“Friedens-Prozess“ im Baskenland

pbm 5092 (min)

Der Normalisierungs-Prozess im Baskenland steckt in der Sackgasse. Die Boykott-Haltungen der spanischen und französischen Regierung haben dafür gesorgt. Das Sozial-Forum stellt einen Versuch dar, diese Situation zu überwinden. Als Ergebnis von zwei Konferenzen im April und Mai 2013 hat das Forum nun 12 Grundsätze als Marschplan für die Weiterführung des baskischen Normalisierungs-Prozesses in die Debatte geworfen. Diese Grundsätze verdienen neben der bereits erfolgten Kommentierung eine nähere Betrachtung.

 

Zunächst sei erinnert, wer an den Konferenzen teilnahm, wer nicht. Organisiert waren sie von den Friedens-Organisationen LOKARRI aus dem Süd-Baskenland, Hegoalde, und BAKE BIDEA aus dem Nordteil Iparralde. Anwesend waren Vertreter/innen der seit mehreren Jahren aktiven Internationalen Konflikt-Vermittlungs-Gruppe. Sortu, die rechtsbaskische PNV und die in der linken Bildu-Koalition vertretenen Parteien waren zur Beobachtung präsent. Nicht anwesend waren die spanisch-orientierten Parteien, PP und PSOE, die den Standpunkt vertreten, dass der Konflikt erstens ohne Hilfe von außen zu regeln ist und zweitens dafür die Anwendung von bestehenden Gesetzen ausreicht.


Grundsätze des Sozial-Forums

Der erste Grundsatz (Block 1) formuliert die generellen Ziele des Normalisierungs-Prozesses: Entwaffnung und Auflösung von ETA, Wiedereingliederung von Gefangenen und Flüchtlingen, künftige Basis für gesellschaftliches Zusammenleben. Die Punkte zwei und drei (Block 2) konkretisieren das Thema Entmilitarisierung von ETA, wobei besonderer Wert darauf gelegt wird, dass die Waffenabgabe unter Aufsicht neutraler internationaler Organismen stattfindet, um die Glaubhaftigkeit der Entwaffnung definitiv sicherzustellen.

Der dritte Block (Grundsätze 4 bis 7) widmet sich der Wieder-Eingliederung der Gefangenen und Flüchtlinge. Empfohlen wird eine integrale Lösung dieser Frage. Dafür sei es notwendig, die Legalität an die Realität anzupassen und eine Rechtsprechung von transitorischem Charakter anzuwenden, die der veränderten Situation des Konfliktes Rechnung trägt, Beispiel Nordirland. Daneben sollten einige Aspekte der Gefängnispolitik geändert werden, die gegen Menschenrechts-Grundsätze verstoßen: schwerkranke Gefangene sollten umgehend entlassen werden, ebenso diejenigen, die ihre Strafe komplett abgesessen haben; die Verteilung der Gefangenen auf den ganzen spanischen Staat sei zu beenden (GS 4). Die Wieder-Eingliederung der Gefangenen in GS 5 wird zwar als integral bezeichnet, gleichzeitig wird der Begriff “individuelle Wieder-Eingliederung“ eingeführt, was einen relativen Widerspruch darstellt (Gefangene und baskische Linke haben bisher immer eine generelle Lösung für das Kollektiv der Gefangenen gefordert, wenn nicht gar eine Amnestie). Die Freilassung müsse etappenweise und in zeitlich vorsichtigen Schritten von statten gehen (eine solche Vorgehensweise würde beinhalten, dass alle Gefangenen einen Antrag stellen und die jeweils geforderten Bedingungen erfüllen müssten). Punkt 6 empfiehlt die aktive Beteiligung der politischen Gefangenen am Prozess, angefangen mit einem Meinungs-Austausch im Gefängnis, den die Behörden erleichtern können/sollen. GS 7 bezieht sich ohne Konkretisierung auf die Frage der Rückkehr der vor Repression geflüchteten Bask/innen, vor allem aus Iparralde und Latein-Amerika.

Der vierte Block enthält Empfehlungen zu Gesetz-Änderungen, soweit diese für die Gewährleistung der Menschrechte erforderlich sind, vorher müsse eine neutrale Instanz die MR-Situation prüfen (GS 8). Prinzipiell soll auf Straflosigkeit verzichtet werden, weil dies den Prinzipien von Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung widerspreche. Internationale Standards ermöglichten dennoch die Anwendung einer Übergangs-Justiz, die einem “Friedensprozess“ angemessen ist (GS 9). Empfohlen werden die Reduzierung der Zahl der Sicherheits- und Polizeikräfte, sowie eine Neu-Definition ihrer Aufgaben. Institutionelle und zivil-gesellschaftliche Instanzen sollten die Tätigkeit dieser Sicherheits-Kräfte kontrollieren (GS 10).

Der fünfte und letzte Block befasst sich mit der Bearbeitung von Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung, an dem die gesamte Gesellschaft teilhaben soll. Dazu sei es notwendig, die Ereignisse des Konflikts zu analysieren, die Ursachen anzuerkennen, die Gesamtheit der Opfer zu entschädigen und den verursachten Schaden einzugestehen (11). Der letzte Grundsatz (12) bezieht sich auf die Geschichtsschreibung des Konflikts. Wichtig sei eine offizielle, öffentliche und vollständige Auflistung der Daten der Opfer und der MR-Verletzungen, um zu verhindern, dass die Erinnerung diffus wird oder verloren geht.


Beobachtungen zum Sozial-Forum

Prinzipiell zeigen diese Grundsätze wenig Neues. Zwar werden beide Konfliktparteien zu Maßnahmen aufgefordert, um in eine Dynamik zweiseitiger Bewegung zu kommen, denn der gesamte bisherige Prozess war von Unilateralität gekennzeichnet, also ausschließlich Schritten einer der Konfliktparteien. Dass dies mit oder ohne Sozial-Forum erreicht wird, ist momentan fraglich. Die spanische Regierung betrachtet die Anwesenheit von internationalem Vermittlungs-Personal als Einmischung in innere Angelegenheiten. Durch ihre Beton-Haltung hat sie bisher jegliche Art von Bewegung unmöglich gemacht. Jede einzelne ihrer Forderungen wird als Vorbedingung verstanden, nicht als Verhandlungspunkt unter anderen. Sollte ETA sich morgen auflösen, müsste sich in der Gefangenenfrage nicht unbedingt etwas bewegen, denn für diesen Punkt gibt es eine weitere Liste von Vorbedingungen. Einzig internationalen Druck fürchten die Verantwortlichen in Madrid, z.B. im Fall der willkürlichen Strafverlängerung von Langzeit-Gefangenen (Parot-Doktrin), die der EM-Gerichtshof in Straßburg in Frage stellt (definitive Entscheidung steht für Herbst an).

Theoretisch und im besten Fall könnte ein gemeinsamer Verhandlungstisch aller Konfliktparteien die zu klärenden Themen im Block behandeln und zum Abschluss bringen. Eine Fragmentierung der Themen und ihre selektive Funktionalisierung als Vorbedingungen verhindern das.


Individuelle Schicksale

Die auffälligste Neuheit innerhalb der Grundsätze ist die Empfehlung 5, die sich auf die Freilassung der Gefangenen bezieht und von individuellem Vorgehen bei Entlassungen spricht – genau das fordert die spanische Seite seit Langem, ohne dafür eine Gegenleistung in Aussicht zu stellen. Ein solches Vorgehen setzt die Gefangenen vereinzelt der staatlichen Willkür aus, allein die Forderung nach Reueerklärungen zielt auf deren politische Identität.

Wie schwer sich die Spanier mit Inhaftierten tun, sogar im Umgang mit reuebereiten Gefangenen, zeigt ein Blick auf die sogenannte Nanclares-Gruppe. Sie besteht aus sieben Ex-Etarras, die sich vor Zeiten von der Gruppe losgesagt haben, die “Belohnung“ war, dass sie als einzige in einem baskischen Gefängnis (in Nanclares, Provinz Araba) untergebracht wurden. All diese Gefangenen haben sich 1. von ETA distanziert, 2. Gewalt als politisches Mittel verurteilt, 3. ihre Taten zugegeben, 4. den angerichteten Schaden eingestanden, und 5. im Rahmen des Möglichen mit Reparations-Zahlungen an die Opfer begonnen. Einigen wurde der Status der “kontrollierten Freiheit“ zugestanden, Freigang also. Das nahm die PP-Regierung im März auf ultrarechten Druck wieder zurück. Nun gibt es Streit um jede Nacht, die die Reumütigen nicht im Knast verbringen sollen. Der zuständige Richter, die Strafkammer, das Innen-Ministerium und die Anstalt selbst – sie alle haben unterschiedliche Kriterien wie mit den Dissident/innen umzugehen sei. Für die einflussreichen rechten Opfer-Verbände (COVITE im Baskenland und AVT im Staat) ist selbst die kleinste Vergünstigung zu viel, und sei sie noch so sehr von geltendem Recht abgesichert. Doch sind letztlich sie es, die die Politik bestimmen mit Klagen und wieder Klagen.

Bezeichnend für das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen ist, dass es von aktuell ca. 600 Gefangenen eben nur sieben sind, die den Reue-Weg eingeschlagen haben, weit entfernt von italienischen Verhältnissen. Die Perspektive der genannten fünf Abschwörungspunkte wird kaum eine/n aus dem Gefangenen-Kollektiv motivieren, sich die Empfehlung des Forums zu eigen zu machen.


Perspektiven

Dass ETA sich eines Tages auflösen wird, muss nicht erst in einem Friedens-Fahrplan eingefordert werden, weil es eine logische Folge der Erklärung ist, mit der ETA den bewaffneten Kampf definitiv beendet hat. Frage ist vielmehr, wann und wie schnell dieser Schritt erreicht werden kann. Das britisch-irische Modell ging von einer zweiseitigen Bewegung aus, in der beide Seiten Zugeständnisse machten, was relativ zügig auch zu Bewegungen in der Gefangenenfrage führte. Ein solches Vorgehen ist mit der spanischen Rechten nicht denkbar, was die aktuelle Praxis zeigt: sie ist historisch in einer Philosophie von Sieg oder Niederlage verhaftet, bei der nur das Goebbels-Prinzip des “totalen Sieges“ zählt. Nichts macht diese Philosophie deutlicher als die Haltung zur Aufarbeitung des Spanischen Kriegs (gemeinhin als Spanischer Bürgerkrieg bekannt) und der Franco-Diktatur, deren Täter angesichts der Amnestie von 1977 nach wie vor straffrei ausgehen.

Für eine Wahrheits-Kommission steht die baskische Seite nicht nur zur Verfügung, sie fordert sie vielmehr. Auch dieser Teil der Grundsätze ist von Einseitigkeit geprägt. “ETA tötet, aber ETA lügt nicht“ hatte kein Geringerer als der ehemalige PP-Innenminister Mayor Oreja gesagt, dem ohne jegliche Übertreibung Faschismus-Nähe unterstellt werden darf. Worauf er sich seinerzeit bezog war ein offenes Geheimnis: ETA bekannte sich im Lauf ihrer Geschichte immer zu ihren Aktionen. Eine Wahrheits-Kommission müsste also nur die gesammelten Kommuniqués auflisten. Auf der anderen Seite ist eine solche Haltung nicht ansatzweise zu erkennen. Nicht in Bezug auf die systematische Folter von schätzungsweise mehr als 10.000 Bask/innen (die meisten nie verurteilt), die wenigen aufgrund erdrückender Beweise verurteilten Polizisten wurden regelmäßig begnadigt und befördert. Auch fehlt nach wie vor die Aufklärung der Verantwortung für die Todes-Schwadrone aus den 80er Jahren während der Gonzalez-Regierung, in die nachweislich höchste Funktionsträger des Staates involviert waren.

Generell kann die spanische Seite kein Interesse an einer Beruhigung des Konflikts haben, von Lösung ganz zu schweigen. Selbst ohne ETA und Gefangene bleibt die Forderung in den beiden alten Autonomien Katalonien und Baskenland auf ein Entscheidungsrecht der jeweiligen Bevölkerung. Zur Disposition steht damit das spanische Verfassungsprinzip, der Staat und die “spanische Nation“ seien unteilbar. Die Forderung nach Entscheidungsrecht hat einen demonstrativ demokratischen Charakter (die Schweiz ist für ihre Referendums-Kultur in aller Munde, wenn auch die Ergebnisse nicht gerade als beispielhaft zu sehen sind). In Anwesenheit von ETA war es einfach, solche Forderungen abzutun, insofern ist nicht auszuschließen, dass sich in Madrid manche ETA zurück wünschen. Verbal ist dieser Diskurs längst in Gang.

baskinfo.blogspot.com.es/2013/06/friedens-prozess-im-baskenland.html

 

Presse zur Themen-Vertiefung:

jungewelt.de/2013/05-30/053.php

baskinfo.blogspot.com/2013/05/baskisches-friedensforum.html

gara.naiz.info/paperezkoa/20130528/405229/es/El-Foro-Social-pone-doce-railes-para-que-proceso-continue-avanzando

deia.com/2013/05/27/politica/euskadi/el-foro-social-apuesta-por-el-desarme-de-eta-y-la-reinsercion-individual-de-los-presos

 

gara.naiz.info/paperezkoa/20130528/405230/es/Las-recomendaciones-Foro-una-una

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Welche Interessen hat die französische Regierung, bzw. die verschiedenen französischen Interessensgruppen?

Danke für den Bericht.