Erbin, ein östlicher Vorort von Damaskus, ist für das Assad-Regime inzwischen fast Kriegsgebiet. Täglich gibt es Luftangriffe und Granatbeschuss, was das Komitee vor riesige Herausforderungen stellt. Von einer kleinen Gruppe von FreundInnen ist es inzwischen auf über 100 Mitglieder angewachsen, die alles an ziviler Verwaltung übernehmen: Müllabfuhr, Versorgung mit Lebensmitteln und Brennstoffen, zentrale Volksküchen - und Demonstrationen, wann immer es geht.
Bericht über die Arbeit des lokalen Koordinationskomitees in der Stadt Erbin im Zeitraum von Anfang Oktober bis Ende Dezember 2012. Während der Fertigstellung dieses kurzen Berichtes am 13.01.2013 wurde ein Abschnitt einer Straße Erbins zwei Mal innerhalb von 5 Minuten von einem Kampfjet bombardiert.
Zur aktuellen Lage in der Stadt
Seit dem 20. Oktober 2012 versuchen Truppen des Regimes von westlicher Seite (Autobahn Damaskus-Homs-Aleppo) in die Stadt Erbin einzudringen. Dabei liefern sie sich erbitterte Kämpfe mit der FSA (Free Syrian Army). Vor etwa einem Monat wurde die Technische Kaserne von den Truppen Assads besetzt und die FSA versucht seitdem ihrerseits, diese Kaserne einzunehmen. Die Technische Kaserne liegt zwischen Harasta und Erbin und sie ist die größte Kaserne innerhalb eines Wohngebietes im gesamten Rif Dimashq (Umland von Damaskus). Somit liegt Erbin zwischen zwei aktiven Fronten: Die westliche Front entlang der Autobahn und die nördliche, die an die Kaserne grenzt.
Video: Erbin nach einer schweren Bombardierung am 27.10.2012, dem Tag des islamischen Opferfestes
Wie die anderen benachbarten Ortschaften wird Erbin täglich von den Truppen des Regimes mit Bomben, Raketen und Mörsergranaten beschossen. An manchen Tagen haben Kampfjets bis zu sieben Luftangriffe auf die Stadt geflogen und auch BM-21 Grad-Raketen wurden auf Erbin abgefeuert. Teile dieser Raketen konnten die Aktivisten in den Trümmern einiger zerstörten Gebäude bergen. Der Beschuss mit Mörsergranaten ist eigentlich ein Teil unseres Alltags geworden.
Wegen dieser instabilen und sehr gefährlichen Lage sind etwa neunzig Prozent der 75.000 Bewohner Erbins in andere Ortschaften geflüchtet, die etwas ruhiger sind. In den letzten drei Wochen beobachteten wir allerdings, dass täglich neue Familien nach Erbin zurückkehren, weil sie an ihren Fluchtorten nicht versorgt werden konnten.
Das wirtschaftliche Leben ist zum Stillstand gekommen. Der Hauptmarkt ist geschlossen und nur wenige Läden geöffnet. Die wenigen, die offen haben, bieten nur wenige Produkte an, die entweder lokal produziert werden oder aber in Erbin gelagert wurden. Unser Hauptproblem bleibt, dass vom Regime kein Treibstoff an Ortschaften wie Erbin geliefert wird. Momentan sind alle drei Tankstellen in Erbin geschlossen. Um zu tanken, müsste man in andere, relativ ruhige Ortschaften fahren, sich dabei aber auch dort einem möglichen Angriff aussetzten, so wie vor wenigen Tagen in Mleha. Besonders in diesem Jahr war der Winter ungewöhnlich kalt. Da es hier momentan kein Heizöl zu kaufen gibt, leiden die in Erbin Gebliebenen zusätzlich an der Kälte.
Video: Bombardement während der Fertigstellung dieses Berichts
Aktivitäten des Kommitees im oben genannten Zeitraum
Auf Grund der oben beschriebenen Lage haben auch einige Mitglieder des Komitees Erbin verlassen – vor allem die, die eine Familie versorgen müssen. Die Aufgaben der Aktivisten, die in Erbin geblieben sind, wurden neu verteilt und manche von ihnen müssen sich nun um mehrere Sachen kümmern.
Die Arbeit der Mediengruppe
Die achtköpfige Mediengruppe, darunter auch zwei Kameramänner, arbeitet aus Sicherheitsgründen an zwei verschiedenen Orten in Erbin. Ihre Arbeit besteht hauptsächlich darin, die Geschehnisse in Erbin so schnell wie möglich an die Medien und die benachbarten Komitees weiterzuleiten und darin, die Opfer und die Schäden zu dokumentieren.
Zwischen dem 01.10. 2012 und dem 31.12.2012 wurden 177 Todesfälle von der Mediengruppe unseres Komitees mit Videos und Fotos der Getöteten dokumentiert. Zudem wurden die Namen der Personen möglichst genau ermittelt und an die LCC (Local Coordination Comitees) und an internationale Organisationen, wie das ICRC (International Committee of the Red Cross) weitergeleitet. Das Komitee hält direkte Verbindung zu dem ICRC-Büro in Damaskus sowie zu der ICRC-Nahostzentrale in Beirut.
Nach der Gründung eines lokalen Verwaltungsrats in Erbin wurde der Mediengruppe die Aufgabe übertragen, als medialer Arm für diesen Rat tätig zu werden. Sie selbst sind im Rat mit einer Person vertreten.
Die Arbeit der Versorgungsgruppe
Die Arbeit der Versorgungsgruppe ist momentan extrem wichtig. Da das Regime in vielen anderen Städten gezielt Bäckereien bombardiert hat, hat sich eine Gruppe Freiwilliger zusammen gefunden, die das Brot von den beiden noch produzierenden Bäckereien abholt und direkt an die noch in Erbin verbliebenen Menschen verteilt. Dadurch vermeiden wir, dass eine große Gruppe von Menschen sich an einem Ort sammelt und reduzieren so ihre Gefährdung. Von diesen freiwilligen „Brotverteilern“ kam unser Kollege Yaseen Burhan Abd Al-Hadi am 03.01.2013 ums Leben. Eine Mörsergranate schlug neben ihm ein, während er dabei war, Brot von einer Bäckerei abzuholen.
Video: Ein Teil der Arbeit der Versorgungsgruppe: Täglich Essen für circa 3.000 Menschen zubereiten
Auf Grund der Knappheit der Lebensmittel und des Treibstoffs sowie der seit drei Monaten währenden Unterbrechung der Stromversorgung, kauft die Versorgungsgruppe ein und kocht täglich Essen für etwa 3.000 Menschen. Die AktivistInnen geben ihr Bestes, um vielfältiges Essen anbieten zu können. Hierbei ist auch die enorm wichtige Rolle der lokalen Bauern zu erwähnen, die bei jedem Wetter und bei fast jeder Sicherheitslage hinaus zu den umliegenden Feldern fahren, um ihre Gemüseernte einzuholen und an die Küche im Ort zu verkaufen. Die Versorgungsgruppe kümmert sich in letzter Zeit auch um das Sammeln und Verteilen von Winterbekleidung.
Die Gruppe für medizinische Hilfe
Diese Gruppe besteht aus Ärzten, Apothekern und Freiwilligen und arbeitet eher im Hintergrund. Sie bildet eine eigene koordinierte Einheit. Im Feldkrankenhaus von Erbin wurden im oben genannten Zeitraum knapp 600 Verletzte behandelt. Man führte 210 Operationen aller Art durch und es gab etwa 50 sehr schwere Fälle, die man an Krankenhäuser weitergeleitet hat, weil das Feldkrankenhaus für eine entsprechende Behandlung nicht angemessen ausgestattet war. Trotz einer Behandlung starben 82 Personen an ihren schweren Verletzung. Behandelt werden im Feldkrankenhaus auch die Soldaten des Regimes, die von ihren Einheiten oft verletzt am Boden liegen gelassen werden, wie dieses Video zeigt.
Video: Das Komitee Erbin kümmert sich um das Sammeln und Verteilen warmer Kleidung für den Winter
In dieser Gruppe arbeiten auch vier Freiwillige, die sich um die Bestattung der Verstorbenen kümmern, denn es kommt oft vor, dass PatientInnen ursprünglich nicht aus Erbin kommen. Jeder Tote bekommt eine würdevolle Beerdigung. Die Angaben toter Regimesoldaten und Shabbiha werden gesammelt und an ihre Angehörigen weitergeleitet. Tote Regimeangehörige werden sittenkonform bestattet.
Die Gruppe Feuerwehr und Müllabfuhr
Nachdem sich das Regime Ende Juli 2012 aus Erbin zurückzogen hat, musste wir unsere Stadt selbst verwalten, denn öffentliche Dienste wie die Instandhaltung des Strom- und Wassernetzes, die Müllabfuhr und die Bekämpfung von Bränden mussten irgendwie weitergeführt werden. Diese Arbeiten übernehmen momentan freiwillige Helfer, aber auch Handwerker, die gegen geringe Bezahlung ihre Dienste zur Verfügung stellen.
Die Mitglieder der anderen Arbeitsgruppen helfen momentan bei den oben genannten Aufgaben mit, da beispielsweise die Dokumentation von Gebäudeschäden unter den jetzigen Umständen gar nicht möglich ist. Danke an Adopt a Revolution für die Unterstützung in dieser schweren Zeit.
Bericht bei Adopt a Revolution...
Komitee in Erbin unterstützen...
Zu Adopt a "Revolution"
Für internationale Solidarität! Gegen jede Militärintervention in Syrien!
Stellungnahme linksradikaler und kommunistischer Gruppen:
http://nowar.blogsport.de/2013/02/21/fuer-internationale-solidaritaet-gegen-jede-militaerintervention-in-syrien-stellungnahme-zur-initiative-adopt-a-revolution/