Leiche in Zimmer 15

Szene-Größe Schönborn 1987 / M. LANGER / AGENTUR FOCUS
Erstveröffentlicht: 
09.07.2012

Ein toter Rechtsextremist und ein Rucksack voller Waffen: Rüstete sich in Brandenburg eine neue militante Gruppe für Anschläge?

 

Der Funkspruch, der am Abend des 22. März eine Streife der märkischen Polizei erreichte, hörte sich nach Routinearbeit an. In Herzberg, einer Ortschaft 60 Kilometer nordwestlich von Berlin, sei ein Mann leblos in seinem Hotelbett aufgefunden worden. Als die Beamten wenig später das Zimmer Nummer 15 im Souterrain der Frühstückspension „Weißes Haus“ betraten, hatte der Notarzt bereits den Tod des Gasts festgestellt. Die Leiche wies keine Spuren von Gewalt auf, offenbar war der Mann an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben.

 

Hinweise auf ein Fremdverschulden gab es nicht, und so hätte die „Todesermittlungssache 359 UJs 5214/12“ schnell zu den Akten gelegt werden können. Wäre den Polizisten nicht ein Militärrucksack im Zimmer aufgefallen, in dem sich ein kleines Kriegsarsenal fand: drei Waffen, darunter eine schussbereite 7,65-mm Pistole und ein umgebauter US-Karabiner mit Zielfernrohr, sowie rund 300 Patronen unterschiedlichen Kalibers. Als ebenso brisant erwies sich die Identität des Toten: Es handelte sich um Jörg Lange, geboren 1966 in Mecklenburg-Vorpommern, einen justizbekannten Aktivisten der rechten Szene.

 

Drei Monate später müssen sich die Sicherheitsbehörden jetzt mit mehreren Fragen auseinandersetzen: Was hatte der Mann mit dem Schießgerät vor? Wie kam das Arsenal in sein Pensionszimmer? Und: Hatte sich vor den Toren der Hauptstadt, kein halbes Jahr nach Enttarnung der Zwickauer Terrorzelle, womöglich eine neue militante Neonazi-Gruppe formiert und für Anschläge gerüstet?

 

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin, die in dem Fall ermittelt, will sich derzeit nicht äußern. In der 660-Seelen-Gemeinde Herzberg hat sich der Leichenfund im „Weißen Haus“ längst herumgesprochen. In der Pension, so ist zu hören, sollte ein rechtsextremes Schulungszentrum entstehen. Im Frühjahr habe eine Frau das 4500 Quadratmeter große Anwesen samt Büros, Tagungsräumen und Gästezimmern gepachtet. Sie wolle dort, so soll sie den ahnungslosen Eigentümern erklärt haben, EDV-Kurse und Seminare über alternatives Leben veranstalten.

 

Ermittler glauben indes, dass der Lebensgefährte der neuen Pächterin hinter der Anmietung steckte – und ganz andere Pläne mit der Immobilie hatte. Der Mann heißt Meinolf Schönborn und gilt seit über drei Jahrzehnten als große Nummer der deutschen Neonazi-Szene.

 

Anfang der achtziger Jahre wirkte Schönborn in hohen Funktionen bei der NPD und ihrer Jugendorganisation JN, später führte er die 1992 verbotene „Nationalistische Front“ (NF) an. Hintergrund des Verbots war damals die geplante Aufstellung paramilitärischer Einheiten.

 

Bis heute betreibt Schönborn einen „nationalen“ Versandhandel, auf dessen Website seine gesammelten Erfahrun gen mit der Justiz („68 Hausdurchsuchungen, mehrere Strafverfahren und eine Haftstrafe von 27 Monaten“) gerühmt werden. Neben Skinhead-Kleidung und Deko-Waffen bietet sein Online-Shop rechte Propaganda an, etwa Flugblätter der Rechtsaußen-Truppe „Neue Ordnung“.

 

Auf mehreren dieser Pamphlete zeichnet Jörg Lange – der Tote aus der Pension – als „Verantwortlicher im Sinne des Presserechts“. Zeugen zufolge soll er knapp drei Wochen vor seinem Ableben in dem ruhiggelegenen Etablissement eingecheckt haben, aus seiner Berliner Wohnung habe er verschwinden müssen. Wiederholt hatte ihn die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Volksverhetzung im Visier.

 

In einem von Lange genutzten Büro der Pension stellten Ermittler Flugblätter der „Neuen Ordnung“ sicher, Dateien, in denen es unter anderem um den rechtsextremen Ex-Terroristen Manfred Roeder ging, sowie eine schusssichere Weste, Schlagstöcke und einen mit NS-Symbolen verzierten Dolch.

 

Noch wenige Tage vor seinem Tod soll sich der Gast aus Nummer 15 den Ermittlungen zufolge mit Rechtsextremisten getroffen haben, darunter der Berliner Jan G., ein Kamerad aus alten NF-Tagen. Bei den Sicherheitsbehörden ist G. als „Straftäter rechts“ gelistet.

 

Fünf Tage nach seinem Besuch will G. noch einmal mit seinem Gesinnungsgenossen Jörg Lange verabredet gewesen sein. Als dieser nicht öffnete, habe G. die Tür aufgebrochen, den leblosen Körper entdeckt und den Notarzt verständigt.

 

In einer von Schönborn verantworteten Rechtsaußen-Postille erschien inzwischen ein Nachruf auf den Kameraden, der als junger Mann in „Stasi-Haft“ gesessen habe und zum „überzeugten Nationalsozialisten“ geworden sei, bevor er als Freiwilliger im Jugoslawien-Krieg auf kroatischer Seite gekämpft habe. Der Rechtsextremist wird als „hervorragender Grafiker, Computerfachmann und Führer“ gepriesen, dessen Tod aber nicht nur ein „menschlicher Verlust“ sei: Langes Ableben habe das Projekt Schulungszentrum verhindert und „uns auch organisatorisch und politisch sehr weit“ zurückgeworfen.

 

Das mag stimmen: Der Fund der Waffen und die folgenden Ermittlungen dürften die rechte Szene nicht amüsiert haben. Die in Herzberg geplante Kaderschmiede wird es nicht geben, nach Bekanntwerden der Hintergründe wurde der Pachtvertrag aufgelöst. Das Grundstück steht zum Verkauf, im Garten hat jemand eine zerfledderte Brandenburger Flagge gehisst – auf halbmast.

 

Von SVEN RÖBEL, ANDREAS WASSERMANN

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Da wird eine Fortsetzung folgen… Jörg Lange und Meinolf Schönborn gehören zu einem weiteren Netzwerk: [B] Angriff auf Hochschulcafé – Das Netzwerk der Reichsbewegung.