreicht, dass die Linke mit Faschist*innen zusammengespannt wird. Es gibt etliche Bilder und Aufnahmen davon, wie bespielsweise Linke und Faschos sich gegenseitig vom Boden aufhelfen oder gegen Angriffe der Polizei unterstützen. Wohlbemerkt, das sind zwei Strömungen, die bis in die Gegenwart bewaffnet gegeneinander vorgingen. Erst vor einigen Monaten wurde ein linker Student an der Universtität durch faschistische Studierende getötet. Was jedoch noch viel eigentümlicher ist: auf einmal riefen alle miteinander Parolen wie „Gemeinsam Schulter an Schulter gegen den Faschismus!“. Der Begriff des „Faschismus“ wird allerdings auf die AKP bezogen – ja, selbst die MHP bezeichnet die AKP nun als „Faschisten“..! Der MHP wiederum war diese Entwicklung wohl nicht ganz geheuer, so dass sie ihre Anhänger nach einigen Tagen dazu aufrief, die Proteste zu verlassen (was dann auch geschah). Wie das alles diese Wendung nehmen konnte und was es zu bedeuten hat, weiss niemand wirklich. Wir sind als Anarchist*innen ebenso ratlos, finden aber die Tendenz, sogar mit Faschos gemeinsame Sache zwecks gemeinsamem Feind zu machen, höchst beunruhigend. Ganz abgesehen davon, dass wir Erdogan nicht besser oder schlechter als andere Regierungsvertreter finden. Seine Regierung gehört ebenso abgeschafft wie andere Regierungen. Das System wäre nicht gerechter, wenn eine andere Partei an die Macht käme.

 

Möglicherweise hat die Bevölkerung die Schnauze voll von ideologischen Konflikten. Oder sie spannt nur deshalb zusammen, weil der gemeinsame Feind alle verbindet. Vielleicht aber kommt erneut eine politische Bewegung durch die 90er-Generation auf, welche bisher immer als apolitisch, desinteressiert und asozial verschrien war, die aktuellen Proteste aber massgeblich mitgeprägt hat. Möglicherweise könnten die aktuellen Ereignisse auch eine Art verspätete „Flower Power“-Bewegung der türkei sein. Denn obwohl um 1968 herum viel in der türkei passiert ist, beschränkte sich alle Bewegung allein auf die politische Ebene. Es gab Bestrebungen, das politische System zu ändern, aber keinerlei Bewegung in Sachen Kultur, Ökologie, Frauenrechte, Freie Liebe, Pazifismus, Kommunen, Musik oder Kunst. In der Kommune von Taksim dagegen schwebten all diese Elemente in einer Art „Hippie-Flair“ über dem Gelände. Höchstwahrscheinlich werden die aktuellen Proteste den Beginn einer neuen politischen Ära in der türkei ebnen. In welche Richtung diese gehen wird, ist allerdings unklar. Sie könnte ebenso in Richtung Selbstverwaltung und autonome Projekte gehen, wie in Richtung kemalistischer Machtübernahme.

 

Die Rolle von Anarchist*innen


Anarchist*innen waren von Anfang an in den Protesten aktiv, zumal sie Ende Mai gemeinsam mit anderen Gruppierungen zur allerersten Parkbesetzung aufgerufen hatten. Mit dem immensen Ansturm von Kemalist*innen und Linken wurden sie hingegen in den Hintergrund gedrängt, da Anarchist*innen innerhalb der gesamten Linken der türkei immer noch nur einen kleinen Teil ausmachen. Die Wirkung gegen aussen wurde daher praktisch nur von kemalistischen Forderungen (v.a. die Forderung nach Laizismus) dominiert, selbst die sonst sehr grosse marxistische Bewegung ging unter.

 

An den Barrikaden, in der Kommune sowie in den Plenen waren Anarchist*innen jedoch während der ganzen Proteste aktiv, wenn auch kaum in organisierter Form. Die meisten trugen keine anarchistischen Flaggen oder andere Symbole, was ihre öffentliche Wahrnehmung weiter schmälerte. Allerdings gab es auf dem Protestgelände eine Vielzahl von Infoständen, wo anarchistische Bücher, Broschüren oder Flyer aufgelegt wurden. Auch sprang einem*r immer mal wieder ein gespraytes A im Kreis entgegen.

 

Leider ist auch die anarchistische Bewegung in der türkei in sich gespalten und hat es nicht geschafft, während der aktuellen Proteste ausreichend zusammenzukommen. Dadurch gab es zwar viele Einzelpersonen, welche aktiv waren, aber kaum organisierte Aktionsformen einer grösseren Anzahl Anarchist*innen. Viele Anarchist*innen fanden im Stadtteil „Cihangir“ (300m von Taksim entfernt) zusammen, das auch zuvor als Zentrum anarchistischer Aktivitäten bekannt war. Hier wurden Barrikaden errichtet und tagelang gekämpft. Dies allerdings ohne Vernetzung oder Versammlungen untereinander, sondern vielmehr als ein Zusammentreffen individualistischer Aktionen.

 

Die einzige Gruppe, welche tatsächlich organisiert auftrat und auch gegen aussen als anarchistisch erkennbar war, war die DAF („Revolutionäre Anarchistische Aktion“). Dies ist eine plattformistische Gruppe, welche sich von anderen Anarchist*innen weitgehend separiert hat. Viele Anarchist*innen kritisieren die DAF als autoritär und hierarchisch. Allerdings muss man ihr zugute halten, dass sie als einzige anarchistische Gruppe Präsenz während der Proteste gezeigt hat und ihre rund 300 Mitglieder in Istanbul ständig aktiv waren, Stände eröffnet haben und an Barrikaden gekämpft haben.

 

Erwähnen sollte man auch den Fussball-Fanclub „Carsi“ (ein Fanclub des Fussballvereins Besiktas), welcher in verschiedenen Teilen Istanbuls aktiv war. Sie haben seit Jahren eine anarchistische Linie und hängen beispielsweise Transpis während Fussspallspielen auf. Ihren Namen „Carsi“ schreiben sie mit einem Kreis ums A. Während der Proteste waren sie ebenfalls präsent.

 

In der Hauptstadt Ankara gab es eine grössere Präsenz und Vernetzung von Anarchist*innen. Hier wurden gemeinsam Aktionen durchgeführt, v.a. zusammen mit Öko-und LGBTQ-Aktivist*innen sowie Marxist*innen, wobei die Gefechte ein weitaus heftigeres und radikaleres Ausmass erreichten.

 

Die aktuelle Situation


Nachdem die Polizei den Taksim-Platz geräumt hat, sorgte am 17. Juni die Aktion eines jungen Mannes für Aufsehen. Der von den Medien als „Duram adam“ (Stehender Mann) betiltelte Aktivist verharrte stundenlang auf dem Taksim-Platz, ohne mit der Wimper zu zucken oder in irgendeine gezielte Richtung zu schauen. Seine stille Akion sorgte für reichlich Furore, so dass er bald in sämtlichen Medien präsent war. Ein einziges Mal reagierte er auf Fragen der Medien, und zwar äusserte er gegenüber BBC, dass er Anarchist sei und zivilen Ungehorsam leiste. Seine Protestform fand schnell Nachahmer*innen, so dass sich ihm Hunderte von Menschen anschlossen und starr auf dem Platz verweilten. Nach ein paar Tagen zog sich der Initiant, übrigens tatsächlich ein Genosse aus der Bewegung, zurück und meinte, nun brauche es ihn ja nicht mehr.

 

Das Ganze hat mittlerweile ein ziemlich paradoxes Ausmass angenommen. In der Zwischenzeit tauchten nun nämlich Gegner der sog. „Stehenden Menschen“ (meist aus AKP-Kreisen) auf, welche gegen die stehenden Aktivist*innen protestieren und diesen starr und mit ebenso leerem Blick gegenüber stehen. Seit ein paar Tagen hat sich nun auch die Polizei dem Spektakel angeschlossen, hat in einer Reihe Stühle aufgestellt und protestiert sitzend gegen die „stehenden Menschen“ – und liest dabei russische Literatur, was dem Ganzen die Krone aufsetzt. Aktuell mutet der Taksim-Platz mehr wie eine groteske Filmszene an: Massen an Menschen, die zur Salzsäule erstarrt sind und einander stumm gegenüber stehen…

 

Andererseits wiederum gibt es Hausdurchsuchungen von Aktivist*innen durch die Polizei. Auch Festnahmen finden statt, wobei es schwierig ist, Zahlen anzugeben.

 

Eine Erfahrung für Anarchist*innen


Auch wenn keine anarchistischen Ideen als solche im Vordergrund standen und die Proteste leider sehr nationalistisch geprägt waren, so waren doch in vielerlei Hinsicht anarchistische Elemente in den Strukturen der Gezi-Park-Proteste vorhanden. So stand keine Partei oder Organisation im Vordergrund der Proteste, ebensowenig gab es eine zentrale Verwaltung. Es gab auffallend viele individualistische Aktionsformen (so wie diejenige mit dem „stehenden Mann“), welche aus Eigeninitiative von Einzelnen entstanden. Geld und Eigentum wurden zumindest in der Kommune abgeschafft und politische Proteste wurden mit kulturellen Veranstaltungen verwoben. Die Proteste waren antiautoritär und nicht-hierarchisch organisiert. Dies sind alles Elemente, die typisch für die anarchistische Idee und Bewegung sind. Ausserdem sind es Elemente, die es in der türkei bisher noch nie gegeben hat. Auch wenn uns die nationalistische und parlamentarische Stossrichtung der Proteste stört, so sind dies wohl dennoch Aspekte, welche es zu berücksichtigen gilt. Sie könnten Raum für neue Entwicklungen prägen – oder sogar für neue Ideen. Auf jeden Fall aber ist die Hemmschwelle in sämtlichen Altersgruppen gesunken, für die eigenen Anliegen auf die Strasse zu gehen oder sich sogar Gefechte mit der Polizei zu liefern.

 

Für Anarchist*innen waren die Proteste zudem eine wichtige Erfahrung. Sie können uns unsere Schwächen oder Fehler aufzeigen und haben viele Fragen aufgeworfen. Beispielsweise die Frage, ob ein insurrektionalistischer oder organisierter Ansatz sinnvoll ist. Oder die Frage, wie man sich als Anarchist*in gegenüber Nationalismus positionieren soll. Oder, ob man sich mit nicht libertären Menschen verbünden oder unabhängig von ihnen agieren sollte. Und wenn man sich verbündet: wie kann man die eigene Linie bewahren?

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