Die Ursprünge
Die Methode ist historisch, man startet also bei den „Ursprüngen“; man weiss zur Genüge, dass eine solche Methode alles verfälscht, dass die Ursprünge nichts und vor allem nicht sich selber erklären. Einen historischen Anfangspunkt und seine Entwicklung als konzeptuelle Ordnung zu präsentieren kommt einem Zauberdenken gleich, das glaubt, der Anfang sei die Wahrheit dessen, was hervorgebracht wird und das unter dem Deckmantel der Geschichte immer bewusst oder unbewusst Mythen erschafft („Der erste, der sagt, dies ist mein“, Rousseau). Die historische Suche nach einem „Ursprung“ setzt ein Stadium vor der Trennung, vor dem Übergehen des Einen in sein Anderes voraus. Die historische Ordnung der Kategorien hat nichts mit deren konzeptuellen Ordnung zu tun (Marx, Einführung von 1857).
Von den „Ursprüngen“ kommen wir zum „Verlauf der Jahrtausende“ (S. 12), dann, die Antike überspringend, zum westlichen Mittelalter, einige Worte zur frühen Neuzeit und schon sind wir im 19. Jahrhundert. Der Hauptfehler liegt nicht in der Analyse der flüchtig gestreiften Gesellschaften (obwohl, wie wir sehen werden, das Mittelalter und die frühe Neuzeit einige Überraschungen bereithalten), sondern in der Methode, welche zum Zweck hat, eine historische Entwicklung zu konstruieren, die das Konzept des „Patriarchats“ (S. 13) legitimiert. Schon in den ersten Zeilen des Textes Kapitalismus, Gender und Kommunismus, der als theoretische Synthese präsentiert wird und der erste Text der Broschüre ist, begegnen wir einer der strukturierenden Linien der Gesamtproblematik: Mit dem Verschwinden des Patriarchats (ein zweifelhaftes Konzept, das sowieso nie in der hier präsentierten Form existiert hat – wir werden darauf zurückkommen) ist ein möglicher Niedergang, oder gar ein Verschwinden, der Männerherrschaft in den Klassengesellschaften vorhanden und genauer, was uns vor allem interessiert, in der kapitalistischen Produktionsweise. In der Broschüre dient das Patriarchat zur Markierung und Bestätigung der Etappen dieses Niedergangs der Männerherrschaft. Die geschlechtliche Differenzierung hat immer existiert, doch „mit variablen ’Graden’ der Männerherrschaft“ (S. 11). Auf welcher Skala misst man diese „Grade“? Es gibt keine Geschichte der Männerherrschaft (als etwas, das eine eigene Dynamik hat), es gibt keine Grade der Männerherrschaft, sondern eine Abfolge operationeller und notwendiger Formen, die eine Produktionsweise definieren und durch sie definiert sind, alle gleich „vorherrschend“ und effizient. Wie die Männer, die Frauen, die Männerherrschaft.
Diese historische Konstruktion rechtfertigt und bereitet den Übergang in der kapitalistischen Produktionsweise vom Patriarchat zur einfachen „Männerherrschaft“ vor, die (wir werden darauf zurückkommen) merkwürdigerweise in der kapitalistischen Produktionsweise gleichzeitig notwendig und den Grundlagen dieser Produktionsweise (dem Wert, der Ware) gegensätzlich sei. Wenn „der kapitalistische Wurm in der patriarchalen Frucht steckt“ (S. 13), um das Bild von Incendo wieder aufzugreifen, wäre es also die Männerherrschaft selbst, welche der Kapitalismus in Frage stellte. Dass „die Männerherrschaft“, die „geschlechtliche Differenzierung“, der „Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen“ (nennen wir es wie wir wollen – das hat hier keine Bedeutung) in der kapitalistischen Produktionsweise ein Widerspruch und gar ein Widerspruch für sich selbst ist, ist eine Sache, dass man als „Hypothese“ deren Überwindung in Betracht ziehen kann eine andere. Die Genderunterscheidung ist ein konstitutiver, innerer, der Sache inhärenter Widerspruch, genau wie die Arbeit als einzige Quelle des Werts und der Verwertung, und nicht ein Widerspruch zwischen zwei Begriffen, deren Koexistenz konfliktreich, doch nicht absolut notwendig sein könnte.
Einerseits drängt das Kapital zur undeutlichen und abstrakten Universalität der Individuen gegenüber der sozialen Macht, die es als autonomisierten Wert repräsentiert und andererseits setzt es die Arbeit und das Bevölkerungswachstum als einzige Quelle seiner Verwertung. Es will Frauen und will sie nicht. Es will die Genderunterscheidung und die Universalität des einfachen abstrakten und freien Individuums. Daraus folgt, dass, dort, wo die grundsätzliche Universalität erscheint, die Kategorien, die sie tragen (Wert, Ware usw.) selbst in ihrer Substanz durch das, was sie innerlich ausschliessen, geschlechtlich differenziert sind. Öffentlichkeit/Privatheit, Lohnverhältnis und weibliche Hausarbeit sind eng miteinander verbunden. In der kapitalistischen Produktionsweise sind die öffentliche und die private Sphäre radikal getrennt, der Ausschluss der Frauen vom öffentlichen Raum ist grundsätzlich radikaler als in den vorhergehenden Produktionsweisen, gleichzeitig ist die Universalität der abstrakten Gleichheit der Individuen ein innerer Zwang dieser Produktionsweise. Die „freie Frau“, die jedoch immer noch Frau ist, ist ihr Ideal und der Widerspruch, in welchem sie die Genderunterscheidung einsperrt zugleich objektive Notwendigkeit und individuell kontingente Erscheinung.
Von den Frauen und dem Widerspruch
Die ersten Absätze, obwohl sie grundlegend sind für das, was folgt, sind voller Doppeldeutigkeiten und Unausgesprochenem.
„Es ist kaum möglich, die Erscheinung dieser geschlechtlichen Differenzierung genau historisch zu situieren oder zu erklären, vermutlich geht sie auf die Urgeschichte zurück. Die Mutterschaft und ihre Zwänge werden allgemein als Erklärung für den Ursprung der geschlechtlichen Differenzierung vorgebracht. Gemäss diesen Hypothesen hinderte die Schwangerschaft und das Stillen die „Frauen“ daran, voll an den anderen Aktivitäten der Gruppe teilzunehmen, beispielsweise an der Jagd. Der Schutz der schwangeren Frauen (der für das Überleben der Gruppe lebensnotwendig ist) soll sich zu einem „Schutz“ der Frauen aufgrund ihrer potentiellen reproduktiven Fähigkeit entwickelt haben. Doch das erklärt uns nicht das Aufkommen der Gruppe der Frauen, was bedeutet, diese Gruppe als eine natürliche Einheit zu betrachten. Ebenso wird die Schwangerschaft als natürliches Phänomen betrachtet, und nicht als gesellschaflich organisierter Prozess.“ (S. 11-12) Wir sind von den Ursprüngen ausgegangen, doch das lehrt uns nichts, ausser dass die Schwangerschaft ein „gesellschaftlich organisierter Prozess“ ist; wir erfahren auch nichts über „das Aufkommen der Gruppe der Frauen“.
Genau wie die Schwangerschaft „gesellschaftlich organisierter Prozess“ genannt wird ohne weitere Kommentare oder Erklärungen, werden wir auch in der ganzen Broschüre nie mehr über dieses „Aufkommen der Gruppe der Frauen“ (das man besser Konstitution nennen würde, um den Mythos der „Ursprünge“ zu vermeiden) erfahren. Man kann sich fragen, wieso diese „Ursprünge“, die nichts lehren, vom ersten Absatz des Textes an ausgeführt werden. Obwohl die Erklärung verworfen wird, spielt sie eine Rolle. Alles, was die Ursprünge sagen, wird anerkannt sofern man es „gesellschaftlich organisierten Prozess“ nennt. Wiederholen wir, dass im ganzen Text keine andere Erklärung angeboten wird (ausser vielleicht auf gewundene Art und Weise die These von Engels – siehe weiter unten).
Um was geht es also? Ein „natürliches Phänomen“ kann ein „gesellschaftlich organisierter Prozess“ sein, es handelt sich also um ein „gesellschaftlich organisiertes natürliches Phänomen“. In Abwesenheit einer Erklärung braucht Incendo die „Natur“, zugleich als Inhalt seiner Erklärung und als von ihr geleugneter Kontrapunkt. Anders gesagt, was die Frauen ausmacht, ist die Zeugung von Kindern (die Schwangerschaft) unter der Bedingung, dass man diese als „gesellschaftlich organisierten Prozess“ konzipiert.
„Die geschlechtliche Differenzierung, welche in allen bekannten Gesellschaften existiert, hat in den Urgesellschaften diverse Formen angenommen.“ (S. 12) Und hops! Feststellung und Beschreibung gelten als Konzept und verständliche Hervorbringung. Dieser Beginn macht alle Fragen und Probleme verschwommen. Man erzählt uns von der Schwangerschaft, um uns zu sagen, dass es nicht darum geht – doch man spricht trotzdem davon. Es geht nicht darum, aber eben, doch beinahe, denn es handelt sich um einen „gesellschaftlich organisierten Prozess“, somit nicht um ein „natürliches Phänomen“, doch weshalb nicht davon ausgehen, um die Frauen zu „definieren“, wieso dieser „Prozess“, dazu wird geschwiegen. Ein Schweigen, das auf das verweist, was gesagt wurde zur Schwangerschaft, unter der Bedingung, dass man immer „gesellschaftlich“ wiederholt, wenn man „Schwangerschaft“ sagt. Was hier ursprünglich die Frauen definiert, ist die Schwangerschaft. Ob gewollt oder nicht, es ist der Ausgangspunkt: die grobe Feststellung des gesunden Menschenverstandes. Das „gesellschaftliche“, dessen Inhalt nie genau beschrieben wird, fügt der Biologie letztendlich nur eine anthropologische Note hinzu.
Man errät, dass „gesellschaftlich“ nur auf „lebensnotwendig für das Überleben der Gruppe“ und somit auf die Reproduktion der Bevölkerung verweist. Die Idee wird später entwickelt, im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise, mit der Reproduktion der Bevölkerung. Letztere ist jedoch nicht als wirtschaftliche Kategorie definiert, sondern als einfache Reproduktion der Individuen als Basisrohstoff der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse. Aber das „gesellschaftliche“ ist somit nur ein anderer Name für das „natürliche“: die von den Frauen geleistete Reproduktion der Gruppe durch Kinder. Etwas „gesellschaftlich organisiertes“ natürliches. Der Frage der wirtschaftlichen Bestimmungen dieses „gesellschaftlichen Prozesses“ wird ausgewichen. Was ist die Natur und die Existenzberechtigung dieses „gesellschaftlich organisierten Prozesses“? Wenn es Männer und Frauen gibt, weil die Gesellschaft sich reproduziert, wird es sie, ausser im Falle einer Entscheidung zum kollektiven Selbstmord, immer geben und es ist somit absolut logisch, dass der gleiche Text am Ende die Frage der Schwangerschaft im Kommunismus als Problem der Unterscheidung zwischen Trägerinnen und Nicht-Trägern von Kindern (wie kann man hier den Gebrauch von männlicher und weiblicher Form vermeiden?) stellt.
Das Problem der theoretischen Konstruktion von Incendo ist es, von der spezifischen Stellung der Frauen in der Reproduktion auszugehen (das ist die Rolle des Absatzes über die Ursprünge) und ihr, wie jeder Anthropologe, etwas „gesellschaftliches“ hinzuzufügen: „Es geschieht in der Gellschaft.“ „Gesellschaftlich organisierter Prozess“ sagt uns nichts über die Natur dieses Prozesses, genauso wenig wie über seine Notwendigkeit und sein Werk, die Konstruktion der Kategorien Frauen und Männer. Der theoretische Ausgangspunkt kann nicht diese spezifische Stellung (die Incendo nicht mehr loswird) sein, egal was man hinzufügt (sogar gesellschaftliches), sondern das, was diese Stellung spezifisch macht, d.h. unmittelbar gesellschaftliches. Es ist die Arbeit als wirtschaftliche Kategorie, als prinzipielle Produktivkraft, d.h. die Bevölkerung, die simultan von der Mehrarbeit hervorgebracht wird, welche diese Stellung konstruiert und, in ein und derselben Bewegung, daraus eine spezifische Stellung macht. Es muss gesagt werden, weshalb „die Schwangerschaft ein gesellschaftlich organisierter Prozess“ ist, der als solcher zwei gesellschaftliche Gruppen definiert. Incendo legt bereits in seinen Prämissen an, was gezeigt werden muss: Die Frauen machen Kinder und, um es einfach zu sagen, das wird ihnen zum Verhängnis werden. Die Unterscheidung ist schon da, es ist jedoch genau diese Unterscheidung, „Kinder zeugen“, die hervorgebracht werden muss.
Es ist nicht die Tatsache, immer gesellschaftlich konfiguriert zu sein, welche aus einer anatomischen Eigenschaft (Gebärmutter), als ob sie auf ihre „gesellschaftliche Organisation“ wartete, eine gesellschaftliche Unterscheidung macht, es ist die Arbeit und die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkräfte. Wenn man beim „gesellschaftlich organisierten Prozess“ stehen bleibt, hat man weder Widerspruch, noch Dynamik in dieser Unterscheidung, sondern einfach etwas, das die „wahren Unterscheidungen“, die „wahren Widersprüche“, die „wahren Dynamiken“ begleitet. Daher versteht man, dass die anfängliche Doppeldeutigkeit über die Konstruktion und die Definition der Gruppe der Frauen kein Zufall und auch kein theoretisches Versehen oder keine theoretische Schwäche ist, denn die Genderunterscheidung als Zierde, ein Plus, eine zusätzliche Bestimmung der Klassenwidersprüche, durchzieht die Broschüre. Das als Motto vorangestellte hübsche, von den Toiletten eines Squats in Avignon kommende Zitat ist wohl verlockend, doch es streut Sand in die Augen (S. 8) (1). Was ist der Gang, was sind die Artikulationen, die Widersprüche dieses Kampfes für den Kommunismus, der nicht ein breiter Strom ist, wo alles verschmilzt und sich auflöst wie die Flut der Spülung alles wegschwemmt?
Incendo will über die Beziehungen zwischen Gender und Klassen nachdenken, doch nicht nur die Definition der Genderunterscheidung als Widerspruch ist explizit in Klammern gesetzt (man weiss nicht, man sagt nichts dazu, Fussnote 69), sondern auch die Genderunterscheidung selbst ist nicht hervorgebracht worden. Tatsächlich kann man sie nur als Widerspruch hervorbringen, jener der Arbeit und der Bevölkerung in der kapitalistischen Produktionsweise, d.h. das Kapital als prozessierender Widerspruch. Die Frage der Genderunterscheidung ist somit auf die Ungleichheiten reduziert, die man, dank dem „Tag der Frauen“, jeden März in der aktivistischen und bürgerlichen Presse erfährt und worüber sich Incendo mokiert. Incendo erstellt keine Bilanz dieser Ungleichheiten, um nicht explizit sagen zu müssen, dass das, was unter „Männerherrschaft“ in dieser Broschüre verstanden wird, nichts anderes ist als diese Ungleichheiten. Incendo sagt nichts anderes, ausser, dass nur die Revolution diese aufheben kann (und, wie wir sehen werden, könnte es die kapitalistische Produktionsweise gemäss Incendo auch selbst übernehmen und uns zuvorkommen).
Doch warum wird den Ungleichheiten nicht Rechnung getragen? Incendo versetzt sich in die „radikale“ Haltung, für welche von Ungleichheiten sprechen etwas zu „sozialdemokratisch“ ist. Die Ungleichheiten sind die unmittelbare empirische Existenz der geschlechtlichen Versklavung und Differenzierung, der Kampf gegen diese Ungleichheiten ist nicht bedeutungslos: Die auferlegte Teilzeitarbeit ist eine Ungleichheit; die Differenz in der Hausarbeitszeit ist eine Ungleichheit, die Glasdecke ist eine Ungleichheit; die Bürde der „biologischen Reproduktion“ ist eine Ungleichheit, die Besetzung des öffentlichen Raumes ist eine Ungleichheit, die konstante Sorge, ein Körper zu sein, ist eine Ungleichheit usw. Diese Geringschätzung der Ungleichheit, die als harmlos und als zum Konsens in guter Gesellschaft von „Radikalen“ gehörig erscheinen kann, spielt in der allgemeinen Problematik von Incendo eine Rolle. Indem diese Ungleichheiten in ihrem allgemeinen Ausdruck als Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen übergangen werden, wird die Genderunterscheidung in ihren unmittelbarsten Formen und Existenzbedingungen übergangen und beschränkt sich auf den Widerspruch zwischen den Klassen, in welcher die Situation der Frauen nur eine Bestimmung, eine zusätzliche Eigenschaft darstellt.
Es geht nicht darum, die Verurteilung dieser Ungleichheiten oder den Kampf dagegen als „bürgerlich-feministisch“ abzulehnen oder nicht, die wirklich komplizierte Frage ist jene der Überwindung der Forderung nach Gleichheit durch die Abschaffung dessen, was dazu führt, dass es nur Ungleichheiten geben kann: die Genderunterscheidung. Kein vernünftiger Mensch lehnt den Kampf um Lohnerhöhungen ab, weil er nicht die Lohnarbeit in Frage stellt. Es ist eben genau weil für Incendo, sogar als Hypothese (tatsächlich häufig viel mehr als das: „eine Möglichkeit“), die geschlechtliche Differenzierung im Widerspruch zu den Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise „fortbesteht“, dass sie sich auf diese Ungleichheiten beschränkt, die sie als „sozialdemokratisch“ verachten. Wenn sie nicht davon sprechen wollen, so ist es, weil sie Angst haben, zu zeigen, dass sie nichts anderes davon sagen können als dass es Ungleichheiten sind.
Für Incendo geht also darum, das Verhältnis zwischen Klassen und Gender zu analysieren. Was ist die Beschaffenheit dieses Verhältnisses? Eine gegenseitige Hervorbringung, eine Komplementarität, eine Koexistenz, eine Überschneidung? Scheinbar geht es um eine notwendige Koexistenz, doch ihre Notwendigkeit wird nie hervorgebracht, ausser, dass gesagt wird, dass es darum geht, Proletarier zu reproduzieren und „Socken zu waschen“. Doch die Beschränkung auf die Reproduktion der Bevölkerung, ohne sie als Arbeit und Produktivkraft detailliert zu bezeichnen, ist gleichbedeutend mit der Beschränkung der Schwangerschaft auf einen gesellschaftlich begleiteten Prozess. Zwischen der gesellschaftlich begleiteten Schwangerschaft und der Weigerung, das Verhältnis zwischen Frauen und Männern als Widerspruch zu konzipieren, entsteht eine Endlosschleife: Der Genderwiderspruch besteht durch und für etwas anderes, er ist mehr oder weniger unerlässlich.
Was unsichtbar wird, ist die Tatsache, dass das Problem des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen einerseits, den Klassen andererseits, keines ist. Das Problem ist nicht jenes des Verhältnisses, sondern jenes der gemeinsamen und gegenseitigen Hervorbringung beider Widersprüche und ihrer Einheit (siehe Réponses aux Américaines [Antwort an die Amerikanerinnen] und Tel quel [So wie zuvor] in Théorie communiste 24, Dezember 2012) – wie jeder Widerspruch zu einem wird durch den anderen – und umgekehrt.
„Die Männer und die Frauen kommen von der Mehrarbeit, ihre Unterscheidung und somit ihr Widerspruch; von dieser gleichen Mehrarbeit kommen auch die Klassen und ihr Widerspruch. Die Existenz der Mehrarbeit ist gleichbedeutend mit der Existenz dieser beiden Widersprüche. Jeder hat im anderen nicht nur seine Bedingung, sondern das, was ihn zu einem Widerspruch macht, d.h. ein Prozess, der in seinem Verhältnis seine eigenen Begriffe in Frage stellt. Vier Elemente, zwei Widersprüche, eine Dynamik: jene des Kapitals als prozessierender Widerspruch.
Diese gemeinsame Existenz, die aus jedem ein Widerspruch macht, ist nicht eine Begegnung oder eine Summe, sondern existiert für jeden Widerspruch in seinen eigenen Begriffen, seiner eigenen „Sprache“.
Zwischen dem Proletariat und dem Kapital ist es die Existenz selbst der Arbeit als Produktivkraft (der Widerspruch zwischen Männern und Frauen), welche, in den Begriffen des Verhältnisses, dieses Werden des konfliktreichen, widersprüchlichen Verhältnisses ist: Die Arbeit als einziger Massstab und einzige Quelle des Reichtums führt dazu, dass der Klassenkampf die Aufhebung der Klassen als Dynamik und zum Ziel hat, was gleichbedeutend ist mit dem Kapital als prozessierender Widerspruch.
Zwischen den Männern und den Frauen ist es die Existenz der Mehrarbeit und ihr Verhältnis zur notwendigen Arbeit (der Widerspruch zwischen den Klassen), welche, in den Begriffen des Verhältnisses, dieses Werden des konfliktreichen, widersprüchlichen Verhältnisses ist: Die Mehrarbeit und ihr Verhältnis zur notwendigen Arbeit führt dazu, dass der Konflikt zwischen Männern und Frauen die Aufhebung der der Individualität inhärenten Bedingungen des Mann- und Frauseins als Dynamik und zum Ziel hat. Anders gesagt: Dieser Widerspruch zwischen Mehrarbeit und notwendiger Arbeit ist jener, durch welchen die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft (die Genderunterscheidung) als Notwendigkeit aufgehoben wird, was gleichbedeutend ist mit dem Kapital als prozessierender Widerspruch. Die Revolution wird nicht „über die Aufhebung der Geschlechterrollen stolpern“, denn es ist kein Zufall, dass die beiden Widersprüche sich in revolutionären Momenten immer miteinander verbinden, bestätigen und meistens in Konfrontation zueinander stehen.“ (Tel Quel, Théorie communiste 24, Dezember 2012)
Die Genderfrage, welche die Broschüre von Incendo behandeln will, wird nie für sich selbst erörtert und behandelt. Die im Vorwort angegebenen zwei Gründe, darüber zu sprechen, zwängen sie in einen Rahmen, der alles, was man darüber sagen kann, vorherbestimmt. In der Problematik des Texts kommt man nicht zur Revolution indem man vom Klassen- und vom Genderwiderspruch ausgeht, sondern die Revolution ist, zumindest was die Genderfrage betrifft, der vorausgesetzte Rahmen, welcher die Frage formatiert. Man erörtert die Genderfrage „in einer revolutionären Perspektive“, sagt der Text. Sehr gut, doch da angenommen wird, dass diese Revolution eine Sache der Klassen sei, welche die Frauenfragen der proletarischen Frauen aufwirft (die diese Fragen nur stellen als Proletarierinnen und weil sie Proletarierinnen sind), wird dieses Problem nur als Bestimmung eines anderen Problems eingeführt.
Von diesem „revolutionären Standpunkt“ aus (was ist ein „revolutionärer Standpunkt“ in der Theorie?) erscheinen nun also die zwei Gründe, weshalb das Problem erörtert wird. Erstens ist die der kapitalistischen Produktionsweise vorangehende geschlechtliche Differenzierung mit dieser „unzertrennbar verbunden“ (man wird später erfahren, dass für Incendo dieses „unzertrennbar“ nicht so offensichtlich ist). Zweitens weil der Kommunismus, damit er als solcher qualifiziert werden kann, frei von Herrschaft sein muss. Es ist wahr, dass diese ihm einen schlechten Stempel aufdrücken würde.
„Die Aufhebung der Genderunterscheidung vom Standpunkt aus des „Erfolgs“ der Kommunisierung ist zwar eine Notwendigkeit, doch nicht im Namen der Aufhebungen aller Vermittlungen, nicht weil die Revolution „ausgesetzt“ wäre wegen der Notwendigkeit dieser Aufhebung. Diese Sichtweise kommt einer teleologischen und normativen Vorgehensweise gleich. Während des „Erfolgs“ der Kommunisierung drängt sich dieser Widerspruch in seinem konkreten, unmittelbaren Charakter auf, gegen alles, was dieses Verhältnis an Gewalt, Unsichtbarmachung, Zuweisung zu einer untergeordneten Stellung impliziert. Die Aufhebung des Genderwiderspruchs drängt sich als Notwendigkeit der Kommunisierung auf, weil der Widerspruch und die Ausbeutung, welche die Frauen definieren, im alltäglichen Leben existieren und wir gehen von dieser Situation, diesem Widerspruch aus, um über die Notwendigkeit der Aufhebung der Geschlechterrollen zu sprechen. Hausarbeit, Stellung in der Arbeitsteilung, Modalitäten der Eingliederung in den unmittelbaren Produktionsprozess, „untypische“ Formen der Lohnarbeit, die Vergewaltigung und/oder die Drohung damit sind die diversen Fronten, wo der Widerspruch zwischen Männern und Frauen sich abspielt, er hat ihre Definition und zwingende Zuweisung zum Inhalt (keines dieser Elemente ist zufällig). All diese Fronten sind die Orte eines permanenten Kampfes, in welchem sich zwei Kategorien der Gesellschaft gegenüber stehen, die sich als natürlich herausgebildet haben und von den Frauen als solche in ihrem Kampf dekonstruiert werden.
Der Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen ist die Genderunterscheidung, so wie er existiert und sich abspielt, er erlaubt uns, von der Notwendigkeit seiner Aufhebung und der Notwendigkeit der Aufhebung aller Vermittlungen für den „Erfolg“ der Kommunisierung zu sprechen. Wir analysieren die Genderunterscheidung vom Standpunkt ihrer Aufhebung aus, weil wir von ihrer konkreten, aktuellen Existenz ausgehen. Die diesem Widerspruch eigene Dynamik lässt ihn als Besonderheit der Totalität existieren, welche das Kapital als prozessierender Widerspruch ist. Die Frauen wollen nicht bleiben, was sie sind, wie es Marx bezüglich der Proletarier in der Deutschen Ideologie formulierte. Sie wollen nicht bleiben, was sie sind, weil ihre eigene Situation ein Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise und durch sie ist: die Arbeit als Problem (der „auftauchende Widerspruch“, die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft im Kapitalismus ist nicht mehr selbstverständlich, die natürliche Unterscheidung wird durch die Kontingenz untergraben). Doch die Arbeit als Problem nimmt nicht die Form vom Frauenkampf an, die Arbeit als Problem ist gleichbedeutend mit dem Kampf der Frauen gegen ihre eigene Definition als solche.“ (Réponses aux Américaines/Tel Quel – das vorangehende Zitat ist eine Synthese zweier Zitate, die sich in den erwähnten Texten befinden)
Für Incendo werden die „Notwendigkeit“ und der „inhärente“ Charakter der Genderunterscheidung in der kapitalistischen Produktionsweise nicht vom Genderverhältnis selbst ausgehend, innerhalb desselben hervorgebracht (die Arbeit und die Bevölkerung als Produktivkräfte und simultan die Mehrarbeit), sondern als Nutzen für etwas anderes. Es wird notwendige Reproduktion des gesellschaftlichen Verhältnisses hervorgebracht und dadurch, als Konsequenz davon, die Notwendigkeit, dessen Elemente (die Akteure, die Personen) zu reproduzieren, doch somit ist diese Reproduktion nur die natürliche Reproduktion in gesellschaftlichem Kleid. Es ging allerdings darum, die Unterscheidung hervorzubringen, nicht darum, sich darauf zu beschränken, sie einzukleiden.
Der „gesellschaftlich organisierte Prozess“ wird durch die These von Engels zur Familie, zum Patriarchat und zum Privateigentum komplettiert. Die These wird für ihre Einseitigkeit und gestützt auf historische Gegenbeispiele „kritisiert“, doch nicht verworfen, sie ist gewissermassen da, um den „gesellschaftlich“ getauften „Prozess“ zu verstärken, obwohl man davon weder den Inhalt, noch die Daseinsberechtigung erfährt, und um das „natürliche Phänomen“ zu umrahmen, deren Darstellung Eigenschaft und Unterscheidung, Diversität und Unterscheidung verwechselt.
Zum Glück eilt Engels, trotz den anfänglich ausgedrückten Vorbehalten, dieser Konstruktion zu Hilfe und verleiht ihr ein wenig Inhalt: „Organisation der Reproduktion durch die Kontrolle der Bäuche der Frauen“. Man könnte sich in einer historischen Kritik dieses Engelschen Vorschlags versuchen (und Incendo legt es nahe), doch die wesentliche Schwäche liegt anderswo.
Erstens steht die „Kontrolle der Bäuche“ im Dienst einer anderen Finalität: das Eigentum. Der wahre gesellschaftliche Aufgabenbereich ist nicht diese Kontrolle, sondern das, was sie bezweckt: Abstammung, Weitergabe des Vermögens, Eigentum. Und hier begegnet man dem „gesellschaftlich organisierten Prozess“ wieder, dessen wahre Formulierung „natürlicher, gesellschaftlich organisierter Prozess“ ist. Was die Problematik von Incendo nicht zu erkennen erlaubt, ist die Tatsache, dass die spezifische Stellung der Frauen in der Reproduktion nur als gesellschaftliche Konstruktion und Differenzierung, als wirtschaftliche Kategorie eine solche ist. Es ist Mehrarbeit, und somit Arbeit der Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft, wovon die Frauen Teil sind. Die „Kontrolle der Bäuche“ als Reproduktion der Bevölkerung ist also ihre eigene Daseinsberechtigung, dient keiner anderen Finalität, nichts anderem, sie ist die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft.
Schliesslich wird in der Broschüre der Vorschlag von Engels als Rechtfertigung der Aneignung der Frauen benutzt. „Im Verlauf der Jahrtausende und in der Mehrheit der Gesellschaften institutionalisiert sich (...) diese Männerherrschaft in verschiedenen Formen, um den Fortbestand und die Stabilität zu garantieren. Die Familie ist ein wesentliches Element, denn sie erlaubt die Abstammung/Nachkommenschaft und die Weitergabe des Erbes (...) und somit, eine gewisse gesellschaftliche Stabilität zu garantieren.“ (S. 12-13) Diese Erklärung ist nicht nur falsch, weil man ihr eine andere entgegensetzen kann, deren Erklärungskraft ihr überlegen ist, und die keine andere gesellschaftliche Finalität impliziert als die gesellschaftlich gewollte Unterscheidung, die man zu konstruieren sucht. Sie ist vor allem falsch, weil sie tautologisch ist. Sie setzt die Gruppe, die man konstruieren will, als bestehend voraus, man findet sie in der Schlussfolgerung, weil man sie wiederfindet, weil sie schon in den Prämissen vorausgesetzt war. Wenn es eine Sorge um die Weitergabe des Vermögens gibt, bedeutet das, dass die Familie schon existiert. Im Grunde genommen ist der Ausgangspunkt von Engels „die Frauen machen Kinder“, die „gesellschaftliche“ Konstruktion der Gruppe der Frauen ist schon da, sie unterscheidet sich von der Gruppe der Männer, die sich ihrer bemächtigt. Was man in dieser Vorgehensweise nicht erfährt, ist einerseits die Natur des berühmten „gesellschaftlich organisierten Prozesses“ und andererseits was eine biologische Stellung in der Reproduktion der Spezies als gesellschaftliche Diskriminierung, als Definition einer besonderen gesellschaftlichen Gruppe bestimmt. Das, was Engels sagt, ist als notwendiges Dispositiv nicht falsch, doch wir sind nicht an der Wurzel.
Eine solche Tautologie störte Engels nicht (wir machen nebenbei darauf aufmerksam, dass der Text Der Ursprung... zwar Engels zugeordnet wird, er jedoch häufig nur in die Notizen von Marx über Morgan etwas Ordnung gebracht hat), er kümmerte sich nicht darum, die Frauen als historisch und gesellschaftlich konstruierte Gruppe hervorzubringen. Die Frauen existieren natürlicherweise, einzig ihre Unterdrückung ist gesellschaftlich. Eine solche Vorgehensweise unterscheidet sich von jener, welche darin besteht, die Unterdrückung als konstitutiv für die Gruppe hervorzubringen, womit sie überhaupt nichts natürliches mehr an sich hat.
Zweitens, und dies ist der wichtigste Punkt: Die Erklärung von Engels hat einen theoretischen Sinn im Rahmen des Programmatismus, sie ist Teil des theoretischen Gebäudes. Das Problem des Programmatismus ist das Eigentum, sodass schliesslich bei Engels die Arbeiterfamilie schon potentiell jenseits von der Männerherrschaft ist. Wenn man die Engelsche Erklärung der Männerherrschaft übernimmt (Kontrolle der Bäuche für die Abstammung, das Erbe, das Eigentum), muss man auch seine auf die Arbeiter bezogene Schlussfolgerung übernehmen: Man muss erkennen, dass die Gruppe der Frauen nicht als solche konstituiert, sondern übernommen wird; dass die Männerherrschaft im Proletariat keine objektive Grundlage mehr hat. Was der Programmatismus nicht erkennen kann (seine Tabus), ist der wesentliche Charakter des Widerspruchs zwischen Männern und Frauen in der kapitalistischen Produktionsweise: Die erste auf der Ausbeutung der Arbeit basierende Produktionsweise, die ein Problem mit der Arbeit hat; die im Lohn enthaltene Unterscheidung zwischen Männern und Frauen mit dem Verkauf der Arbeitskraft, welche Produktion und Reproduktion voneinander trennt; die Unterscheidung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, welcher die abstraktesten und universellsten Kategorien des Kapitals – Wert, Ware – Gültigkeit verleihen. Durch die Wiederaufnahme der Problematik von Christophe Darmangeat (Le communisme primitif n’est plus ce qu’il était, Ed. Smolny) entgeht Incendo der wesentlich geschlechtlich differenzierte Charakter aller Kategorien des Kapitals (auch der Arbeit). Diese Wiederaufnahme der Thesen von Darmangeat, welcher die Männerherrschaft in der kapitalistischen Produktionsweise nur als Notwendigkeit für das Kapital zur Umgehung von archaischen Ideologien und Mentalitäten betrachtet, festigt ihre Sichtweise des Widerspruchs zwischen Männern und Frauen als „Frauenfrage“, als Anhang des Widerspruchs zwischen den Klassen. Incendo bestätigt den wesentlichen Charakter der geschlechtlichen Differenzierung, einige Absätze weiter unten ist sie aber nicht mehr dermassen wesentlich. Im Programmatismus, in seinen besten Momenten, bleibt der Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen immer ein dem Widerspruch zwischen dem Proletariat und dem Kapital untergeordneter Widerspruch (für eine ausführlichere Kritik der Position von Engels, siehe Anhang 1).
Solange man die Männerherrschaft als ein Werkzeug für ein anderes – wie auch immer geartetes – Ziel, als ein Instrument betrachtet, wird es reichen, dieses Ziel zum Verschwinden zu bringen, um sich der Männerherrschaft zu entledigen, was dazu führt, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen überhaupt keine eigene Existenz hat, keinen Widerspruch, keine Dynamik, es ist eine als mehr oder weniger notwendig betrachtete Begleiterscheinung.
Was zählt bei Engels (und häufig in der Argumentation von Incendo wieder aufgenommen wird), ist das Privateigentum und dessen Weitergabe. Dafür müssen die Frauen beherrscht werden. Die Männerherrschaft über die Frauen ist nur eine Konsequenz oder ein Instrument. Wenn wir hingegen sagen, dass die Männer und die Frauen von der Mehrarbeit kommen, von der Bevölkerung und der Arbeit als prinzipielle Produktivkräfte, so ist die Erschaffung der Kategorien und ihre Unterscheidung innerlich ein gesellschaftliches Verhältnis und ihre eigene Daseinsberechtigung. Die These von Engels sagt uns nicht, woher die Frauen kommen, höchstens dass sie Kinder zeugen und dadurch Frauen sind und dass es nötig sein wird, all das zu kontrollieren. Sie sind schon da, man liefert eine Erklärung für die notwendige Herrschaft, doch nicht für die Erzeugung der Gruppe (im Falle einer gesellschaftlichen Erzeugung müssen Erzeugung und Herrschaft absolut identisch sein, sonst wird das gesellschaftliche als Instrumentalisierung konzipiert).
Die Konstitution der Gruppe der Frauen durch die Bevölkerung und die Arbeit als prinzipielle Produktivkräfte ist eine soziale Konstruktion, die nicht dazu dient, die Gruppe der Frauen für etwas anderes zu konstruieren, da sie sie schlicht und einfach konstruiert. Im Unterschied zu einer Konstruktion für das Eigentum oder schlichtweg für die Reproduktion der Gesellschaft und ihrer Mitglieder. In diesen beiden Fällen ist die reproduktive Funktion schon als bestehend und unterscheidend vorausgesetzt. Zu sagen, dass sie nur „gesellschaftlich organisiert“ existiert, ist nicht das gleiche als zu sagen, dass sie nur existiert, da gesellschaftlich organisiert (in der zweiten Formulierung wird nichts vorausgesetzt). Ihre Kriterien und Eigenschaften sind mit ihrer Konstruktion und ihrer Finalität, ihrer Daseinsberechtigung identisch. Kurz, ihre Daseinsberechtigung ist nichts anderes. Darin ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wirklich ein Widerspruch und dient nicht etwas anderem, nicht einmal auf sogenannt „notwendige“ Art und Weise. Die Stärke dieser Konstruktion ist, etwas als natürlich betrachtetes zu übernehmen, nicht zu versuchen, es zu umfassen, es mit gesellschaftlichen Formen zu bekleiden oder demselben eine Finalität zu geben, welche einzig und allein daraus etwas gesellschaftliches machen würde. Sie weicht nicht zurück vor dieser anscheinenden natürlichen Massivität, sie sagt, dass eben gerade das, was ihr als natürlichen Ausgangspunkt nehmt und womit ihr nichts anzustellen wisst, die gesellschaftliche Konstruktion der Gruppe der Frauen ist: die Bevölkerung. Es ist die Natur, die Naturalisierung, welche selbst der gesellschaftliche Charakter des Verhältnisses und der Konstruktion dessen Begriffe ist. Nur eine nicht-programmatische Theorie, welche die Arbeit nicht als ewige Kategorie und die Revolution als ihre Befreiung betrachtet, kann das sagen.
Der kurze Exkurs ins Mittelalter und in die frühe Neuzeit dient zur Stärkung des Engelschen Vorschlags. Doch somit wird die Geschichte auf eigenartige Art und Weise analysiert. Der Haushalt wird als autonome Produktions- und Reproduktionseinheit gesetzt (obwohl er ganz nebenbei ein Teil des Mehrprodukts dem Adel und dem Klerus abliefert). Hier ist Incendo sehr nahe bei der These von Delphy zur Haushaltsproduktionsweise, indem uns eine auf Haushalten als Produktionseinheiten basierende Gesellschaft präsentiert wird, sodass ihre Prägung durch Klassenverhältnisse, durch die Aneignung des Mehrprodukts und der Begriff selbst der Produktionsweise verschwindet (siehe Anhang 2).
Doch während Delphy eine patriarchale Produktionsweise definiert, präsentiert uns Incendo ein anderes Bild mit weiblichen Aufgaben, die nicht „notwendigerweise abgewertet“ sind (nicht „notwendigerweise“, doch ein bisschen manchmal schon..., S. 49), da genauso wichtig (als ob das etwas mit der Sache zu tun hätte); Frauen als „Meisterinnen im Haus“ und Männer als „Familienoberhäupter“ (S. 13). Zudem übernimmt Incendo die Unterscheidung zwischen körperlichen und nicht-körperlichen Arbeiten als Inhalt der Aufgabenteilung, das wäre also die berühmte „natürliche Arbeitsteilung“, die Kraft hat aber offensichtlich mit der Sache nichts zu tun, sondern eher der gesellschaftliche oder private Charakter der Aufgaben (was Delphy – obwohl sie sich nicht für Formen der Kooperation interessiert – in einem Artikel in L’ennemi principal sachkundig aufzeigt). Was den geringen Anteil der Hausarbeit in dieser Zeit betrifft, muss man die tägliche Schinderei für Holz und Wasser ignorieren, um so zu sprechen. Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Haushalt von Incendo kann „Meisterin im Haus“ bei Incendo nur bedeuten, dass sie die wirtschaftliche Tätigkeit lenkt und kontrolliert, während der Mann als „Familienoberhaupt“ bloss eine juristische und institutionelle Macht hat. Aber genau wie die Haushaltsproduktionsweise von Delphy an der Tatsache scheitert, dass die strikte Ausbeutung der weiblichen Arbeit nie die Grundlage, den Fundus und die Bedingungen ihrer eigenen Erneuerung (Reproduktion) liefert, waren die Produktionseinheiten (die betreffend der Genderverhältnisse in wirtschaftlicher Hinsicht ziemlich cool, in institutioneller und juristischer Hinsicht jedoch furchtbar sind) von Incendo nie die Grundlage einer Produktionsweise, sie sind immer Teil eines Klassenverhältnisses, in welchem der Nicht-Arbeiter existiert. In diesen „Produktions- und Reproduktionseinheiten“ ist der Ehemann als Vater und als Boss nicht ein Nicht-Arbeiter. Die Sache hat sowieso nie derart massiv existiert. Die Frauen sind immer und überall auch woanders hingegangen, um sich gegen Bezahlung ausbeuten zu lassen. Wenn das 80% aller jungen Frauen betrifft, ist es schwierig, sie als „Schlampen“ zu betrachten, die niemanden finden werden, um zu heiraten (S. 74). Es gibt immer irgendwo, was auch immer seine Form sein mag, einen Nicht-Arbeiter und nicht einfach eine Aneinanderreihung von Haushaltseinheiten, die selbst nie autark sind (Reproduktionseinheiten).
In dieser ganzen dem Mittelalter und der frühen Neuzeit gewidmeten Passage wird der Artikulation mit dem Markt und den verschiedenen Formen der Kooperation, in welchen die weiblichen oder männlichen Tätigkeiten verankert sind, nicht Rechnung getragen. Ihre „Wichtigkeit für das Überleben und die Produktion“ hat mit der Sache nichts zu tun und kann auf keinen Fall die Auf- oder Abwertung der Aufgaben erklären. Als ob heute der Haushalt oder die Küche nicht genauso wichtig für das Überleben und die Reproduktion der Lohnarbeit wären.
Im Grunde genommen veranschaulichen und stärken diese paar Linien das Konzept „Patriarchat“ und schliesslich, ohne dass der Ausdruck verwendet wird, jenes der „Haushaltsproduktionsweise“. Es ist innerhalb der Problematik von Incendo notwendig, dass es ein Patriarchat gab, um von seinem Verschwinden in der kapitalistischen Produktionsweise zu sprechen, ein Verschwinden deren Wichtigkeit für Incendo wir sehen werden, denn es ist natürlich die Konzeption der geschlechtlichen Differenzierung in der kapitalistischen Produktionsweise, die im Zentrum der Broschüre steht.
Die kapitalistische Produktionsweise
Zunächst wird der Kapitalismus ganz zu Recht als Produktionsweise präsentiert, die radikal den Ort der Produktion und jenen der Reproduktion trennt (S. 14). Die kapitalistische Produktionsweise tue das nicht von sich selbst aus, sondern „stützt sich auf existierende Strukturen, besonders auf das Patriarchat“. Und dann kommen wir im Kern der theoretischen Demonstration an: „Die egalitaristische Ideologie hatte der Idee der Gleichheit zwischen Männern und Frauen die Tür geöffnet. Es wird in dieser Periode zu einer „Möglichkeit“, denn für die kapitalistische Produktionsweise ändert theoretisch die Geschlechterrolle der Person, welche die Ware produziert, nichts an deren Wert (anonymer Arbeiter, abstrakte, geschlechtlich undifferenzierte menschliche Arbeit). Die Aufrechterhaltung einer (neu angeordneten) geschlechtlichen Differenzierung erlaubt es jedoch ebenfalls, die unmittelbaren Interessen der Kapitalisten zu befriedigen (grössere Spaltung der Proletarier, Konkurrenz, Lohnunterschiede usw.).“ (S. 17)
Wir haben bereits die Art und Weise kritisiert, wie Incendo die Universalität der wirtschaftlichen Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise konzipiert. Hier sind wir im Kern der ausweichenden Formeln und dem subtilen Geschaukel von Incendo. Die „notwendige“ geschlechtliche Differenzierung eröffnet die „Möglichkeit“ für ihr Verschwinden innerhalb der Klassengesellschaft, für welche sie notwendig war (S. 32); eben diese notwendige geschlechtliche Differenzierung ist „theoretisch“ gleichgültig gegenüber den grundsätzlichen Kategorien des Kapitalismus; die geschlechtliche Differenzierung wird zu einer „(neu angeordneten) geschlechtlichen Differenzierung“, die „jedoch“ weiter besteht, trotz ihrer „theoretischen Bestimmung“, überwunden zu werden. Man könnte noch etliche Beispiele zitieren: Incendo spricht nur von geschlechtlicher Differenzierung, Genderverhältnissen, Männern und Frauen, um nach einem kleinen rhetorischen Geschaukel dem Problem auszuweichen.
Seien wir klar, die „Aufrechterhaltung einer (neu angeordneten) geschlechtlichen Differenzierung“, unter dem Vorbehalt, zu wissen, was genau damit gemeint ist, die zudem „neu angeordnet“ ist und die Befriedigung der „unmittelbaren Interessen“ erlaubt, ist keine geschlechtliche Differenzierung mehr. „Spaltungen“, „Unterschiede“, „Konkurrenz“, all das kann auch von eingewanderten Arbeitern, Sans Papiers, Delokalisierungen, informeller Arbeit usw. gesagt werden. Auf Wiedersehen Frauen.
Die Frauen sind nie eine günstige Arbeitskraft wie andere, sie sind Frauen, die stets durch die Zuweisung zur biologischen Reproduktion und zur Reproduktion der Arbeitskraft in all ihren Formen und stets durch die Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem definiert sind, sie sind dafür und deswegen günstige Arbeitskraft. Der Einstieg der Frauen in die Lohnarbeit „befreit“ sie zu keinem Zeitpunkt von ihrer Definition als Frauen. Arbeit und Hausarbeit, die Definition als Frauen im allgemeinen, artikulieren sich immer in einer Weise, dass jede davon die notwendigen Bedingungen zur Verbindlichkeit der anderen erschaffen kann. Alle Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise sind definitorisch geschlechtlich differenziert.
Die Gruppe der Frauen wird von der Mehrarbeit und der Bevölkerung als prinzipielle Produktivkräfte ausgehend konstruiert, was nicht selbstverständlich ist und tatsächlich mehr oder weniger gewalttätige Dispositive zur Zuweisung der Frauen zu dieser Definition/Reduzierung auf ihre reproduktive Fähigkeit erfordert. Letztere ist nicht „gegeben“ und wird „benutzt“, sie ist konstruiert und wird angeeignet.
„Darin sind alle Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise geschlechtlich differenziert. Die Arbeit, die Bevölkerung natürlich. Dann grundsätzlich das Lohnverhältnis: Trennung der Produktion und der Reproduktion; die zu der Sphäre der Zirkulation gehörende Reproduktion; keine Bezahlung der Arbeit, sondern der Reproduktion der Arbeitskraft und der „Rasse der Arbeiter“. Doch auch die Arbeitsteilung, das Eigentum, der Tausch. Auf diesen letzten Punkt bezogen scheint auf den ersten Blick eine Neutralität des Markts gegenüber der Genderunterscheidung zu existieren, doch von sich aus, an sich, in seiner Existenz selbst ist der Markt nicht neutral gegenüber der Genderunterscheidung. Der Markt in einer Produktionsweise, in welcher alle Produktion zum Verkauf bestimmt ist, definiert den gesellschaftlichen Charakter dieser Produktion als öffentlich, dadurch kann die Genderunterscheidung inwendig als nicht stichhaltig proklamiert werden, denn sie ist in der Existenz selbst der Sache schon vorausgesetzt.
Dieser geschlechtlich differenzierte Charakter aller Kategorien des Kapitals bedeutet eine allgemeine Teilung der Gesellschaft in Männer und Frauen. Diese allgemeine Teilung erlangt als gesellschaftlichen Inhalt das, was die Synthese all der geschlechtlichen Differenzierungen der Kategorien ist: die Erschaffung der Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem. Diese Unterscheidung ist die Synthese, weil die kapitalistische Produktionsweise eine politische Ökonomie ist. D.h., da die kapitalistische Produktionsweise auf dem Verkauf der Arbeitskraft basiert und eine gesellschaftliche Produktion als solche nur für den Markt (Wert) existiert, weist sie die Momente ihrer eigenen Reproduktion, die einer direkten Unterordnung unter den Markt oder dem unmittelbaren Produktionsprozess entgehen, als nicht-gesellschaftlich zurück: das Private. Dieses Private ist das dem Öffentlichen entzogene, immer in einem hierarchischen Verhältnis der Definition und der Unterordnung gegenüber dem Öffentlichen.
Als allgemeine Teilung und in Anbetracht ihres (gesellschaftlich hervorgebrachten) Inhalts wird sie naturalisiert und existiert wirklich im Rahmen dieser Gesellschaft als natürliche Teilung: alle Frauen, alle Männer. Es reicht nicht, zu sagen, dass alle Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise inhärent geschlechtlich differenziert sind, man muss auch sagen, dass diese allgemeine geschlechtliche Differenzierung eine besondere Form annimmt, synthetisch unter einer besonderen Form funktioniert: die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem, in welcher die Kategorien Männer und Frauen als allgemein und natürlich erscheinen, jenseits der als gesellschaftlich anerkannten Klassenunterschiede. Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen erlangt einen ihrem Niveau, ihrem hervorgebrachten Niveau eigenen Inhalt, d.h. die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem: die Natur (das, was das gesellschaftliche inwendig als nicht-gesellschaftlich hervorbringt und was wirklich einen offensichtlich natürlichen Charakter erlangt, da eine anatomische Unterscheidung existiert). Erschiene sie nicht als natürlich, wäre die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen als Verhältnis nicht gesellschaftlich, genau wie die Ware nicht ein gesellschaftliches Verhältnis wäre, erschiene sie nicht als Sache, oder der Lohn, Wert der Arbeitskraft, wenn er nicht als „Preis der Arbeit“ erschiene. Denaturalisierung ist nur möglich, wenn man die Naturalisierung ernst nimmt. Für die Definition der Frauen ist es die Biologie als gesellschaftliche Natürlichkeit, welche massgebend ist. Diese Biologisierung hat wirkliche Effekte auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die Modalitäten der Kritik und der Infragestellung und die Natur der Überwindung.“ (Réponses aux Américaines, Théorie communiste 24)
Wenn man diese geschlechtlich differenzierten Eigenschaften aller Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise nicht konzipiert, wird die Existenz der Männerherrschaft zu einem Rätsel in dieser Produktionsweise (eine Existenz, die von Incendo häufig mit dem ambivalenten Begriff „Fortbestand“ bezeichnet wird). Die Frauen wären somit in der kapitalistischen Produktionsweise bloss eine weitere Kategorie von Überausgebeuteten (manchmal sind sie nur noch das, in anderen Passagen noch „notwendig“ genannte Kategorien der geschlechtlichen Differenzierung, es variiert und ist nicht sehr klar).
„Der Kapitalismus befreit die Frauen nur vom Patriarchat, um sie besser ausbeuten zu können.“ (S. 17) Was aber nie klar ist, ist die Tatsache, ob sie „befreit vom Patriarchat“ noch Frauen sind oder schlichtweg Ausgebeutete. Es ist wahr, dass der Kapitalismus die erste Produktionsweise ist, welcher in seiner Dynamik ein strukturelles Problem mit der Arbeit und der Bevölkerung hat (er ist ein prozessierender Widerspruch), und somit mit den Frauen. Doch die Arbeit müsste nicht mehr Arbeit, der Wert nicht mehr Wert und die Lohnarbeit nicht mehr Lohnarbeit sein, damit die kapitalistische Produktionsweise sein Problem mit den Frauen löst und überwindet. Nachdem die Frauen einmal „vom Patriarchat befreit“ sind, weiss Incendo nicht mehr genau, wo die Männerherrschaft in der kapitalistischen Produktionsweise ist und vor allem auf was sie essentiell basiert. „Der kapitalistische Wurm steckt in der patriarchalen Frucht.“ In der Tat „erlaubt die neue egalitaristische bürgerliche Ideologie (...) die Vorstellung einer formellen Gleichheit zwischen Männern und Frauen, eine zuvor unmögliche Hypothese“ (S. 13). Das ist absolut richtig, doch es wäre interessant gewesen, die weibliche Unfähigkeit des Code Napoléon mit dieser „egalitaristischen Ideologie“ zu verbinden, zu verstehen, wie diese Unfähigkeit sich in dieser Ideologie selbst rechtfertigt. Wir wissen nun, dass dieser „Wurm“ nicht nur ideologisch ist, er ist strukturell in der kapitalistischen Produktionsweise. Wir haben da eine bedeutende Achse der Argumentation von Incendo. Man brauchte ein „Patriarchat“, um als Kontrapunkt das ratlose Verständnis der Existenz der Frauen und der Männerherrschaft in der kapitalistischen Produktionsweise zu konstruieren.
Incendo löst die Sache dank dieses theoretischen Wunders: die Männerherrschaft ohne Männer. „Die Ketten ändern ihre Form und kommen in andere Hände, von jenen der Männer zu jenen des Staates, und somit des Kapitalismus, eine strukturierende individuelle Aneignung wird zu einer kollektiven Aneignung.“ (S. 17) Mehrere Male in der Broschüre findet man diese Referenz an die von Paola Tabet verteidigte These. Diese These erklärt etliche Aspekte der aktuellen Entwicklungen der Familie und allgemein der Situation der Frauen und des Widerspruchs in ihrem Verhältnis mit den Männern. Doch was sagt Tabet, wenn sie eine Parallele herstellt zwischen der Aneignung des Arbeiters in der Sklaverei und der Leibeigenschaft einerseits, im Kapitalismus andererseits? Sie sagt, dass die zuvor individuelle Aneignung kollektiv wird, wie der Proletarier, der der Gesamtheit der kapitalistischen Klasse gehört bevor er sich diesem oder jenem Kapitalisten verkauft. Um was handelt es sich also? Um nichts anderes als die Aneignung der Frauen als Aneignung einer Frau durch einen Mann, die zur Aneignung aller Frauen durch alle Männer wird. Eine kollektive Aneignung, die vom Staat, vom Arbeitsmarkt, von der öffentlichen und der privaten Sphäre gutgeheissen wird. Die Ketten bleiben in den Händen der Männer, ausser man glaubt, der Staat (sogar der von Angela Merkel geführte) heisse diese inhärenten, konstitutiven Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise wie die geschlechtliche Differenzierung und Versklavung nicht gut und reproduziere sie nicht. Im Grunde genommen war die Aneignung stets kollektiv, ob sie nun individuell vermittelt sein mag oder nicht.
Incendo spricht weiter von „Männerherrschaft“, aber es seien nicht mehr die Männer, welche diese Herrschaft ausüben, sondern der Staat „und somit der Kapitalismus“. Eine merkwürdige „Männerherrschaft“ ohne Männer, welche „die Ketten in den Händen“ haben (um diesen Ausdruck zu benutzen, der im Text nur die Funktion hat, uns den Anachronismus der Sache merken zu lassen). Eine „kollektive Aneignung“, die die Männer zum Verschwinden gebracht hat.
Die Männer sind nie die Vorarbeiter des Kapitals, das ab einem gewissen Stadium seiner Entwicklung entscheiden könnte, ohne sie auszukommen. Die folgende Frage, ob die Männer von der weiblichen Arbeit profitieren und sie durch diverse gesellschaftliche Dispositive zu ihrer Definition als Frauen zuweisen oder der Kapitalismus – die kapitalistische Klasse, hat keinen Sinn. Wir haben es mit einer Struktur zu tun, und nicht mit einer Summe von individuellen Entscheidungen und Profiten. Wir haben eine gesellschaftliche Struktur, die kapitalistische Produktionsweise, welche ein Regime der Ausbeutung der Arbeit und dadurch auf inhärente, definitorische Art und Weise geschlechtlich differenziert ist (und diese Ausbeutung der Arbeit nicht sein könnte, ohne geschlechtlich differenziert zu sein, denn die Arbeit ist die Bevölkerung als Produktivkraft und somit die Existenz der Frauen). In dieser Situation sind die Männer (vom Sozialhilfeempfänger bis zum Boss einer börsenkotierten Unternehmung) an einem Pol und die Frauen am anderen, dazwischen, wodurch sie verbunden und widersprüchlich definiert sind, steht die biologische Reproduktion und alle Dispositive der Zuweisung, u.a. die Modalitäten des Eintritts in den Arbeitsmarkt und die Lohnarbeit. Nehmen wir ein leicht provokatives Beispiel: Von der Kohorte an Frauen, die seit 1972 die technische Hochschule absolvierten, waren 1995 80% davon verheiratet und die Hälfte davon mit einem Abgänger einer technischen Hochschule. Sie waren mit der Verwaltung einer doppelten Karriere im Paar konfrontiert, verbunden mit Fragen der geographischen Mobilität, welche häufig die Fragen der professionellen Mobilität begleiten, die Debatte wird meistens zu Gunsten des Ehemanns entschieden (Siehe Sylvie Schweitzer, Les femmes ont toujours travaillé, Ed. Odile Jacob, p. 261).
Wenn also grundsätzlich, strukturell die Reproduktion – die Bevölkerung – der Inhalt des Widerspruchs zwischen Männern und Frauen ist, so sind alle Frauen und alle Männer Teil dieses Widerspruchs (erinnern wir daran, dass dieser Widerspruch nur durch den Widerspruch zwischen Mehrarbeit und notwendiger Arbeit von einem Antagonismus zu einem Widerspruch wird) und, auf jeweils spezifische Art und Weise, Teil aller Dispositive zu seiner Konstitution und Reproduktion (von der Kneipe bis zur Arbeit und auch in der Küche, im Bett und in ihren Gefühlen). Man braucht kein Schweinehund und auch nicht einfach ein bisschen lästig zu sein, um ein Mann zu sein, es gibt sogar gute Leute, die es sind.
Ein Mann zu sein bedeutet, eine Stellung einzunehmen und eine Funktion zu erfüllen. Obwohl die Profite, die einem diese Stellung und diese Funktion verschafft, vielfältig und verschieden zu bewerten sind, kann man sie nicht immer (wenn auch häufig) als bares Geld verbuchen: Prestige, Macht, Handlungsfreiheit, Konstitution und Funktion der Gefühle, Bestimmung gesellschaftlicher Verhaltensnormen und v.a. Entwicklung in einer Männerwelt. Der Mann muss nicht etwas anderes werden, um direkt Teil dieser Welt zu sein. Die Frau, welche in allen Situationen Frau ist (sogar die Abgängerin der technischen Hochschule), muss sich aufspalten. Wir werden bezüglich der „professionellen Durchmischung“ und dem Aufstieg der Frauen, auf welchen Incendo viel Wert legt, darauf zurückkommen: Es gibt sogar Frauen, die Unternehmensleiterinnen sind, „richtige Kapitalistinnen“. Kurz gesagt, die Männer sind nicht, wie es Incendo schreibt, „Mittelsmänner in der Kontrolle der Frauen (ihrer Bäuche)“. (S. 54) Sie sind schlichtweg Männer und Männer sind, das soll nicht vergessen werden, genauso eine gesellschaftliche Konstruktion wie die Tatsache, eine Frau zu sein.
Die Idee erscheint wieder auf der Seite 113: „Der Kapitalismus hat die präexistierenden patriarchalen Strukturen genutzt, um seine Herrschaft zu festigen. Die Rolle der Bourgeoisie in der Unterdrückung der Frauen ist entscheidend, nicht jene der männlichen Individuen, die aber trotzdem davon profitieren.“ Die Rolle der Bourgeoisie oder des Kapitalismus als gesellschaftliche Struktur ist offensichtlich, doch es ist genauso offensichtlich, dass die Männer in dieser Struktur eine Funktion sind. Es geht nicht um mehr oder weniger wichtige persönliche „Vorteile“. Da es sich um eine Struktur handelt, verhält es sich wie mit dem Kapitalisten: Der persönliche Vorteil, der dem Kapitalisten die Ausbeutung verschafft, sein Schloss, seine Yacht spielen keine Rolle, kein ernstzunehmender Mensch kritisiert auf diese Art und Weise die kapitalistische Produktionsweise. Das Hauptresultat des kapitalistischen Produktionsprozesses ist die Reproduktion des Kapitalisten und des Arbeiters; das Hauptresultat der Aneignung der Frauen ist die Reproduktion der Männer und der Frauen.
Es ist absolut richtig, dass dieser Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen nicht der einzige Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise ist (muss das gesagt werden?); es gibt den Widerspruch zwischen dem Proletariat und dem Kapital, die Ausbeutung. Vom Standpunkt dieses Widerspruchs aus nehmen nicht alle Männer und alle Frauen die gleiche Stellung ein. Der Widerspruch zwischen Männern und Frauen kann dem Klassenkampf nicht entwischen, doch der Klassenkampf kann dem Widerspruch zwischen Männern und Frauen ebenfalls nicht entwischen. Incendo schreibt: „Obwohl alle, Bürgerliche sowohl als Proletarierinnen, gegenwärtig [dieses „gegenwärtig“ erlaubt ihnen, nicht „in der kapitalistischen Produktionsweise“ schreiben zu müssen und somit die „Möglichkeit“ der Überwindung der geschlechtlichen Differenzierung in der kapitalistischen Produktionsweise offen zu lassen] die Männerherrschaft erdulden, sind sie nicht alle den gleichen materiellen Bedingungen unterworfen und haben widersprüchliche Interessen.“ (S. 37) Es wäre jedoch genauso richtig, folgenden Satz zu schreiben: „Obwohl alle Proletarier, Männer oder Frauen, gegenwärtig die Herrschaft des Kapitals erdulden, sind sie nicht alle den gleichen materiellen Bedingungen unterworfen und haben widersprüchliche Interessen.“ Nicht all ihre Interessen, doch genug, dass die Klasse derartig anfällig ist für Spaltungen in Verbindung mit Genderfragen. Die beiden Widersprüche konstruieren sich gegenseitig und kein Subjekt ist rein.
Keiner dieser Widersprüche ist ein Anhängsel des anderen, sie sind konstant miteinander verbunden, keiner dringt in den anderen ein, weil jeder im anderen präsent ist. Der Kampf der proletarischen Frauen interessiert uns nicht, weil es Proletarierinnen sind und unter anderem und dadurch Frauenprobleme hervorheben, sondern wegen der Besonderheit, welche in diesem Fall der allgemeine Widerspruch zwischen Männern und Frauen annimmt. Diese Frauenprobleme lassen sich nicht von ihrer Situation als Proletarierinnen herleiten, sondern von ihrem Frausein (Geschlecht, Zeugung, Familie, Kind, Ehemann, Hausarbeit, Teilzeitarbeit usw.). Die vorher zitierte Abgängerin der technischen Hochschule hat schliesslich die gleichen, jedoch andere Fähigkeiten, andere materielle Mittel, andere Arten mit ihnen umzugehen und sie zu „regeln“. Für die Arbeiterin oder die Abgängerin der technischen Hochschule sind sie grundsätzlich gleichmässig unlösbar solange sie Frauen sind. Die Situation der Frauen ist für alle Frauen ein wahrer Widerspruch, denn was auch immer ihre Klasse sein mag, die Vereinigung der Widersprüche strukturiert die Gesamtheit der Gesellschaft (wahrer Widerspruch durch die Vereinigung). Doch was für die eine (die Bürgerliche) ein Zustand ist, ist für die andere (die Arbeiterin) eine Tätigkeit. Die Vereinigung der Widersprüche (weswegen sie sind, was sie sind) ist für die Arbeiterin eine Tätigkeit (ihre Tätigkeit), für die Bürgerliche ein Zustand. In der Situation der Arbeiterin existiert eine Modalität der Vereinigung der Widersprüche (die Vereinigung der Ausbeutung und des Widerspruchs zwischen Männern und Frauen), welche für die Abgängerin der technischen Hochschule nicht existiert. Für die proletarischen Frauen besteht in ihrer Existenz als Frauen (ihr Verhältnis zu den Männern) der Widerspruch, der für sich selbst die Ausbeutung ist, der Widerspruch zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit. Natürlich kann man sagen, dass das nur Auswirkungen auf die Klasse als ganzes und lang- oder kurzfristig hat. Das ist nicht ganz richtig. Diese Vereinigung als Tätigkeit ist präsent in den Arten des Eintritts in den Arbeitsmarkt, in der Ausführung der Hausarbeit zur alltäglichen Reproduktion und in ihrer Funktion der Reproduktion der Rasse der Arbeiter, im Jonglieren innerhalb dieses doppelten Tagesablaufs. Die Vereinigung drängt sich auf und wird als ihre Tätigkeit selbst erlebt. Die „Bürgerliche“ kann als Frau an Frauenkämpfen teilnehmen, solange diese sich auf Thematiken der Gleichheit und des Differentialismus beschränken, doch in den Kämpfen der Frauen selbst muss eine Kluft auftauchen, wenn es um die Aufhebung der geschlechtlichen Teilung der Menschheit geht, welche der Mehrarbeit inhärent ist. Das Ende der Mehrarbeit ist gleichbedeutend mit dem Ende der geschlechtlichen Teilung der Menschheit und sie wird nur dieses Ende sein als Ende dieser Teilung, und nicht dessen Konsequenz oder ein „faktisches“ Verschwinden.
Für Incendo ist der Ware „die Geschlechterrolle des Proletariers scheissegal“ (S. 20) und es ist „möglich“, nicht nur „die zu einer „Möglichkeit“ gewordene Freiheit“ (obwohl es nur eine Möglichkeit mit Anführungs- und Schlusszeichen ist, S. 17) in Betracht zu ziehen, sondern auch dass es, „wenn auch nicht zu einer Auflösung [wunderbare Vorsicht, wir unterstreichen], so doch zu einer Restrukturierung der genderbezogenen Identitäten und der geschlechtlichen Differenzierung führen könnte [wenn wir richtig verstehen: eine Restrukturierung, die fast die Auflösung sei, sonst hat der Satz keinen Sinn]“ (S. 20). Wir haben vorher gesehen, dass „die Geschlechterrolle scheissegal sein“ im real existierenden Kapitalismus nicht so offensichtlich ist und dass es konzeptuell ein konstituierender Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise ist. Trotzdem anerkennt Incendo, dass „das Modell fortbesteht“, jenes des Paars usw. und somit sind die Ketten, die den Männern aus den Händen gefallen sind, um vom Staat („und somit vom Kapitalismus“) aufgelesen zu werden, oder vom „Kollektiv“, in welchem alle Kühe grau sind, irgendwie doch noch ein bisschen (man weiss es nicht so genau) in ihren Händen sind. Das Modell „besteht fort“ und das Verb „fortbestehen“ erscheint mehrere Male, um „andere Manifestierungen der Männerherrschaft“ zu begleiten: „Gewalt an Frauen, Vergewaltigung, Sexismus usw.“ bestehen fort. Incendo geht sogar so weit, zu fragen, ob wir nicht eine Stärkung der Männerherrschaft im Privaten beobachten können, aufgrund der Transformationen der öffentlichen Sphäre (S. 18). Als ob die Männer auswärts verlorenes Terrain zu Hause wieder gutmachen müssten. „Fortbestand“ oder „Stärkung“, im einen wie im anderen Fall handelt es sich nur um letztendlich anachronistische Widerstände in Anbetracht der durch den Kapitalismus ausgelösten Entwicklungen, dieser geht seinen Weg, der ihn (wenn auch nicht „gegenwärtig“ – siehe weiter unten), trotz einigen „unmittelbaren Interessen“, die ihn bremsen, jenseits der geschlechtlichen Differenzierung führt.
Das hindert Incendo nicht daran, einen Absatz weiter unten zu behaupten (S. 18), dass „die Geschlechterrollen und die Männerherrschaft klar einen gewissen Nutzen haben für jede Klassengesellschaft“. Einen Nutzen bedeutet nicht, definitorisch zu sein, das hindert einem nicht daran, sich zu fragen, um welchen Nutzen es sich handeln kann, nachdem was man gelesen hat. Was den Nutzen anbelangt, handelt es sich nur um einen Nutzen für die Demonstration von Incendo: Die Männerherrschaft „besteht fort“, doch nur in der privaten Sphäre, denn die öffentliche Sphäre erlebt „scheinbar“ (wunderbares „scheinbar“) eine „unabwendbare Feminisierung“ (S. 18). „Nützlich“ also „für die Klassengesellschaft“, doch nur im Privaten, das ist merkwürdig. Die Realität dieser Männerherrschaft, welche in der privaten Sphäre fortbesteht, impliziert eine Gefahr, die Incendo sogleich erkannt hat: Achtung, „diese Realität kann eine klassenunabhängige Lesart erlauben“. Doch Incendo fällt nicht in diese Falle der klassenunabhängigen Lesart hinein, denn es folgt die Behauptung: „Die Geschlechterrollen und die Männerherrschaft haben klar [affirmatives Adverb, das dazu dient, das Gegenteil zu sagen: man sieht ihn nicht mehr] einen Nutzen für jede Klassengesellschaft“. Das Problem ist, dass, als Notwendigkeit für „jede Klassengesellschaft“, nachdem was Incendo ausgeführt hat, man „klar“ nichts mehr erkennt. Was bleibt übrig vom Verhältnis zwischen Männern und Frauen? Das, was im Privaten geschieht, doch wenn man dabei bleibt, ist das klassenunabhängig, sagt uns Incendo. Wir brauchen also, „von einem revolutionären Standpunkt aus“, die „Männerherrschaft“ in den Klassenverhältnissen, doch dort gibt es nicht mehr wirklich eine „Männerherrschaft“, nur Klassenverhältnisse. Folglich ist die Tatsache, eine Frau zu sein, nur eine zusätzliche Bestimmung, ein Unfall der proletarischen Substanz.
Somit haben wir nun also „die öffentliche Sphäre im Wandel“, welche „den männlichen Charakter verloren hat, welcher für sie bezeichnend war“ (S. 19). Es wird gesagt, dass „diese Veränderung nur für die bürgerlichen Frauen eine wirkliche Bedeutung hat“. Allerdings ist einer der Faktoren dieser angenommenen Entmannung der öffentlichen Sphäre der massive Eintritt der Frauen in die Lohnarbeit und die „Durchmischung“ aller Arbeitsgebiete samt den „Männerbastionen“ (S. 18). Es ist somit etwas, das, auch so simpel und einseitig wie es Incendo formuliert, nicht nur die bürgerlichen Frauen interessiert, die Männerbastionen beschränken sich nicht auf die Chirurgie.
Incendo beschreibt eine merkwürdige Situation: Eine öffentliche Sphäre, die nicht mehr männlich ist, und eine private Sphäre, die weiblich bleibt. Folglich existieren die Männer auch nur noch in der privaten Sphäre. Doch wenn die Männerherrschaft nur noch die private Sphäre betrifft, so geht es also nur noch, wie es uns die Zitate auf Seite 18 nahelegen, um Sexismus, Verhaltensweisen, männliche Faulenzerei und Rüpelhaftigkeit. Und schliesslich, zum schicksalhaften Zeitpunkt der Revolution, erweist sich das Paar als „letzte Widerstandsbastion der Männerherrschaft“ (S. 43).
Noch merkwürdiger ist der Grund, weshalb „die private Sphäre eine weibliche Domäne bleibt“: „Denn es geht auch darum, die Reproduktion aller Klassen, der ganzen Bevölkerung, und somit der kapitalistischen Verhältnisse zu garantieren.“ (S. 19) Somit haben wir also eine private Reproduktion der gesellschaftlichen kapitalistischen Verhältnisse. Man trifft hier wieder die in der Broschüre stets wiederkehrende Abwesenheit der gesellschaftlichen Definition der Gruppe der Frauen: Die Bevölkerung ist für Incendo nicht selbst eine wirtschaftliche Bestimmung, sondern nur ein Rohmaterial, das aus Elementen (den Individuen) zusammengesetzt ist, die von gesellschaftlichen Verhältnissen formatiert werden. Es ist offensichtlich, dass es für gesellschaftliche Verhältnisse Menschen braucht, doch es ist nicht das (die Hervorbringung der Menschen), was die Frauen schafft, sonst ist Frausein etwas natürliches, das gesellschaftlich geformt wird und es wird immer Frauen geben. Was die eigentliche Schlussfolgerung dieses Texts ist: Es wird freie, nicht ausgebeutete, nicht geschlagene usw. Frauen geben und im Kommunismus wird man immer noch unterscheiden zwischen jenen, welche „Kinder tragen“ und jenen, welche das nicht tun – siehe das Ende des Texts. Die Arbeit und die Bevölkerung sind in allen bisher bekannten Produktionsweisen wirtschaftliche Kategorien, die prinzipielle Produktivkraft, und das ist nicht natürlicher oder ewiger als alle anderen wirtschaftlichen Kategorien. Diese Tatsache konstruiert die Gruppe der Frauen, unterscheidet sie und erfordert ihre Aneignung durch die Männer. Sie wird sogar in der kapitalistischen Produktionsweise zu einem Widerspruch für sie selbst, d.h. ein Widerspruch für diese gesellschaftliche Kategorisierung selbst (entschuldigt diesen sehr speziellen literarischen Stil...)
Man kann nicht eine weiblich bleibende private Sphäre und eine geschlechtlich undifferenzierte öffentliche Sphäre haben, unterstreichen wir auch, dass, wenn nur die private Sphäre geschlechtlich differenziert – weiblich – ist, wir auch nur noch dort Männer finden können. Wenn, wie es der Fall ist, alle Kategorien des Kapitals geschlechtlich differenziert sind (was Incendo entgeht) und wenn diese geschlechtliche Differenzierung sich quer in der Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem synthetisiert, so ist und bleibt die öffentliche Sphäre männlich, trotz allen realen Transformationen, welche Incendo feststellt. Die Frauen werden nicht in eine private Sphäre verbannt, die vor ihrer Verbannung schon existierte (die private Sphäre ist nicht ein Gebäude, das darauf wartet, gefüllt zu werden). Die private Sphäre wird durch alle gesellschaftlichen Dispositive (jedes gemäss seinen eigenen Ausführungsmodalitäten) konstituiert, durch welche die Zuweisung der Frauen zu ihrer Definition existiert. Das ist nicht ganz unbedeutend und es ist nicht einfach, sich Menschen anzueignen und aus einer körperlichen Eigenschaft eine gesellschaftliche Konstruktion und Unterscheidung zu machen, durch welche die körperliche Eigenschaft selbst zu einer natürlichen Unterscheidung wird. Wenn die private Sphäre weiblich ist, so ist die öffentliche Sphäre männlich. Doch wie kann man also die sehr realen Transformationen begreifen, welche dem Diskurs von Incendo zu Grunde liegen?
In erster Linie sind die Dinge dort, wo Incendo nur einen einfachen, linearen und gleichförmigen Feminisierungsprozess der öffentlichen Sphäre (Lohnarbeit und Politik) sieht, etwas komplizierter.
„Im Gegensatz zu anderen Brüchen, die sich still vertiefen oder auf sehr hohen Niveaus der Ungleichheit fortbestehen, entwickeln sich die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen immer weiter: Sie verkleinern sich, um sich danach wieder zu vertiefen, sie bewegen sich, verändern sich, wandeln sich, kurz, weit davon entfernt, unveränderlich zu sein, bewegen sie sich. (…) Ein absoluter Fortschritt ist häufig von einer Zunahme der relativen Diskrepanzen begleitet. (…) Margaret Maruani hat mit Emmanuelle Reynaud den aussergewöhnlichen Einfallsreichtum ans Licht gebracht, welche die Unternehmen stets gezeigt haben, um im Universum der Arbeit technologische Innovationen, die a priori Trägerinnen einer Gleichheit zwischen den Geschlechtern sind, in neue Quellen der Herrschaft der Männer über die Frauen zu verwandeln.“ (Christian Baudelot, Le genre, le clivage le plus vivant de notre société, in Christine Bart – herausgegeben von – Quand les femmes s’en mêlent. Genre et pouvoir, Ed. La Martinière, S. 377-378.) Man kann zum Beispiel vom IT-Sektor sprechen. Der Frauenanteil unter den Informatikern geht von 35 auf 20% zwischen 1982 und 2002 zurück. Das mag überraschend scheinen nach der Ausdehnung und der „Banalisierung“ des Sektors. Der Grund liegt in der Veränderung der Struktur dieser Stellen: Der Beruf bestand 1982 aus etwa einem Drittel an Kadern und zwei Dritteln an Technikern und Angestellten, 2002 ist diese Proportion umgekehrt (siehe Monique Meron, Des femmes et des métiers : encore bien loin de la parité in: (Hg.) Margaret Maruani, Femmes, genre et société, Ed. La Découverte, S. 248). In allen Sektoren stellt man fest, dass die Zunahme des Frauenanteils in Kaderpositionen vor allem in Berufen der Expertise oder in PR geprägten stattfindet. Die wachsende Feminisierung ist häufig von einer neuen, berufsinternen Segmentierung begleitet. Wenn zum Beispiel der Frauenanteil in der Kategorie der Techniker zunimmt, sind diese Techniker global häufiger Spezialisten und weniger häufig Teamleiter oder Industriemeister als in den 1980er Jahren.
Sogar bei den Chirurgen, die Incendo als apodiktisches Beispiel nimmt, ist es mehrheitlich in der Dermatologie, der Ophthalmologie, der Rheumatologie, wo wir Frauen finden, dort, wo die Interventionen im Operationsbereich den Ruf haben, kurz zu sein und wo die Notfälle und die Aufsicht weniger wichtig sind, „was den Frauen erlaube, ihre anfällige Gesundheit zu schonen und sich um ihre Mutterpflichten zu kümmern. In der Darstellung dieser Muster werden scheinheilig zwei Spezialitäten verschwiegen: Die Pädiatrie, welche traditionell Frauensache ist und wo die Aufsicht hingegen sehr häufig ist, und die Anästhesie, wo die Arbeitsbelastung beträchtlich ist und die Frauen die Hälfte des Personalbestands ausmachen.“ (Sylvie Schweitzer, op. cit., S. 256.) Die Frauen werden sich in Zukunft in der Herzchirurgie oder sonst wo ausbreiten, man kann dann sicher sein, dass neue Unterscheidungen, neue Spaltungen auftauchen werden. Es handelt sich nicht um Ränkespiele und Komplotte, sondern um die normale Bewegung einer Produktionsweise und einer Gesellschaft, in welcher die Genderunterscheidung wesentlich ist (wie das auch Incendo sagt, um sogleich das Gegenteil zu sagen). Die Redakteure der Broschüre von Incendo argumentieren als ob das Verzeichnis der Berufe eine Art Gesamtheit von unverrückbaren, sich füllenden Fächern wäre. Sogar unsere Abgänger der technischen Hochschulen erlebten seit sie existieren, wie sich die Kategorien Ingenieure hohen Niveaus und die Sektoren administrativer „Drehtür-Effekte“ diversifiziert haben.
Man könnte auch das Richteramt, welches Incendo ebenfalls als Beispiel nimmt, von diesem Standpunkt aus betrachten. In einem neuen Bericht (Juni 2012), geschrieben für die Ecole nationale de la magistrature [Hochschule für Richter], kann man lesen: „Man kann seit vielen Jahren eine Verschlechterung des Bildes des Richters beobachten. Der Richter wird als sesshaft und wenig dynamisch wahrgenommen. Jene, welche im Team arbeiten wollen, empfindlich für Leadership, Mobilität und Bezahlung sind, haben diesen Wettbewerb schon lange aufgegeben – heutzutage bekommt ein Richter zu Beginn der Karriere 1.2 Mal den Durchschnittslohn, die höheren Richter 3.4 Mal den Durchschnittslohn.“ (Le Monde vom 6. Dezember 2012)
Die angebliche „Feminisierung“ oder „Durchmischung“, welche aus dem öffentlichen Raum einen Raum mache, wo das Geschlecht gleichgültig sei, beschränkt sich auf einen hastigen Überblick der konkreten Situationen.
„Die Bourgeoisie ist weit davon entfernt, die geschlechtliche Differenzierung aus der Welt geschafft zu haben: Ein Frau in einer Machtstellung muss sich noch kompetenter und autoritärer zeigen als ein Mann.“ (S. 167) In seiner Kürze und Banalität verbirgt dieser Satz nicht weniger als drei anfechtbare Ideen. Hat die Bourgeoisie langfristig die Tendenz, die geschlechtliche Differenzierung aus der Welt zu schaffen? Wie wir bereits gesehen haben, ist das ein Thema, welches die ganze Problematik von Incendo durchzieht. Zudem, wenn die geschlechtliche Differenzierung bedeutet, sich kompetent und autoritär zu zeigen, so handelt es sich, gemäss den Begriffserklärungen am Ende des Bands, nicht um geschlechtliche Differenzierung, sondern um Sexismus. Und schliesslich, wenn es um die Feminisierung und die Durchmischung der öffentlichen Sphäre (Politik und Arbeit) geht, scheint der Text von Incendo sich nur für die höheren Kategorien der Lohnarbeit zu interessieren, für die liberalen Berufe oder gar die Chefetage, lässt jedoch, merkwürdigerweise in Anbetracht der Absichten des Texts, die Arbeiterklasse beiseite. Als ob im unteren Bereich der Leiter die Feminisierung gesichert wäre und als ob die Genderunterscheidung umgangen werden könnte, indem alle Arbeiter(-innen) sind. Als ob die Feminisierung und die Durchmischung der öffentlichen Sphäre mit der Eroberung der höheren Schichten durch die Frauen zusammengefasst werden könnte, was die Schlussfolgerung erlaubt: „Das betrifft nur bürgerliche Frauen“ und „die öffentliche Sphäre ist nicht mehr männlich“. Als ob sich die geschlechtliche Differenzierung heutzutage auf die brüchige Unzugänglichkeit der höheren Berufe beschränkte und die 80% der den Frauen auferlegten Teilzeitstellen nicht beträfe.
Das Hauptproblem ist allerdings nicht oben, sondern unten: „Die Frauen gewinnen bezüglich Zugang zu Kaderstellen, doch verlieren am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie mehr als die Männer. Die starke Zunahme der Arbeitslosigkeit für die weniger diplomierten und Schwierigkeiten, Stellen als Arbeiterinnen oder Angestellte mit dem Abitur oder einem niedereren Diplom zu entgehen, haben zu einer grossen Zunahme der Situationen der Verwaltungsvollstreckung oder der Arbeitslosigkeit geführt.“ (Sylvie Schweitzer, op. cit., p. 382). Man kann sogar feststellen, dass die stärkste Zunahme an Stellen für Frauen in jenen Sektoren stattfindet, wo die „traditionellste“ Genderunterscheidung am Werk ist: „Der berufliche Bereich der Dienstleistungen an Private (Friseure, Hausangestellte, Kindermädchen, Hauswarte, doch auch Putz- und Sicherheitspersonal) trägt am meisten zur Zunahme an Stellen bei. Danach kommt der Gesundheits-, dann der Verwaltungs- und Managementbereich.“ (Monique Meron, Des femmes et des métiers : encore bien loin de la parité in: (herausgegeben von) Margaret Maruani, Femmes, genre et société, Ed. La Découverte, S. 250.) In der gleichen Bewegung: „Doch obwohl die Anzahl nicht qualifizierter Stellen unter Arbeitern abnimmt (von 39 auf 30% zwischen 1982 und 2002), verzeichnet diese Proportion einen beträchtlichen Zuwachs für die Angestellten (wo sich mehrheitlich die Frauenstellen befinden) (39% 1982, 44% 2002). Man verzeichnet eine starke Zunahme der Stellen im Dienstleistungssektor in fast ausschliesslich weiblichen Berufen: Kindermädchen, Hausangestellte, Angestellte in Selbstbedienungsbetrieben, Friseure, Kosmetiker. In den wenig qualifizierten Berufen des tertiären Sektors werden die meisten zusätzlichen Stellen von Frauen besetzt.“ (Ebd., S. 251) Eine Verlagerung der nicht qualifizierten Berufe von der Industrie zum tertiären Sektor hat die Entwicklung der weiblichen Aktivität begleitet (und zudem stellt die Autorin nicht die Frage nach der Definition dieser „Qualifikation“). Die gleiche Autorin schreibt weiter dass „keine Kennzahl eine empfindliche Abnahme weiblicher Anstellung zeigt“.
Einen Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, konstante Erschaffung neuer Unterscheidungen und Hierarchien. Was hier ausgedrückt wird, ist nicht die tendenzielle Gleichgültigkeit der kapitalistischen Produktionsweise gegenüber der Genderunterscheidung, sondern die Tatsache, dass die kapitalistische Produktionsweise die erste Produktionsweise ist, welche strukturell ein Problem hat mit der Arbeit, mit der Bevölkerung und somit mit den Frauen und ihrer Aufnahme in den Produktionsprozess.
Doch gehen wir als einfache Hypothese von einer totalen Durchmischung der öffentlichen Sphäre aus (dank Gaddafis Amazonen und den GI-Girls – siehe Fussnote 22), sofern die private Sphäre weiblich bleibt, wird diese öffentliche Sphäre noch lange nicht geschlechtlich undifferenziert sein, ausser man glaubt, die kapitalistische Produktionsweise habe sich definitiv der Frauen, d.h. der Arbeit, der Bevölkerung und des Werts (der sich erlauben kann, inwendig den Geschlechterrollen gegenüber gleichgültig zu sein, denn seine Existenz selbst ist deren Existenz) entledigt. Ausser man behauptet, die Frauen seien verschwunden, und sogar im Falle ihrer hypothetischen totalen und absoluten Durchmischung, bleibt die öffentliche Sphäre männlich.
„Öffentlich/privat, Lohnarbeitsverhältnis und weibliche Hausarbeit sind eng miteinander verbunden. In der kapitalistischen Produktionsweise sind die öffentliche und die private Sphäre radikal getrennt, der Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Raum ist grundsätzlich radikaler als in ehemaligen Produktionsweisen, genau wie die Universalität und die abstrakte Gleichheit zwischen den Individuen ein innerer Zwang dieser Produktionsweise sind.
Indem das Gesetz (der Staat) die Geschlechterunterscheidung abschafft, hebt es nicht die Geschlechterrolle auf, sondern dekretiert schlichtweg, dass deren Effekte politisch nicht sachdienlich sind und vergessen werden können. Einerseits gibt das Gesetz vor, wirklich die Gleichheit zwischen den Geschlechtern als öffentliche Sache festzulegen, doch damit macht es aus den Genderunterscheidungen nicht politische (nicht öffentliche) Unterschiede, die damit nicht mehr Gegenstand einer Kritik oder Veränderung sein können. Indem sie paritätisch werden, heben der Staat und die öffentliche Sphäre im allgemeinen die Genderunterscheidung nicht auf, sondern setzen sie voraus, indem sie sie in die private Sphäre neben die konkreten Männer und Frauen wegräumen. Der Staat und die öffentliche Sphäre sind grundsätzlich auf der Genderunterscheidung aufgebaut, indem sie diese Unterscheidung verstärken, indem sie sie innerlich als nicht sachdienlich und wirklich sachdienlich durch ihre Existenz selbst deklarieren. Der Staat und die öffentliche Sphäre brauchen in ihnen selbst den Geschlechterunterschied nicht, sie können ihn im Gegenteil ausser acht lassen, denn in ihnen (als solche: öffentlich/privat) wird der wirkliche Inhalt des Genderunterschieds verwirklicht.
Die gesetzliche Proklamation der Gleichstellung und deren wirkliche Anwendung gehen Hand in Hand mit der inneren Halbierung jeder Frau. Als Mitglied der öffentlichen Sphäre ist sie Teil der Irrelevanz des Geschlechterunterschieds, sie wird ihres wirklichen Lebens beraubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit ausgefüllt. Als Frau der privaten Sphäre und der Produktionsverhältnisse bleibt sie Frau genau weil die Gleichstellung nur eine Abstraktion ist, d.h. nicht etwas, das nicht existiert, sondern etwas, das eben genau als (tendenzielle/vollendete) Aufhebung eines Unterschieds existiert, eine Aufhebung, die auf der Reproduktion dieses Unterschieds und der Halbierung und der Spaltung des weiblichen Individuums basiert. In der heutigen kapitalistischen Gesellschaft sind die Frauen wirklich in jeder Bestimmung (Leben zu Hause, Arbeit, Elternsein) gespalten zwischen einer abstrakten und einer konkreten Individualität, dermassen, dass jede Bestimmung des konkreten Lebens (privat und Arbeit) selbst geteilt ist zwischen ihrer Wirklichkeit und ihrer Idealität, dermassen, dass die Idealität (die Gleichstellung in allen Bereichen) insofern als wirklich erscheint, dass sie aus der Unterscheidung, welche sie (in sich) aufgehoben hat, einen unbegründeten und dadurch unwirklichen „Archaismus“ macht, obwohl sie nur die innere Halbierung jeder Frau ist. Der Mann ist auch gespalten zwischen abstraktem und konkretem, doch er muss nicht das konkrete im abstrakten (als Mann) zurücklassen. „Der Mann verfügt über das Privileg (…), dass seine Berufung, menschlich zu sein, nicht seiner Bestimmung als männlich widerspricht. Die Gleichsetzung des Phallus und der Transzendenz führt dazu, dass seine gesellschaftlichen und spirituellen Erfolge ihm ein viriles Prestige verleihen. Er ist nicht geteilt. Während von der Frau, um ihre Weiblichkeit zu entfalten, verlangt wird, zum Gegenstand und zur Beute zu werden, d.h. auf ihre Forderungen als souveränes Subjekt zu verzichten.“ (Beauvoir, Le deuxième sexe, Bd. 1, S. 524.)
"Die Frau lebt ihr universelles Leben in der Gleichstellung, doch wenn sie es lebt, betrachtet sie es auch. Ihr privates, persönliches Leben führt sie in ihren praktischen Tätigkeiten, zu Hause und im Beruf, welche selbst halbiert sind. Ihr ganzes Leben ist gespalten, denn sie muss das gleiche dessen sein, was anders als sie ist (und dessen Andersartigkeit den Anspruch erhebt, das gleiche zu sein). Als Frau wird dieses Individuum aufgefordert, ein „sich selbst“ und ein „anderes“ zu sein und als anders bestätigt durch die Anordnung, das gleiche zu sein.
In der Gleichstellung ist die Unterscheidung verwirklicht. Die Illusion, die gezeigt werden muss, ist nicht jene der Idealisierung des Geschlechtsunterschieds in der Gleichstellung, sondern ihre Quelle: Die Bestimmung einer öffentlichen Sphäre, welche, mit den Farben der Gleichstellung geschmückt, ihrerseits die Wirklichkeit mit der Ungleichheit und der Herrschaft schmückt.
Die Gleichstellung ist ein Kampf, jener des Zugangs der Frauen zur Abstraktion, es ist nicht ein bedeutungsloser Kampf, doch sein siegreicher Ausgang setzt die Spaltung jeder Frau in der Totalität ihres Lebens voraus und bestätigt sie, er macht aus ihrem alltäglichen Leben eine simple Tatsache ohne Recht und ohne Grund, während die Gleichstellung (ein abstraktes Individuum konstituierend) als Idealität auf der Wirklichkeit dieses „alltäglichen Lebens“ beruht, welches die Notwendigkeit selbst seiner Abstraktion als Ausdruck der Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem ist. Eine Abstraktion, die zur Lesart und Praxis des konkreten (alltäglichen) Lebens wird. Die Abstraktion zeigt nicht eine Trennung gegenüber einer „wirklichen Basis“, sondern die Rolle, welche sie darin spielt: die Rolle der Abstraktion (siehe das Geld).
Die liberale Ideologie (im politischen Sinn) ist adäquat zur unmittelbaren und gegebenen Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens, sie verschleiert jedoch zugleich die tiefe Wirklichkeit, sie macht aus dem Individuum eine Essenz, ein konstituierendes Subjekt. Die Frau der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen ist ein solches Individuum, in welchem das abstrakte, objektiv abstrakte Individuum mit dem konkreten Individuum verwechselt wird, sodass schliesslich ersteres nicht nur zur idealen Form von zweiterem wird, sondern auch das konkrete Individuum auf eine kontingente, zufällige Form dieses objektiv abstrakten Individuums reduziert.“
(Réponses aux Américaines, TC 24)
Mit dieser entmannten öffentlichen Sphäre kommen wir da an, wo die Reise hingehen sollte. „Der Kapitalismus ist also nicht an sich patriarchal, doch er ist notwendigerweise geschlechtlich differenziert. Geschlechtliche Differenzierung und Männerherrschaft sind für ihn unerlässlich und er kann die Geschlechterrollen im Moment (im Text unterstrichen, sonst hätten wir es getan) nicht aufheben.“ (S. 32)
Wir erfahren nie, weshalb und wie der Kapitalismus „notwendigerweise geschlechtlich differenziert“ ist, wir haben eher gesehen, dass seine grundlegende Tendenz eher in die umgekehrte Richtung dieser Notwendigkeit geht. Falls nämlich die „notwendige geschlechtliche Differenzierung“ gleichbedeutend ist mit der Reproduktion der Bevölkerung als Rohstoff der verschiedenen Klassen, ist es schwer zu erkennen, worin die kapitalistische Produktionsweise besonders geschlechtlich differenziert ist; wenn es nur ist, um einige untypische Lohnformen möglich zu machen, um einige „unmittelbare Interessen“ zu befriedigen, erkennt man es auch nicht; wenn es zur Vermögensübermittlung ist, entwischt das Proletariat der geschlechtlichen Differenzierung. Doch die „notwendige geschlechtliche Differenzierung“ (d.h. die seinem Wesen gemäss, seinem Konzept gemäss nicht nicht sein kann) wird nur noch „unerlässlich“ und ausserdem „heute unerlässlich“ und „weniger als gestern“ ist man versucht, anzuhängen. Sie kann also im Moment die Geschlechterrollen nicht aufheben. Somit haben wir also etwas „notwendiges“, das zu etwas „heute unerlässlichem“ geworden ist und „im Moment“ nicht aufgehoben werden kann. Somit etwas sehr kontingentes „notwendiges“.
Um all die Spitzfindigkeiten dieser Dialektik zu verstehen, muss man im Text einige Absätze zurückgehen. „Die Männerherrschaft, prinzipiell in der patriarchalen Form war immer notwendig (im Text unterstrichen) und charakterisierte alle Klassengesellschaften.“ ...und somit den Kapitalismus. Gehen wir weiter. „Sie war speziell angepasst an die präkapitalistischen Gesellschaften, charakterisiert durch ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität (mit der Familienzelle als Basis, Einheit der Produktion und der Reproduktion).“ Was ist „sie“? Die „Männerherrschaft“ oder die „patriarchale Form“? Ein bisschen von beidem, grammatikalisch gesehen würde man meinen die Männerherrschaft, doch in Bezug auf den Sinn muss man annehmen, es sei die „patriarchale Form“. Lassen wir die gesegnete Epoche beiseite, wo jeder mit seiner Auserwählten mit Kindern und Ahnen lebte, ohne Pächter, ohne Halbpacht, ohne Gutsherren, ohne königliche Abgaben usw. Es kommt also der Kapitalismus, der „alles umwälzt“, nachdem er die vorhergehenden gesellschaftlichen Strukturen genutzt hat. Und er „stösst mit dem Patriarchat zusammen“ und dort, in einem Augenzwinkern, ein grossartiger konzeptueller Taschenspielertrick: „Das Patriarchat ist entstellt worden. Der Kapitalismus ist somit die erste Produktionsweise, welche ein Problem mit den Frauen hat.“ Das Problem des Kapitalismus mit den Frauen komme also von der Tatsache, dass er das Patriarchat nicht fortbestehen lassen kann, obwohl, wie es der Text sagt, „die Männerherrschaft für ihn notwendig ist“ (so notwendig nun auch wieder nicht, wie wir gesehen haben). Was bedeutet, dass die „Männerherrschaft“, die wahre, die gut bestückte, die haarige das Patriarchat ist, was historisch folgt, ist ein Ponyhof.
„Im Gegensatz zum Patriarchat (das Autorität, Hierarchie und Herrschaft impliziert) ist eines der kapitalistischen Prinzipien, wir wiederholen es, die ’Freiheit’. Die Interessen des Kapitalismus laufen also jenen des Patriarchats manchmal zuwider. (…) Damit ist einer der strukturierenden Tragpfeiler der Männerherrschaft umgestossen.“ (S. 130) Hier sind die Dinge klar: Das „Patriarchat“ ist nicht mehr nur eine „Form der Männerherrschaft“, sondern das wesentliche ihres Inhalts. Ihm zu schaden, bedeutet, die Männerherrschaft selbst anzugreifen und nicht nur die Form zu ändern und es liege im Wesen des Kapitalismus, das zu tun, da eine seiner Prinzipien („wir wiederholen es“) die „Freiheit“ ist (mit Anführungs- und Schlusszeichen, man soll ja nicht übertreiben). Doch im Kapitalismus bedeutet Freiheit, frei zu sein, was man ist: ein Proletarier, eine Frau usw., eine Person zu sein. Obwohl er sich sehr gut damit abfinden kann, ist der Kapitalismus nicht eigentlich eine Stände- oder Kastengesellschaft.
Es ist zwar wahr, dass sich der Kapitalismus der alten Formen der Männerherrschaft (was bei Incendo zum „wesentlichen der Männerherrschaft“ wird) entledigt hat, doch es ist nicht deswegen, wie es Incendo behauptet, dass er ein Problem mit den Frauen hat. Der Kapitalismus hat grundsätzlich ein Problem mit den Frauen, weil er ein Problem mit der Arbeit hat und das ist ihm eigen. Dafür braucht es Frauen und alle Dispositive, durch welche sie zu solchen werden, unter anderem die Hausarbeit, und, simultan, muss alle verfügbare Arbeitskraft im Rahmen der Lohnarbeit absorbiert werden, was in sich selbst die Hausarbeit der Reproduktion der Arbeitskraft als Privatsache impliziert (uff, der Stil). Er entwickelt sich und ringt mit seinen Widersprüchen, die ihm eigen und sogar seine Dynamik sind, und die er als solche nicht überwinden kann.
Der ganze Text, der als theoretische Synthese angekündigt wird, ist nur eine lange Verweigerung des Problems, das er behauptet, zu behandeln: „Betreffend Genderfragen und Männerherrschaft ist die Verweigerung am weitesten verbreitet.“ Das ist wahr, bis zum revolutionären Moment selbst.
Gender und Revolution
„Dieser Prozess (der Kommunisierung, AdA) wird unvermeidlich (von uns unterstrichen) Genderfragen ebenfalls betreffen (ausser der Kapitalismus befreit uns vorher davon: siehe „Möglichkeit“, „heute“, „im Moment“, „besteht fort“, „Hypothese“ usw., AdA) und führt, unserer Meinung nach, schliesslich zu deren Aufhebung (andernfalls versinkt er in der Konterrevolution).“ (S. 38) Alles ist gesagt in diesen paar Zeilen am Anfang des Kapitels über Gender und Revolution. „Unvermeidlich“ steht für „als Konsequenz“, das vom Verb „führt zu“ wieder aufgegriffen und unterstrichen wird. Diese Aufhebung ist nur notwendig, weil wir sonst „in der Konterrevolution versinken“. Wir haben vorher diesen Standpunkt kritisiert, der den Widerspruch zwischen Männern und Frauen nicht als solchen und für sich betrachtet, sondern als unerlässlich für das Kommen der Revolution.
Trotz dem zeitlichen Zusammenwirken der Dinge ist in der Perspektive von Incendo die Aufhebung der Geschlechterrollen eine Konsequenz der Aufhebung der Lohnarbeit: Die Bewegung, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse dieser „beschissenen Welt“ aufhebt, „beseitigt gleichzeitig die Notwendigkeit (im Text unterstrichen), die Arbeitskraft, die Familie und die Geschlechterrollen zu reproduzieren. Die Aufhebung der Lohnarbeit und die revolutionäre Tätigkeit beenden die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und individueller Tätigkeit, zwischen diversen Trennungen (...), welche die Grundlagen der Hausarbeit sind.“ (S. 39) Die Familie, die Geschlechterrollen, die Hausarbeit und sogar die Sexualität sind hier nie Kampfschauplätze von Kämpfen in ihrer Besonderheit. In einem Wort, nie ist der Widerspruch zwischen Männern und Frauen an sich selbst wirksam in all diesen Aufhebungen. All das wird „unvermeidlich“ aufgehoben werden. Wenn die Aufhebung der Lohnarbeit „gleichzeitig die Notwendigkeit, die Arbeitskraft, die Familie und die Geschlechterrollen zu reproduzieren, beseitigt“ und wenn „die Aufhebung der Lohnarbeit und die revolutionäre Tätigkeit die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und individueller Tätigkeit, zwischen diversen Trennungen (...), welche die Grundlagen der Hausarbeit sind, beenden“, so handelt es sich nicht um logische Konsequenzen vom Typ A führt zu B, die Beseitigung von A führt zu jener von B. Zu sagen, dass der Lohn die Reproduktion der Arbeitskraft und der „Rasse der Arbeiter“ zahlt, lässt uns die Schwelle zur „Intimität“ überschreiten und zeigt den inneren Antagonismus zwischen Männern und Frauen, im Lohn inbegriffen als Reproduktion der Arbeitskraft. Dieser innere Antagonismus ist und wird selbst ein bestimmendes Element in der Aufhebung der Lohnarbeit sein.
Die „Zerstörungen“ und „Aufhebungen“, von welchen Incendo spricht, haben Auswirkungen auf die Genderunterscheidung. Die Genderkonflikte bringen nicht einfach als solche diese Aufhebungen hervor und nehmen daran teil, als ob die Konflikte, durch welche der Widerspruch zwischen Männern und Frauen existiert, nicht selbst aktiv beteiligt an diesen Aufhebungen und dynamisches Element davon wären, sondern nur unumgängliche „Konsequenzen“ oder Begleiterscheinungen. Wenn die Selbstorganisation der Frauen erwähnt wird, ist es, um zu sagen, dass man schnell darüber hinwegkommen soll und dass alles, was folgt (die Aufhebung der Geschlechterrollen) gegen sie (die Selbstorganisation) gerichtet sein wird. Die Aufhebung der Geschlechterrollen wird nie als Konflikt im revolutionären Prozess gesehen, sondern als seine „Wirkung“, seine Konsequenz. Von diesem Standpunkt aus ist es wahr, dass es vorsichtiger ist, die Frauen zu ermuntern, an die „Aufhebung der Lohnarbeit“ zu glauben, als ob diese ihren eigenen Kampf und vielleicht ihren Konflikt mit ihren „Genossen“ nicht mit einschliesse.
Die gleiche Perspektive wird einen Absatz weiter in einer anderen Form wieder aufgenommen: „Zu diesen Erschütterungen des alltäglichen Lebens sollte man die Wirkung der neuen Funktionsweisen hinzufügen (wir unterstreichen), welche im Kampf aufgebaut werden“. Noch schlimmer: Die „neuen Funktionsweisen“, d.h. die Verhältnisse zwischen den miteinander im Prozess der Kommunisierung verknoteten Individuen werden eine „Wirkung“ haben, die den Verhältnissen zwischen Männern und Frauen „hinzugefügt“ wird. Als ob die „neuen Funktionsweisen“ nicht das wären, was uns der Untertitel verspricht: „Der Generalaufstand, der die Männer und die Frauen zerstören wird“.
Schliesslich stösst diese „Zerstörung“ im letzten Moment mit einem letzten Problem und nicht dem geringsten zusammen, es ist nämlich jenes der Definition selbst der Männer und Frauen, welches Incendo als „gesellschaftliche Organisation“ der Schwangerschaft ausgelagert hatte. Tatsächlich belässt man die natürliche Unterscheidung bei seiner Existenz als natürliche Unterscheidung, wenn man sie nicht als selbst die gesellschaftliche Organisation seiend betrachtet und als solches zeigt. Man kann wiederholen, dass „die Natur nicht existiert“ (Begriffserklärungen, S. 197), es bleibt eine Prinzipienpetition und die Natur wird unfehlbar im Galopp zurückkommen, wenn man nicht erklärt wie dieses nicht existierende Ding existiert, d.h. das, was man so nennt und wenn man nicht erklärt, nennt man es zurecht so.
„Mit der Revolution werden die geschlechtliche Differenzierung und die Geschlechterrollen faktisch von unmittelbar gesellschaftlichen Individuen aufgehoben. Doch der Kommunismus wird selbstverständlich nicht die Unterscheidung aufheben zwischen jenen, welche schwanger werden können und jenen, welche es nicht können. Die Schwangerschaft ist jedoch kein natürliches Phänomen, sie wird gesellschaftlich organisiert (auf unterschiedliche Art und Weise je nach Epochen, Gesellschaft und Regionen). Heute bedingt sie die Bildung der Gruppe der Frauen und die Männerherrschaft. Wie die Frage der Organisation der Schwangerschaft behandelt und gelöst wird während der Kommunisierung ist wesentlich und sehr problematisch. Es ist besonders diese Frage, die Mutterschaft, über welche die Aufhebung der Geschlechterrollen, und somit die Kommunisierung, zu stolpern droht.“ (S. 43)
Lassen wir die Tatsache beiseite, dass nichts „faktisch“ (d.h. als Konsequenz) aufgehoben wird, falls es nicht für sich durch Tätigkeiten welche dem, was aufgehoben wird, eigen sind, aufgehoben wird. Die Kommunisierung werde also über die Mutterschaft stolpern. Die Kommunisierung stolpert nicht über den Wert, genauso wenig wie über die Mutterschaft: Man stolpert stets über praktische Fragen, Konflikte und Probleme (der Tausch oder die Zuweisung der Frauen zur privaten Sphäre). Es sind die im revolutionären Kampf engagierten Individuen, welche – auf diverse Arten – mit Genderfragen unmittelbar konfrontiert sein werden.
Zu sagen, die Schwangerschaft ist „gesellschaftlich organisiert“, ist ungenügend, um über eine naturalistische Definition der Frauen hinwegzukommen, deshalb kann Incendo sagen, dass die Kommunisierung die Unterscheidung zwischen jenen, welche Kinder zeugen, und jenen, welche es nicht können, nicht aufheben wird. Wenn es zwischen den beiden Begriffen eine reproduktive Fragen betreffende Unterscheidung gibt, sieht man nicht wirklich, inwiefern Männer und Frauen aufgehoben wären. Denn bezüglich der Reproduktion ist diese Unterscheidung effizient...Die Aufhebung der Geschlechterrollen ist gleichbedeutend mit der Aufhebung der reproduktiven Fähigkeit als naturalisierte Unterscheidung. Es wird tatsächlich sicher Leute geben, die schwanger werden, und andere, die es nicht werden (obwohl man vermuten kann, dass die Sexualität mit Schwangerschaftsrisiko beiläufig ziemlich hart getroffen wird), Leute, welche Kinder tragen werden und andere nicht (was unter Umständen nicht das gleiche sein könnte wie schwanger zu werden), doch diese Diversität kann auf keinen Fall eine Unterscheidung erzeugen, wenn der Widerspruch Männer/Frauen nicht mehr besteht und als Konsequenz keine Männer und keine Frauen mehr existieren. Diese Heterogenität der Situation deckt auf Seiten der Bevölkerung und der Reproduktion der gesellschaftlichen Organisation kein Streitobjekt mehr ab und wird somit keine Unterscheidung zwischen einigen und anderen auf dieser Grundlage tragen. Die natürliche Selbstverständlichkeit ist ein gesellschaftliches Verhältnis: Das, was es erlaubt, die einen von den anderen zu unterscheiden, ist grundsätzlich die Notwendigkeit der Arbeit und der Bevölkerung als Produktivkraft und diese Notwendigkeit lässt die Sexualität als getrennte Tätigkeit existieren, d.h. bestimmt, wie auch immer heute ihre Formen sein mögen, durch die Frage der Reproduktion.
Die Art der Konfrontation mit diesen Fragen in den revolutionären Kämpfen wird ebenfalls heterogen sein und kann verschiedene Komponenten des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen betreffen: Aufteilung der Tätigkeiten und Aufgaben im Kampf, Gewalt gegen Frauen, Kinderbetreuung, Betreuung der affektiven und sexuellen Verhältnisse im Kampf...Wir wissen auch, dass in der Revolution diese Modalitäten der Emergenz und der Inhalt selbst dieser Fragen und Konflikte das Produkt lokaler und ereignisabhängiger Besonderheiten der konfliktreichen Knotenbildung des Gender- und des Klassenwiderspruchs sein werden.
Die Aufhebung der Männer und der Frauen, welche über die Frage der
Schwangerschaft stolpert, zeigt, wie sehr die Sicht der Revolution von
Incendo und anderen „Anhängern oder Freund(inn)en der Kommunisierung“
immer noch jene der „sozialen“ Revolution ist. Das zeigt sich
offensichtlich und häufig in Bezug auf die Frage der Aufhebung der
Kategorien Männer und Frauen (und nicht nur in Bezug auf die Genderfrage
im allgemeinen, denn jeder möchte von „Herrschaft“ sprechen oder der
Kommunisierer-Sauce ein bisschen feministische Würze zufügen). Wie jene
der Produktion wird die Frage unter dem Blickwinkel der
„Organisationsfragen“ gestellt, welche man gesellschaftlich
„behandeln und lösen“ müsse. Denn es ist offensichtlich, dass man wohl
weiterhin Kinder „machen muss“, wie man auch produzieren „muss“ und es
ist genauso offensichtlich, dass all das „gesellschaftlich organisiert“
sein muss. Wenn es auch „heute“ Herrschaft impliziert usw., wird es
morgen schon besser gehen, wenn wir uns selber darum kümmern
werden...Die Kommunisierung, von diesem Standpunkt aus, bedeutet die
menschliche Tätigkeit endlich vom parasitären Kapital befreit zu haben,
sie findet sich als solche in sich selbst wieder, zwar mit einigen zu
lösenden Problemen, die jedoch von nun an ihre eigenen Probleme sind.
Es gibt keine gesellschaftliche Unmittelbarkeit und Aufhebung der Geschlechterrollen, wenn man anfängt, „die Frage“ der „Mutterschaft“ zu „behandeln“. Was „faktisch“ ist und als selbstverständlich akzeptiert wird, ist, dass die Frauen die Kinder machen. Es existieren andere oder gar gegenteilige Konzeptionen der Kommunisierung: Man kann nicht die Genderfrage auf diese Art und Weise betrachten, nur weil man global die Frage der Kommunisierung auf die gleiche Art und Weise betrachtet. Man kann dann schon stolz behaupten, die Natur existiere nicht und die geschlechtliche Differenzierung und die Geschlechterrollen seien „faktisch“ aufgehoben, man stolpert schliesslich trotzdem über das, was letztendlich das natürlichste ist: die Mutterschaft. Ach ja, die Frauen machen nämlich letztendlich auch Kinder...Als ob das Problem woanders läge, ob sie Fussball spielen können oder nicht oder ihre Haare verstecken müssen oder nicht. Denn indem man die Kommunisierung nicht als etwas versteht, das wirklich den Wert und den Tausch und somit gleichzeitig die Produktion und alle gesellschaftlichen Verhältnisse aufhebt, welche von diesen Kategorien reproduziert und vorausgesetzt werden, findet man sich mit dem Bauch der Frauen als Werkzeug eben dieser reproduktiven Produktion wieder (und macht beiläufig die Frauen zu Produktionsmitteln) und diese Produktion muss ja auch „verwaltet“ werden – gesellschaftlich. Man möchte schon gesellschaftliche Unmittelbarkeit und Aufhebung der Männer und der Frauen, aber es sollte doch nicht allzu chaotisch sein.
Natürlich wird diese „Organisationsfrage“ nicht von Bauchkommissaren behandelt werden, doch dahinter steht immer noch die Annahme einer „menschlichen Gemeinschaft“, die sich als eine Art Vermittlung zwischen sich und sich stellt und die verschiedenen gesellschaftlichen Fragen, wie z.B. jene des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen, selbst“verwaltet“. Damit bleiben die einen wie die anderen „natürlicherweise“ als Kategorien erhalten, egal was man woanders darüber sagt. Es ist erstaunlich, festzustellen, dass nicht einmal erwähnt wird, dass die Frage der Mutterschaft von den Frauen selbst zum Konflikt gemacht werden kann, und das gegen die Männer – die Kommunisierung ist hier nur das Moment des verallgemeinerten gesellschaftlichen „alle zusammen“.
Wenn wir sagen, dass „die Aufhebung der Geschlechterrollen gleichbedeutend ist mit der Aufhebung der reproduktiven Fähigkeit als naturalisierte Unterscheidung“, konzipieren wir sie als schon gemacht, doch das ist nur konzeptuell oder logisch wahr. Die Aufhebung der Kategorien Männer und Frauen ist in ihrer Vollendung genauso undenkbar wir die gesellschaftliche Unmittelbarkeit der Individuen (der Kommunismus). Wir können all das nur ausgehend von den heute existierenden Kämpfen denken und somit als Konflikt zwischen Klassen und zwischen Männern und Frauen, Konflikte jedoch, die in sich die Widersprüche tragen, welche die Aufhebung der Geschlechterrollen und der Klassen hervorbringen. Das Problem von Incendo liegt nicht hier.
Die natürliche Selbstverständlichkeit ist ein gesellschaftliches Verhältnis, welches in sich seinen eigenen Widerspruch trägt, alle gesellschaftlichen Verhältnisse tragen nicht ihren eigenen Widerspruch in sich. Dieser Widerspruch ist im Text von Incendo abwesend, denn sie können oder wollen ihn nicht konzipieren, da sie im Grunde genommen die Gleichheit wollen. Und deshalb weichen in ihrem Text auch die Frauenkämpfe auf den Klassenwiderspruch aus und werden schliesslich unter den auf diese Art und Weise einseitig verstandenen historischen Gang des Kapitals subsumiert. Eine derartige Konstruktion macht in Wirklichkeit nur ihre Befreiung als Frauen möglich, unter der Bedingung, dass sie bereit sind, als Proletarierinnen zu kämpfen, um im Endeffekt Teil der menschlichen Gemeinschaft zu sein, welche die „Frage“ der Mutterschaft „lösen wird“ ohne den Männern und den Frauen eine Existenz zu geben...Es ist so gut wie sicher, dass von diesem Standpunkt aus die Frauen, die Männer und die Proletarier noch lange das, was sie sind, bleiben werden.
Nicht überraschend kommt der Text zu folgender Schlussfolgerung: „Aber seit ihrem massiven und direkten Eintritt in die Lohnarbeit und somit in die Streiks führt allein ihre Involvierung dazu, dass die Fragen der Reproduktion auftauchen. Die Revolution wird mit den proletarischen Frauen stattfinden und es ist diese Involvierung, welche einen bis anhin unmöglichen qualitativen Sprung erlaubt. (…) In diesem konfliktreichen und problematischen Prozess wird die Rolle der Frauen also bestimmend sein – sowie als Reaktion jene der Männer.“ (S. 45)
Doch die Fragen der Reproduktion und vor allem jene der Bedingungen der Frauen kommen nicht nur in Arbeiterstreiks auf. Sie kommen auch auf, wenn die Frauen nicht direkt tätig sind, wie während einigen Streiks ihrer Männer oder auch im Rahmen von Kämpfen, die nicht ihre Involvierung in die Sphäre der Produktion, sondern ihre Involvierung in die reproduktive Sphäre betreffen (zum Beispiel in den kollektiven Überlebensorganisationen der argentinischen Arbeitslosenbewegung und in den daraus entstandenen Frauenbewegungen aufgrund der kollektiven materiellen Kinderbetreuung oder auch aufgrund von häuslicher Gewalt wegen der Involvierung der Frauen in die Kämpfe).
Hier ist die Tatsache, dass die Involvierung der Frauen in den Raum der Produktion und in den Streiks als Motor der Fähigkeit, die die Reproduktion betreffenden Fragen zu stellen, symptomatisch und erlaubt es, zu verstehen, weshalb Incendo, genauso symptomatisch, präzisiert, dass die Revolution mit den proletarischen Frauen stattfinden wird. Es ist nur der Klassenwiderspruch, welcher ihnen ihr Eintrittsticket für den Frauenkampf gäbe: ihre Involvierung in die Lohnarbeit. Wenn die Revolution nur von der einzigen Dynamik des Klassenwiderspruchs getrieben ist, so ist man damit tatsächlich dazu verleitet, die Revolution auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite zu sehen, die eine wie die anderen genügen voneinander ausgeschlossen, dass man präzisieren muss, dass die Revolution „mit den proletarischen Frauen“ stattfinden wird. Was komplett absurd wäre, ersetzte man die Frauen durch die Männer, denn für die proletarischen Männer muss im Klassenkampf und in der Revolution kein Platz geschaffen werden, denn die revolutionäre Theorie spricht meistens von ihrer Revolution. In dieser Schlussfolgerung zeigt sich noch einmal, dass für Incendo die widersprüchliche Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise nur im Klassenwiderspruch begraben liegt und dass das Verhältnis Männer/Frauen sich im Gang des Kapitals, innerhalb dieses Widerspruchs, anpasst, ohne eigene Existenz für sich selbst, ohne eigene Dynamik. Der Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen ist gleichbedeutend mit dem Kapital als prozessierender Widerspruch, der Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital ist gleichbedeutend mit dem Kapital als prozessierender Widerspruch (siehe weiter oben), doch die einzige Dynamik des Kapitals als prozessierender Widerspruch existiert nicht in zwei verschiedenen Formen, sie halbiert sich nicht (es handelt sich nicht um eine Selbstbestimmung, siehe Réponses aux Américaines). Als einzige Dynamik ist sie die Konstruktion dieser beiden Widersprüche und in ihnen ist sie spezifisch, denn sie existiert nicht davor wie etwas, das sich in zwei verschiedenen Formen verwirklichte. Jeder Widerspruch konstruiert sie als einzig in ihren eigenen Begriffen. Jeder Widerspruch hat eine Dynamik in seinen eigenen Begriffen (und durch den anderen). Weder in Bezug auf den Widerspruch zwischen Männern und Frauen, noch in Bezug auf den Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital kann von einer eigenen oder spezifischen Dynamik gesprochen werden.
Wenn in diesem Kapitel, in der Fussnote 69, betont wird, dass es „eine grosse Debatte innerhalb unseres kleinen Teams“ gebe, um zu erfahren, ob „es einen Genderwiderspruch gibt“, so scheint es als ob diese Frage negativ beantwortet würde: ein einziger Widerspruch mit seiner „unvermeidlichen“ Konsequenz, seiner Begleiterscheinung. Was im Programmatismus zeitlich voneinander getrennt wurde (die „Frauenfrage“ wird nach der Revolution gelöst werden), ist hier zeitlich wieder vereint, doch die Perspektive ist die gleiche. Es ist übrigens kein Zufall, dass in den Texten dieser Broschüre die programmatische Periode (deren Konzept allerdings Teil der Problematik Incendos ist) nie unter dem Aspekt ihrer Konzeption des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen betrachtet wird. Wenn die vorhergehenden revolutionären Perioden erwähnt werden, so ist es, um zu sagen, dass, wenn während jenen die Frauen schnell auf ihre „gewöhnlichen Aufgaben“ zurück verwiesen werden, dies nicht der Fall ist, weil der (programmatische) revolutionäre Prozess die geschlechtliche Differenzierung „in einer freien Form“ fortbestehen lässt, sondern weil er „gehemmt“ ist (S. 41). Damit stand in der programmatischen Revolution der Aufhebung der Geschlechterrollen nichts im Weg ausser ihr Scheitern. Das ist selbstverständlich falsch, nicht nur in Bezug auf die programmatische Theorie, sondern auch in Bezug auf die Praxis. Man stand vor der Wahl, die Arbeit zu befreien oder die Frauen aufzuheben und die Frauen selbst nannten sich „Mujeres libres“.
„Die Kämpfe und Zerstörungen, die Aufhebung des Eigentums, des Geldes, des Werts, des Staats usw. werden faktisch (im Text unterstrichen) im alltäglichen Leben etliche Träger (idem) der sozialen Konstruktion der Geschlechterrollen erschüttern, sie unwirksam, unbrauchbar, hinfällig machen oder ihr Verschwinden verursachen (von uns unterstrichen).“ (S. 42) Die Aufhebung der Genderunterscheidung ist immer nur eine Sache der Konsequenzen. Wie in Oaxaca könnte man, um sich seiner Sache sicher zu sein, die Frauen bitten, zu Hause zu bleiben: „Wir kümmern uns um alles!“ Das wichtigste in dieser Konzeption der Revolution als Kommunisierung, wie sie uns Incendo präsentiert, ist nicht, was sie in der Zukunft für uns bereit hält, sondern was sie uns von der gegenwärtigen Konzeption der Kämpfe sagt.
Nur weil die proletarischen Frauen Proletarierinnen sind, wären sie dazu veranlasst, ihre Probleme als Frauen aufzuwerfen; die „Frauenfrage“, um wie in der guten alten Zeit zu sprechen, wäre also nur ein Anhang der Klassenfrage (was sich von der Konstruktion zweier gemeinsamer Widersprüche unterscheidet). Doch wie sollte man das Gegenteil behaupten können, wenn man uns auf Nathalie Menigon und Françoise Besse verweist (Fussnote 69, S. 110)? Vor diesem Kaliber, vor allem wenn es von einer Frau gehalten wird, kann man nichts sagen und ist gebeten, seinen Hut zu ziehen.
Der Widerspruch zwischen Frauen und Männern transzendiert die Klassen nicht, er durchdringt sie, dies bleibt Incendo im Hals stecken.
Anhänge
Anhang 1: Über Engels
Nachdem er erklärt hat, dass in der bürgerlichen Klasse die Sorge des Erbes und der Zusammenlegung des Vermögens die Heirat regelt, fährt Engels fort:
„Wirkliche Regel im Verhältnis zur Frau wird die Geschlechtsliebe und kann es nur werden unter den unterdrückten Klassen, also heutzutage im Proletariat - ob dies Verhältnis nun ein offiziell konzessioniertes oder nicht. Hier sind aber auch alle Grundlagen der klassischen Monogamie beseitigt. Hier fehlt alles Eigentum, zu dessen Bewahrung und Vererbung ja gerade die Monogamie und die Männerherrschaft geschaffen wurden, und hier fehlt damit auch jeder Antrieb, die Männerherrschaft geltend zu machen. (…) Und vollends seitdem die große Industrie die Frau aus dem Hause auf den Arbeitsmarkt und in die Fabrik versetzt hat und sie oft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letzten Rest der Männerherrschaft in der Proletarierwohnung aller Boden entzogen - es sei denn etwa noch ein Stück der seit Einführung der Monogamie eingerissenen Brutalität gegen Frauen. (Auf der folgenden Seite erklärt Engels, dass der formelle Charakter der Scheidungsfreiheit und der Gleichheit zwischen den Vertragspartnern nur noch in der bürgerlichen Klasse existiert, im Proletariat ist die Gleichheit, wegen der Abwesenheit von Erbe und Vermögen, wirklich, „mit leidenschaftlichster Liebe und absolutester Treue“ (sic!, AdA).)
Die rechtliche Ungleichheit beider, die uns aus früheren Gesellschaftszuständen vererbt (von uns unterstrichen), ist nicht die Ursache, sondern die Wirkung der ökonomischen Unterdrückung der Frau. In der alten kommunistischen Haushaltung, die viele Ehepaare und ihre Kinder umfaßte, war die den Frauen übergebne (idem) Führung des Haushalts ebensogut eine öffentliche, eine gesellschaftlich notwendige Industrie wie die Beschaffung der Nahrungsmittel durch die Männer. Mit der patriarchalischen Familie und noch mehr mit der monogamen Einzelfamilie wurde dies anders. Die Führung des Haushalts verlor ihren öffentlichen Charakter. Sie ging die Gesellschaft nichts mehr an. Sie wurde ein Privatdienst; die Frau wurde erste Dienstbotin, aus der Teilnahme an der gesellschaftlichen Produktion verdrängt. Erst die große Industrie unsrer Zeit hat ihr - und auch nur der Proletarierin - den Weg zur gesellschaftlichen Produktion wieder eröffnet. Aber so, daß, wenn sie ihre Pflichten im Privatdienst der Familie (idem) erfüllt, sie von der öffentlichen Produktion ausgeschlossen bleibt und nichts erwerben kann; und daß, wenn sie sich an der öffentlichen Industrie beteiligen und selbständig erwerben will, sie außerstand ist, Familienpflichten zu erfüllen. (…) Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offne oder verhüllte Haussklaverei der Frau, und die moderne Gesellschaft ist eine Masse, die aus lauter Einzelfamilien als ihren Molekülen sich zusammensetzt. Der Mann muß heutzutage in der großen Mehrzahl der Fälle der Erwerber, der Ernährer der Familie sein, wenigstens in den besitzenden Klassen, und das gibt ihm eine Herrscherstellung, die keiner juristischen Extrabevorrechtung bedarf. Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat. (…) Es wird sich dann zeigen (nachdem gleiche Rechte für Männer und Frauen erreicht worden sind, AdA), daß die Befreiung der Frau zur ersten Vorbedingung hat die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und daß dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft. (…)
Nun gehn wir einer gesellschaftlichen Umwälzung entgegen, wo die bisherigen ökonomischen Grundlagen der Monogamie ebenso sicher verschwinden werden wie die ihrer Ergänzung, der Prostitution. Die Monogamie entstand aus der Konzentrierung größerer Reichtümer in einer Hand- und zwar der eines Mannes - und aus dem Bedürfnis, diese Reichtümer den Kindern dieses Mannes und keines andern zu vererben. (…) Die bevorstehende gesellschaftliche Umwälzung wird aber durch Verwandlung wenigstens des unendlich größten Teils der dauernden, vererbbaren Reichtümer - der Produktionsmittel - in gesellschaftliches Eigentum diese ganze Vererbungssorge auf ein Minimum reduzieren. Da nun die Monogamie aus ökonomischen Ursachen entstanden, wird sie verschwinden, wenn diese Ursachen verschwinden?
Man könnte nicht mit Unrecht antworten: Sie wird so wenig verschwinden, daß sie vielmehr erst vollauf verwirklicht werden wird. (…) Die Prostitution verschwindet, die Monogamie, statt unterzugehn, wird endlich eine Wirklichkeit - auch für die Männer.
Die Lage der Männer wird also jedenfalls sehr verändert. Aber auch die der Frauen, aller Frauen, erfährt bedeutenden Wechsel. Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche. (Wir steuern also auf die wahre Monogamie und die wahre Freiheit, zu heiraten, zu...AdA)
Die herrschende Klasse bleibt beherrscht von den bekannten ökonomischen Einflüssen und weist daher nur in Ausnahmefällen wirklich frei geschlossene Ehen auf, während diese bei der beherrschten Klasse, wie wir sahen, die Regel sind. (…) Dann (nachdem alle wirtschaftlichen Zwänge beseitigt worden sind, AdA) bleibt eben kein andres Motiv mehr als die gegenseitige Zuneigung. Da nun die Geschlechtsliebe (welche Engels wegen ihrer Dauer, ihrer Gegenseitigkeit vom Eros unterscheidet, der mit den antiken und frühmittelalterlichen Gesellschaften assoziiert wird, AdA) ihrer Natur nach ausschließlich ist - obwohl sich diese Ausschließlichkeit heutzutage nur in der Frau durchweg verwirklicht -, so ist die auf Geschlechtsliebe begründete Ehe ihrer Natur nach Einzelehe.“ (Engels, op. cit., S. 73-82)
Die Frau im privaten, der Mann im gesellschaftlichen, der natürlicherweise weibliche Charakter der Aufgaben der Hausarbeit („Pflichten“): Alles ist in der Problematik von Engels vorausgesetzt. Die Revolution ist gleichbedeutend mit den Frauen in der produktiven Arbeit und der Sozialisierung der Aufgaben der Hausarbeit um ihnen diesen massiven Eintritt in die produktive Arbeit zu erlauben. Was Engels jedoch vor den Augen hatte, hatte nicht den geringsten Einfluss auf seine Analyse: Die proletarischen Frauen gingen in die Fabrik und mussten zudem „ihre Familienpflichten erfüllen“, doch das ist nicht alles, es entging Marx und Engels übrigens nicht, dass dieser Eintritt in die produktive Arbeit nicht nur häufig die Feindseligkeit der Männer provozierte, sondern auch, weit davon entfernt, die „Gleichheit“ zu verwirklichen, neue Unterschiede hervorbrachte (unterqualifizierte Stellen, Lohnunterschiede, monotonste Arbeiten...), sodass die Fabrik die häusliche Unterwerfung nicht nur nicht mildert, sondern noch, dass sich die Fabrik und die häusliche Unterwerfung gegenseitig reproduzieren und legitimieren. Engels kann wohl schöne und starke Sätze zur „Haussklaverei“ und zu den Frauen als „die proletarische Klasse“ schreiben, doch indem er die Knechtung der Frauen nur mit der Monogamie und diese mit dem Erbe in Verbindung bringt, entwischt als Konsequenz der proletarische Haushalt eigentlich dieser Situation. Es ist also normal, dass Engels diese Knechtung nur als „Rest“ von dem Kapitalismus vorhergehenden Gesellschaften betrachtet. Die wirtschaftlichen Grundlagen der Monogamie und somit der Knechtung der Frauen seien für die proletarische Klasse bereits jetzt verschwunden. Zusammengefasst gibt es so wenig Probleme, dass, nachdem die gesellschaftliche Umwälzung stattgefunden hat, die Monogamie endlich zu einer wahren Wirklichkeit werden wird. Der natürliche Charakter von dem, was der Mann und die Frau und ihr Verhältnis sind, wird endlich freien Lauf haben können.
Es ist bemerkenswert, dass jene Tatsachen, welchen Engels und Marx fähig sind, Rechnung zu tragen, wenn es darum geht, wirtschaftliche Beziehungen zu analysieren oder eine gesellschaftliche Wirklichkeit zu beschreiben, ausserhalb ihres theoretischen Feldes sind, wenn es spezifisch um die Frage der Definition und der Beziehung zwischen den Geschlechtern geht. Es ist die „gesellschaftliche Umwälzung“, so wie sie für sie und ihre Epoche ist, welche diese Erblindung hervorbringt. Jegliche Entwicklung nach der Revolution ist nur noch eine Sache der Bräuche und Mentalitäten, ein Terrain, auf welchem sich Engels explizit nicht verirren will (S. 83).
Gemäss Kollontai liegt dort ein Problem, das sie nur aus der Perspektive der Bräuche und der Mentalitäten angeht. Sie erkennt, aus Erfahrung (die russische Revolution), dass diese Problematik von Engels (von Bebel wieder aufgenommen) in der gesellschaftlichen Umwälzung nicht von allein zum Ergebnis der Emanzipation der Frauen führt, doch sie versucht auf der Basis der Grenze dieser Perspektive sie zu überwinden. Die wirtschaftliche Basis, betrachtet als Monogamie im Rahmen des Privateigentums, einmal beseitigt, muss, was danach kommt, Sache der Bräuche und Mentalitäten sein, es ist der einzige Weg, welcher die Problematik offen liess, um ihre eigene Mangelhaftigkeit zu verstehen als diese, nach der Revolution sowohl praktisch wie theoretisch, erschien (für eine Kritik dieser Absätze von Engels kann man auch den Artikel von Christine Delphy lesen: La réponse de la bergère à Engels in L’ennemi principal, Bd. 2, S. 165).
Anhang 2: Mittelalter und frühe Neuzeit oder der Haushalt als Produktions- und Reproduktionseinheit
Die Illusion der Existenz oder des Fortbestands einer Haushaltsproduktionsweise hat die bäuerliche Kleinproduktion zur Grundlage, welche aus dem Zerfall der feudalen Produktionsweise im Übergang zum Kapitalismus und aus ihrer Wahrung/Zerstörung während dieses Übergangs resultiert. Doch ihre Existenz als Produktionsweise ist nur eine Illusion, die auf der relativ langen Fortdauer dieser Art der Produktionseinheit (variabel je nach Land und besonders lange in Frankreich) basiert, welche jedoch nie die Eigenschaften einer Produktionsweise erlangt. Wir kannten nie Gesellschaften, welche durch Tauschbeziehungen zwischen autonomen patriarchalen Produktionseinheiten (bäuerlich oder handwerklich) in Bezug auf die Aneignung der Mehrarbeit in ihnen durch das Familienoberhaupt organisiert waren.
„Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand eine neue Geschlechterteilung (die Hausfrau, AdA) oder es wurde der Teilung der Menschheit in Geschlechter eher ein neuer Inhalt gegeben. Diese Teilung ist immer noch hierarchisch, sie stützt sich allerdings nicht mehr nur auf die Hierarchie: Sie stützt sich auf eine tatsächliche Arbeitsteilung, eine Teilung die während der vor der Industrialisierung dominierenden vollständigen Haushaltsproduktionsweise (Bauer, Handwerker, Händler) unbekannt war, eine Produktionsweise, die nur Untere und Obere kennt, welche in Wirklichkeit die gleichen Aufgaben übernehmen.“ (Delphy) Man findet die gleiche Präsentation der Dinge in der Broschüre von Incendo wieder (S. 13).
Man kann die Gleichheit der Aufgaben hinterfragen, sie sind faktisch immer spezifiziert nach Geschlechterrolle. Doch das wichtigste ist der gesellschaftliche Mythos, auf welchem die historische Erzählung von Christine Delphy aufgebaut ist: „die vollständige Haushaltsproduktionsweise“. Die Tätigkeit der Mädchen und dann der Frauen in der armen Bauernklasse und sogar im urbanen Handwerkermilieu des 16. Jahrhunderts und dem Ende des 18. Jahrhunderts beschränkt sich nie auf den familiären „Bereich“. In England und in Frankreich, zwischen dem Alter von zehn Jahren und der Heirat (ungefähr im 25. Altersjahr), gehen 80% aller Mädchen vom Lande woanders arbeiten, vermieten sich an andere Höfe für die Saison oder vollzeitlich. Sie machen auch einen wesentlichen Anteil der Arbeitskraft in den Manufakturen und der verstreuten Industrie aus. Sogar wenn sie einmal verheiratet sind, arbeiten sie häufig weiterhin ausserhalb des „familiären Bereichs“. In England im 16. Jahrhundert verlangen die Anfänge der Industrialisierung auf dem Land weibliche Arbeitskraft, noch vor der Einführung der Maschinen. Faktisch ist die weibliche Tätigkeit nie dem Mythos der „vollständigen Haushaltsproduktionsweise“ untergeordnet. Freilich wird das weibliche Einkommen mehr oder weniger vollständig von den Männern in Beschlag genommen (häufig dient die Arbeit vor der Heirat dazu, eine Mitgift zusammenzustellen), doch die weibliche Tätigkeit ist immer gemischt (das sagt auch Delphy). Die „vollständige Haushaltsproduktionsweise“ hat nie existiert (zu all diesen historischen Fragen zur weiblichen Arbeit, siehe Histoire des femmes en Occident, Bd.3 XVIème – XVIIIème siècles, S. 27-57).
Der Bereich des Haushalts und sein Unterhalt als weiblicher Bereich und die Rolle der Frau als Mutter ist ebenfalls für diese ganze präindustrielle Periode bewiesen, sowohl im Westen als auch im 16. Jahrhundert im osmanischen Reich. Für weiter zurück reichende Perioden kann man auf die Rückkehr von Odysseus nach Ithaka oder die Frauenfeindlichkeit von Hesiod in Werke und Tage verweisen. Statt uns zeitlich zu entfernen, entfernen wir uns räumlich für diese Welten, wo die vollständige Haushaltsproduktionsweise, für die Hälfte der Menschheit sagt Delphy, noch existiere, um festzustellen, dass sie genauso wenig in den aktuellen Gesellschaften existiert wie zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert in Europa (siehe die Aufteilung der Gegend in einem Dorf der Savanne; die Händlerrolle der Frauen in Westafrika; die geschlechterrollenbezogene Geschichte der Kulturen vor der Kolonialisierung und nach dieser, jene des Kaffees und schliesslich jene des Übergangs zum Lebensmittelanbau – zu ihren Lasten, genau wie die agroforstlichen Praktiken vor der Kolonialisierung und der Einführung des Kaffees – im Land der Bamileke in Kamerun, welche stets vom Besitz der Frauen und somit der Anzahl Kinder als Zeichen gesellschaftlichen Erfolgs begleitet ist, in Afrique des réseaux et mondialisation, Ed. Karthala S. 99f).
Also keine vollständige Haushaltsproduktionsweise (wenn es keine „vollständige“ gibt, gibt es auch keine „gemischte“), doch das Aufkommen Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts des „Haushalts“ und der getrennten Sphären steht in Verbindung mit dem Aufkommen der Zivilgesellschaft, welche öffentlich und privat unterscheiden und versuchen muss, eine Gleichwertigkeit zwischen Sphären und Geschlechtern zu herzustellen. Das „Privatleben“ ist eine relativ neue Idee. In Frankreich vollendet der Code civil (er erklärt natürlich eine bestehende Situation für rechtsgültig, doch gleichzeitig erschafft er sie, verfestigt sie und gibt ihr die Form eines juristischen Zwangs) die klare Trennung der Bereiche: die Familie, das Haus auf der einen Seite mit dem Geld, der Gesundheit, der Bildung, dem Sex, welche dazugehören; der Staat, die Institutionen, die Behörden auf der anderen, samt der Arbeit, welche mit der Verallgemeinerung der Lohnarbeit Teil des öffentlichen Bereichs wird. Man kann gar, zur Belustigung, noch weitergehen: jedem sein Bett, jedem sein Zimmer und danke für das Schliessen der Türe des Badzimmers und des Klos (eine Mise en abyme des privaten im privaten).
Doch man darf dieses ideologische Werk der gesellschaftlichen Repräsentation und Organisation, welches ihre eigene Effizienz hat, nicht mit den wirtschaftlichen Tätigkeiten verwechseln, wo die „Sphären“ sich verschlingen und überdecken. Es ist schwierig, mit Delphy und Incendo einzuräumen, dass die „Spezialaufgabe“ der Frau (Mutter, Unterhalt des Haushalts) erst im 19. Jahrhundert aufkommt. Im 19. Jahrhundert kommt die Autonomisierung dieser „Spezialaufgabe“ auf, nicht die Idee oder die Tatsache, sie ist gleichbedeutend mit ihrer Formalisierung in einer neuen, dichteren Formulierung des Öffentlichen und des Privaten, es ist auch gleichbedeutend mit der Erschaffung eines weiblichen Ideals. Es wird ein nur in der Bourgeoisie verwirklichtes Ideal bleiben, wie das auch Delphy selbst sagt. Man kann nicht sagen, dass „der Teilung der Menschheit in Geschlechter ein neuer Inhalt gegeben“ worden ist. „Die Spezialaufgabe“ und sogar die „Privatsphäre“ sind seit der Antike und sogar in diversen Formen der Gemeinschaften auffindbar. Diese „Spezialaufgabe“ wurde in den kontinuierlichen Fluss der Arbeit eingebettet und musste sich in ihn integrieren. Die grosse Neuheit der Lohnarbeit (die nur mit grossen Schwierigkeiten der Arbeitskraft aufgezwungen werden kann) ist die Arbeitszeit als besondere fixe Abgrenzung und der Arbeitsplatz als spezifischer und getrennter Ort (siehe alle anfänglichen Schwierigkeiten des Kapitals, die Disziplin der Manufaktur durchzusetzen, die berühmten Mauern der Manufakturen und der Fabriken wurden anfänglich errichtet, um die Leute daran zu hindern, sie zu verlassen, nicht sie daran zu hindern, hineinzukommen, siehe Le Goff, Du silence à la parole). Die „Spezialaufgabe“ wird somit materiell „speziell“ mit einer besonderen Zeit und einem besonderen Ort. Zeit und Ort, die derartig besonders sind, dass man im 17. Jahrhundert das Aufkommen der Praxis, die Kinder einer Amme zu geben, beobachten kann, sogar im gemeinen Volk (die Arbeiter) der Städte, wenn der Arbeitsplatz es nicht erlaubt, den Säugling in einer Ecke der Werkstatt zu lassen (was noch häufig der Fall war in den etlichen Werkstätten Anfang des 20. Jahrhunderts). Man darf diese „Spezialaufgabe“ (Delphy) nicht mit dem Aufkommen der Mutterliebe Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts verwechseln.
Die „vollständige Haushaltsproduktionsweise“, wie sie Delphy definiert, sowie der „Haushalt“ von Incendo haben nie als Produktionsweise existiert, erstens, sogar wenn man die Existenz des so bezeichneten Phänomens annimmt, war diese Produktionsweise nie die Grundlage einer Produktionsweise, es ist immer Teil eines Klassenverhältnisses, in welchem der Nicht-Arbeiter (der Ehemann als Vater und als Boss ist nicht Nicht-Arbeiter) existiert, und, zweitens, hat das, was dieses Konzept formalisieren soll, nie derartig massiv existiert. Die Frauen gingen immer und überall woanders hin, um sich gegen Bezahlung ausbeuten zu lassen (oder arbeiteten selbstständig).
Es gibt immer irgendwo, was auch immer seine Form sein mag, einen Nicht-Arbeiter und es handelt sich nicht einfach um eine Aneinanderreihung von häuslichen Einheiten, die selbst nie autark sind (das System des Erst-/Letztgeborenen könnte jenes System sein, welches dem am nächsten kommt: Aneignung der Arbeit der Frauen durch alle Männer mit der Zirkulation der Ehefrauen und den entsprechenden Gütern, doch in einem extrem hierarchiesierten System betreffend Landbesitz und gewisser Produkte, die als Gegenwert dienen).
Man kann zudem anfügen, dass im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, selbst neben den vielen Frauen, die zu Beginn des Maschinenbetriebs komplett vom Kapitalismus erfasst wurden, in den ländlichen Gebieten die Zirkulation der Frauen und vor allem der jungen Mädchen zwischen der familiären Ausbeutung und der industriellen Anstellung oder zwischen dieser Ausbeutung und der saisonalen Vermietung an eine andere Ausbeutung (häufig sogar in einer anderen Region) besonders intensiv ist. Die bewegte und anzügliche Erinnerung der jungen Frauen der Ardèche dieser Zeit führte dazu, dass in Les Vignères, ein Weiler im Vaucluse, die Hauptstrasse „rue des Vendangeuses“ („Weinleserinnenstrasse“) heisst.
Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net
(1) Erste Hand: „Der Kampf gegen das Patriarchat zuerst!“
Zweite Hand: „Es ist wichtiger, das Kapital zu zerstören!“
Letzte Hand: „Statt gegen das Patriarchat oder gegen den Kapitalismus zu
kämpfen, würden wir besser für den Kommunismus kämpfen, das wäre
einfacher, oder nicht?“