Am Donnerstag den 20.06. gab es in München eine kleine Spontandemonstration gegen Repression und in Solidarität mit den Aufständischen in der Türkei.
Die kleine Meute zog lautstark die Lindwurmstraße entlang Richtung Harras. Währenddessen wurden viele Flyer verteilt und massiv plakatiert. Nach 20 Minuten tauchte eine Streife auf, diese forderte Verstätkung an, daraufhin löste sich die Sponti auf. Innerhalb kürzester Zeit war das ganze Viertel voll mit Bullen, die wahllos irgendwelche Leute filzten, Festnahmen konnte ich jedoch keine beobachten.
Hier der Text des Flyers der verteil wurde (weiter unten als pdf):
Boyun egme! Beug dich nicht!
In dieser Stadt gehört es zur täglichen Routine, dass Menschen vom Staat festgenommen, eingesperrt, erniedrigt und isoliert werden. All das wird stillschweigend und unbeachtet hingenommen und nur selten dringen die einsamen Schreie derer, die wissen was es heißt dieser Unterdrückung und Gewalt ausgeliefert zu sein, bis zu unseren Ohren. Doch in der letzten Woche kam es in München zu mehreren vorübergehenden Festnahmen, die wir keineswegs einfach so hinnehmen wollen und die unsere Wut immer noch erregen:
Zum einen wurden fünf Personen unter dem Vorwand festgenommen, Flugblätter gegen den Bau des Justizzentrums am Leonrodplatz bei sich zu tragen. Einige Tage später lauerten Bullen in den frühen Morgenstunden zwei Personen vor ihrer Haustür auf und nahmen sie ohne Angabe von Gründen für mehrere Stunden fest. Da die beiden Festgenommenen zu „einem Personenkreis gehören“ sollen, „der unter Beobachtung steht“ und es in der gleichen Nacht irgendwo in München zu einer Brandstiftung an Autos der Firmen Telekom, Siemens und Cassidian kam, wurden ihnen Klamotten und alle Gegenstände beschlagnahmt, die sie mit sich führten. Eine der beiden Personen musste sich komplett ausziehen, die andere musste in Unterhose den Heimweg antreten. In beiden Fällen verweigerten alle Festgenommen konsequent jegliche Aussage und Zusammenarbeit mit den Cops.
All das sind Versuche, Menschen einzuschüchtern, ihnen irgendetwas anzuhängen, sie komplett zu überwachen und so zu zwingen, ihren Unmut gegen die herrschenden Zustände herunterzuschlucken. Es reicht aus, eine eigene Meinung zu haben, diese auch kund zu tun oder einem bestimmten Umfeld zugerechnet zu werden, welches den staatlichen Verfolgungsbehörden nicht passt, um kontrolliert, vor der Haustür abgefangen, schikaniert, observiert, abgehört und eingesperrt zu werden. Eine schlichte Haltung gegenüber dem Status Quo genügt um sich plötzlich auf der Anklagebank wiederzufinden oder in einer Zelle zu sitzen – mal für ein paar Stunden, vielleicht mal für ein paar Jahre. Das Hinterfragen, das Wehren, das Rebellieren und Spinnen von eigenen Ideen und Plänen wird in den Augen des Staates zum „Gesinnungsverbrechen“, welches es zu bestrafen, zurechtzustutzen, mit aller Gewalt einzugliedern und letztendlich wegzusperren gilt.
Doch wir wollen uns nicht über die „zu harte“ Gesetzgebung, die „unzureichenden“ Beweise oder „zu umfassende“ Überwachung beklagen, denn als Feinde dieser sozialen Ordnung haben wir nichts von ihr zu erwarten und wissen, dass Justiz und Polizei uns als eben diese behandeln. Wir verlassen uns nicht auf irgendwelche Gesetze oder Rechte, denn das hieße die Stellung derjenigen zu akzeptieren, die Gesetze über uns verhängen und die Macht haben uns Rechte zu geben und zu nehmen. Uns geht es nicht darum die Schuld oder Unschuld von irgendjemand zu beteuern, denn das würde heißen die Logik von erlaubten und zu bestrafendem Verhalten zu übernehmen. Auch wenn es diese Repressionsschläge nicht gäbe, hätten wir tausend Gründe gegen diese Ordnung zu revoltieren und so haben wir eben einen mehr. Wir können das Prinzip der Herrschaft und Bestrafung, egal ob es sich nun gegen Schwarzfahrer_innen, Anarchist_innen oder Drogenkonsument_innen richtet, nicht verstehen und über uns ergehen lassen. Jede Kontrolle, jede Festnahme und Gefängniszellen, jede Anklagebank und jede Autorität ist eine zu viel.
Das unverhohlene Gesicht dieser Herrschaft und insbesondere derer, die sie ausüben, zeigt sich am deutlichsten, wenn der kleine Stein der Revolte einen richtigen Aufstand in Bewegung bringt. Auch wenn in diesen Breitengraden wohl die meisten froh sind, Polizei und Richter_innen an ihrer Seite zu haben um vor blutrünstigen Mitbürger_innen geschützt zu werden, erleben beispielsweise in der Türkei gerade massenhaft Menschen, was es heißt die Staatsgewalt praktisch in Frage zu stellen. Wenn die tägliche Routine ins Stocken gerät, greifen „Freund und Helfer“ zu Tränengas, Schlagstock und Knarre um auf alles zu schießen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. In der Türkei wurden dabei schon tausende verletzt und etliche ermordet, teilweise durch Pistolenschüsse aus nächster nähe. Trotz der immer härteren Polizeigewalt und den von allen Seiten schallenden Aufrufen zur Besänftigung, strömen immer noch ohne Unterbrechung Menschen auf die Straße, brennen immer noch Barrikaden, treffen und helfen sich die Menschen immer noch gegenseitig und gibt es immer noch viele, die sich nicht vom Tränengas zurückdrängen lassen. Wir empfinden Respekt für den Mut und die Entschlossenheit dieser Leute, die mit ihren Worten und Taten, auch uns Mut und Entschlossenheit geben. Wir empfinden Solidarität mit ihrem Aufstand, weil wir ihre Wut und Unzufriedenheit gegenüber den bestehenden Zuständen teilen; weil wir in diesem Aufstand auch unser Verlangen nach Selbstbestimmung und Freiheit wiedererkennen. Denn, auch wenn die Gesellschaft hier in Deutschland vielleicht noch stabiler und reibungsloser wirkt, so beruht sie hier wie dort, wie praktisch überall, auf genau denselben Prinzipien. Auf dem Befehlen und gehorchen, dem ausnutzen und ausgenutzt werden, der Pflicht und der Aufopferung. Prinzipien, von denen einige wenige auf Kosten der meisten anderen profitieren. Und wir beklagen uns hier nicht, dass wir, wie die meisten anderen, nicht unter jenen sind, die profitieren. Andere zu unterwerfen und auszunutzen, widert uns genauso an, wie uns zu unterwerfen und uns ausnutzen zu lassen. Uns geht es darum, dass wir kein Bock auf diese Prinzipien haben. Wir wollen ein völlig anderes Leben, als das, in das man uns zwängen will. Die Möglichkeiten eines solchen Lebens, eines Lebens ohne Unterwerfung, spüren wir, wenn wir revoltieren. Die Hartnäckigkeit der Aufständischen in der Türkei hat, unserer Meinung nach, weniger damit zu tun, dass die Regierenden dort besonders korrupt oder ungeschickt herrschen, sondern vielmehr damit, dass immer mehr Menschen, durch die Erfahrung in der Revolte, eben diese Prinzipien, also die Herrschaft an sich in Frage stellen. Es ist vor allem darum, dass wir Solidarität mit diesem Aufstand empfinden.
Viel Glück und Mut an alle Aufständischen in der Türkei und in aller Welt!
Schulter an Schulter für die Freiheit! - tük.
An die Bullen: Ihr sucht Zeugen, Hinweise oder Aussagen? Spucke könnt ihr kriegen!
Nichts ist vorbei, alles geht weiter...
Für die Anarchie!
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