Warum Animal Studies auch für die Kunst immer wichtiger wird und warum in der Wissenschaft (fast) alles erlaubt sein muss.
Jessica Ullrich ist Kunsthistorikern und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Tieren in der Kunst und was diese über Mensch-Tier-Verhältnisse und -Beziehungen erkennen lässt. Sie hat Arbeiten zum Thema veröffentlicht, Ausstellungen und Konferenzen initiiert und ist Mitherausgeberin der seit 2012 neuen Reihe Tierstudien des Neofelis Verlages. Neben Vorträgen und Publikationen zum Thema versucht sie durch die Mitwirkung in verschiedenen wissenschaftlichen Zusammenhängen unterschiedliche Richtungen und Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse zusammenzubringen.
Das Interview möchte sich mit dieser Beschäftigung auseinandersetzen und auf diese Absicht mittels kritischer sowie allen anderen möglichen Fragen, die der Interviewerin eingefallen sind, Antworten geben.
Frage: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Tierstudien herauszubringen?
Ullrich: Das ist eine gute Frage. Ich bin gar nicht selbst auf die Idee
gekommen, sondern wurde vom Neofelis Verlag angesprochen. Matthias
Naumann und seine Kollegen hatten vor, eine deutschsprachige Animal
Studies-Zeitschrift rauszubringen und haben einen Herausgeber gesucht.
Ich kannte die vorher noch gar nicht. Neofelis ist ein neuer Berliner
Verlag, der Nischen besetzt. Sie haben auch Publikationen zu Israel
Studies oder Performance Studies. Vermutlich haben sie mich gefragt,
weil ich seit ein paar Jahren in den verschiedenen Gruppierungen, die
jetzt ja mittlerweile allerorten aus dem Boden schießen, involviert bin
und auch schon ein paar Sachen publiziert habe und gerade in Berlin
Ausstellungen gemacht hatte. Dann habe ich das Konzept für Tierstudien
entwickelt. Aber die Idee, überhaupt eine Zeitschrift zu machen, stammt
nicht von mir.
Frage: Können Sie dazu kurz sagen, welche Ausstellungen Sie gemacht haben?
Ullrich: Ich habe zusammen mit Friedrich Weltzien die Ausstellung
Tier-Perspektiven im Georg-Kolbe-Museum kuratiert. Dort ging es unter
anderem darum, Tiere mit einer frischen Sicht zu betrachten, einmal
einen animalischen Standpunkt anzunehmen beziehungsweise sich über
unseren anthropozen-trischen Perspektivismus, was Tiere angeht, klar zu
werden. Das war – der Ausrichtung der Gastgeberinstitution geschuldet –
eine Skulpturenausstellung. Ein weiterer Teil der Ausstellung war dann
auch im Souterrain in Berlin zu sehen. Die andere große Ausstellung, die
ich im Team unter anderem mit Antonia Ulrich und Kassandra Nakas
gemacht habe, war „Tier-Werden, Mensch-Werden“ in der Berliner NGBK
[Neue Gesellschaft Bildender Kunst]. Das waren vor allem
Multimedia-Installationen. Wir haben uns da an dem gedanklichen Konzept
vom Tier-Werden aus Tausend Plateaus von Deleuze und Guattari orientiert
und es dahingehend erweitert, dass auch Mensch-Werden als eine
performative Aktivität verstanden werden kann.
Frage: Zur Klärung des Begriffs der Animal Studies, wieso wird das nicht Human-Animal Studies genannt?
Ullrich: Ich persönlich rede meistens von Animal Studies. Es gibt ja
mittlerweile viele Begriffe, wie Human-Animal Studies, Anthrozoology,
Critical Animal Studies oder Cultural Animal Studies, was es jetzt in
Würzburg gibt. Die haben alle eine etwas andere Stoßrichtung. Es gibt
gute Gründe, Human-Animal Studies zu sagen oder Animal Studies. Ich bin
in dem Bereich seit etwa zehn Jahren unterwegs und es hat sich für mich
inzwischen so eingebürgert. Ich benutze meistens Animal Studies, weil es
ein bisschen kürzer ist als Human-Animal Studies, was nicht bedeuten
soll, dass ich mich von Human-Animal Studies irgendwie distanziere. Ich
weiß, es gibt viele Ansichten, Human-Animal Studies sei zu bevorzugen,
aber ich denke immer, Menschen sind ja auch Tiere und sehe dann in den
Animal Studies den Menschen genauso. Dieser Mensch-Tier-Gegensatz, der
in Human-Animal Studies noch vorhanden ist, stört mich eigentlich sogar
ein bisschen, obwohl ich weiß, dass es gar nicht so gemeint ist. Aber
das ist Geschmackssache, für mich ist das nicht mit Bedeutung belegt.
Frage: Nach welchen Kriterien suchen Sie sich die Texte aus?
Ullrich: Tierstudien ist ja ein ganz junges Projekt. Jetzt ist gerade
erst die zweite Ausgabe im Druck. Für die erste musste es ganz schnell
gehen. Ich wurde angesprochen und die erste Ausgabe sollte in ein paar
Monaten rauskommen. So habe ich gezielt Leute angesprochen, die ich von
Konferenzen kenne. Dann habe ich ein Thema gesucht, bei dem ich mich zu
Hause fühle: eben die Ästhetik. „Animalität und Ästhetik“ haben wir das
auch deswegen genannt, weil ich zu diesem Thema gerade eine Konferenz in
Berlin an der Universität der Künste organisiert hatte. Im ersten Heft
sind auch ein, zwei Leute dabei, die bei der Konferenz vertreten waren.
Ich habe im Lauf der Zeit viele Leute auf meinen Konferenzreisen
kennengelernt, die im Bereich der Bildenden Kunst arbeiten, oder aber
auch in den Bereichen Musik, Theater und Architektur. Und ich wollte
gerne diese verschiedenen Sparten der Künste in der ersten Ausgabe
vereinen. Für mich war es einfach, dort die Leute anzusprechen, die ich
gut finde. Ab der zweiten Ausgabe lief es ganz anders und wird in
Zukunft auch weiter anders laufen. Ich setze ein Thema, das ich mir
überlege, mache einen call for papers und Leute können sich bewerben. In
der zweiten Ausgabe war es noch so, dass wir nur drei, vier Leute
ablehnen mussten. Es waren noch nicht so viele Einsendungen. Jetzt für
die dritte Ausgabe waren es schon deutlich mehr. Da mussten wir mehr als
die Hälfte der Einsendungen ablehnen. Die dritte Ausgabe mache ich auch
mit einem Kollegen zusammen. Es wird auch in Zukunft öfter so sein,
dass ich mir Gastherausgeber suche, damit ich nicht immer nur meine
Lieblingsthemen setzte, sondern auch andere Themen mal zum Zuge kommen.
Die Texte werden nach Qualität ausgewählt, wobei nicht alle Texte
wissenschaftlich sein sollen. Es gibt auch künstlerische Beiträge.
Journalistische, experimentelle oder feuilletonistische Texte sind
durchaus erwünscht. Aber es geht um die Qualität und weniger um die
Haltung. Es geht also nicht um die Pro-Tier-Attitüde, obwohl ich
persönlich sehr stark mit den Critical Animal Studies sympathisiere.
Aber es soll kein – und das war auch der Wunsch des Verlags – Organ der
Critical Animal Studies in dem Sinne sein, dass nur Veganer schreiben
dürfen oder nur Leute, die ein Interesse daran haben, mit ihrer
Forschung etwas für Tiere in Bewegung zu setzen. Mein eigener Ansatz ist
so, und ich bevorzuge vielleicht unbewusst auch solche Beiträge. Aber
mir wäre es durchaus recht, wenn auch jemand von der anderen Seite mal
was veröffentlicht, um auch einen Dialog anzustoßen. Es ist definitiv
nicht das Ziel, ein Organ der Tierrechtsbewegung zu sein.
Frage:
Sie meinen, dass es ausgewogen ist, in dem Sinne, dass die
wissenschaftlichen Ansätze auch die in der Gesellschaft vorhandenen
widerspiegeln?
Ullrich: Ja, so könnte man das sagen. Aber es sollen nicht nur die
dominanten, in der Gesellschaft vorherrschenden Positionen vertreten
sein, sondern auch ganz frische Gedanken Gehör finden.
Frage:
Friedrich Weltzien beschreibt in „Der ästhetische Wurm“ die
Einbeziehung eines Wurms in ein Bühnenstück von Raymond Roussel. Dabei
sollen die Ausscheidungen, die auf Saiten fallen, eine Zither erklingen
lassen. Weltzien nennt das Mensch-Tier-Kollaboration. Wenn dieser aber
nicht wirklich existierte oder so genutzt wird, dass seine
Freiwilligkeit nicht garantiert ist, verstehen Sie das dann noch als
Kollaboration? Vor allem wenn gleichzeitig in der Beschreibung darüber
vom Wurm als Wesen auf niederer Entwicklungsstufe gesprochen wird?
Ullrich: Friedrich Weltzien ist ein von mir sehr geschätzter Kollege,
mit dem ich auch persönlich befreundet bin. Er wird auch bei einer der
folgenden Ausgaben Mitherausgeber sein, weil er sich lange in diesem
Bereich Human-Animal Studies, Animal Studies –, wie auch immer man das
nennen möchte – Repräsentationen von Tieren in Kunst und Geschichte,
beschäftigt hat. Aber er ist nicht in der Tierrechtsbewegung zu Hause
und würde sich wohl selber dort auch nicht situieren. Gerade dadurch ist
er für mich ein wertvoller Kollege, auch, um mich an ihm zu reiben und
eben auch eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen. Sie haben recht,
dass diese Begrifflichkeit „niedere Tiere“ von ihm wahrscheinlich
einfach so gesetzt ist. Er meint das glaube ich auch so. Ich persönlich
sehe das anders und würde es so nicht schreiben. Als Position finde ich
es aber legitim und würde es auch nicht redaktionell ändern. Es gibt
Fälle, wo ich stilistisch oder formal eingreife und das mit den Autoren
diskutiere. Aber wenn jemand so eine Begrifflichkeit wählt und weiß,
dass das eine Herabsetzung ist und die Mensch-Tier-Hierarchie, die ja
mehr oder weniger fiktiv ist, aufrecht erhält, dann finde ich, dass das
sein gutes Recht ist. Und das kann er auch gerne weiterhin so
praktizieren. Ich persönlich würde das aber nicht so formulieren und
halte es auch für falsch, das so zu formulieren.
Frage: Aber sie zensieren das halt nicht.
Ullrich: Ich zensiere das natürlich nicht! Wenn jetzt jemand in
irgendeiner der folgenden Ausgaben einen Artikel zu Pro-Jagd schreiben
würde, dann würde ich das auch abdrucken, aber versuchen, auch die
Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Nur wenn das ein propagandistisches
Machwerk wäre, das wissenschaftlich keinerlei Qualität hat, dann würden
wir das natürlich ablehnen. Es soll eben nicht nur um die Haltung und
die Einstellung Tieren gegenüber als Kriterium zur Auswahl von Texten
gehen.
Frage:
Einerseits zensieren Sie nicht, andererseits bieten Sie dann aber eine
Plattform, um Ansichten darstellen zu können, die dazu geführt haben,
dass Tiere ausgebeutet werden. Abgesehen davon, dass solche Ansichten
auch wissenschaftlich umstritten und schon zum Großteil veraltet sind,
sind sie auch dafür verantwortlich, dass Tiere überhaupt erst so
behandelt werden können. Es können ja alle noch so absurden Ansichten
wissenschaftlich formuliert werden. Vor allem Texte über Jagd. Sollten
sich Medien der Animal Studies dann nicht an anderen Bewegungen
orientieren? Zum Beispiel kann ich mir nicht vorstellen, dass in
Gender-Medien Texte mit frauenverachtenden Inhalten auftauchen. Ist es
nicht falsch, in Medien, die progressiv sein wollen, sowas abzudrucken?
Ullrich: Das Beispiel mit der Jagd habe ich bewusst gewählt, weil ich da
zum Beispiel an die Forschung von Garry Marvin denke. Er ist meines
Wissens der erste Professor für Human-Animal Studies weltweit und lehrt
in London an der Roehampton University. Er ist Sozialanthropologe und
schreibt sehr sensibel über die Kultur von Jägergesellschaften, wobei er
teilweise auch Jäger begleitet. Er hat Bücher über die Fuchsjagd in
England, aber auch über die Bedeutung des Stierkampfs geschrieben, und
auch über die Kulturgeschichte des Wolfs – notwendigerweise aus einer
anthropozentrischen Perspektive. Die kann man aber meines Erachtens als
Mensch sowieso nie ganz umgehen. Einen Beitrag von jemandem wie ihm
würde ich sicherlich nicht ablehnen. Ein Pamphlet, das sich für die Jagd
stark macht, würde dagegen natürlich keinen Ort in Tierstudien haben,
wäre aber auch nicht wissenschaftlich. Genauso wenig würde ich einen
Artikel abdrucken wollen, der sich mit altbekannten Argumenten für eine
vegane Lebensweise ausspricht. Eher schon fände ich einen Beitrag über
die ethischen Probleme einer veganen Ernährung, die ja auch nicht ganz
ohne Opfer auskommt, interessant. Gerade weil man sich damit nicht immer
nur wieder selbst bestätigt. Oder denken Sie an Donna Haraway, die sich
ja durchaus für Fleischkonsum ausspricht und diesen ja auch verteidigt.
Auch wenn ich die Auffassung nicht teile, würde ich ihre Argumente
dafür sicherlich abdrucken. Sowohl Marvin als auch Haraway halte ich für
großartige Wissenschaftler und finde ihre Positionen sehr interessant,
gerade um sich an ihnen zu reiben.
Frage: Können Sie kurz sagen, was Sie mit den ethischen Problemen bei veganer Ernährung meinen?
Ullrich: Nun ja, fragen Sie nur einen überzeugten Fruktarier nach seiner
Einstellung dazu. Ich bin in diesem Feld zwar nicht firm, aber in der
naturwissenschaftlichen Forschung wird ja gerade sehr viel über ein
mögliches Bewusstsein, über Sinneserleben und quasi-neurologische
Strukturen bei Pflanzen gesprochen. Oder denken Sie an die vielen
Umweltprobleme, die der Anbau von Soja bereitet, das ja häufig als
Alternative zu Fleisch propagiert wird.
Frage: Also, der Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung soll schon irgendwie kritisch sein?
Ullrich: Ja, er soll kritisch sein. Aber es soll unter anderem auch
darum gehen, wie Tiere die menschliche Kulturgeschichte mitgeformt
haben. Was dann wieder ein Blick ist, der eigentlich vom Menschen
ausgeht und bei dem die Tiere dann nicht so eine gleichberechtigte Rolle
spielen können. Es gibt Organisationen, die meiner persönlichen Haltung
näher sind als das Konzept von Tierstudien, das unbedingt – und das ist
auch vom Verlag vorgegeben – frei von einseitiger Ideologie sein soll.
Ich bin ja beispielsweise auch bei Minding Animals International, das
ist ein großes Netzwerk für Animal Studies / Human-Animal Studies, das
mittlerweile 3.000 Mitglieder hat und alle drei Jahre Konferenzen
organisiert. Bisher waren das drei, unter anderem dieses Jahr in
Utrecht. Minding Animals ist eine globale Organisation, und es gibt
verschiedene nationale Gruppen, die Minding Animals International
unterstützen wollen. Minding Animals Germany ist eine ganz kleine
Gruppe, die sich erst vor einem Jahr gegründet hat, mit etwa 20
Mitgliedern aus verschiedenen anderen Netzwerken. Da sind beispielsweise
Leute von Chimaira dabei oder von GSA (Group for Society and Animal
Studies) aus Hamburg. Ich bin die Repräsentantin, was nur bedeutet, dass
ich die Kommunikation zwischen den deutschen und den internationalen
Mitgliedern vermittle. Es ist erklärtes Ziel von Minding Animals, die
Akademiker mit Aktivisten und auch Künstlern in einen Dialog zu bringen,
um durch die Weiterentwicklung von Human-Animal Studies das Verhalten
gegenüber Tieren zu verbessern oder die Lebensbedingungen von Tieren zu
verbessern. Also das ist tatsächlich eine Pro-Tier-Haltung, obwohl auf
den Konferenzen auch Leute zu Wort kommen, die keine Tierrechts-,
sondern eher eine tierschützerische Perspektive einnehmen. Die Minding
Animals-Konferenzen sind vegan. Außer bei klaren Tierrechtskonferenzen
ist das sonst keine Selbstverständlichkeit. Ich war schon auf vielen
Human Animal-Konferenzen, wo es Fleisch gab. Ich fand das immer völlig
irre, aber das gibt es eben auch. Jedenfalls sind in letzter Zeit viele
neue Gruppierungen entstanden, auch welche, die von staatlichen oder
privaten Stellen gefördert werden. In Würzburg Cultural and Literary
Animal Studies oder in Konstanz, Wien und Zürich Animals in History. Das
sind universitäre Einrichtungen, die da jetzt etabliert werden und zur
weiteren akademischen Durchsetzung des Faches führen, die aber eben
keine tierrechtlerischen Hintergründe haben. Für mich kommen die Animal
Studies eigentlich aus der Tierrechtsbewegung, so wie Gender Studies aus
dem Feminismus, oder Post Colonial aus anderen historischen
Befreiungsbewegungen. Der Bereich hat sich in letzter Zeit sehr stark
verwissenschaftlicht und akademisiert und verwässert damit zwangsläufig
ein wenig die aktivistische oder anwaltschaftliche Stoßrichtung, die für
mich persönlich ganz wichtig ist. Privat liegen mir die
tierrechtlerischen Ziele am Herzen. Das ist bei Tierstudien weniger der
Fall.
Frage:
Dazu fällt mir noch ein, dass mich die Grundaussage von Roeslers Text
zur Tierarchitektur gestört hat. Die vermittelt, es gäbe einen
eindeutigen Unterschied zwischen Instinkt-Verhalten und lernabhängigem
Verhalten und das könnte der Mensch ja beweisen. Reproduziert er damit
nicht die Einteilung in Menschen und Tiere und stellt instinktives und
komplexes Handeln willkürlich gegenüber?
Ullrich: Ja, das können Sie so sehen. Ich denke, dass er das auch genau
so meint und sich damit tatsächlich bewusst oder unbewusst in eine
Forschungstradition stellt, die mittlerweile zwar von einigen Ethologen
als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird, aber eben auch nicht von allen.
Sie haben natürlich recht, dass Begriffe von Mensch und Tier von vielen
Animal Studies-Forschern in ihrer Konstruiertheit hinterfragt werden.
Aber es gibt auch viele ernstzunehmende Animal Studies-Forscher, die auf
klassische Mensch-Tier-Unterscheidungen nicht verzichten. Ich halte
Roeslers Position also für durchaus legitim, was nicht bedeutet, dass
sie nicht diskutierbar ist. Jedenfalls ist es ein Meilenstein für einen
Architekturhistoriker oder Architekturtheoretiker, sich überhaupt in
einer solch ernsthaften und sorgfältigen Weise mit Tierbauten
auseinander zu setzen. Ich bin mir sicher, dass so etwas vor einigen
Jahren noch akademischer Selbstmord gewesen wäre und dass Herr Roesler
möglicherweise auch jetzt noch für sein Interesse an Tierarchitektur von
Teilen der Fachwelt belächelt wird. Sie dürfen nicht vergessen, dass
für den größten Teil der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft
Human-Animal Studies nicht viel mehr als ein Witz ist.
Frage:
Auch wenn sich in Deutschland im Bereich der tierbezogenen Studien
einiges und im Ausland teilweise sehr viel mehr getan hat, ist es also
immer noch ein neues Phänomen?
Ullrich: Es ist auf alle Fälle ein ziemlich neues Phänomen, im
deutschsprachigen und auch im europäischen Raum, ausgenommen vielleicht
Großbritannien. Dort ist es schon ein wenig länger Thema. Für mich ist
es beeindruckend, was zur Zeit auf Konferenzen und Tagungen passiert,
zum Beispiel in Skandinavien. In Norwegen sind die Animal Studies oft an
die Gender-Institute angedockt. Forscher, die sich mit Gender Studies
beschäftigt haben oder immer noch beschäftigen, fangen jetzt mit
Human-Animal Studies an. Und in Deutschland, der Schweiz und Österreich
gibt es neuerdings auch Einiges. Das hört sich jetzt an, als würde das
ganze Thema gerade unheimlich im Kommen sein. Aber es ist immer noch so,
dass es für die Karriere Selbstmord sein dürfte, nur Animal Studies zu
machen. Wenn man eine akademische Karriere anstrebt, muss man eigentlich
auch klassische Wissenschaft, in meinem Fall klassische
Kunstgeschichte, machen.
Frage: Aber Sie haben sich ja scheinbar auf das Thema spezialisiert.
Ullrich: Ich hab mich jetzt wirklich auf das Thema spezialisiert. Und im
Moment komm ich ganz gut durch so. Aber es ist sinnvoll, noch einen
weiteren „klassischen“ Schwerpunkt zu haben. Wenn man keinen hat, wie
zum Beispiel Malerei des Impressionismus oder Skulptur der Renaissance,
hat man schlechte Karten. Das ist aber in allen Fächern so. Ich sehe das
auch bei meinem Mann. Er ist Musikwissenschaftler und Musiktheoretiker
und beschäftigt sich mit Vogelgesang, Walgesang und solchen Sachen. Aber
er hat auch ein zweites Standbein und macht klassische Sachen wie
Robert Schumann.
Frage:
Zum Thema Tiere und Musik gibt es ja auch einen Text in den Tierstudien
über die Reaktionen von Wolfgang Müllers These. In der sollen Stare auf
einer Insel, auf der Kurt Schwitter seine Sommermonate verbrachte,
seine Sonate gesungen haben. Dass aus dieser Annahme heraus diskutiert
wurde, wie Vögel über Generationen Melodien weitergeben, ist schon
unterhaltsam. Und witzig wird es beim Streit um die Urheberrechte. In
dem Müller die Stare beschuldigt und antwortet, dass auch andere
imitationsbegabte Vogelarten andere urheberrechtlich geschützte Werke
von Schwitter interpretieren könnten. Und dass das Urheberrecht nicht
gilt, wenn bei der Komposition schon Elemente des Vogelgesangs
übernommen wurden, die die Stare übernommen haben.
Ullrich: Ja, ein interessanter Text von Susanne Heiter und eine
spannende Geschichte. Überhaupt ist ja der Rezeption von Kunst oder
Musik durch Tiere bisher kaum Beachtung geschenkt worden. Es gibt da nur
vereinzelte Forschung, zum Beispiel darüber, wie Bienen auf Van Goghs
Gemälde reagieren oder wie Tauben impressionistische Gemälde
unterscheiden und kategorisieren können. Ich bin überzeugt davon, dass
Tiere ästhetisches Empfinden haben. Das ist natürlich nur in den
seltensten Fällen auf menschliche Kunstwerke bezogen. Wieso sollte es
auch? Ich hab zum Beispiel Paviane in Südafrika beobachtet, die jeden
Abend gemeinsam schweigend auf Bäumen gesessen haben und den
Sonnenuntergang über einem Fluss betrachtet haben. Keine Ahnung, was
ihnen dabei durch den Kopf ging. Vielleicht hatten sie ein Gefühl der
Erhabenheit, das auch bei uns aufkommt, wenn wir ein großartiges Kunst-
oder Naturschauspiel sehen, oder sie fanden es einfach schön. Gerade im
Bereich der Musik geschieht aber mittlerweile viel. David Rothenberg,
ein amerikanischer Philosoph und Komponist, spielt beispielsweise Walen
und Vögeln auf der Klarinette vor und schafft es teilweise sogar, dass
sie mit ihm musizieren.
Frage: Gibt es außer GSA und Chimaira in Deutschland akademische Gruppen, die für Aktivisten und Tierrechtler attraktiv sind?
Ullrich: Nicht, dass ich wüsste. Es gibt tatsächlich viele neue Gruppen.
Wie ich eben sagte, CLAS in Würzburg oder Animals and History in
Konstanz, Wien und Zürich. Und es gibt das Messerli Institut in Wien,
das gerade mit viel Fördergeld gegründet wurde. An der Universität der
Künste Berlin gab es die Forschungsgruppe Animalität und Ästhetik. Mir
fällt noch das Volkswagen Summer Schools in Würzburg ein. Dort forschen
viele Doktoranden zum Thema Human-Animal Studies. Aber die wenigsten
davon haben eine explizit tierrechtlerische Ausrichtung oder
Interessenlage. Oder wenn, dann verstecken sie es möglicherweise gut, um
im akademischen Betrieb nicht so angreifbar zu sein.
Frage:
Es ist erschreckend, wenn „neue“ Ansätze und Auffassungen angegriffen
werden, wie es scheinbar der Fall ist, wie Sie schildern. Wie gehen Sie
mit Ihrer Tierbefreiungs- oder Tierrechtsposition um?
Ullrich: Das ist bei mir privat. Sie haben das ja aus meinem Beitrag bei
Kunsttexte rausgelesen. Ich verstecke das nicht. Aber ich würde immer
versuchen, ausgewogen zu formulieren, um im akademischen Diskurs
glaubwürdig zu bleiben. Wenn ich eine Konferenz mache, ist die natürlich
vegan, ich schreib das dann aber nicht überall drauf. Wenn ich eine
Stimme in irgendwelchen Gremien habe, die Animal Studies im akademischen
Bereich propagieren wollen, setze ich mich dafür ein, dass immer Leute
eingeladen werden, die eine ganz dezidierte klare Tierrechtsposition
beziehen und in Vorträgen stark machen wollen. Ich selber würde das im
akademischen Diskurs nicht so stark machen, um mich selbst als
Wissenschaftlerin ernst nehmen zu können.
Frage:
Aber ist es nicht umso wichtiger, so eine Position zu vertreten, gerade
weil sie gesellschaftlich noch nicht etabliert ist, damit sie eine
Chance hat? Also wenn sich aus der Sicht, die die Abgrenzung der Tiere
von Menschen kritisiert, Tierrechtspositionen ableiten, ist das doch
gut. Irgendwer muss ja anfangen. Und dann machen andere weiter. Weil Sie
das Wort Ideologie im Zusammenhang mit den Tierstudien benutzten, fällt
mir ein, dass Chimaira trotz der klaren Positionierung nicht in dem
Sinne ideologisch sind, dass sie nicht mehr seriös sind. Die eigenen
Grundannahmen werden nur mehr reflektiert, denke ich. Und das wird auch
mit wissenschaftlichen Erkenntnissen begründet.
Ullrich: Ich meinte das auch gar nicht abwertend, aber es wird eben eine
Art von Weltvorstellung transportiert und daneben existieren noch
andere. Ich finde Chimaira großartig, sehr wichtig und wissenschaftlich
sehr fundiert. Ich denke, es ist unheimlich wichtig, dass dort so
sachlich und unangreifbar argumentiert wird. Das nutzt der
Tierrechtsbewegung sicher mehr als Agitation. Aber es gibt eben
Grundannahmen oder theoretische Bezugsgrößen, die vermutlich – und das
ebenfalls aus ideologischen Gründen – nicht von jedem geteilt werden
oder ernst genommen werden. Leute wie Sie und ich, die beispielsweise
mit Foucault groß geworden sind, vergessen leicht, dass in einer anderen
Generation oder auch in anderen Denkschulen anders gedacht wird und
Foucault – um nur einen beliebigen Namen zu nennen – nicht rezipiert
oder nicht ernst genommen wird.
Frage: Und die Position sieht man dann ja auch in der Arbeit.
Ullrich: Ja, die Position sieht man immer.
Frage: Was ich dagegen ganz toll finde, sind die Ansichten von Lisa Jevbratt. Sie beschreibt Interspezies-Kollaboration1
so dass diese ohne Vorgaben und Einschränkungen, also gewissermaßen
auch ohne Herrschaft funktioniert. Und sie fordert Menschen darüber
hinaus auf, sich vorzustellen, wie Mensch-Tier- oder
Interspezies-Kollaboration in anderen Bereichen aussehen könnte, zum
Beispiel in der Wissenschaft. Ihre Visionen finde ich revolutionär,
sogar aus der Tierrechtsperspektive. Wenn solche Texte dann dennoch
wissenschaftlich sind, wieso ist es dann noch nötig, alte Perspektiven
zu wiederholen?
Ullrich: Sie haben recht, ich finde Lisa Jevbratts Ansatz auch
großartig. Aber er ist einerseits relativ singulär und andererseits
würden zwei Aufsätze zu einem ähnlichen Thema dem Heft auch nicht gut
tun. Es gibt ja immer ein Fokusthema pro Ausgabe. In diesem ersten Heft
sollten möglichst viele Kunstsparten abgedeckt werden, was ja auch
gelungen ist. Wir hatten Texte zu Architektur, zur Musik, zum Theater
etc. Und Lisa Jevbratt hat den Text zur Gegenwartskunst geschrieben. Das
empfinde ich schon als ein starkes Statement.
Frage: Kennen Sie weitere Beispiele von Interspezies-Kollaboration in der Kunst?
Ullrich: Ja, es gibt noch eine ganze Reihe, und ich habe selbst viel
darüber geforscht und auch einige Vorträge gehalten. Ich könnte dazu
jetzt sehr viel sagen, aber das würde den zeitlichen Rahmen dieses
Interviews sprengen. Wenn es nicht so arrogant klingen würde, würde ich
sagen: Warten Sie mein Buch zu dem Thema ab.
Frage:
Das würd ich gern lesen. Sie sagten, dass Sie viele Vorträge halten. Wo
waren Ihre letzten, über welches Thema oder welche finden Sie so
interessant und halten sie so gern, dass Sie das kurz erzählen wollen?
Ullrich: Wie gesagt, die Interspezies-Kollaboration ist ein
Interessengebiet von mir. Aber auch überhaupt der Einbezug lebender
Tiere in der Kunst. Am allermeisten interessiert mich dabei ein
partnerschaftlicher, vorbehaltloser Umgang mit Tieren und Kunstwerke,
die als ergebnisoffene Experimente ohne These konzipiert sind. Manchmal
geht es aber auch um tote Tiere oder um Tierrepräsentationen. Ich habe
zum Beispiel über Taxidermien2 gesprochen, um zu zeigen, wie
Tier-Repräsentationen etwas darüber enthüllen, wie die Gesellschaft
Tiere behandelt und ansieht. Ein anderes Thema sind Künstler, die sich
mit wissenschaftlichen Herangehensweisen den Tieren annähern, also zum
Beispiel mit ethologischen3 Protokollen. Hier kann ich
zeigen, wie unterschiedliche Modelle von Welterfahrung und
Ausdrucksverhalten aufeinandertreffen. Aber auch die Darstellung von
Hunden als Spiegel der Gesellschaft oder Künstler, die Tier-Werden als
künstlerische Strategie betreiben, waren schon Themen. Oder ethische
Fragen, wenn Tiere gezwungenermaßen Teil eines Kunstwerks werden.
Demnächst werde ich einen Vortrag über Animal Cams in der Kunst halten,
also über Künstler, die an Tieren Kameras anbringen und sie dann Filme
herstellen lassen. Das kann man als gewalttätigen Akt lesen,
insbesondere, wenn es um Wildtiere geht. Man kann es aber auch als
Versuch deuten, eine tierische Perspektive zu simulieren – was dann
natürlich scheitern muss.
Frage: Nochmal zu den Tierstudien. Bisher bleiben Sie ja gewissermaßen ohne naturwissenschaftliche Perspektive.
Ullrich: Wir würden eigentlich gern hin und wieder Naturwissenschaftler
einbeziehen. Ich hatte auch für das erste Heft Volker Sommer, einen
Primatologen, gefragt. Aber meine Anfrage war ihm zu kurzfristig, das
hätte er zeitlich nicht geschafft. Im nächsten Heft haben wir einen
Entomologen, einen Bienenforscher, der was schreibt. Es soll auch immer
mal wieder aus dem Bereich reinkommen, aber das Heft bleibt sicher
hauptsächlich geisteswissenschaftlich. Dafür gibt es dort Beiträge von
verschiedensten Fachwissenschaftlern wie Historikern, Soziologen,
Religionswissenschaftlern, Rechtswissenschaftlern, Psychologen und
anderen.
Frage:
Haben Sie dann für Ihre Texte auch schon Kritik bekommen, wenn Sie
bestimmte Kunstwerke ganz anders, aus einer anderen Perspektive
bewerten?
Ullrich: Ja, aber nur nette konstruktive Kritik. Bisher bin ich dafür
noch nicht angegriffen worden. Weder von Kollegen noch von Künstlern,
über die ich geschrieben habe. Es ist immer wohlwollend aufgenommen
worden. Teilweise werde ich aber ein bisschen belächelt. Man wird oft
als naiv angesehen, wenn man Leuten sagt, dass man sich mit Kunst und
Tieren beschäftigt. Das wird oft als sentimentales Thema gewertet, so in
der Art „Ach ja, Mädchen und Pferde“.
Frage:
Das sagt ja aber nur etwas darüber aus, wie ernst die Leute Tiere
nehmen und wie sie Tiere sehen. Und daher ist es ja gut, wenn auch
solche Leute zu Konferenzen kommen, auf denen Vorträge gehalten werden,
die verschiedene Perspektiven auf Tiere thematisieren.
Ullrich: Das finde ich ganz wichtig. Ich fand auch die
Tierrechtskonferenzen, auf denen ich war, sehr spannend.
Frage: ... zum Beispiel Luxemburg?
Ullrich: … ja, auch Luxemburg. Das fand ich toll. Aber man ist sich ja
eigentlich einig und das ist auch wichtig. Es wird zwar auch zum
Beispiel zwischen Reformern und Abolitionisten gekämpft, aber
andererseits gibt es Einigkeit über die Grundhaltung, dass Tiere nicht
ausgebeutet werden sollen. Und ich finde es wichtig, auch mit anderen
Leuten zu sprechen und diese zu überzeugen. Wenn man immer nur
miteinander redet, kann man weniger bewegen. Das hat auch weniger
Außenwirkung. Beispielsweise richtet sich Tierstudien an eine breite
Öffentlichkeit. Der Verlag überlegt jetzt auch, das Magazin an Zoos zu
geben, wo es Bookshops gibt, und es da zu verkaufen. Wir sind jetzt
keine Zoobesucher, aber wir wollen gern auch mit denen reden. Ich find
es wichtig über den Tellerrand zu schauen, in der Hinsicht, dass man mit
Leuten redet, die eine völlig andere Meinung haben.
Frage:
Das sehen viele Tierrechtler ganz anders. Es gibt Ansichten darüber,
dass der Reformismus ja eigentlich nicht gegen Ausbeutung ist und sie
nur in andere Verhältnisse bringen, aber nicht abschaffen will. Über die
Deutung, was jetzt Ausbeutung oder Reformismus ist und welche Position
einer anderen widersprechen würde, gibt es teilweise kompromisslose
Deutungskämpfe. Daher würde ich nicht sagen, dass sich die Leute einig
sind. Obwohl ich es wie Sie sehe und dass es möglich ist, mehr
Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu sehen. Bekommen Sie etwas von den
Streitereien mit?
Ullrich: Als Privatperson, die sich für Tierrechte interessiert, bekomme
ich das natürlich mit. In der akademischen Welt, in der ich mich
bewege, und damit meine ich auch sämtliche Foren für Animal Studies, in
die ich involviert bin, sind das eher unbekannte oder irrelevante
Streitigkeiten. So empfinde ich das jedenfalls. Für die meisten Animal
Studies-Forscher, mit denen ich beruflich zu tun habe, gibt es eher eine
Front der Tierrechtsleute. Die sind sich weitgehend einig. Dafür
unterstelle ich Ihnen einmal, dass Sie aus Tierbefreiersicht von den
Grabenkämpfen im Wissenschaftsbetrieb nichts mitbekommen, wo es zum
Beispiel um methodische und begriffliche Differenzen geht, die Sie
vermutlich als Detailkram ansehen würden.
Frage: Eine allgemeine Frage, wie sind Sie auf das Thema Kunst und Tiere gekommen?
Ullrich: Das ist so ein altes Steckenpferd von mir. So ein ganz
typischer Werdegang. Ich wollte als kleines Mädchen immer Tierärztin
werden und hab dann gemerkt, dass das nicht so mein Ding ist, auch
aufgrund der Professoren. Ich hab mir in Berlin angeschaut, wie da mit
Tieren umgegangen und über Tiere gesprochen wird. Da war mir klar, dass
ich das nicht kann. Und dann hab ich mich auch immer für Kunst
interessiert. Also hab ich Kunstgeschichte studiert und das ganz
straight durchgezogen, Magister, Doktorarbeit und erst danach wieder so
ein bisschen Luft geholt und überlegt, was will ich eigentlich machen.
Frage: Zu welchen Themen haben Sie Ihre Arbeiten geschrieben?
Ullrich: Meinen Magister habe ich zu den männlichen Akten und damit auch
zum Menschenbild von Francis Bacon geschrieben, dem englischen Maler.
Dann kam noch eine Diplomarbeit in meinem Zweitstudium in
Kulturmanagement zu digitalisierten Kunstmenschen im Internet. Meine
Dissertation hatte unterschwellig fast schon ein Tierthema. Obwohl der
Tierrechtsaspekt nicht angesprochen wurde. Das würde ich heute
vielleicht anders machen. Es ging um Wachs als ästhetisches Material in
der Bildhauerei, also von ägyptischen Grabbeigaben über römische
Totenmasken zu mittelalterlichen Stellvertreterleibern und Madame
Tussauds Wachsfigurenkabinetts. Der Fokus lag aber auf moderner und
zeitgenössischer Kunst. Da war dann die Symbolik der Biene bedeutsam,
unter anderem als eine Art heiliges Seelentier. Um echte, lebende Tiere
ging es damals aber nicht. Das hole ich jetzt etwas nach. In dem ich
über Künstler forsche, die zusammen mit Bienen Gemeinschaftsskulpturen
aus Wachswaben herstellen. Da geht es mir dann auch darum, wie diese
Tiere behandelt werden, und ob oder dass sie gegebenenfalls auch
ausgebeutet werden. Dann habe ich in Südafrika in einem Affenprojekt als
Volunteer gearbeitet. Als ich dann wieder nach Deutschland kam, dachte
ich, jetzt verbinde ich die Kunstgeschichte und die Tiere und da ging
das dann langsam los. Ich hab die ersten Konferenzen besucht, zum
Beispiel in Australien vor acht Jahren, wo ich Leute wie Giovanni Aloi
von Antennae oder Steve Baker kennengelernt habe, der auch
Kunsthistoriker ist und viel über Tiere geforscht hat. Das wurden dann
meine Vorbilder und ich hab gesehen, dass man in dem Bereich ganz viel
machen kann. Seitdem mache ich eigentlich nichts anderes und hab alles
auf diese Karte gesetzt. Ich hab angefangen mit Repräsentationen von
Tieren, also Gemälden oder Skulpturen von Tieren und mich dann immer
mehr und mehr zu den realen Tieren hin entwickelt. Im Moment schreibe
ich meine Habilitationsschrift über lebende Tiere, also wie Künstler mit
lebenden Tieren in Kunstwerken interagieren. Dabei ist der ethische
Aspekt ganz wichtig für mich.
Frage: Also aktuelle Kunst?
Ullrich: Ja, Kunst seit den 70er Jahren und auch ganz aktuelle
Gegenwartskunst. Mit Joseph Beuys fange ich an, so Mitte der 70er Jahre
etwa.
Frage:
Joseph Beuys haben Sie auch in dem Kunsttexte-Beitrag erwähnt und
geschrieben, dass sämtliche Künstler, egal ob sie lebende oder tote
Tiere verwenden, es nicht der Tiere wegen tun. Es ginge nie um die Tiere
und wenn mit ihnen agiert würde, würden sie immer nur in der
symbolischen Bedeutung aufgehen.
Ullrich: Das ist tatsächlich so meine Beobachtung. In meiner Analyse ist
das für mich so herausgekommen. Das würden manche Künstler sicherlich
anders sagen. Also Beuys würde sicher sagen, wenn er noch leben würde,
dass es ihm um das Tier geht. Aber ich sehe das eben nicht, wenn ich mir
die Arbeiten anschaue. Ich hab den Eindruck, dass im Moment ein
Umdenken zu beobachten ist. So in den letzten zehn, vielleicht 15
Jahren, seit Ende der neunziger Jahre. Und ich möchte darüber schreiben,
dass Künstler sich mehr tatsächlichen Tieren zuwenden und
Tierindividuen in ihre Werke einbeziehen, sich mit ihnen auseinander
setzen und weg gehen vom Tier als Symbol oder Metapher oder Vehikel für
irgendeine menschliche Bedeutung. Ich glaube, das ist eine relativ neue
Erscheinung. Und es ist neu, dass das Kunsthistoriker erkennen. Wenn man
sich zum Beispiel ein Bild aus dem Barock anschaut und einen leidenden
Hund darauf sieht, der gequält wird, dann hätten bis vor Kurzem noch
alle geschrieben „ja, der Hund symbolisiert irgendwie das Leiden der
Menschheit“. Aber heute schreiben Kunsthistoriker auch, dass es
vielleicht auch um den Hund geht und darum, dass er gelitten hat. So hat
man vor 20 Jahren Bilder noch gar nicht gelesen.
Frage:
Wenn ich solche Bilder sehe, denke ich aber auch immer, dass die Tiere
nur etwas für den Menschen repräsentieren. Also Statussymbol oder Symbol
für etwas anderes sind. Dass das Tier eine Eigenschaft des Menschen
ausdrücken soll, weil die Bilder und die Darstellung für die
Auftraggeber waren, nicht für die Künstler. Mir ist noch nie
aufgefallen, dass es um die Tiere geht. Also entweder geht es um einen
Jagdhund, der dann die Jagd und den Begleiter der Jäger symbolisiert und
schön ist, oder um die toten erlegten Tiere, als Symbol für das Hobby,
den Erfolg und die Jagd„künste“ des Herrschers.
Ullrich: Das stimmt. Das kann man sicherlich so sehen. Aber ich versuche
immer die Werke teilweise anders zu lesen und anderes zu sehen. Da bin
ich ein bisschen optimistischer, oder vielleicht hab ich einfach einen
naiveren Blick. Als Beispiel könnte ich jetzt die Arbeiten von William
Wegman aus den 70er Jahren nehmen. Er ist ein Video-, Performance- und
Fotokünstler. Die Fotos kennen Sie sicherlich, die sind unheimlich
kitschig. Das sind Fotos von Weimaranern, von schönen Hunden, die
arrangiert wurden, zum Beispiel mit Kappen. Eigentlich auf den ersten
Blick eher kitschige Fotos. Aber es gibt aus den 70ern schöne Videos, wo
er mit einem Hund einfach nur interagiert hat. Er hat Bälle geworfen,
hat dem Hund irgendwelche Dinge erklärt und dabei gefilmt, wie er mit
dem Hund redet und der Hund den Kopf schief legt und nicht versteht, was
er sagt, aber versucht zu verstehen. Das zeigt etwas über die Beziehung
zwischen einem Halter und seinem Hund. Das kann man wiederum
kritisieren, denn Wegman ist der, der die Arbeit initiiert und der in
der Hie-rarchie über diesem Hund steht. Aber er macht sich nicht lustig
über diesen Hund. Wenn man diese Arbeiten anschaut, wird eigentlich der
Mensch lächerlich gemacht. Es wird darauf fokussiert, was zwischen den
beiden an Beziehung passiert, und der Hund macht einfach das, was er
macht. Ich hab das Gefühl, dass so eine partnerschaftliche dialogische
Situation aufgebaut und abgefilmt wird. Und man kann zur Haustierhaltung
ganz anders stehen und sagen, das ist grundlegend falsch. Aber wenn man
akzeptiert, dass die beiden ein Team sind, der Mann und der Hund, dann
sind die Kunstwerke ein Zeugnis von einer ganz intimen, persönlichen
Beziehung, zwischen zwei Individuen, zwei Persönlichkeiten. Ich versuch
das so zu sehen und denke, das ist ein Beispiel, bei dem der Hund nicht
für was anderes steht, sondern für sich, und von dem Künstler, der ihn
mit einbezieht, auch so gemeint ist.4
Frage: Mittlerweile gibt es also auch Kunst, in der es um die Tiere geht?
Ullrich: Ich glaube ja.
Frage:
Das Beispiel erinnert mich an eine Ausstellung von Wolf Kahlen, die Sie
in dem Kunsttexte-Beitrag beschreiben. Dort stehen auch Hunde im
Mittelpunkt der Kunst.
Ullrich: Das ist eine Arbeit, die mir persönlich sehr gut gefällt. Die
ist auch aus den 70ern und heißt „dog territorial“. Sie besteht nur aus
einem Galerieraum, in den er irgendwelche Duftmarken gesetzt hat. Die
sind für Menschen wahrscheinlich auch wahrnehmbar, aber nicht so
interessant, und die konnten die Ausstellung mit ihren Hunden besuchen,
und die Hunde konnten dann in den Raum gehen. Die Menschen mussten
draußen bleiben, konnten aber über Videoüberwachung schauen, was die
Hunde machen. Und die Hunde laufen darin herum und schnuppern und
erleben offensichtlich was. Und die Menschen, die nur zuschauen, werden
meiner Ansicht nach darauf aufmerksam gemacht, dass andere Spezies ein
reiches Sinnsensorium haben, was sie selber nicht haben. Dass die Hunde
Erlebnisse haben, von denen sie selber ausgeschlossen sind, und dass
diese Sinne gleichwertig sind. Also dass man nicht sagen kann, wir sind
Augenwesen und das ist der übergeordnete Sinn. Sondern in dieser Arbeit
geht es eben um die Nase, und da haben menschliche Tiere nicht so viel
zu erleben. Das ist eine emanzipatorische Arbeit, wenn man es so sieht,
dass den Hunden eine eigene Perspektive zugesprochen wird. Während in
klassischen Kunstwerken immer nur der Mensch den Blickpunkt und
Standpunkt auf die Welt inne hatte.
Frage: Ok, da ist wenig kritisches Potential enthalten. Wie stehen Sie zu präparierten Tieren in der Kunst?
Ullrich: Da kann man einfach nur tote Tiere sehen und denken „das sind
tote Tiere, die will ich nicht sehen, ich will ja auch keine
ausgestopften Menschen sehen“. Ich versteh auch jeden, der das so sieht.
Ich versuche aber manche Arbeiten auch anders zu lesen. Was natürlich
schwierig ist, wenn es nur reine Affekthascherei ist. Es gibt Arbeiten,
die ich grundsätzlich ablehne. Aber es gibt andere, wo Künstler
taxidermische Präparate einbeziehen, die eine gewisse Sensibilität für
die Präparate haben und vielleicht eine Botschaft dazu rüberbringen. Es
gibt beispielsweise eine Arbeit von dem Künstlerpaar Bryndis
Snæbjörnsdóttir und Mark Wilson, eine isländische Künstlerin und ein
britischer Künstler, die immer zusammenarbeiten. Sie haben eine
Untersuchung gemacht und taxidermische Eisbären in Großbritannien
gesucht, die es in Naturkundemuseen oder in Schulen, Zoos und privaten
Einrichtungen gibt, und haben die Bären, die sie bekommen konnten, in
einer großen Ausstellung zusammengeholt. Sie haben sie in Vitrinen
gezeigt und dazu weitere Nachforschungen angestellt. Darüber, was das je
für ein Bär ist, wo er herkommt, wann er geschossen wurde und vom wem.
Die meisten sind auf irgendwelchen Expeditionen geschossen worden. Oder
wenn sie aus dem Zoo kamen, wie lange sie in dem Zoo gelebt haben, wie
sie in den Zoo gekommen sind, wie sie gestorben sind – die meisten sind
eingeschläfert worden, wegen Verhaltensauffälligkeiten – und haben dann
zu jedem Tier diese Lebensgeschichte, inwieweit sie rekonstruiert werden
konnte, mit daneben gehängt oder ein Buch dazu gemacht mit der
Lebensgeschichte. Ich finde diese Arbeit insofern interessant, weil
ihnen im Gegensatz zu Tieren, die sonst ano-
nym in
Naturkundemuseen ausgestellt sind, so posthum ein Stück ihrer Identität
wiedergegeben wird, wodurch man dann vielleicht Präparate in anderen
Sammlungen dann auch noch mal neu sieht und dann daran denkt, dass es
ein Tier mit einer Persönlichkeit und Geschichte ist.
Frage:
Das find ich richtig schön, weil das Tier dann kein
Ausstellungsexemplar mehr ist, sondern weil es um Aufarbeitung und weil
es um seine Geschichte geht. In den Tierstudien gibt es noch einen
Beitrag vom Pferdeideal der frühen Neuzeit. Dort wird die Bedeutung von
Pferden für Menschen an Beispielen von Gemälden beschrieben. Das
Idealbild vom Pferd wird aus einzelnen Körperteilen zusammengesetzt und
damit quasi künstliche Proportionen entworfen. Das erinnert an die
ebenso konstruierten und entindividualisierten Frauenkörper, die in
allen Epochen der Kunstgeschichte zu finden sind und fast nie kritisiert
werden. Eigentlich zeigen die Körper auf den Bildern eher nur Stil- und
Formnormen der Zeit. Gibt es heute immer noch solche sexistischen und
speziesistischen Ansätze beziehungsweise Beispiele in der Kunst, wo
Frauen und Tiere auf Objekte reduziert sind?
Ullrich: Ganz sicher. In den populären Medien beziehungsweise der
Werbung ist es ja immer noch so.
Frage:
Obwohl es seit den 80er Jahren Kunsthistorikerinnen-Kongresse gibt, die
die Methoden, die eigene Geschichtsschreibung, von der Frauen
ausgeschlossen waren, oder die Kanonbildung kritisieren. Daher sollte
sich eigentlich viel getan haben.
Ullrich: Aber es gibt immer noch konventionelle, üble Kunst, die
sexistisch ist und rassistisch und speziesistisch natürlich sowieso. Das
wird es auch weiterhin geben. Auch wenn Human-Animal Studies jetzt
überall ein attraktives Thema an den Universitäten wird, gibt’s
natürlich immer noch das old-boys-network von Professoren, die auch mit
Gender Studies oder Postkolonial Studies oder Disability Studies nichts
anfangen können und immer noch über solche Ansätze lächeln. Und die
können dann natürlich noch weniger mit Human-Animal Studies anfangen.
Frage:
Das sind die, die sich nur mit den traditionellen Bildern und Künstlern
beschäftigen. Das Studium ist ja zu 90 Prozent Kunstgeschichte bis
1900, der Kunst von Männern für Männer und über Männer.
Ullrich: Aber wir sehen ja, dass dieses Bild mittlerweile aufgebrochen
wird und das ist sowohl der feministischen Kunstgeschichte als auch den
Gender Studies zu verdanken. Man kann also durchaus etwas bewegen.
Frage: Ok, passend dazu eine letzte Frage. Was hoffen Sie durch Ihre Arbeit bewegen zu können?
Ullrich: Auch wenn es vermessen klingt, möchte ich mit meiner Forschung
dazu beitragen, den Tieren den Platz in der Kulturgeschichte zu geben,
den sie verdienen. Den sie aber nicht selbst einfordern können. Wenn Sie
so wollen, den Tieren eine Stimme zu geben. Tiere ernst zu nehmen,
nicht nur als biologische Entitäten5, sondern auch als Individuen. Dabei
glaube ich fest daran, dass jede Art der Repräsentation immer auch
zurückwirkt auf reale Tiere beziehungsweise auf unseren Umgang mit
realen Tieren. Wenn es als natürlich dargestellt wird, dass Tiere reine
Objekte sind, nimmt man das so hin. Wenn es aber als fragwürdig
hingestellt wird, reflektiert man das vielleicht und hinterfragt seine
bisherigen Glaubenssätze. Wenn Tiere als Partner in ästhetischen
Dia-logen ernst genommen werden, dann setzt sich vielleicht auch das
Bewusstsein durch, dass die Trennung von Mensch und Tier künstlich ist.
Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für das Gespräch genommen haben!
Das Interview führte Maria Schulze.
Fußnoten:
(1)
Interspezies-Kollaboration: Zusammenarbeit im Sinne einer Kooperation
zwischen verschiedenen Spezies, vergleiche auch Beispiele
www.interspeciescollaboration.net
(2)
Taxidermie: Haltbarmachung von Tierkörper, Teil der Tierpräperation.
(3)
Ethologie: als Verhaltensforschung oder Verhaltensbiologie bezeichneter
Teil der Zoologie.
(4) www.wegmanworld.com/splash.html
(5)
Entitäten: Begriff der ontologischen Philosophie, der existierende
Gegenstände, Eigenschaften, Prozesse meint.
old boy
und wie soll den dieser dialog zwischen mensch und tier stattfinden ?
hm
ich finde die denkrichtung interessant, aber ist es nicht ein bisschen komisch über die würde eines wurms nach zu denken, wenn nicht mal die ernährung, geschweige denn ihre befreiung, von millionen menschen in greifbarer nähe ist?
gähn.
und die rechte hält weiter einzug in der wissenschaft... relativierung und entwertung des menschen. biologistische antiemanzipation at its best.