Léon de Mattis ist einer der Autoren der relativ jungen Zeitschrift "Sic", eine Zeitschrift zum Thema der Kommunisierung, erhältlich auf französisch oder englisch. Er ist ebenfalls der Autor zweier Bücher, "Mort à la démocratie" ("Tod der Demokratie", l'Altiplano, 2007) und "Crises" ("Krisen", Entremonde, 2012).
Der folgende Text ist der erste Text der ersten Nummer von "Sic". Im Gegensatz zu vielen anderen Texten zur Thematik liest er sich relativ leicht und ist eine gute Einführung für all jene, die noch nie was von der Kommunisierung gehört haben.
Eine Sache ist heutzutage gewiss: In der kapitalistischen Welt kann unsere Situation nur schlimmer werden. Alles, was als „soziale Errungenschaft“ betrachtet wurde, wird heutzutage in Frage gestellt. Der Grund dafür ist nicht eine schlechte Verwaltung der Wirtschaft, übermässige Geldgier der Bosse oder die mangelnde Regulierung der internationalen Finanz, sondern schlichtweg der unvermeidbare Effekt der globalen Entwicklung des Kapitalismus.
Das Lohnniveau, der Zugang zu Jobs, die Renten, die öffentlichen Dienste und die Sozialhilfen sind in unterschiedlichem Masse betroffen von dieser Entwicklung: Was bis jetzt zugestanden wurde, wird nun nicht mehr zugestanden und wird morgen noch weniger zugestanden werden. In allen Bereichen ist der Prozess gleich: Die neue Reform geht an jenem Punkt wieder zum Angriff über, wo die alte aufgehört hatte. Diese Dynamik kehrt sich nie um, auch nicht wenn man von der „Wirtschaftskrise“ zum Aufschwung übergeht. Sie begann während der grossen Krise der 1970er Jahre, sie ging weiter nach der Rückkehr des Wachstums in den 1990er und 2000er Jahren. Seitdem scheint es ziemlich schwierig, sich vorzustellen, dass die Dinge wieder besser laufen könnten, sogar im Falle einer sehr unwahrscheinlichen „Überwindung der Krise“ nach dem Finanzcrash 2008.
In Anbetracht dieser schnellen Transformation des globalen Kapitalismus ist die Antwort der radikalen Linken allerdings von einer erschreckenden Schwäche. Mehrheitlich begnügt man sich damit, „den Ultraliberalismus“ der Bosse und der politischen Führer zu verurteilen und man scheint zu glauben, dass man die „sozialen Errungenschaften“ der vorhergehenden Periode verteidigen, oder sie gar noch etwas ausbauen könne, wenn man nur zurück zum Kapitalismus von gestern könnte, demjenigen der Nachkriegszeit. Man schlägt für die Zukunft im wesentlichen das Programm der Résistance von 1944 vor, als ob immer noch ein zu bekämpfender Nazismus und Regierungen existierten, die bereit wären, Mittel für den Sieg zur Verfügung zu stellen – und vor allem, als ob es in der Geschichte schon je ein Zurück in die Vergangenheit gegeben hätte. Damit wird die Gesamtheit dessen vergessen, was heute das kapitalistische gesellschaftliche Verhältnis in seiner aktuellen Dynamik ausmacht.
Weshalb verunmöglichen die Krise und die „Restrukturierung“ des Kapitalismus (d.h. die Modifizierungen der letzten vierzig Jahre) jegliches Zurück zu vergangenen Bedingungen des Kampfes? Und was kann man daraus für den heutigen Kampf ableiten?
Um diese Fragen zu beantworten, ist es nötig, einen kleinen theoretischen Umweg zu machen. Der Profit ist nicht nur ein Element unter anderen der kapitalistischen Gesellschaft: Er ist ihr prinzipieller Motor, die raison d'être von allem, was in der gesellschaftlichen Welt existiert. Der Profit ist nicht etwas, das sich an den menschlichen Tätigkeiten festkrallt und das Produkt der Arbeit dem parasitären Kapitalismus zuführt. Er ist die Wurzel all dieser Tätigkeiten, die ohne ihn nicht existieren würden – oder, um es anders auszudrücken, diese menschlichen Tätigkeiten würden in einer so anderen Art und Weise existieren, dass sie mit den Tätigkeiten, die man aktuell beobachten kann, nichts zu tun haben würden.
Es geht nicht um ein moralisches Urteil zu diesen Tatsachen, sondern eher darum, all ihre Konsequenzen zu verstehen. Es ist nicht so, dass der Profit systematisch bevorzugt wird im Verhältnis zu jenem, das nützlich, gut ist und der Gesellschaft etwas bringt (wie die Gesundheit, die Kultur usw.); es ist „die Nützlichkeit“ selbst, die ausserhalb des Profits nichts existieren kann. Nichts, das nicht profitabel ist, kann im Kapitalismus nützlich sein. Oder, um es anders zu formulieren, alles Nützliche ist es nur insofern als die Nützlichkeit Möglichkeiten bietet, Profit zu generieren. Zum Beispiel zu behaupten, dass „die Gesundheit keine Ware ist“, ist schlichtweg absurd, bar jeglichen Sinns für die Realität in der kapitalistischen Welt. Nur weil die Gesundheit profitabel ist, einerseits, in einer sehr allgemeinen Art und Weise, weil sie die arbeitende Bevölkerung in einem guten Funktionszustand hält, andererseits, in einer spezifischen Art und Weise, weil sie die Quelle von Profit für gewisse Leute ist, ist sie ein wirtschaftlicher Sektor: und nur weil sie real ein Sektor der Wirtschaft ist, und somit eine „Ware“, steht etwas zur Verfügung, um die Ärzte zu unterhalten, Maschinen zur Analyse des menschlichen Körpers zu produzieren und Spitäler zu bauen. Ohne das gäbe es offensichtlich nichts von all dem.
Um Profit zu generieren, muss der in der Ware enthaltene Wert steigen, der Wert dessen, was produziert wird muss höher sein als der Wert der Ausgaben (Rohstoffe, Maschinen, Räumlichkeiten, Transporte...) zu ihrer Produktion. Doch was benutzt wird zur Produktion hat den gleichen Wert wie das produzierte, falls man nicht etwas dazu fügt. Dieses Etwas, das dazu gefügt wird, ist die menschliche Tätigkeit, die Intelligenz, die Kraft, die Muskelkraft, die aufgewendet wird, um vereinzelte Dinge in ein qualitativ anderes Ding zu verwandeln als das, was man am Anfang hatte. Diese Tätigkeit muss in einer besonderen Form gegeben sein, damit sie gekauft werden kann, um sich in den Endwert des produzierten einzufügen: Es ist die menschliche Tätigkeit in Form von Arbeit und in dieser Form der Arbeit kann sie vom Kapital gekauft werden.
Doch, und darum ist der Kapitalismus kein Teilen sondern Ausbeutung, der Wert des Kaufs der Arbeitskraft ist geringer als der Wert, der die Arbeitskraft liefert. Man kann nicht allen produzierten Wert umverteilen und ihn der Arbeit „zurückgeben“, weil eben der Wert nur in dieser Trennung zwischen der Arbeit und ihrem Produkt existiert und somit seine ungleiche Verteilung garantiert. Es ist eben die Existenz jener Trennung zwischen der Tätigkeit und dem gesellschaftlich produzierten Reichtum, die die Aneignung desselben möglich macht.
Der „Wert“ der Dinge ist keine natürliche Kreation, sondern eine gesellschaftliche. Doch, und im Gegensatz zu dem, was man uns glauben machen möchte, ist es keine neutrale gesellschaftliche Kreation, die nur der Bequemlichkeit wegen existiert. Es gibt andere vorstellbare Mittel, wahrscheinlich genauso bequeme, um zu fabrizieren, was in einer gegebenen Gesellschaft für die Menschen als lebensnotwendig betrachtet werden könnte. Der Wert ist nur weiterhin notwendig, weil er ein Herrschaftsinstrument ist. Er erlaubt, im aktuellen Produktionsmodus, die Erfassung der Tätigkeit der niederen Klassen zum Vorteil der oberen Klassen. Die Existenz selbst des Werts – und dessen, was historisch als dessen permanenter Repräsentant erscheint, nämlich das Geld – ist nur soweit notwendig, als gemessen werden muss, was den einen weggenommen wird, um es den anderen zu geben. Vor dem Kapitalismus waren der Wert und das Geld nicht im Herz der Produktion selbst, aber sie waren schon das Merkmal der Macht der einen und der Schwäche der anderen. Die Schatzkammer, die Verzierung der Paläste oder die reiche Dekoration der Kirchen waren ein Zeichen der gesellschaftlichen Macht der Gutsherren, der Kalifen oder der kirchlichen Behörden. Das Geld und der Wert sind seit dem Beginn der Klassengesellschaft Symbole der Herrschaft, bis sie im Kapitalismus zu ihrem höchsten Instrument geworden sind. Infolgedessen kann keine Gleichheit vom Gebrauch eines Mittels kommen, dessen raison d'être die Ungleichheit ist. Solange es Geld geben wird, wird es Reiche und Arme, Mächtige und Unterdrückte, Meister und Sklaven geben.
Da das Streben nach Profit dazu zwingt, die Produktionskosten so tief wie möglich zu halten, was schon produziert ist und was zur Produktion dient (die Maschinen, die Gebäude, die Infrastruktur) allerdings nicht mehr als den eigenen Wert weitergeben kann, ist die einzige Variable, die angepasst werden kann, die Arbeitskraft. Der Wert der Arbeitskraft muss also so stark wie möglich gesenkt werden, gleichzeitig kann jedoch nur die Arbeitskraft Wert erzeugen. Der Kapitalismus entkam dieser unlösbaren Gleichung mehrmals, indem er den Wert der Arbeitskraft nur relativ zum total produzierten Wert senkte, jedoch absolut die Quantität der von ihm auferlegten Arbeit erhöhte: Dies erlauben Produktivitätssteigerungen, die Rationalisierung der Arbeit, die technischen und wissenschaftlichen Innovationen. Doch damit wird es notwendig, die Produktion in gigantischen Proportionen zu vergrössern, zu Lasten von vielen Dingen (des natürlichen Raums beispielsweise). Ein solches Wachstum existiert indessen nie in kontinuierlicher Art und Weise und die Umkehrung dieser Tendenz ist die Ursache der aktuellen Situation.
Von der Nachkriegszeit bis zu Beginn der 1970er Jahre erlebte der Kapitalismus tatsächlich eine besondere Periode, wovon man die Charakteristika richtig erfassen muss, um zu verstehen, wieso sie heute verschwunden ist und warum sie, trotz den Hoffnungen der Gewerkschafter und der Linken, nie mehr zurückkommen wird.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kreierten die Zerstörungen des Krieges und die Wertverluste der langen Krise, die ihm voran gegangen war, eine günstige Situation für das, was die Ökonomen „das Wachstum“ nennen, und das nichts anderes ist als dieses widersprüchliche Rennen zwischen der relativen Senkung des Arbeitswerts und dessen absoluter Steigerung. Die politischen Annäherungen, die durch das Anti-Nazi-Bündnis während des Krieges nötig wurden, erlaubten auch eine Form der Machtteilung sowohl auf globaler Ebene (der Ost- und der Westblock) als auch auf gesellschaftlicher Ebene innerhalb der westlichen Länder (man gestand den Gewerkschaften und den linken Parteien eine gewisse Legitimität zu, die Arbeitswelt zu repräsentieren). Der „fordistische Kompromiss“ (1), der damals vorherrschte, bestand darin, durch Lohnerhöhungen eine Steigerung des „Lebensniveaus“ zuzugestehen im Tausch gegen eine starke Steigerung der Produktivität und der Beschwerlichkeit der Arbeit. Der Wert der angestellten Arbeitskraft erhöhte sich, verteilt auf eine grössere Anzahl Arbeiter, als absoluter Wert, doch der totale Wert von allem, was produziert wurde, erhöhte sich noch viel mehr durch den Effekt der Produktionssteigerung. Die Veräusserung all dieser Waren, die Grundlage dessen, das man damals die „Konsumgesellschaft“ nannte, erlaubte, dass der in der Produktion entstandene Mehrwert, die Basis des kapitalistischen Profits, in Zusatzkapital verwandelt wurde, das wieder investiert wurde, um immer mehr zu produzieren. Die Grenze liegt in diesem „immer mehr produzieren“, das irgendwann dazu führt, dass man im Verhältnis zu dem, was produziert und verkauft werden sollte, um den Profit zu wahren, zu viel Kapital zu verwerten hat. In der Tat wahrte das dynamische Gleichgewicht während mehr als zwanzig Jahren, bevor es anfing, ab Mitte der 1960er Jahre, progressiv zu zerfallen, was zu den sogenannten „Ölkrisen“ der 1970er Jahre führte.
Einige kurze Anmerkungen zu dieser Periode. Erst einmal muss gesagt werden, dass sich der „Wohlstand“ auf Westeuropa, Nordamerika und Japan beschränkte und dass davon sogar innerhalb dieser privilegierten Räume gewisse Fraktionen des Proletariats ausgeschlossen waren, wie zum Beispiel die gerade eingewanderte Arbeitskraft, intensiv ausgebeutet, aber schlecht bezahlt. Zudem konnte der westliche Wohlstand die Tatsache nicht kaschieren, dass das, was dem Proletariat zugestanden wurde, ihm als beherrschter Pol des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses zugestanden wurde. Die Erhöhung der Kaufkraft ging einher mit dem massiven Verkauf standardisierter und qualitativ armseliger Waren. Der Ausdruck, der damals aufkam, die „Konsumgesellschaft“, ist unglücklich gewählt, denn es handelte sich um eine „Produktionsgesellschaft“: Die Verteilung von immer mehr Waren war unabdingbar für die allgemeine Erhöhung des totalen Werts, von dem wir zuvor gesprochen haben, während die Verringerung des Werts jeder Ware, die durch die Massenproduktion möglich wurde, eine relative Verringerung des Werts der Arbeitskraft ermöglichte (weniger zu leistende Arbeit war nötig, um die für den Arbeiter lebensnotwendigen Produkte zu liefern). „Die Entfremdung“ des alltäglichen Lebens, die damals so häufig analysiert und kritisiert wurde, war nichts anderes als die Konsequenz dieser Imperative der Wertzirkulation.
Wenn auch das Konzept der „Entfremdung“, das vor dreissig oder vierzig Jahren stark in Mode war, etwas aus dem zeitgenössischen Vokabular verschwunden ist, so ist doch die Realität, die es beschreibt, nach wie vor sehr wohl präsent. Die Entfremdung ist im wörtlichen Sinn die Art und Weise wie uns diese Welt fremd erscheint (...). „Produzieren, um zu produzieren“, das ist die Losung anhand welcher sich die kapitalistische Entfremdung uns zeigt. Die materielle Produktion scheint kein anderes Ziel zu haben als sich selbst. Der Kapitalismus produziert allerdings zuerst gesellschaftliche Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse. Wenn er als ziellose materielle Produktion erscheint, so ist das, weil er die Verhältnisse zwischen den Menschen in Verhältnisse zwischen Dingen überträgt: Die Absurdität der Produktion für die Produktion und dieser scheinbaren Macht, die die Dinge auf die Menschen ausüben, ist nur das Umkehrbild der Rationalität der Herrschaft einer Klasse über eine andere, anders gesagt die Ausbeutung des Proletariats durch die kapitalistische Klasse. Das ultimative Ziel des Kapitalismus ist nicht der Profit oder die Produktion für die Produktion, sondern die Aufrechterhaltung der Herrschaft einer Gruppe Menschen über eine andere Gruppe Menschen und deswegen sind der Profit und die Tatsache zu „produzieren, um zu produzieren“ Imperative, die sich allen aufdrängen (2).
Mit dem epochalen Wandel der 1980er Jahre ist die Entfremdung geblieben, doch der „Wohlstand“ ist weg. Die Krise von 1973 zeigte die Atemnot der vorhergehenden Dynamik. Der Kapitalismus konnte nicht mehr die gleichen Lohnerhöhungen bieten, ohne die Profitrate zu beschneiden. Gleichzeitig gab sich das Proletariat nicht mehr zufrieden mit dem, was die Kapitalisten ihm gegeben hatten. Die Periode der 1960er und 1970er Jahre ist die Zeit, wo sich allgemeiner Protest entwickelt, der sich gegen die Arbeit und ihre Bedingungen richtet, aber auch gegen etliche andere Aspekte der kapitalistischen Gesellschaft. Der Kompromiss wurde in seinem wesentlichsten Punkt abgelehnt: Der Tausch eines höheren „Lebensstandards“ gegen eine totale Unterordnung des Proletariats unter die Produktion und den Konsum. Der Protest gegen die alten Vermittlungsinstanzen der Arbeiter, d.h. gegen die Gewerkschaften, die offiziellen kommunistischen Parteien, hatte die selbe Bedeutung: Es war die Rolle, welche die Arbeiterklasse durch den fordistischen Kompromiss zu spielen erlaubt war, die in Frage gestellt wurde.
Der Kapitalismus musste also das Wesentliche dessen liquidieren, was ihn in der vorhergehenden Periode ausgemacht hatte, und zwar aus zwei Gründen die letztendlich identisch sind: das Fallen der Profitrate und das Aufkommen gesellschaftlichen Protests. Seine Krise und seine Restrukturierung hatten dieses Ziel, auf der politischen und gesellschaftlichen Grundlage einer konservativen und repressiven „neoliberalen“ Welle, die von Persönlichkeiten wie Thatcher oder Reagan verkörpert wurde. Der „Neoliberalismus“ war jedoch nicht die Ursache dieser Restrukturierung, sondern es war im Gegenteil die Restrukturierung, welche notwendig war, um die kapitalistische Ausbeutung aufrecht zu erhalten, die begleitet wurde von dieser ideologischen Etikette. In Ländern, wo es in eine andere Richtung ging, wie in Frankreich, waren es die Sozialisten, die sich den Anordnungen des Kapitals fügen mussten.
Heute, da sie ziemlich fortgeschritten ist, erscheinen alle Komponenten der Restrukturierung ziemlich klar. Zuerst ging es darum, die globalen Kosten der Arbeit zu senken und deshalb anderswo als in den westlichen Ländern billige Arbeitskraft zu finden, die nicht die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung hinter sich hat. Einige Vorreiter, wie etwa Hongkong oder Taiwan, haben den Weg aufgezeigt. Die Entwicklung der Finanz und die Transformationen der Währung – die, seit 1971, nicht mehr auf dem Gold gründet – haben das nötige Instrument (3) zur Entwicklung eines global integrierten Kapitalismus geliefert: Zonen der Produktion in Werkstätten, andere des Konsums und der Produktion auf hohem Niveau, wieder andere, die aufgegeben wurden, da sie schliesslich überflüssig sind in Bezug auf die Wertzirkulation. Diese globale Zonenunterteilung hat sich schnell bis zu einem Punkt entwickelt wo sie, in der aktuellen Periode, in jedem Teil der Welt im Kleinen reproduziert wird. Die Banlieues hier widerspiegeln die peripheren Länder im globalen Handel: Es ist der Überfluss an Menschen, womit der Profit nichts anzustellen weiss und die deshalb eingepfercht und überwacht werden müssen. Die globale Konkurrenz impliziert den relativen Rückgang der Vorteile des westlichen Proletariats, die das Resultat des vorhergehenden historischen Kompromisses waren; und da keine Perspektive der Verbesserung existiert, sind es die Polizei und der hysterische Sicherheitsdiskurs, die als Antwort des Staates auf die enttäuschten Hoffnungen der einen wie der anderen fungieren.
Die Existenz selbst dieser globalen Zonenunterteilung zeigt uns, dass es unmöglich ist, auf die neu industrialisierten Länder, wie Indien oder China, das Schema der Anfänge der industriellen Revolution Europas anzuwenden. Diese – ziemlich mechanistische – Überlegung besagt, dass die Entwicklung, welche die Arbeiterklasse in den westlichen Ländern vor ein, zwei Jahrhunderten erlebte, in einer beschleunigten Form in diesen Ländern wiedergefunden werden kann. Zuerst übermässig ausgebeutet und in der Misere würde diese Klasse, die für höhere Löhne kämpft, zu einem Niveau des Wohlstands kommen, welches den positiven Kreislauf des durch die Entwicklung des Binnenmarktes unterstützten Wachstums auslöst. Doch abgesehen davon, dass diese Entwicklung alles andere als wünschbar ist (denn, in Anbetracht der Grenzen, die wir erreichen, kann sie nichts anderes bedeuten als ein irreparables ökologisches Desaster), scheint sie sowieso unter den aktuellen Bedingungen unmöglich. Die westliche Entwicklung, die – vergessen wir das nicht – auch durch die koloniale Plünderung begünstigt wurde, kann sich nicht identisch in einer Wirtschaft wiederholen, die auf Anhieb global integriert ist. Der chinesische oder indische Binnenmarkt, wenn er sich auch spektakulär ausbreitet, kann nicht alles Wachstum dieser Länder absorbieren, sie sind hoffnungslos abhängig von westlichen Absatzmärkten und gar westlichem Reichtum, denn ihre Guthaben sind auf amerikanische oder europäische Schulden ausgestellt. Etwas theoretischer formuliert, könnte man sagen, dass die Masse allen global akkumulierten Werts (und nicht ausschliesslich in diesen Ländern) ihren Profit in der globalen Produktion finden muss. Die Grenze, welche in den 1970er Jahren erreicht wurde, ist immer noch da. Es gibt zu viel zu verwertendes Kapital, als dass das dynamische Gleichgewicht der Nachkriegszeit wiedergefunden werden könnte, und dies gilt sowohl für die neu industrialisierten als auch für die westlichen Länder. Die Restrukturierung, die auf die Krise der 1970er Jahre folgte, bestand darin, dass das Kapital eine andere Art und Weise sich zu verwerten finden musste, indem es die Arbeitskosten senkte, und wir sind immer noch an diesem Punkt.
Eine solche Entwicklung hat gezwungenermassen sehr wichtige Auswirkungen auf die Klassenkämpfe in den westlichen Ländern. In der Periode vor der Krise der 1970er Jahre und der Restrukturierung hatte der Kampf des Proletariats einen doppelten Sinn, wahrscheinlich widersprüchlich, doch auf einem einzigen Postulat gründend. Einerseits erstrebte der Kampf unmittelbare Ziele, wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Erhöhung der Löhne, oder gar mehr soziale Gerechtigkeit. Andererseits hatte der Kampf auch die Wirkung, und manchmal das Ziel, die Macht der Klasse der Arbeit gegenüber der Klasse des Kapitals zu stärken, tendenziell vielleicht bis zum Sturz der Bourgeoisie. Diese beiden Aspekte waren konfliktreich und die Antagonismen zwischen den Verteidigern der „Reform“ und denjenigen der „Revolution“ waren konstant, doch der Kampf selbst konnte letztendlich genauso gut das eine wie das andere bedeuten. Der Kampf um unmittelbare Vorteile und der Kampf um den zukünftigen Kommunismus artikulierten sich rund um die Idee, dass der Triumph über die Stärkung der Arbeiterklasse und ihrer Kampfbereitschaft gehen würde. Natürlich waren die Debatten innerhalb der Arbeiterbewegung genauso stark Spaltungen zwischen den Verteidigern der Revolution und der Reform, den Verteidigern der Partei, der Gewerkschaften und der Arbeiterräte, den Verteidigern der unmittelbaren und der verzögerten Revolution...kurz, zwischen Leninisten, Linken, Anarchisten usw. Was sie jedoch teilten, war eine Erfahrung des Kampfes, in welchem das Proletariat, ohne einig oder gar vereint zu sein (was es nie war), eine sichtbare gesellschaftliche Realität war, in welcher sich jeder Arbeiter wiedererkennen und mit welcher sich jeder Arbeiter identifizieren konnte.
Doch wie sieht es heute aus? Die Debatte zwischen „Reform“ und „Revolution“ ist seit dreissig Jahren schlichtweg verschwunden, da sich die gesellschaftliche Grundlage, die ihr Sinn gab, in Luft aufgelöst hat. Die Form, welche das Proletariat seit eineinhalb Jahrhunderten subjektiv existieren liess, die Arbeiterbewegung, ist zusammengebrochen. Die Parteien, Gewerkschaften und linken Organisationen sind „Bürger-“ und „republikanische“ Parteien, deren Ideologie der französischen Revolution entlehnt ist, d.h. der Periode, die der Arbeiterbewegung voran gegangen war. Nur sind offensichtlich weder das Proletariat, noch der Kapitalismus verschwunden. Was fehlt also?
Natürlich kann man auf den ersten Blick sagen, dass sich einfach der Sinn, welcher der Sieg annehmen kann, verändert hat. Ohne die voran gegangenen Perioden idealisieren oder deren Rückschläge unterschätzen zu wollen, kann man sagen, dass die Arbeiterklasse seit dem Beginn des Kapitalismus Kämpfe führte, die zu realen Veränderungen seines Verhältnisses zum Kapital führten: Einerseits durch das, was konkret entrissen wurde – Arbeitszeitverkürzungen, Lohn usw. – und andererseits durch die Organisation der Arbeiterbewegung selbst in Parteien und Gewerkschaften. Die Machtvergrösserung des Proletariats konnte als Grundlage jedes Kampfes und jedes Teilsieges dienen, während jede Niederlage als ein momentanes Zurückkrebsen bis zur nächsten Offensive erscheinen konnte. Sicher war diese Machtvergrösserung zugleich eine Ohnmachtsvergrösserung, denn jeder Teilsieg und jede Institutionalisierung der gewerkschaftlichen Rolle waren Faktoren, die die kommunistische Perspektive immer etwas weiter entfernten, bis sie zu einem immer entlegeneren und schwammigeren Horizont wurde (4). Doch der allgemeine Rahmen der Kämpfe, sogar mit ihren Grenzen, war trotz allem die Macht der Arbeiterwelt gegenüber den Bossen.
Seit bald dreissig Jahren sind die Kämpfe rein defensiv. Jeder Sieg verzögert einzig die angekündigte Niederlage. Die Dynamik besteht zum ersten Mal seit zwei Jahrhunderten einzig und allein im Rückgang der Macht der Arbeiterklasse. Das aktuelle Wahrzeichen des erfolgreichen Arbeiterkampfes ist Cellatex: Der radikale Kampf um Entschädigungen, wenn die Anstellung liquidiert wird. Der Sieg bedeutet hier das Ende dessen, was den Kampf möglich machte – die Tatsache, Lohnarbeiter einer, mittlerweile geschlossenen, Unternehmung zu sein – und nicht mehr den Beginn von etwas.
Doch das ist nicht alles. Die Veränderungen der Arbeit seit dreissig Jahren, mit dem Effekt der Massenarbeitslosigkeit, haben das Verhältnis des Lohnarbeiters zu seiner Arbeit und somit das Verhältnis des Proletariats zu sich selbst modifiziert. Die Anstellung hat immer weniger diesen Referenzstatus, den sie in der Nachkriegszeit hatte (was übrigens der radikalen Kritik der Arbeit den Inhalt einer Kritik der kapitalistischen Gesellschaft als solches gab). Man hat die gleiche Anstellung nicht mehr ein Leben lang. Keine Karriere ist mehr vorprogrammiert. Der Lohnarbeiter sollte sich „entwickeln“, sich bilden, Arbeitsort und Anstellung wechseln. Die Prekarität wird zur Norm. Die Arbeitslosigkeit ist nicht mehr die Negation der Arbeit, sondern ein Moment derselben, eine Etappe, die jeder Arbeiter mehrere Male in seinem Leben erleben wird oder die Arbeit verwandelt sich gar, für viele, in eine teilweise und vorläufige Ergänzung zur Arbeitslosigkeit. In den Unternehmen vervielfachen sich die unterschiedlichen Ränge und Bedingungen. Die Auslagerung der Arbeiten, das Zurückgreifen auf Subunternehmer und auf Interimsagenturen zersplittern und teilen die Arbeiter in etliche Kategorien. Dadurch wird das Kämpfen schwierig, denn die Einheit selbst der zusammen Kämpfenden ist auf Anhieb problematisch, statt dass diese, wie in den Perioden vor den 1970er Jahren, fast schon von selbst vorausgesetzt war (und das trotz allen Trennungen, die zwangsläufig entstanden). Die Einheit der Kämpfenden wird heutzutage vom Kampf als Mittel zum Zweck konstruiert. Diese Einheit ist nie zum Vorhinein gegeben und sie bleibt zudem, sogar wenn sie mal temporär errungen wird, den Spaltungsmöglichkeiten ausgesetzt, die schon zur Zeit existierten als diese vorausgesetzt war.
Der Kampf ist also schwieriger, doch es gibt einen noch wichtigeren Unterschied: Er führt nicht mehr zu den gleichen Resultaten. Da die Einheit vor dem Kampf nicht mehr vorausgesetzt ist, ist sie auch nicht mehr Teil der offiziellen Ziele des Kampfes. Eine gewisse Idee der Verbesserung der Arbeiter- oder proletarischen Bedingung im allgemeinen ist nicht mehr Teil der Kampfperspektiven, oder wenn, dann nur der defensiven Kämpfe, deren Scheitern vorprogrammiert ist (die Kämpfe um die Renten zum Beispiel). Die siegreichen Kämpfe sind es nur bezüglich der Tatsache, dass sie ein unmittelbares und teilweises, wir würden sagen individuelles Ziel erreichen wollen. Im Kapitalismus erhalten wir keine kollektive Verbesserung unserer Situation mehr, sondern eine individuelle Verbesserung, ohne die Perspektive einer Verteidigung der Arbeiterbedingung, womit sie nur vorläufig sein kann. Zudem bedeutet das Ende des Kampfes, sei es durch Sieg oder Niederlage, das Ende der im Kampf konstruierten Einheit und somit die Unmöglichkeit, diese als solche weiterzuführen oder wieder aufzunehmen, dort wo die vorhergegangene Periode das Gefühl einer Entwicklungsrichtung gab, die die „Kapitalisierung“ der Kämpfe scheinbar möglich machte, d.h. das Aufhäufen siegreicher Resultate vergangener Kämpfe. Es mag eine Illusion gewesen sein, beeinflusste aber die Art und Weise, wie die Leute ihre Kämpfe und die möglichen Folgen davon dachten (5).
Gewissermassen kann man sagen, dass heutzutage jeglicher Klassenkampf an seine Grenze stösst in der Tatsache, dass er die Tätigkeit einer Klasse ist, die, in seinem Verhältnis zum Kapital, nicht mehr findet, was zuvor ihre raison d'être und ihre Macht ausmachte: Die Tatsache, kollektiv die Arbeit zu verkörpern. Dieses distanzierte und, präziser ausgedrückt, aussen stehende Verhältnis zu ihrer Arbeit, anders gesagt zu ihrem Sein als Proletarier, beeinflusst die Art und Weise wie man kämpfen und im Kampf gewinnen kann. Alles, was man gewinnt, ist ein Verlust in Bezug auf die Bedingungen selbst des Kampfes. Und alles, was man verliert, ist ebenfalls ein Verlust. Dieser Tatbestand scheint definitiv gesichert und es wäre falsch, zu glauben, man müsse zuerst, vor dem Kampf, die Einheit des Proletariats wieder herstellen, um eine effiziente Tätigkeit desselben zu erhalten. Die Einheit existiert nur vorläufig im Kampf und zwischen den Kämpfenden, ohne dass gezwungenermassen ein Bezug zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Klassenzugehörigkeit hergestellt wird. Das „Klassenbewusstsein“ ist nicht etwas, das durch politische Propaganda wieder hergestellt werden könnte, denn es existierte immer nur relativ zu einem spezifischen Zustand des kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisses. Dieses Verhältnis hat sich geändert, das Bewusstsein ebenfalls. Wir müssen uns damit abfinden.
Wir müssen uns umso mehr damit abfinden, als dass diese neue Gegebenheit uns zwingt, unsere Konzeptionen des Kommunismus und der Revolution zu überdenken und auf kritische Art und Weise zu begreifen, was diese in der vorherigen Periode waren. Wenn nämlich die proletarische Identität durch das Verhältnis des Proletariats zum Kapital bestätigt wurde, so war die Konzeption einer radikalen Veränderung, welche sich massiv durchsetzte – und welche auf breiter Basis geteilt wurde, von den Reformisten wie auch von den Revolutionären, von den Anarchisten wie auch von den Marxisten – diejenige eines Sieges des Proletariats über die Bourgeoisie als Folge einer Mobilisierung der Macht der Klasse der Arbeit durch diverse Methoden (gewerkschaftliche Aktion und Organisation, Eroberung der Macht durch Wahlen, Aktion der Partei der Avantgarde, Selbstorganisation des Proletariats...). Wir wiederholen deshalb, dass diese Sichtweise sowohl dem Reformismus als auch der Revolution eine Perspektive anbot und ihnen, jenseits ihrer Opposition, erlaubte, ihren Streit auf einer gemeinsamen Basis zu gründen. Aus diesem Grund sind, wie schon gesagt, die alten Perspektiven, sowohl die revolutionäre als auch die reformistische, zusammen vom Feld der offiziellen Politik verschwunden. Wenn man heute von Reform spricht, sei es die Rechte oder die äussere Linke des politischen Spektrums, so bezieht man sich auf eine Reform der Verwaltung des Kapitalismus, und nicht mehr auf etwas, was wirklich eine Reform wäre, d.h. was zu einem Bruch mit dem Kapitalismus führen würde. In einer zweifellos ideologischen Form, deren Existenz jedoch aufschlussreich war, fand sich diese Idee noch in den Programmen der sozialdemokratischen Parteien bis in die 1970er Jahre. Seither ist diese Perspektive schlichtweg vergessen worden.
Heute können wir verstehen, dass sowohl die reformistische wie auch die revolutionäre Perspektive eine Sackgasse war, weil sie die kommunistische Revolution als Sieg einer Klasse über die andere auffasste und nicht als gleichzeitiges Verschwinden der Klassen. Es ist der Ausgangspunkt der traditionellen Idee der Übergangsphase, während welcher das Proletariat sich nach seinem Triumph zwischenzeitlich um die Verwaltung der Gesellschaft kümmert. Historisch betrachtet weiss man, dass dies zum Ausdruck kam durch die Bildung eines Staatskapitalismus sowjetischen Typs, in welchem die Bourgeoisie durch eine der kommunistischen Partei verbundene Bürokratenklasse ersetzt wurde und in welchem die Arbeiterklasse in Wirklichkeit weiterhin ausgebeutet und gezwungen war, die verlangte Mehrarbeit zu leisten. Es muss jedoch betont werden, dass diese Idee der Übergangsphase sich nicht auf die strikt marxistische Variante der „Diktatur des Proletariats“ beschränkt, denn in verschiedener Hinsicht positionierten sich weder die Reformisten (die an eine Machtergreifung durch die Urnen dachten) noch die Anarchosyndikalisten (die an eine Machtergreifung durch die gewerkschaftlichen Strukturen dachten) ausserhalb dieses Denkrahmens. Für sie war es ebenfalls der Sieg des Proletariats, entweder demokratisch, mit den Organen des Staates, für die Reformisten, oder durch den Kampf, mit seinen eigenen Organen (den Gewerkschaften), für die Anarchosyndikalisten, welche diesem die Zeit gab, um durch seine neue Herrschaft die Gesellschaft zu verändern. Es waren die Dissidenten beider Lager, die Dissidenten bei den Anarchisten und die Dissidenten bei den Marxisten, welche schrittweise eine Theorie der unmittelbaren Revolution und des unmittelbaren Kommunismus ausarbeiteten. Ausgehend von diesen damaligen theoretischen Erkundungen kann man heute, in der aktuellen Periode und mit dem Abstand, der uns die jüngste Transformation des Kapitalismus gibt, verstehen, dass der Kommunismus nur das gleichzeitige Verschwinden aller gesellschaftlichen Klassen sein kann, und nicht der Sieg einer Klasse über die andere, mag dieser auch zwischenzeitlich sein.
Die aktuelle Periode bringt eine neue Konzeption der Revolution und des Kommunismus hervor, entsprungen aus diesen kritischen dissidenten Strömungen, welche innerhalb dieser früheren Arbeiterbewegung existierten und für welche die kapitalistische Entwicklung zeigt, dass sie dem heutigen proletarische Kampf gerecht werden. Denn die alltägliche proletarische Erfahrung bewirkt, dass die Erfahrung der Klassenzugehörigkeit dazu tendiert, als äusserer Zwang wahrgenommen zu werden, ein Kampf zur Verteidigung seiner Lage deckt sich mit dem Kampf gegen dieselbe. Immer öfter erscheinen in den Kämpfen Praktiken und Inhalte, die dahingehend analysiert werden können. Es handelt sich nicht zwingend um radikale oder spektakuläre Aussagen. Es sind ebenso sehr Praktiken der Flucht, Kämpfe, in welchen die Gewerkschaften nicht willkommen sind und ausgebuht werden, ohne dass man versuchen würde, sie durch etwas zu ersetzen, denn man weiss, dass es nichts gibt, das man an deren Platz setzen könnte, Lohnforderungen, welche in der Zerstörung des Arbeitsinstruments enden (in Algerien, Bangladesch), Kämpfe, in welchen man nicht den Erhalt des Arbeitsplatzes, sondern Entschädigungen fordert (Cellatex und alles, was darauf folgte), Kämpfe, in welchen man nichts fordert, allerdings gegen alles revoltiert, was unsere Lebensbedingungen ausmacht (die „Ausschreitungen“ in den französischen Banlieues 2005), etc.
In diesen Kämpfen tritt Schritt für Schritt eine Infragestellung, durch den Kampf, der Rolle hervor, welche uns vom Kapital zugewiesen wird. Die Arbeitslosen irgendeines Kollektivs, die Arbeiter irgendeiner Fabrik, die Bewohner irgendeines Quartiers können sich als Arbeitslose, Arbeiter, Bewohner organisieren, doch sehr schnell wird diese Identität zu dem, was überwunden werden muss, damit der Kampf weitergehen kann. Das Gemeinsame, die Einheit kommt vom Kampf selbst und nicht von unserer Identität im Kapital. In Argentinien, in Griechenland, auf Guadeloupe, überall präsentierte sich die Verteidigung einer besonderen Lage als reichlich ungenügend, denn eine jedwede besondere Lage kann sich nicht mehr mit der allgemeinen Lage identifizieren. Nicht einmal die Tatsache, „prekär“ zu sein, kann eine gemeinsames zentrales Element des Kampfes bilden, in welchem sich alle wiedererkennen könnten. Es gibt überhaupt kein „Status“ des Prekären, das anerkannt oder verteidigt werden müsste, denn prekär sein, sei es eine erlittene oder eine gewählte Situation, oder ein bisschen von beidem, ist keine neue gesellschaftliche Kategorie, sondern eine der Realitäten, die zur Produktion der Klassenzugehörigkeit als äusserer Zwang beiträgt.
Wenn also heute eine kommunistische Revolution möglich ist, so kann sie nur in diesem besonderen Zusammenhang entstehen: Ein Proletarier zu sein, wird als äussere Form dessen, was man ist, erlebt, während man gleichzeitig im Kapitalismus, wenn man seine Arbeitskraft verkaufen muss und wie auch immer die Form dieses Verkaufs sein mag, nichts anderes als ein Proletarier sein kann. Eine solche Situation erzeugt leicht die falsche Idee, dass man anderswo, in einem mehr oder weniger alternativen Lebensstil, den Kommunismus errichten kann. Es ist kein Zufall, dass eine Minderheit, die gesellschaftlich in den westlichen Ländern immer bedeutender wird, sich leichtfertig diesem Traum hingibt und glaubt, gegen den Kapitalismus Partei zu nehmen und ihn durch diese Methode zu bekämpfen. Doch das kapitalistische gesellschaftliche Verhältnis ist die totalisierende Dynamik unserer Welt und es gibt nichts, das ihr so leicht entkommen kann wie sie sich vorstellen.
Die Überwindung aller existierenden Bedingungen kann nur aus einer Phase intensiver und aufständischer Kämpfe entstehen, während welcher die Formen des Kampfes und die Formen des zukünftigen Lebens gleichzeitig und innerhalb der ein und selben Bewegung Gestalt annehmen werden, wobei letztere nichts anderes sind als erstere. Wir schlagen vor, diese Phase und ihre spezifische Aktivität Kommunisierung zu nennen.
Die Kommunisierung existiert noch nicht, doch die ganze Phase aktueller Kämpfe, die wir gerade erwähnt haben, erlaubt uns, jetzt davon zu sprechen. In Argentinien, während dem Kampf, der auf die Ausschreitungen 2001 folgte, waren es die Bestimmungen des Proletariats als Klasse dieser Gesellschaft, die erschüttert wurden: Eigentum, Tausch, Arbeitsteilung, Verhältnis Männer/Frauen...Da die Krise damals nur auf dieses Land beschränkt war, überschritt dieser Kampf nie die Grenzen: Die Kommunisierung kann allerdings nur in einer Dynamik ihrer unendlichen Ausweitung existieren. Ihr Stillstand bedeutet ihren Tod, zumindest vorläufig. Doch die Perspektiven des Kapitalismus seit der Finanzkrise 2008 – Perspektiven, die für ihn weltweit sehr düster sind – führen uns zur Hypothese, dass sich der Zusammenbruch des Geldes das nächste Mal nicht auf Argentinien beschränken wird. Es geht nicht darum, zu sagen, dass der Ausgangspunkt notwendigerweise eine monetäre Krise sein wird, sondern eher in Erwägung zu ziehen, dass in der aktuellen Situation etliche Ausgangspunkte denkbar sind und dass die gravierende monetäre Krise, die sich ankündigt, zweifellos dazugehört.
Unserer Meinung nach wird die Kommunisierung der Moment sein, wo der Kampf als eines der Mittel seiner Fortführung die unmittelbare Produktion des Kommunismus möglich machen wird. Unter Kommunismus verstehen wir eine kollektive Organisation frei von allen Vermittlungen, die gegenwärtig der Gesellschaft ermöglichen, die Individuen miteinander zu verbinden: das Geld, der Staat, der Wert, die Klassen etc. Denn diese Vermittlungen haben kein anderes Ziel als die Ausbeutung zu ermöglichen. Obwohl sie sich allen aufzwingen, nützen sie hingegen nur einigen. Der Kommunismus wird also der Moment sein, wo die Individuen ein direktes Verhältnis zueinander haben werden, ohne dass ihre interindividuellen Beziehungen von Kategorien überragt werden, welchen sich alle unterordnen müssen.
Selbstverständlich wird dieses Individuum nicht das Individuum sein, welches wir kennen, dasjenige der Gesellschaft des Kapitals, sondern ein anderes Individuum, hervorgebracht durch ein Leben in anderen Formen. Um diesen Punkt richtig zu verstehen, muss daran erinnert werden, dass das menschliche Individuum nicht eine unantastbare Realität ist, die aus der „menschlichen Natur“ resultiert, sondern eine gesellschaftliche Hervorbringungn, und dass jede Periode der Geschichte seinen Typus des Individuums hervorbrachte. Das Individuum des Kapitals ist dasjenige, welches durch seinen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum bestimmt wird: Diese Bestimmung ist dem Verhältnis untergeordnet, welches die beiden grossen Klassen der kapitalistischen Produktionsweise unterhalten, das Proletariat und die kapitalistische Klasse. Dieses Verhältnis steht am Anfang und das Individuum wird danach hervorgebracht, die Klassen sind nicht, wie man es allzu häufig glaubt, ein Zusammenschluss von Individuen, die ihnen vorangehen. Die Aufhebung der Klassen wird also die Aufhebung der Bestimmungen sein, die aus dem Individuum des Kapitals das macht, was es ist: Ein Individuum, das individuell und egoistisch einen Anteil des Reichtums besitzt, der gemeinsam erzeugt wurde. Natürlich ist das nicht der einzige Unterschied zwischen dem Kapitalismus und dem Kommunismus: Der im Kommunismus erzeugte Reichtum wird qualitativ anders sein als das, was der Kapitalismus fähig ist, zu erzeugen. Der Kommunismus ist keine Produktionsweise in dem Sinn, dass in ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht durch die Form des Produktionsprozesses der zum Leben notwendigen Dinge bestimmt wird, sondern dass es im Gegenteil die gesellschaftlichen kommunistischen Verhältnisse sind, die bestimmen wie die notwendigen Dinge fabriziert werden.
Wir wissen nicht, wir können nicht wissen und somit versuchen wir nicht, zu erfahren, wie der Kommunismus konkret aussehen wird. Wir wissen nur, was er als Negatives sein wird, durch die Aufhebung der gesellschaftlichen kapitalistischen Formen. Der Kommunismus ist ein Modus ohne Geld, ohne Wert, ohne Staat, ohne gesellschaftliche Klassen, ohne Herrschaft und ohne Hierarchie – was bedeutet, dass auch die alten Herrschaftsformen überwunden werden, die in das Funktionieren selbst des Kapitalismus integriert sind, wie das Patriarchat, und dass der Kommunismus auch die gemeinsame Überwindung der männlichen und weiblichen Bedingung sein wird. Selbstverständlich ist auch jede Form herkunftsbezogener oder ethnischer Unterteilung ebenfalls unmöglich im Kommunismus, der auf Anhieb global ist.
Wir können die konkreten Formen des Kommunismus weder vorhersagen noch bestimmen, weil gesellschaftliche Verhältnisse nie fertig aus einem einzigen Gehirn entstehen, so genial es auch sein mag, sondern nur aus einer massiven und verallgemeinerten gesellschaftlichen Praxis resultieren können.Es ist diese Praxis, die wir Kommunisierung nennen. Die Kommunisierung ist kein Ziel, sie ist kein Projekt; sie ist nichts anderes als ein Weg, doch im Kommunismus ist das Ziel der Weg, das Mittel der Zweck. Die Revolution ist exakt der Moment, wo wir aus den Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise aussteigen. Dieser Ausstieg kündigt sich schon in den aktuellen Kämpfen an, existiert dort allerdings nicht wirklich, in dem Sinn, dass nur ein massiver Ausstieg, der alles auf seinem Durchmarsch zerstört, wirklich ein Ausstieg ist.
Die Kommunisierung wird ohne jeden Zweifel ein chaotischer Prozess sein. Schliesslich wird die Klassengesellschaft nicht sterben, ohne sich auf etliche Weisen zu verteidigen, und die Geschichte lehrt uns, dass die Barbarei eines Staates, der versucht, seine Macht zu verteidigen, grenzenlos ist – die grössten Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten seit den Anfängen der Menschheit wurden von Staaten begangen. Nur in diesem Kampf auf Leben und Tod und in den Notwendigkeiten desselben wird die grenzenlose Kreativität, welche die Teilnahme jedes einzelnen, gleichzeitig am Werk seiner eigenen Befreiung, freisetzen kann, die Ressourcen zum Kampf gegen den Kapitalismus und zur Erzeugung des Kommunismus in ein und derselben Bewegung finden. Die revolutionären Praktiken der Unentgeltlichkeit, welche den Wert, den Tausch und alle Handelsbeziehungen im Krieg gegen das Kapital aufheben, stellen die bestimmende Waffe dar zur Integration des grössten Teils der Ausgeschlossenen, der Mittelklassen und der ärmsten Bauernmassen durch Massnahmen der Kommunisierung, kurz, zur Erzeugung, im Kampf, der Einheit, welche im Proletariat nicht mehr existiert.
Es ist ebenfalls offensichtlich, dass das Rennen nach vorn, das die Erzeugung des Kommunismus bedeutet, stirbt, wenn es unterbrochen wird. Jede Form der Kapitalisierung der „Errungenschaften der Revolution“, jede Form von Sozialismus, jede Form des „Übergangs“, konzipiert als Zwischenphase vor dem Kommunismus, als „Pause“, wird die Konterrevolution sein, welche nicht von den Feinden der Revolution, sondern von der Revolution selbst hervorgebracht wird, und auf welche der sterbende Kapitalismus versuchen wird, sich zu stützen. Die Überwindung des Patriarchats wird ein derartige Umwälzung sein, dass sie sogar das Lager der Revolutionäre selbst spalten wird, denn selbstverständlich wird das Streben nicht „der Gleichheit“ der Männer und Frauen gelten, sondern schlicht und einfach der Aufhebung gesellschaftlicher Unterscheidungen, welche auf dem Geschlecht basieren. Aus all diesen Gründen wird die Kommunisierung als eine „Revolution in der Revolution“ erscheinen.
Nur die Vielzahl von Massnahmen der Kommunisierung, welche überall und von allen Arten von Leuten ergriffen werden, welche sich, wenn sie eine angemessene Antwort auf eine gegebene Situation sein werden, von allein verallgemeinern, ohne dass jemand wüsste, wer sie erzeugt oder vermittelt hat, wird eine dieser Revolution angemessene Organisationsweise bereit stellen können. Die Kommunisierung wird nicht demokratisch sein, denn die Demokratie, auch die „direkte“, ist eine Form, die nur einer Art von Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv entspricht – genau diese Art wurde vom Kapital bis zum Äussersten getrieben und der Kommunismus wird mit ihr brechen. Die kommunisierenden Massnahmen werden von keiner Instanz ergriffen werden, es wird keine Form der Repräsentation von irgendjemandem und keine Vermittlung geben. Die kommunisierenden Massnahmen werden von jedem und niemandem ergriffen werden. Sie werden von all jenen ergriffen werden, welche, zu einem gegebenen Zeitpunkt, die Initiative ergreifen und eine Lösung suchen, die sie angemessen halten für ein Problem des Kampfes – und die Probleme des Kampfes werden auch die Probleme des Lebens sein, wie essen, wohnen, mit allen teilen, gegen das Kapital kämpfen etc. Debatten, Meinungsverschiedenheiten und interne Kämpfe werden existieren: Die Kommunisierung wird auch die Revolution in der Revolution sein. Es gibt keine Instanz, welche diese Konflikte entscheiden wird: Es wird die Situation sein, welche entscheiden wird, und, post festum, die Geschichte, welche wissen wird, wer Recht hatte. Diese Schlussfolgerung mag abrupt erscheinen: Doch gibt es keine andere Art, eine Welt zu erschaffen.
(1) Henry Ford, amerikanischer Grossbetriebsinhaber, hatte in der Zwischenkriegszeit die Idee verteidigt, man müsse die Löhne und die Produktivität erhöhen, um gleichzeitig die Produktion und die Märkte, welche sie absorbieren könnten, zu entwickeln.
(2) Und sogar den Kapitalisten, welche die Regeln nicht beherrschen, die aus ihnen die Herrscher machen.
(3) Der Finanzkapitalismus ist keineswegs ein parasitärer Auswuchs des produktiven Kapitalismus, wie es uns die linke Vulgata weismachen möchte. Er ist ganz im Gegenteil lebensnotwendig für den produktiven Kapitalismus selbst. Die unglaubliche Entwicklung der Finanz seit den 1970er Jahren hat, unter anderem, die weltweite und augenblickliche Zirkulation des Kapitals möglich gemacht, und diese ist ein notwendiges Instrument zur globalen Integration der Produktions- und Konsumzyklen.
(4) Einige Libertäre oder Rätekommunisten verurteilten übrigens den Verrat der Gewerkschaftsführer. Doch ein solcher „Verrat“ war angelegt in der Institutionalisierung der Arbeiterbewegung, welche von Seiten des Proletariats eine Affirmation seiner Macht implizierte. Die Gewerkschaftsführer waren in dem Sinn Verräter, dass sie, mit dem Ziel ihre eigene Macht zu stärken, es akzeptierten, eine gewisse Rolle anzunehmen; doch diese Rolle erschufen sie nicht selbst. Sich darauf zu beschränken, ihren „Verrat“ zu verurteilen genügt nicht, denn demnach könnte man denken, dass andere, ehrlichere Anführer anders gehandelt hätten.
(5) Die Klassenkämpfe in den neulich industrialisierten Ländern, wie China, Indien, Bangladesch oder Kambodscha können anders sein, denn die dort laufenden Kämpfe, z.B. diejenigen um Lohnfragen, erlauben noch Siege, die eine sehr grosse Bedeutung haben – aber nie gross genug, im global integrierten Kapitalismus, um wirklich den Charakter des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses zu modifizieren. Diese Kämpfe sind keine Neuauflage der in Europa laufenden Kämpfe in den Anfängen des Kapitalismus, sei es nur schon deswegen, weil die Kämpfe nicht mehr Teil der revolutionären Perspektive sind, welche diejenige der Periode von den 1840er bis in die 1970er Jahre war.
Übersetzt aus dem Französischen von Le Réveil
Homepage der Zeitschrift "Sic"
PS: Sic Meeting 2012
Vom 10. bis zum 17. August findet übrigens in der Nähe von Avignon (F) ein internationales Treffen zum Thema Kommunisierung statt. Nähere Infos in diversen Sprachen (u.a. auch Deutsch) findet Ihr hier.
literaturhinweis
In der aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Kosmoprolet findet sich eine Diskussion zwischen Theorie communiste und den Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft über die Fragen der kommunisierung: http://www.kosmoprolet.org/kosmoprolet-3