Wolfgang Bok im CICERO: Linke sind schuld am NSU-Terrorismus

Antifalogo klein

Wolfgang Bok meint: "wo die Fakten so klar auf der Hand zu liegen scheinen, stellt kritischer Journalismus auch unbequeme Fragen." Doch welche Fakten und Fragen hält er für relevant?

 

"Journalistisch tritt Wolfgang Bok vor allem als Kolumnist und Autor in Erscheinung. Hier zeichnet ihn der Mut zur klaren Meinung aus, die auch gerne vom üblichen Mainstream abweicht. Dabei greift er vornehmlich gesellschaftspolitische Entwicklungen auf und legt großen Wert auf analytischen Tiefgang" http://www.bok-media.com/Autor.html

Das schreibt vermutlich Wolfgang Bok auf einer Webseite von Wolfgang Bok über Wolfgang Bok. Im CICERO schreibt er mit "analytischen Tiefgang":

"Nicht nur türkische Medien und Regierungsmitglieder bis hin zu Vize-Premier Bekir Bozdag bezichtigen Deutschland des mehr oder weniger offenen Rassismus’, bei dem ihre Landsleute Tag für Tag um Leib und Leben fürchten müssen. Auch in Deutschland selbst wird dieses Bild gezeichnet. Mutmaßungen über „blinde Polizisten, unfähige Verfassungsschützer und tölpelhafte Richter“ werden zu einem trüben, braunen Sumpf zusammen gerührt und letztlich als Beleg angeführt, dass Paul Celan in seiner „Todesfuge“ eben doch die Wirklichkeit gereimt hat: Der Schoss ist fruchtbar noch!

Doch wo die Fakten so klar auf der Hand zu liegen scheinen, stellt kritischer Journalismus auch unbequeme Fragen. Dies geschieht leider zu selten:" http://www.cicero.de/berliner-republik/deutschland-am-pranger-nsu-sind-wir-nun-zschaepe/54420

Mit "Mut zur klaren Meinung [...] die auch gerne vom üblichen Mainstream abweicht" werde ich mich nun Wolfgang Boks Text widmen. Die Kapitel sind durchnummeriert, dem werde ich Folgen. Seine Fakten, so viel sei verraten, sind zum Teil schlicht falsch, zum Teil infach nicht relevant. Es bleibt am Ende eher die Frage: Was hat den CICERO bewogen, so etwas zu veröffentlichen?

 

Neben "den Linken" sind nach Herrn Bok natürlich auch die Ausländer irgendwie selbst (Das sagt er zwar so nicht wörtlich, aber warum sonst werden angebliche Verfehlungen wie "Ausländerkriminalität" und die "Deutsche Fürsorge", also der Sozialstaat, überhaupt in dem Zusammenhang benannt), die frühkindliche Erziehung der DDR und alle möglichen Leute und Dinge verantwortlich.

Nur die Behörden tragen seiner Auffassung nach keine große Verantwortung, so etwas wie weitverbreiteten Rassismus in der Bevölkerung gibt es sowieso nicht.

 

I

Erstens behauptet Wolfgang Bok:

"Nach allem, was man bislang weiß, handelt es sich bei dem Killertrio um 'drei durchgeknallte Ossis', die allenfalls ein paar Hand voll Helfer hatten."

Das der NSU möglicherweise in das Netzwerk Blood&Honour eingebettet war und europaweit noch mehr solcher Zellen existieren könnten, die vielleicht auch, noch unerkannt, gemordet haben, wird erst langsam einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Immerhin berichtete jetzt auch das ZDF:

"Da sind Thomas Starke, Marcel Degner und Carsten Szczepanski – alle drei arbeiteten als V-Männer für deutsche Sicherheitsbehörden. Alle drei hatten Verbindungen zum NSU oder Informationen über das Terror-Trio. Alle drei waren Anhänger von Blood & Honour, einem europaweiten Neonazi-Netzwerk, das Gewalt gegen Ausländer und Andersdenkende propagiert. Szczepanski warb sogar für Combat 18. Der bewaffnete Arm von Blood & Honour rechtfertigt politische Morde und stellt Anleitungen zum Bombenbau zur Verfügung. Die Anschläge sollen ausgeführt werden von Terrorzellen, die auf eigene Faust unabhängig voneinander operieren - der sogenannte 'führerlose Widerstand'.

[...]

Im Jahr 2003 ging beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Warnung des italienischen Geheimdienstes ein. Bei einem deutsch-italienischen Neonazi-Treffen redeten die Teilnehmer demnach von einem europaweiten Netzwerk von 'Nazizellen für kriminelle Aktivitäten', von einer 'detaillierten Kartenauswertung' zum Ausspähen möglicher Ziele und von Anschlägen gegen 'ausländische Geschäfte wie Kebabs'. Genau so ging der NSU bei seinen Anschlägen vor, die Ermittler später als "Dönermorde" bezeichneten." http://www.heute.de/Brandstifter-im-Staatsauftrag-27920436.html

Combat18 ist keineswegs eine neue Erscheinung, noch erst seit gestern öffentlich bekannt. Es gab schon 1997 Zeitungsartikel darüber, dass sich Terrorzellen unter dieser Bezeichung zusammenschhließen und "führerlosen [nationalen] Widerstand" betreiben wollen: http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/behind-enemy-lines-1280040.html

Wolfgang Bok schreibt aber:

"Durch Vergleiche mit den Links-Terroristinnen der RAF, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder Brigitte Mohnhaupt wird diese politische Überhöhung zusätzlich unterstrichen. Die tatsächliche gesellschaftliche Nicht-Verankerung wird hingegen unterschlagen: Die dem Jenaer Mördertrio ideologisch nahestehende NPD ist finanziell wie personell ausgezehrt und verkümmert bei Wahlen regelmäßig als Splitter einer Splitterpartei."

Zu der gesellschaftlichen Nichtverankerung werden noch ein unten noch einige Worte fallen, denn diese war, je nach Region und Milieu immer noch vorhanden, auch wenn Staat und Öffentlichkeit Ende der 90er zumindest verbal von zumindest jenden Abstand namen, die sich mehr (also offen als Nazis) oder weniger (z.B. als Mitglieder der National"demokratischen" Partei NPD) offen zum Nazismus bekannten. Freilich ohne das man vom Gedankengut der Nazis Abstand genommen hatte:

"Doch dass ihnen keiner zuhört, heißt nicht, dass auch ihre Ansichten verpönt wären. [...]

Wenn die NPD Wahlplakate veröffentlicht, auf denen Migranten rassistisch karikiert werden, ist die Öffentlichkeit empört. Als aber in einem bayerischen Polizeikalender Migranten als kriminelle Affen dargestellt wurden, erklärten CSU und Polizei, der Kalender sei nicht rassistisch, weil er nicht rassistisch gemeint sei. Würde die NPD im Zusammenhang mit dem Bildungssystemen in Europa von Pferderassen schwadronieren, hieße es, sie entlarve sich selbst. Einem Bestseller-Autor aber jubeln dafür Tausende auf seinen Lesungen zu.

Rassismus und Antisemitismus werden exotisiert und auf die Neonazis abgeschoben. Das gibt es angeblich nur bei der NPD – obgleich sämtliche Studien zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die sogenannte Mitte erteilt sich selbst die Absolution, während davor gewarnt wird, dass Neonazis Soziale Netzwerke, Kindergärten, Schulen oder Vereine unterwandern." http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-05/gensing-neonazis-mitte/komplettansicht

Zwischen RAF und NSU können einige Vergleiche gemacht werden - Z.B. bei polithistorischen Kontext:

"Der in­dividuelle Terror aus dem Untergrund war [.] keineswegs Ausdruck einer stärker werdenden Bewegung, sondern der Höhepunkt des individuellen Radikalisierungsprozesses von in die Enge Getriebenen, deren Bewegung seit vielen Jahren marginalisiert ist. Ein ähnliches Phänomen war einige Jahrzehnte zuvor zu beobachten – wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen: Das Scheitern der Außerparlamentarischen Opposition der sechziger Jahre und ihr Aufgehen im Staat führten zur Radikalisierung eines Teils der Studentenbewegung, die RAF nahm den bewaffneten Kampf genau dann auf, als die einst starke Bewegung zerfiel. [...]

Der erste Mord der bereits lange zuvor wegen Sprengstoffdelikten abgetauchten NSU-Mitglieder am 9. September 2000 fiel mit dem von Gerhard Schröder ausgerufenen »Aufstand der Anständigen« zusammen" http://jungle-world.com/artikel/2013/15/47522.html

 

II

Zweitens macht er noch weiter mit seinem extremismustheoretischen Analyse und erfindet dabei "die Linksextremisten":

"Warum wird der Anspruch „sozialistisch“ nicht thematisiert? Rechts- und Linksextremisten sind sich ähnlicher als sie wahrhaben wollen: anti-liberal, anti-amerikanisch, anti-kapitalistisch und fanatisch verblendet. Was den einen der Judenhass, ist den anderen die Sympathie für arabische Judenhasser. [...] Gewalt und Gewaltverherrlichung ist zu verurteilen, einerlei, wie sich diese ideologisch verbrämt. Gerade erst hat das Bundesinnenministerium die aktuellen Zahlen genannt: Auf das Konto politisch rechts motivierter Gewalt gingen 2012 insgesamt sechs „versuchte Tötungen“, Linksextremisten werden acht beabsichtigte Tötungsdelikte zur Last gelegt."

Mal davon abgesehen dass das Verhältnis zu Amerika und Israel in der radikalen Linken als auch in der radikalen Rechten umstritten ist: Der Extremismusbegriff ist unbrauchbar. Dazu Prof. Gero Neugebauer (Prof. für Politische Soziologie an der FU Berlin), bei dem Herr Bok sich doch etwas "analytischen Tiefgang" abschauen könnte:

"Wenn der Begriff Extremismus fällt, dann in der Regel von Seiten des Verfassungsschutzes, denn dort wird er wesentlich häufiger gebraucht als in den Sozialwissenschaften, die mit ihm wenig anfangen können. Dadurch wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erzeugt, dass der quasi amtliche Begriff zugleich der einzige – und richtige – sei. Denn Extremismus ist als Rechtsbegriff weder in einem Gesetz noch gar im Grundgesetz oder in einem Urteil zu finden und in der Politikwissenschaft werden damit 'politische Einstellungs- und Verhaltensmuster, die auf der für die Operationalisierung politischer Orientierungen üblichen Rechts-Links-Skala an den äußeren Polen... angesiedelt' sind, bezeichnet.

[...]

Der amtliche Extremismusbegriff, definiert die Bewegung weg von den Rändern hin zur 'normalen' politischen Mitte als Bestrebungen, die sie in ihrer Substanz bedrohen. Deshalb bestehen die Aufgaben des Verfassungsschutzes darin, solche Bestrebungen zu verhindern, 'die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben'.

[...]

Es gibt sicher gewalttätige Anarchisten, aber auch solche, die Gewaltfreiheit praktizieren. Sie bilden keine parteiähnlichen Organisationen, sind Marxisten-Leninisten äußerst suspekt und können faktisch ihre 'autonomen Räume' nur in pluralistischen demokratischen Systemen entfalten, die dafür sowohl die rechtlichen als auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise Toleranz, bieten. Und offensichtlich herrscht in den Reihen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) trotz des Zusammenbruchs des sowjetsozialistischen Systems noch ein marxistisch-leninistisches, auf revolutionäre Umgestaltung des demokratischen (kapitalistischen) System gerichtetes Denken, wird das erst dann von Belang, wenn unter Berufung auf dieses Weltbild 'eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung' gegen den Kern der Verfassung geplant oder durchgeführt werden.

[...]

Gibt es inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen Rechts- und Linksextremismus? Die Definitionen des Verfassungsschutzes machen klar, dass die Ziele des Rechtsextremismus generell antidemokratisch sind. Hinsichtlich der Ziele des Linksextremismus lassen sich begründete Zweifel äußern, ob beispielsweise die aus dessen Reihen kommende Kritik gegen den nationalen wie globalen Kapitalismus mit einem extremistischen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gleich gesetzt werden kann. Die oberflächlich antikapitalistische Kritik aus dem Rechtsextremismus ist grundsätzlich verknüpft mit nationalistischen und rassistischen Argumenten.

Bis 1973 war amtlich übrigens nicht von Extremismus, sondern von (Rechts- bzw. Links-) Radikalismus die Rede. Der Wechsel wurde seinerzeit damit erklärt, dass der Begriff "extremistisch" der Tatsache Rechnung trage, "dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine bestimmte nach allgemeinem Sprachgebrauch 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben.

[...]

Rechtsextremismus ist ein eigenes Forschungsgebiet, dessen Vielschichtigkeit dazu führt, dass dabei unterschiedliche Ansätze und Methoden verfolgt werden. Die Forschung über Linksextremismus wird entweder im Zusammenhang von politischer Psychologie oder Soziologie sowie politikwissenschaftlich im Rahmen von Revolutions-, Kommunismus, Bewegungs- und Anarchismusforschung betrieben.fussnote id="id_19" nr="19">Vgl. Gero Neugebauer, (Anm.11), S.24 ff. Dabei geht sie differenzierter vor als beispielsweise die Forschung, die sich in erster Linie als demokratie- bzw. extremismustheoretische versteht. Diese stützt sich auf den normativen Extremismusbegriff, denn sie hat ein Verständnis von Gesellschaft wie sie sein sollte und nicht, wie sie tatsächlich ist. Doch jede politik- bzw. sozialwissenschaftliche Analyse politischer und gesellschaftlicher Erscheinungen und Tatbestände würde deren Ursachen und Folgen sowie ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft ausblenden, wenn sie den Gegenstand wie im Falle des Rechtsextremismus nur als Bedrohung der Verfassungsordnung und des demokratischen Rechtsstaats betrachten würde." http://www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/33591/definitionen-und-probleme?p=all

Sich vom Staat, oder gar Bundesinneministerium oder  Verfassungschutz, einer Exekutivbehörde, die sich gerade bei der Bekämpfung des Naziterrorismus und nazistischer Bewegungen nicht mit Ruhm bekleckert hat, vorschreiben lassen zu wollen, welche Meinungen "extremistisch" also zu verurteilen seien, ist schon sehr voraufklärerisch. Besonders mutig ist derlei "klare Haltung" übrigens nicht, da sie leider nicht gerade vom "üblichen Mainstream abweicht". Um einen "linksextremistischen Staatsfeind" zu zitieren:

"AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen [A482] (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. [....] Daß der bei weitem größte Teil der Menschen [...] den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben." http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

 

III

Drittens wäre Beate Zschäpe anfangs in "linksextremistischen" Kreisen politisiert wurden. Außerdem sei sie  "ein Kind der DDR und deren Krippenerziehung [...] bereits ab der zwölften Woche gesteckt" wurden. Dies ist wohl eine unasugesprochene  Anspielung auf eine Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer,  der vom Psychoanalytiker Michael Geyer und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Universität Leipzig widersprochen wurde:

Christian Pfeiffer "hat die eigentliche Ursache für rassistische Straftaten im Osten im System der Kindererziehung der untergegangenen DDR ausgemacht. Seine Erkenntnis: Die Ost-Kinder seien durch die Berufstätigkeit ihrer Mütter von ihrem zwölften Lebensmonat an einem emotionalen Mangelmilieu ausgesetzt gewesen,

[...]

Die These Pfeiffers hat keine empirische Basis. Auch in den sorgfältigsten Langzeitstudien hat sich bislang nirgendwo ein Zusammenhang zwischen mütterlicher Berufstätigkeit und den geschilderten Defiziten als Gruppenphänomen herstellen lassen.

[...]

Die Kinderstuben von ideologisch motivierten Gewalttätern haben schon immer als Ausgangspunkt ihrer Verbrechen interessiert.[...] erschreckend war jedoch höchstens die Feststellung der Banalität des Bösen, seiner psychopathologischen Durchschnittlichkeit.

[...]

Klüger wäre es, die Quellen ihrer aktuellen Gewalttätigkeit auszumachen: die Bedeutungslosigkeit ihrer Existenz und ihre Ohnmacht angesichts eines gesellschaftlichen Wandels, für dessen Bewältigung weder ihre Familien noch sie selbst ausgerüstet sind. Es braucht dann noch Ideologen, die Enttäuschung, Resignation und Haß kanalisieren." http://www.zeit.de/1999/15/Der_haessliche_Deutsche_-_ein_DDR-Krippenkind_/seite-1

Desweiteren meint Herr Bok in Bezug auf die Linke:

Dort, wo die selbst ernannten „Antifaschisten“ die größten Wahlerfolge einfahren, nämlich in ehemaligen DDR-Landen, treten die Neonazis am frechesten auf. Warum nur?

Warum nur verharmlost er das tyrannisieren und "säubern" ganzer Stadtteile und Landstriche zu "national befreiten Zonen" durch Hasspropaganda und Gewaltverbrechen wie Mord Terrorismus, mit dem Begriff "frech", als handele es sich dabei um ein paar Lausbuben, die Streiche spielen. Das Unterschlagen von Fakten und die Gleichsetzung von "links-" mit "rechtsextremismus" durch Herrn Bock ist bestenfalls noch "frech", Nazis sind Leute, zu deren Ideologie grundsätzlich das Begehen von schwersten Verbrechen gehört.

 

IV

Viertens entschuldet er das Versagen der Ermittlungsbehörden einerseits mit dem "Phantom", andererseits damit, dass es keine Anzeichen für eine rechtsterroistische Tat gegeben hätte:

"Bei allen Taten gab es weder Bekennerschreiben noch klare Spuren, die auf einen rechtsterroristischen Hintergrund schließen ließen. Zum Terrorismus gehört der politisch kalkulierte Einsatz von Gewalt, um durch geschürte Angst ein möglichst hohes Maß an kühl berechnender Eigenpropaganda zu erzielen. Das Killertrio mordete jedoch kaltblütig im Verborgenen und vermied jedes Indiz auf eine politische oder rassistische Tat."

Nicht bekannt scheinen Herrn Bok die Turner-Diaries und Combat 18 zu sein, was ihn eigentlich disqualifiziert zur NSU zur schreiben:

"In den Turner-Tagbüchern wird der Untergrund-Kampf von Nazis gegen die Gesellschaft verherrlicht. Der propagierten Theorie nach sollen sich die Nasis in Zellen zusammenschließen, um Terrorakte gegen Fremde zu verüben. Mit Hilfe von Morden soll die weiße Vorherrschaft erzwungen werden. Es wird empfohlen, keine Bekennerschreiben zu hinterlassen. Jede Zelle soll für sich lebensfähig sein und möglichst keinen direkten Kontakt zu anderen Zellen haben. „Die Idee hinter der Gruppe ist der führerlose Widerstand“, berichtet ein V-Mann des Verfassungsschutzes in Düsseldorf. Auch wenn eine Zelle ausgeschaltet wird, können die anderen weiter machen.

Die Turner-Tagebücher sind das ideologische Fundament der so genannten Combat 18 Gruppen, dem bewaffneten Arm der europäischen „Blood & Honour“-Szene. Die Nummer 18 steht dabei für die Anfangsbuchstaben der Wörter: Adolf Hitler. Auch in Dortmund war eine solche Gruppe aktiv. Angeblich bis ins Jahr 2006." https://www.derwesten-recherche.org/2012/05/3248/

Genauso weiß Herr Bok anscheinend nicht, dass es nebem dem Gutachten, auf dem die Ermittlungen beruhten, noch zwei weitere Gutachten gab, die keinerlei Berücksichtigung fanden:

"Als wären die beiden Weltkriege irgendwo in der Südsee angezettelt worden, erklärte ein Gutachter des baden-württembergischen Landeskriminalamts 2007: »Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.« [...] Weder das Gutachten, in dem FBI-Profiler 2007 von einem Hate Crime sprachen, noch das ein Jahr zuvor von einem deutschen Ermittler erstellte Täterprofil, das auf Mundlos und Böhnhardt passte, zog Konsequenzen nach sich." http://jungle-world.com/artikel/2013/15/47522.html

"In einem 2006 erstellten zweiten Täterprofil kamen die Ermittler der Soko Bosporus den Persönlichkeiten der zwei NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sehr nahe. Der Profiler Alexander Horn vermutete, dass es sich um zwei Täter handelte, die einander sehr nahe standen, ihre Morde aus Ausländerhass begingen und aus der rechten Szene stammten." http://www.zeit.de/news/2013-03/06/landtag-soko-war-bei-nsu-morden-auf-der-richtigen-faehrte-06163018

Desweiteren sprach auch das äußerst risikobereite Vorgehen der Täter gegen die These, dass Auftragsmörder verantwortlich sein. Die NSU tötete ihre Opfer gerne am hellichten Tag in deren Gescäften. Dies ist eher charakteristisch für Serienmörder, die persönlich Lust an ihren Morden empfinden und den Nervenkitzel brauchten.

Herr Bok schreibt weiter: "Aber manchen Anklägern scheint kein Indiz zu weit hergeholt, um deutsche Sicherheitsbehörden der rechten Sympathisantenschaft zu bezichtigen." Nun unterscheidet Herr Bok nicht zwischen jener Kritik, die mit teilweise haarsträubenden Argumenten die NSU vom Verfassungsschutz gesteuert sehen will, und jener Kritik, die es verurteilt, dass in einem nicht anders als rassistisch zu bezeichnenden Gutachten deutschstämmige Deutsche als Täter definitiv ausgeschlossen wurden und stattdessen die Opfer und Opferfamilien unter Verdacht gestellt wurden, eben weil es sich bei ihnen um Migranten handelt(e).

Zum Thema Sicherheitsbehörden, nicht nur den deutschen, sei auf Folgendes hingewiesen:

"Die leitenden Polizeibeamten begannen ihre Laufbahn in der Ära Kohl und arbeiteten sich in einer Zeit auf ihre Posten, als die öffentliche Ächtung von Fremdenfeindlichkeit, Nazismus und Chauvinismus kein gesellschaftlicher Konsens war. Zudem sind Polizisten, die eine rechte politische Gesinnung pflegen, alles andere als eine Seltenheit. Diese Vorliebe ist vielmehr im Charakter der Behörde selbst begründet. Als »Arm des Gesetzes«, staatliche Wehrsportgruppe und Blaulicht-Bevollmächtigte ist die Polizei eine Institution, die autoritäre Charaktere anzieht wie das Licht die Motten. In ihr können sie ihre Bedürfnisse ungehemmt aus­leben, bietet sie doch durch strenge Hierarchien, Prinzipien wie Gehorsam und Unterordnung sowie ihren traditionellen Corpsgeist alles, was das autoritäre Herz begehrt. Und dass der autoritäre Charakter rigiden Kategorien wie Eigen- und Fremdgruppe verhaftet ist, also dazu neigt, Ausländer und Fremde abzulehnen und ihnen projektiv alle möglichen Übel zuschreiben, ist seit den »Studien zum autoritären Charakter« bekannt. Deshalb wird sich die staatsoffizielle »Bunt statt braun«-Politik in den Polizeibehörden allen Fortbildungsseminaren und Racial-Profiling-Verboten zum Trotz nie durchsetzen." http://jungle-world.com/artikel/2013/15/47522.html

 

V

Fünftens gehört Wofgang Bok zu jenen, die sich auch jetzt nicht das Bashing von Türkei und Türken aufzugeben:

"Fünftens darf auch danach gefragt werden, wie aufrichtig die türkische Trauer und Empörung ist.[....]

Wo bleibt das Bekenntnis zu den Auslandstürken, für die Ankara eigens eine 300-köpfige Behörde geschaffen hat, wenn diese selbst zu Tätern werden? Wo ist die bekundete Fürsorge, wenn die Zugewanderten der deutschen Fürsorge zur Last fallen?"

Herr Bok behauptet zwar nicht ausdrücklich, die NSU habe als Ersatzpolizei gegen "kriminelle Ausländer" oder als Ersatzsozialdetektive die "deutsche Fürsorge" von unberechtigeten Empfängern befreit,  aber einige Leser werden schon "wissen", wie sie das zu verstehen haben. Herrn Bok ist sicherlich klar, dass Seiten wie deutsche-lobby oder identitaere-bewegung gern zu ihm verlinken. Der aktuelle Artikel, noch ohne mir bekannte Verlinkung, hat aber schon einen Leserkommentar, der es wohl "richtig verstanden" hat:

"Wie viele türkische Medien haben sich eigentlich für den heute beginnenden Prozess im Fall Jonny K. akkreditieren lassen und wie viele türkische Parlamentarier wollen dort teilnehmen?" Bruder Spaghettus

Nach der Devise Ablenken die Opfer schnell direkt oder indirekt für irgendwelche Taten verantwortlich machen.

Warum Herr Bok die Türkei verantwortlich machen will für Zugewanderte, zu einem guten Teil übrigens deutsche Staatsbürger, sagt er nicht. Die "deutsche Fürsorge" kann mit der NSU nicht viel zu tun haben, waren doch ihre Opfer fast durchgängig Geschätsleute, die Steuern zahlten.

Der NSU hat sich als Opfer auch keine kriminellen "Ausländer" gesucht, sondern eben solche Ausländer gewählt, die, im Gegensatz zu ihnen selbst, in der Gesellschaft Deutschlands einen Platz gefunden hatten!

 

VI

Sechstens: "Auch Deutsche werden übrigens Opfer falscher Verdächtigungen und nie aufgeklärter Straftaten." Damit hat er Recht. Aber auch noch anders als er es meint: Manche NSU-Opfer waren Deutsch, auch wenn Herr Bok das anders sehen mag und sie von vielen als "Passdeutsche" verunglimpft werden. 

"Die Opfer wurden nicht von den Rechtsterroristen ermordet, weil sie besonders schlecht oder ausgesprochen gut, so wie Buschkowsky & Co. sich das wünschen, integriert waren, nein, sie wurden mit Kopfschüssen exekutiert, weil sie Migranten waren. Und sie wurden posthum öffentlich zu angeblichen Kriminellen gemacht, weil sie Migranten waren. Und weil sie Migranten waren, wird sogar an dem Tag der Trauerfeier über ihre vermeintlichen Versäumnisse gesprochen, anstatt die rechtsextreme Parallelwelt in Teilen Ostdeutschlands zu thematisieren, aus denen die Täter stammen, oder über Rassismus in den Medien, oder über einen designierten Bundespräsidenten, der ausdrücklich den Begriff “Überfremdung” benutzt.

Aber nein, damit würde man den Blick auf das eigentliche Problem lenken, auf den weit verbreiteten Rassismus in Deutschland. Da ist es doch bequemer über die Migranten zu palavern, die sich sowieso nicht anpassen wollen und angeblich überwiegend kein Deutsch können, auch wenn Migranten so angepasst sein können, wie die Deutschen es wollen, sie bleiben dennoch Migranten. Dem deutschen Blutsrecht und den tief verankerten völkischen Ansichten in der Bevölkerung sei Dank: Deutscher wird man nicht, Deutscher ist man." http://www.publikative.org/2012/02/23/einmal-die-klappe-halten-schweigende-mehrheit/

Und die Behauptung, Merkel werde wegen der NSU "von Athen bis Lissabon mit Hitler-Bärtchen und SS-Runen beleidigt wird? Und dass wir als größter Bürge für die Euro-Rettungsschirme auch noch als „neue Kolonialmacht“ und „Viertes Reich“ verunglimpft" ist doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Das hat eher andere Gründe:

"Deutschland erklärt derweil nicht mehr den Krieg, sondern Flüchtlingsabwehr, Frieden und Sparen. Es ist erstaunlich, mit welchem Brustton der Überzeugung deutsche Friedensfreunde, Sparfüchse, Umweltschützer und Hobbystrategen die Welt lehren, warum man sich an Deutschland orientieren müsse. Früher bezeichnete man so ein übersteigertes Selbstbewusstsein und lehrmeisterhaftes Auftreten übrigens als Nationalismus." http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-05/gensing-neonazis-mitte/komplettansicht

Mit "Mut zur klaren Meinung aus, die auch gerne vom üblichen Mainstream abweicht" liegt den Aussagen Herrn Boks vieles zu Grunde, was wir auch in den Mainstreammedien lesen können. Deutschland müsse führen, da diese Rolle Schicksalsgleich (oder von der Vorhersehung) an Deutschland gegangen sei, obwohl die Verantwortlichen in Deutschland das nie gewollt hätten. In bester Stammtischtradion will man hier Deutschland mal wider zum Opfer erklären. Dem sei widersprochen, auch wenn dafür ausgehohlt werden muss:

"Der Topos des “Hegemon wider Willen” ist durchgängig. Es gehe “um eine Führungsrolle, die Deutschland aufgrund seiner geoökonomischen Situation zugefallen ist und der es nicht ausweichen kann.” [...] Diese nicht neuen Argumente stammen aus der Welt technokratischer Machtlegitimation, rufen die politischen Zwänge von Sachgesetzlichkeiten (“Geoökonomie”) auf und entledigen sich so jeder Verantwortlichkeit (etwa für die “erzwungenen Sparpakete”).

Hegemonie ist eher Bürde als Privileg” (30) ist ebenfalls ein alter Topos – wer erinnert sich nicht an die “Bürde des weissen Mannes”, zivilisatorische Bürden aller Art etc., usw. Aufgabe des Hegemons ist es “den gesamten Bund mitzubedenken” (31). Dass freilich dieses Mitbedenken ein besonderes Eigeninteresse des Hegemons mittransportiert (z.B. ein neoliberales Sparregime zu verallgemeinern) kommt in dieser schwermütigen Rede von der “Bürde” nicht vor. Derlei Rede hat immer einen Hauptzweck: die Rede vom “Privileg” – also etwa vom Gewinn an Kapital oder Macht zu Lasten anderer – erst gar nicht aufkommen zu lassen." http://www.rainer-rilling.de/blog/?p=2206

Man vergleiche das Septemberprogramm von 1914, in dem die Kriegsziele des Deutschen Reiches beschrieben wurden, mit der jetzigen Situation in Europa:

"Das zentrale Ziel wurde in einer einleitenden Kernaussage formuliert. „Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muss Frankreich so geschwächt werden, dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Russland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.“ Auffällig ist das Fehlen Englands in diesem Zusammenhang.

 Insgesamt von Bedeutung für das Programm war die Mitteleuropaidee. Über einen mitteleuropäischen von Deutschland beherrschten Zoll- und Wirtschaftsverbund sollte die ökonomische und politische Vorherrschaft des Reiches garantiert werden. Frankreich sollte durch einen Handelsvertrag in „wirtschaftliche Abhängigkeit gebracht werden.“ Belgien sollte wirtschaftlich und politisch zu einem deutschen Vasallenstaat herabsinken. Weitere Nachbarn wie Dänemark, Holland und das noch gar nicht existente Polen, sowie möglicherweise auch Schweden, Norwegen und Italien „unter äußerer Gleichberechtigung … aber tatsächlich unter deutscher Führung“ zollpolitisch verbunden werden." http://de.wikipedia.org/wiki/Septemberprogramm#Inhalt

Für alle, die mehr darüber wissen wollen, wie Deutschland, nicht ganz "unselbstverschuldet" zu dieser Hegemonie kam (um nicht noch weiter auszuholen): http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/12/14.mondeText.artikel,a0037.idx,2

Auch über andere Methoden wird die Hegemonie weiter ausgebaut. So unterstützt die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine beide großen Oppositionsparteien. Ja mehr noch, ein CDU-Politiker ließ offen verlauten, "UDAR" sei im Auftrag der KAS gegründet wurden:

"Im Rahmen eines dieser Aufenthalte sollte der Parteigründer der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge sich sogar mit "ranghohen Mitarbeitern des Bundeskanzleramts und des Auswärtigen Amts" treffen. Dies korrespondiert mit der außenpolitischen Orientierung von UDAR, die laut Adenauer-Stiftung darauf hinarbeitet, "die Ukraine so schnell wie möglich in die EU zu integrieren". [...] . Klitschko sei "von der Konrad-Adenauer-Stiftung damit beauftragt" worden, "in der Ukraine eine christlich-konservative Partei unterstützend mit auf die Beine zu stellen und zu etablieren", teilte [der CDU-Politiker] Jostmeier Ende 2011 mit. Er bescheinigte ihm, seine "Aufgabe als Parteichef (...) sehr ernst" zu nehmen." http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58445

Dass diese Parteien mit der in der Tration von Nazi-Kollaborateruen stehenden Partei Swoboda zusammenarbieten, gibt dem ganzen noch ein ganz besonderes Geschmäckle.

 

VII

Siebtens behauptet Bok, die Kritiker der Vergabepraxis hätten vom Gericht gefordert, dass dieses eine eigenmächtige Auswahl treffen solle, also Zensur betreiben solle:

"Wer dem Gericht mangelnde Sensibilität bei der Vergabe von Presse- und Zuhörerplätzen vorwirft, muss sich fragen lassen, ob diesem eine eigenmächtige Auswahl nicht als Zensur ausgelegt würde."

 

Das ganze andere Dinge kritisiert wurden und dies von quasi Niemanden gefordert wurde: Er weiß es nicht oder er verbreitet bewusst Unwahrheiten. Zur Information: Es ging u.a. darum, dass die Benachrichtigungen zum (sofortigen) Start des Windhundverfahrens zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedene Medien geschickt wurden und das manche Medien vorher schon wussten, wann diese Benachrichtigungen verschickt wurden. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/sitzplatzvergabe-beim-nsu-prozess-anmeldung-mit-hindernissen-a-893659.html

Problematisch daran war besonders, dass eben solche Medien vorher über das Akkreditierungsverfahren benachrichtigt wurden, die sich nicht an die monatelang wiederholte Aufforderung des Gerichts hielten, zu warten bis es von sich aus eine Meldung dazu herausgibt. Es profitierten jene, die dieser Aufforderung entgegen immer wieder dort anriefen. Desweiteren benutzten manche Medien ein "Autoreply", es wurden also automatisch die Anträge verschickt, sobald eine Nachricht des OLG kam. Das macht das Wind-Hund-Verfahren absurd.

 Es wurde auch kritisiert, dass türksiche/türkischsprachige Meiden keinen Sitzplatz bekamen. Eine Aufteilung der Medien in mehrere Kategorien wurde aber früher auch schon gemacht, so gab es beim Kachelmannprozess für schweizer Medien reservierte Plätze.

Niemand hat aber gefordert, das Gerichte solle sich seine Beobachter auswählen. Das exakte Gegenteil ist der Fall: Die Tatsache, dass einige E-Mails verspätete verschickt wurden, weil die E-Mailadressen von Mitarbeitern des falsch geschrieben wurden (Lasst mich raten, davon waren eher ausländische Medien betroffen?) hat ja gerade dazu geführt, dass das Gericht, wenn auch unfreiwillig, Einfluss darauf genommen hat, wer sein Beobachter wird. Genauso verhält es sich mit der Tatsache, dass manche vom Gericht vorher erfuhren, wann das Verfahren beginnt.

 

VIII

Achtens: Bok umgeht die Fragen weitverbreiteten Rassimus als Mitgrund für die Taten der NSU und das, auch durch Rassimus verursachte, Versagen der Behörden, in dem er die Frage boulevardistisch ersetzt:

"Sind wir, nachdem wir nicht mehr Papst sind, nun auf einmal alle Zschäpe?"

Und so absurd dieser Umgang mit dieser Frage ist, so absurd geht es auch weiter: "Bei aller Sehnsucht nach Selbstkasteiung, nach der man sich auch in hiesigen Medien sehnt: Etwas mehr Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat wäre schon angebracht. Denn wer keine Achtung vor sich selbst hat, darf diese auch nicht von anderen erwarten." Hier scheint der "deutsche Rechtsstaat" mit dem "Ich" gleichgestzt zu werden. Mensch gedenke Adorno:

"Die wachsende organische Zusammensetzung des Menschen trifft vor allem die Instanz, die in der frühbürgerlichen Gesellschaft den Ausgleich zwischen den Anforderungen der individuellen Triebökonomie und den Zwängen der realen Selbsterhaltung zu vermitteln hatte: das Ich. Dessen Stellung wird prekär. Auf der einen Seite verlangt auch die hochkapitalistische Gesellschaft vom Individuum eine Fülle von Anpassungs- und Balanceleistungen, die das gesellschaftliche Überleben des Einzelnen ermöglichen sollen. Auf der anderen Seite aber macht die gleiche Ordnung diese Ichleistungen tendenziell überflüssig: in der Welt der Maschinen und Großorganisationen bedarf es weder der moralischen Entscheidung noch der Reflexion, weder der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Normen noch der Austragung der eigenen Triebkonflikte; statt dessen ist die 'prompte, unmittelbare Identifikation mit den stereotypen Wertskalen' gefordert und das quicke, gleichsam reflexhafte Reagieren (GS 3, 224; GS 4, 262). Der vorherrschende Sozialcharakter ist deshalb ein subjektloses Subjekt‘, das 'Selbsterhaltung ohne Selbst‘ betreibt (GS 8, 68, 115): die 'punktuelle, unverbundene, auswechselbare und ephemere Informiertheit, der schon anzumerken ist, daß sie im nächsten Augenblick durch andere Informationen weggewischt wird' (GS 8, 115). Das Fazit dieses Zerstörungsprozesses zieht Adorno in dem bekannten Aphorismus der 'Minima Moralia‘, der völlig mißverstanden wird, wenn man ihn als Ausdruck der Selbstüberhebung interpretiert: 'Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.' (GS 4, 55).

[...]

Adorno, Th. W.: Gesammelte Schriften, hrsg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann, Frankfurt 1970 ff. (abgekürzt GS)" http://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/breuer-aspekte_lp-adornos.anthropologie.html

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Danke für die Analyse.

Ich habe bisher nur ein Drittel gelesen und möchte Folgende beifügen.

 

In Bezug zum Antisemitismus gibt es den Umstand, dass nach der Shoa den Jüd_innen der Massenmord an ihnen negativ ausgelegt wurde. Der Begriff dafür ist säkundärer Antisemitismus.

Nach dem Brand in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft 1996 mit 10 Toten war es die TAz, die begann den Antirassismus anzugreifen und implizit die Flüchtlinge der Tat zu verdächtigen. Dies nach der Zeit der Pogrome und der Brandanschläge.

 

Ich denke hier gibt es Parallelen. Zum einen kann man mit Positionen wie Herr Boks ausländische Menschen und Linke von Opfern zu Tätern definieren. Dafüt besteht in dieser Republik breiter und von oben abgesegneter Bedarf.

Zum anderen müssen solche Positionen in kritischen Medien platziert werden, die angeblich über jeden Verdacht des Rassismus erhaben scheinen. Nur so entfaltet solche Position Wirkmächtigkeit. Ein solcher Beitrag in der Jungen Freiheit würde zum Profil passen, aber nichts bewirken.

 

Die Frage die sich stellt ist "Qui bono" - Wem nützt dieser Artikel? Und was soll er bewirken?

In jedem Falle würde ich dem zustimmen, dass das Medium hier wichtig ist.

 

Ich bezweifel aber, dass sich die Frage des "warum der Cicero das veröffentlicht" in einem simplen "Qui Bono" auflösen lässt. Ich glaube eher, dass Herr Bok das tatsächlich glaubt. Nur weil er sozioökonomisch wahrscheinlich nicht zum "Stammtischmilieu" gehört, heißt das nicht, dass er nicht auch "Stammtischressentiments" verinnerlicht haben kann. Das gilt selbstredend auch über jene Verantwortlichen beim CICERO, die entschieden haben, dass zu veröffentlichen. Es mag sein, dass dieser "Glaube" für manche eher sowas wie ein "ungeglaubter Glaube" (wie wahrscheinlich für viele Antisemiten die an sich schon wiedersprüchliche Vorstellung das die Juden eine minderwärtige Rasse seien und gleichzeitig die Welt kontrollieren könnten ein "ungeglaubter Glaube" ist, bzw. sein muss) ist, aber dennoch ist es ein Glaube.

Warum sollte Herr Bok und andere Verantwortliche (z.B. Chefredaktion CICERO) dies durchschauen können, wenn man davon ausgeht, dass die Adressaten des Textes es nicht durchschauen, sondern (innerlich) auf den Tisch klopfen und rufen: "Endlich sagt es mal einer"(Obwohl "sowas" in Deutschland tatsächlich ständig gesagt wird) und am nächsten Stammtischabend mit einigem davon Stimmung machen werden?

 

Damit will ich garnicht bestreiten, dass nicht auch wie-auch-immer-geartete Interessen eine Rolle gespielt könnten. Aber: Für allgemeines Linkenbashing, Extremismusquatsch und das bennen "türkischer Schuld" bei Wegreden "deutscher Schuld" bedarf es keinen externen Einflusses (Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit). Das geht in Deutschland(s "Mitte") immer.

Mein Kommentar bezog sich mehr auf eine zeitgeschichtliche Sichtweise.

D.h. wenn die Widersprüche zu offen werden, dass eine Richtungswende

zum Besseren eigentlich auf der Hand liegt, finden sich Leute und Medien,

die dort ihren anti-emanzipatorischen Einsatz finden.

Dies war vor 20 Jahren nach dem ersten großen rassistischen Formierungsschub

in der BRD so und in Folge des NSU-Skandals (euphemistischer Ausdruck) scheint

es wieder zu passieren.

Der Artikel hat schon dort Fans gefunden, wo man ihn eher vermuten würde und wird bei "die Achse des Guten" als Fundstück angepriesen.

 

Ansonsten ist dem Vorkommentator auf jeden Fall darin zuzustimmen, das gegen solche Texte besonders interveniert werden muss, wenn sie in einem "Magazin wie Cicero" erscheinen. Denn dies gibt ihn den Anstrich der Seriösität in Augen derer, die sich für "die Mitte" halten.

Ich will hier nicht den Belesenen geben. Aber wenn jemand nicht mal in der Lage ist, einen bekannten Autor und und ein noch bekannteres Zitat richtig zusammenzubringen, dann braucht man ihm auch sonst nicht viel zuzutrauen, wenn es um die Genauigkeit von Recherche und Analyse geht.

In Celans Todesfuge ist die wohl bekannteste Passage "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"; das Celan fälschlicherweise zugeordnete Zitat stammt aus einem Theaterstück Brechts.

so blöde dieser bok auch ist, aber der text oben ist nicht besser. das vergleichen von raf und nsu alla DER SPIEGEL (die braune armee fraktion) wird der raf und linker geschichte nicht gerecht. die raf hat verantwortliche aus staat und wirtschaft als ziel, das ist zwar militärisch quatsch gewesen, stand aber im kontxt eine internationalen antiimperialistischen befreiungskampfe von damals. nazis sind keine freiheitskämpfer, sondern menschenverachtende scchweine. bei allen fehlern die die raf gemacht hat, aber das ist dreck das du da laberst. das wird nicht besser dadurch dass hier als beleg die jungle world reingeschoben wird. genau das gleichsetzen von raf und nsu ist ja die denke der extremismustheorie, die in dem artikel dann verkürzt und scheinheilig bei bok kritisiert wird. tut mir leid, lieber autor: auch dein text ist ein griff ins propagandistische klo. versuchs beim Spiegel, die nehmen dich vielleicht irgendwann, die richtigen vorraussetzungen hast du jetzt schon.

Natürlich können Vergleiche zwischen NSU und RAF gemacht werden (Äpfel und Birnen sind auch beides Kernobst). So haben beide Organisationen Menschen getötet. Auch wenn natürlich die politische Ideologie etwa hinter der Schleyer-Entführung, die gesellschaftliche und mediale Bedeutung der Taten sowie taktische Überlegungen (und auch die "Niederträchtigkeit" der Tat an sich) sich fundamental beispielsweise von der kaltblütigen Ermordung  Halit Yozgat's unterscheiden.

Ich gebe dir zwar insofern recht, als dass ein Vergleich zwischen RAF und NSU für eine Argumentation gegen die Extremismustheorie nicht unbedingt zielführend ist, aber erstens geht es darum erst im nächsten Abschnitt und zweitens ist deine Gleichsetzung  der beiden Texte deswegen immer noch Unsinn. Wie explizit geschrieben, geht es beim von dir kritisierten Vergleich um eine polit-historische Kontextualisierung und eben NICHT um Inhalte oder Überzeugungen der beiden Gruppierungen. Das Hauptproblem der Extremismustheorie ist nicht, dass strukturelle oder Kontext bezogene Vergleiche zwischen emanzipatorischen und antiemanzipatorischen Gruppierungen / Ideologien gemacht werden, sondern dass deren Inhalte (insbesondere bezogen auf das Potential der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung) gleichgesetzt werden (und aus der politikwissenschaftlichen links-rechts-Achse plötzlich ein Kreis wird).

Was in der Jungle-World gemacht wird (nämlich festgestellt, dass es strukturelle Ähnlichkeiten bezüglich der gesellschaftlichen Bedeutung der für die jeweiligen Gruppierungen relevanten Überzeugungen gab) hat wenn dann nur am Rande etwas mit der - auch wissenschaftlich zu Recht kritisierten - Extremismustheorie zu tun. Meiner Auffassung nach schimmert in dieser historischen Feststellung (nichts anderes macht die Jungle-World da) eher eine Adaption einer durchaus "seriösen" wissenschaftlichen Theorie durch - und zwar der Umgang mit individueller Anomie wie er von Robert K. Merton beschrieben wurde. Stark vereinfacht: Die Bewustwerdung, dass ihre jeweiligen gesellschaftlichen Ziele nicht durch (mehr oder minder) anerkannte Mittel zu erreichen sind, führte bei den Mitgliedern beider Gruppierungen zu einem Prozess der Radikalisierung bezüglich der Palette akzeptabler und anzuwendender Mittel. Auch damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt inwiefern die Mittel der beiden Gruppierungen - geschweige denn die angestrebten Ziele - in irgend einer Weise identisch oder vergleichbar sein sollen. Es ist eine rein strukturfunktionale Aussage (à la: wenn zwei Menschen ins Wasser fallen, beginnen sie entweder zu schwimmen oder sie gehen unter - Handlungsoptionen bei sich veränderndem Umfeld).

 

Aufgrund eines einzigen (möglicherweise etwas ungeschickten) Absatzes Bok's unsäglichen Artikel (dessen Thesen nicht belegt und offensichtlich - mindestens teilweise - nachweislich falsch sind) mit dieser gründlichen und mit zahlreichen Belegen versehenen Aufarbeitung gleichzusetzen, halte ich wie erwähnt für schwachsinnig (oder gar böswillig). Den Text als "Griff ins propagandistische Klo" zu bezeichnen halte ich in dem Zusammenhang gleich für doppelt verkehrt. Einerseits stimmt es nicht, es handelt sich durch die umfangreiche Widerlegung der hanebüchernen Ansichten um einen - an seinem eigenen Anspruch gemessen - gelungenen Text. Andererseits sollte eine seriöse, kritische Auseinandersetzung mit einem Thema als wertvoll angesehen werden, auch unabhängig von deren propagandistischer "Ausschlachtbarkeit". Alles andere ist einer emanzipatorischen Bewegung unwürdig.

 

Was in diesem Zusammenhang leider nicht erwähnt wird  ist, wie sich Bok mit der Verknüpfung der ersten beiden Argumente weiter selbst ad absurdum führt.  Einerseits behauptet er, dass gerade RAF und NSU nicht miteinander verglichen werden dürfen (weil so dem NSU zu viel Gewicht beigemessen werde), bemüht aber andererseits danach selbst die Extremismustheorie. Wenn aber Links und Rechts dasselbe sein sollten (was ich hiermit nochmals entschieden dementieren möchte), was läge dann näher als gerade diese beiden Organisationen miteinander zu vergleichen (irgendwie passt da die RAF doch besser als das örtliche VoKü-Kollektiv) - und zwar nicht nur strukturell betreffend ihres Umfeldes sondern auch inhaltlich in Bezug auf ihre "Leitbildunverträglichkeit".

 

Polemisches PS: Ach ja und ob es sich bei den Mitgliedern der RAF tatsächlich um Freiheitskämpfer_innen gehandelt hat, oder nicht doch vielleicht eher um ein Haufen avantgardistischer Fundamentalist_innen, die sich selbst für die "Speerspitze der Revolution" hielten und mit ihrem Konzept der Kaderorganisation allfällige libertäre Grundvorstellungen selbst verraten haben - darüber liesse sich sicherlich streiten.

also das "kozept der kaderorganisation" ist mir nicht bekannt, ich kenne nur das konzept stadtguerilla. nein du redest hier von dingen von denen du keine ahnung hast. die raf hatte eine konsensorientierte gruppenstruktur, zu beginn sogar nach dem zellenprinzip organisiert. ach ja, aber stefan aust schriebe aber ;) verstehe. na dann. und speerspitze der revolution stimmt ebenfalls nicht der name "fraktion" bedeutete dass sie nur ein teil, ein bewaffneter tel eines intenationalen kampfe um befreiung waren. liess doch mal die texte der raf und gerne auch mal adorno wirklich im original. da findet man erstaunliches heraus.

gut ist polemik, sagst du selbst, also kann man es auch gertrost in die schublade "vorurteilsbehaftetes unwissendes raf-bashing" tun.

 

adorno war übrigens auch kein libertärer, er hat anarchisten gehasst und nie einen hehl draus gemacht. im gegesatz dazu hat sich die raf immer als teil des antiautoritären aufbruchs gesehen...

In diesem Zusammenhang wäre es vielleicht mal ganz angebracht, wenn Menschen sich mit dem Begriff von Terrorismus an sich auseinander setzen würden. Alle politische Gewalt wird heutzutage völlig inflationär als Terrorismus bezeichnet, von Autos abfackeln in Berlin bis hin zu Widerstandskämpfern in Bagdad sind alles "Terroristen".

 

Dabei bezeichnet Terror eine ganz bestimmte Strategie der Vorgehensweise, in die die RAF sogar wenn dann nur bedingt fällt. Das liegt in der Wahl der Ziele und ihrer Motivationen. Terrorismus ist die bewusste Ausübung von tödlicher Gewalt mit dem vorwiegenden Ziel, in bestimmten Gruppen einer Gesellschaft Angst und Schrecken zu verbreiten und auf diese Weise eine Destabilisierung herbeizuführen. So betrachtet war der NSU eher eine Terrorgruppe als es die RAF war.

Die RAF sah sich selbst in einem Guerillakrieg und wählte ihre Opfer in den meisten Fällen nach Funktion aus, mit dem Ziel der strategischen Schwächung des Feindes, in dem Fall dem kapitalistischen System. Der NSU hingegen, und übrigens auch die meisten "einfachen" Nazischläger, üben relativ wahllos Gewalt gegen Migrant_innen aus, mit dem klaren Ziel, diese Gruppe dazu zu bringen, sich unerwünscht und nicht sicher zu fühlen. DAS ist Terror.

 

Das ist nicht gleichzusetzen, punkt.

In der Tat ging es in diesem Text "eigentlich" allein um eine Widerlegung des Textes Bok. Eine solche Auseinandersetzung erschien mir wichtig, gerade auf Grund des Mediums Cicero, welches nun eigentlich nicht die Junge Freiheit oder die Sezession ist. Das macht die ganze Sache um so gefährlicher. Um noch einmal den (sehr guten) Text von Patrick Gensing aus der Zeit zu zitieren:

 

"Damit ist es aber nicht getan. Christian Bangel schrieb, Neonazis seien "uns näher, als wir denken. Mit wachsendem Erfolg buhlen sie um die Mitte der Gesellschaft. Wissenschaftler warnen schon länger davor, dass rassistische und autoritäre Ideen dort auf wachsendes Wohlwollen stoßen".

Ich glaube, dass nicht Neonazis diese Ideen in die Mitte der Gesellschaft tragen. Es sind vielmehr Teile der selbst ernannten Mitte, die sich radikalisieren. Ein zunehmend entsichertes Bürgertum wirft zivilisatorische Errungenschaften leichtfertig über Bord; Hetze gegen Arme, Ausländer, Migranten und andere Minderheiten sowie gegen den Staat Israel gehören mittlerweile wieder zum guten Ton. Wer solche Auswüchse kritisiert, wird entweder zum Gutmenschen, Gegner der Meinungsfreiheit oder Kriegstreiber erklärt." www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-05/gensing-neonazis-mitte/ko...

 

Der "Vergleich" NSU und RAF erscheint mir deswegen so wichtig, da von Bok (und anderen) versucht wird, die NSU zu verharmlosen. Bok's Formulierung "frech", auch wenn nicht direkt auf die NSU sondern die Naziszene bezogen, lässt tief blicken. Oder anders formuliert: Im Vergleich zu Bok wäre es schon "besser", RAF und NSU gleichzusetzen, da er "die Linken" augescheinlich als das größere Übel ansieht, die darüber hinaus noch die eigentlich Schuldigen an den Naziverbrechen seien. "Gewalt und Gewaltverherrlichung" sei "zu verurteilen, einerlei, wie sich diese ideologisch verbrämt", doch seien, mit haarsträubenden Argumenten "belegt", immer "die Linken" [oder "linke Ideen", z.B. das die Nazis auf Grund ihres Anspruch "sozialistisch" und nicht zu sein, gewalttätig wären] irgendwie an der Gewalt schuldig. Natürlich stimmt dies nicht:

 

Doch so einfach ist es nicht. Die Neonazis kommen aus unserer Mitte. Es sollte ein Alarmsignal sein, wenn eine Partei wie die NPD in zwei Landtagen sitzt – und zwar nicht, weil sie bald die Macht in Berlin übernehmen könnte, sondern weil dies ein Zeichen dafür ist, dass etwas nicht stimmt. Rechtsextreme sind in den Regionen besonders stark, in denen Alltagsrassismus besonders virulent ist. Die NPD ist Symptom, nicht Ursache des Rassismus. Schaut man in den braunen Abgrund, spiegeln sich die Missstände der Mehrheitsgesellschaft wider, eine groteske Fratze, die höhnisch die Unzulänglichkeiten und Mängel aufzählt – wenn man ihr denn zuhören mag.

Es ist wichtig, über die Neonazis zu berichten. Doch nun muss der nächste Schritt folgen. Wer ausschließlich über die NPD reden will, schweigt über den Rassismus und Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft. Dabei liegt genau hier der Schlüssel, um den Rechtsextremismus zu besiegen.  www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-05/gensing-neonazis-mitte/ko...

 

Und dies ist übrigens einer der wenigen "propagandistische(n) Trick(s)" dem ich mich bediene: Die harrscheste Kritik an der Mehrheitsgesellschaft suche ich mir aus Quellen mit einer gewissen Anerkennung eben in dieser Mehrheitsgesellschaft heraus. In "grandioser" Weise schützt Bok nicht nur die menschenverachtenden Einstellungen, er lässt es sich nicht einmal nehmen in diesem Zusammenhang von "deutscher Fürsorge" und "kriminellen Ausländern" zu palavern und so die NSU indirekt zu rechtfertigen.

Meine Absicht war es nicht (nur) eine Selbstvergewisserung für mich und jene zu schreiben, denen "derlei Dinge" schon bewusst sind, sondern eben jene zum denken bewegen (zu können), die diese Kritik trifft.

An jene, die sich für Emanzipation einsetzen, ist hauptsächlich die Mitteilung zu machen, dass die Neue Rechte an Einfluss und Möglichkeiten der Verbeitung ihrer Propaganda gewinnt. Es war übrigens nicht der erste, sondern der zweite Artikel von Bok im Cicero. Der erste erschien lediglich 10 Tage vorher, was die Vermutung aufkommen lässt, dass er nun regelmäßig dort neurechte Propaganda betreiben wird: www.cicero.de/autoren/bok-wolfgang

Im ersten Artikel unterstellte er der „Generation Greenpeace, Gender, Gerechtigkeit" sperre "sich gegen journalistische Pluralität". Von  "Sprachzensoren" die "der freien Meinungsäußerung schnell ein Ende" setzten, ist dort die Rede.

 

Mir ist auch klar, dass der Text unvollständig ist. So hätte auf "Die Springerstiefel-Szene lacht sich doch ins Fäustchen ob der kostenlosen Propaganda, die sie zur Großgefahr aufbläst." Noch eine Auseinandersetzung einer witaus größeren Nazi- und Naziunterstützerszene kommen müssen, die eben nicht nur aus ein paar besoffenen arbeitslosen Boneheads besteht. Denn auch damit wird das Problem heruntergespielt. Einzig: Der Text war so schon zu lang...

 

Ähnliches gilt für Boks unsägliche Unterstellung:

Wird hier also ein brauner Popanz aufgeblasen, damit sich der ewige „Kampf gegen Rechts“ immer neu rechtfertigen und finanzieren lässt?

Hier blickt auch vieles durch, z.B. die Legende einer vom Staat alimentierten Antifa oder auch die Behauptung das Naziideologie oder -ideologeme keine Gefahr darstellen würden.

 

Und leider funktioniert Boks Propaganda. Man schaue sich nur die Leserkommentare unter seinem Artikel an: www.cicero.de/berliner-republik/deutschland-am-pranger-nsu-sind-wir-nun-...

 

Erschreckend ist die Nähe des Textes von Bok zu faschistischer Propaganda: deu.anarchopedia.org/Dialektik_der_Aufklärung

 

Und ja: Über der RAF lässt sich streiten und muss (leider) auch noch gestritten werden. Meiner Ansicht nach gehört die RAF-Vererhung dahin, wo schon die Stalin-Verehrung weitestgehend gelandet ist. Der Unfug von der Avantgarde und Kaderorganisationen hat schweren Schaden über "die Linke" gebracht. Dem "kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist"(Marx) kann damit nicht Genüge getan werden. Ähnliches gilt übrigens auch für die meisten der sogenannten antiimperialistischen, sich selbst zumeist sich als "national"(!) betitelnen, Befreiungsbewegungen. Umso so schlimmer, dass schon weit bevor diese zu Bedeutung kamen und die Raf entsand dies schon erkannt wurde, und sich so auch nicht mehr mit historischer Kontextualisierung "entschulden" lässt. Z.B: www.left-dis.nl/d/thbolsch.htm

 

Übrigens: Propaganda dergradiert den Addressaten immer, und macht aus ihm das Objekt einer Machttaktik oder -strategie, also ein geknechtetes und verächtliches Wesen. Dazu schon aus der genannten historischen Quelle:

 

"Die Taktik des Bolschewismus die der Umsetzung der Aufgabe der Machteroberung durch die Organisation diente, wies insbesondere bis zum Oktober 1917 eine gewaltige innere Geschlossenheit auf. [...] Nach dem Prinzip der absoluten Unterordnung der Mittel unter den Zweck wurde ohne jede Rücksicht auf die ideologische Wirkung auf die von ihnen geführten Klassen die Taktik selbst in den scheinbar grundlegenden Parolen dauernd verändert. Es war die jeweilige Aufgabe der Funktionäre, den "Massen" jede der Schwankungen begreiflich zu machen. Umgekehrt nutzte der Bolschewismus jede ideologische Regung der Massen aus, selbst wenn sie grundlegend im Widerspruch zu den politischen Prinzipien des Parteiprogramms stand. Er konnte das, weil es ihm nur auf unbedingten Fang von Massen für seine Politik ankam. [...] In der Methode des Bolschewismus aber eben gerade deshalb seine Bindung an revolutionär-bürgerliche Politik, ist es doch deren Methode, die er verwirklicht."

 

Oder eben auch: deu.anarchopedia.org/Dialektik_der_Aufklärung

 

P.S. Vergleichen lässt sich alles, was kommodifiziert ist (bzw. kommodifizierbar ist), nicht nur Äpfel und Birnen, sondern auch Äpfel und das Recht im Schwimmbad zu baden. Aber ich weiß, wie es gemint war ;-)

Ein guter Artikel, der zum einen Bok komplett widerlegt aber auch weiter bildet.

 

Danke dafür.