Wir haben uns satt gesehen...

Unsere Antwort auf den letzten Debattenbeitrag der mittlerweile kontinuierlich schreibenden „Temporären Autonomen Zelle“ hat etwas auf sich warten lassen. Nicht zuletzt, weil wir uns nicht sicher waren, wie wir auf den Text antworten sollten. Wir haben uns deshalb entschlossen, in unserer Antwort noch einmal Aspekte des ersten Textes mit aufzugreifen und uns zunächst auf einer Meta-Ebene mit der Argumentationsstruktur der taz auseinanderzusetzen.


Liebe taz,

Zunächst finden wir eure Art zu zitieren verwirrend bzw. fahrlässig. Durch das Zitieren einzelner Worte bzw. Satzteile wird nicht erkennbar, wo sie in unserem Text zu finden sind, ein Vergleich mit dem Original also massiv erschwert. Was in euren Texten unter der Leitlinie einer „differenzierten Positionierung“ läuft, ist ein Verwischen von Sinnzusammenhängen und Kontexten, hinter denen der eigentliche Inhalt, insbesondere unseres Textes, völlig verschwindet. Teilweise zimmert ihr euch auf diese Weise eure eigenen Argumente zurecht. So haben wir euch nicht als „dumm, infam und ignorant“ beleidigt, sondern nur eine spezifische Argumentationslinie von euch als „dumm oder infam“ bezeichnet. An der von uns so bezeichneten Stelle hattet ihr versucht Menschen, die betonen, dass Israel in (antisemitischen) Diskursen als Analogie für Jüdinnen und Juden gilt, in ein Boot zu setzen mit antisemitischen Diskursen, die sich einer Kritik am Staat Israel bedienen, um ihre antisemitische Propaganda zu verschleiern. (Autonomes Blättchen #9, Onlineversion, Seite 41)

Ein weiteres Beispiel: Wie alle, die uns kennen, wissen, nutzen wir die Grußformel „Glück und Freiheit“ unter fast allen unseren Publikationen und Mails. Dass ihr euch nicht zu schade seid, diesen Gruß dann in einem völlig anderen Sinnzusammenhang mitten in euren Text zu klatschen, hat uns ernsthaft erstaunt, insbesondere da ihr am Anfang schreibt, ihr würdet euch, obwohl ihr euch angegriffen fühlt, bemühen sachlich zu bleiben.

Wir möchten diese Erbsenzählerei hier nicht weiter ausführen, hätten uns aber in einer Diskussion einen anderen Umgang gewünscht.

Da wir bemerkt haben, welche Relevanz das Gaza Youth Manifesto für euch hat, wollen wir hier nicht länger zu diesem schweigen (Zitat taz: "Dazu schweigt Alerta lieber." In: AB#9, S:51) Das Manifest, das Ende 2010 erschien, wurde schnell in der Netzgemeinde populär und – nicht zuletzt wegen seiner prägnanten Überschrift: „Fuck Israel. Fuck Fatah. Fuck UN. Fuck UNRWA. Fuck USA!“ – auch international aufgegriffen. Selbst Mainstreammedien wie der Guardian, die New York Times und die TAZ druckten das Manifest ab. Ihr schreibt in eurem Text Wer nur eins sieht, übersieht unendlich viel (AB#9, S:50) „[...] geben wir mit dem Ausschnitt des Manifests des Gaza Youth Movements ein praktisches Beispiel dafür, dass nicht jede Kritik an israelischer Politik antisemitisch aufgeladen sein muss.“ Dabei unterlasst ihr es aber zu erwähnen, dass die veröffentlichende Gruppe kurze Zeit später mehrere Erweiterungen und Kommentare zu ihrem Manifest herausgegeben hat und darin ihre Positionen teilweise zurücknimmt und sich dabei durchaus „antisemitisch aufgeladen“ äußert. Ein Beispiel: “But more than Fatah and Hamas, who remains Palestinians just like us, ABOVE ALL we denounce the Occupier & its puppet the International Community who fails, day after day, in its duty to impose sanctions on 'Israel'” (“Aber mehr noch als die Fatah und die Hamas, die immer noch palästinensisch sind so wie wir, beschuldigen wir ÜBER ALL JENEN den Besatzer und seine Marionette die Internationale Gemeinschaft, die Tag für Tag darin versagt „Israel“ gegenüber Sanktionen aufzuerlegen.“) (http://gazaybo.wordpress.com/2011/01/04/dont-distort-our-speech/)

In ihrem Manifesto 2.0 bezieht sich die Gruppe dann positiv auf ihre „Märtyrer“ und Gefangenen, u.a. Cheikh Yaseen (Gründer der Hamas) und Marwan Barghouti (gründete die Tanzim, den bewaffneten Arm der Fatah), denen von der israelischen Regierung die Planung von diversen (Selbst-) Mordattentaten auf israelische Zivilist_innen vorgeworfen wird (http://gazaybo.wordpress.com/about/).

Ihr betont in eurem Text mehrfach, dass ihr an dem Manifest Kritik habt, versäumt es dabei aber, eure Kritik zu benennen. Gleichzeitig habt ihr es versäumt, die oben zitierten Äußerungen der Gruppe, die kurz nach der Veröffentlichung des Manifestos erschienen sind und euer Beispiel einer „nicht antisemitisch aufgeladenen Kritik an Israel“ zunichte machen, zu erwähnen.

Ein weiteres Beispiel für euren taktischen Umgang mit Quellen und das damit einhergehende Ignorieren antisemitischer Motive sind eure Aussagen zu Ali Chamene'i. Davon ausgehend, dass ihr beim Textschreiben unter anderem auf die Wikipedia-Artikel zum Iran und zu Chamene'i (http://de.wikipedia.org/wiki/Ali_Chamene'i und http://de.wikipedia.org/wiki/Iran) zurückgegriffen habt – und eure Textstruktur legt das teilweise nahe, zum Beispiel bei der Nennung der genauen Anzahl an Synagogen in Teheran – erscheint uns eure Weise daraus zu zitieren höchst fragwürdig. Ihr stellt in Wer nur Eins sieht, übersieht unendlich viel  fest, dass das Judentum im Iran als „Religion des Buches“ anerkannt sei, somit nicht als „unrein“ gilt, und selbst laut Chamene'i die Shoa wirklich passiert ist (AB#9, S:41). Dabei lasst ihr sämtliche anderen Chamene'i-Zitate, die ebenfalls in besagtem Artikel stehen, unter den Tisch fallen. So entgehen euren Leser_innen Chamene'ische Highlights wie „Bald wird sich die Welt vom zionistischen Regime, diesem Krebsgeschwür, befreien“. Dass diese „Befreiung“ nach Chamene'is wechselhafter Meinung auch mal durch eine Volksabstimmung geschehen soll, verbuchen wir mal unter einer von vielen sonderbaren Äußerungen politischer Führungspersonen.

Auch euer kleiner Exkurs zum Judentum im Iran in eurem ersten Text (AB#9, S:42f) ist ein Beispiel verfälschender, selektiver Quellenauswahl. So sind eure Angaben zu Synagogen in Teheran und der parlamentarischen Vertretung für die jüdische Minderheit zwar richtig, die vielen Quellen, die trotzdem von Diskriminierungen gegenüber der jüdischen Minderheit berichten, ignoriert ihr dann aber geflissentlich. Eure Argumentation ist dabei schon soweit populistisch überhöht, das sie den Boden der harten Fakten, die ihr ja so schätzt, verlässt. So ist es „den 25 000- 30 000 iranischen Juden und Jüdinnen“ keineswegs erlaubt „ihre Verwandten in Israel“ (AB#9, S:43) zu besuchen. Für sämtliche iranischen Staatsbürger besteht ein Ausreiseverbot nach Israel, Israelis können nicht in den Iran einreisen. Das Einreiseverbot ist sogar kleingedruckt auf der Innenseite des iranischen Reispasses abgedruckt. (siehe: http://sitara.com/iran/visa.html und en.wikipedia.org/wiki/Iranian_passport )

Wenn ihr Moshe Tsukerman zitiert, so sind wir über den Inhalt des von euch zitierten Textes sehr verwundert. Tsukerman beschäftigt sich darin mit der für ihn zentralen Frage, ob „der Iran Israel existenziell bedroht“ und stellt dabei fest, dass Israel den Iran „im Extremfall eines Angriffs auf seine Existenz in Schutt und Asche legen könnte“. Tsukerman sieht dabei eine nukleare Bewaffnung des Irans als „ein Gleichgewicht der Abschreckung“. Wir fragen uns, ist ein nuklearer Patt zwischen den beiden Staaten wirklich eine akzeptable Lösung für euch?

Angesichts der von Tsukerman vertretenen Position zum Irankonflikt kommt es uns eher so vor, als sei es euch wichtig gewesen, eine jüdische Person zu finden, um euren Argumenten mehr Gewicht zu geben. Tsukerman erfüllt hier also mehr eine Alibifunktion.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass euer Umgang mit Quellen und Zitaten falsche Fakten schafft, Zusammenhänge suggeriert wo keine sind und auf diese Art und Weise eine selektive Informationspolitik durch euch betrieben wird. Eine Diskussion darüber halten wir bei diesem Umgang für unmöglich.

Unter eurer Überschrift „Kein Krieg gegen Israel – Kein Krieg gegen den Iran!“ (AB#9, S.43 ) beschreibt ihr zwar richtigerweise, dass „...es der israelischen Regierung bei den Kriegsdrohungen gegen den Iran tatsächlich vor allem darum [geht], die nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern“.

Dieser spannende Vergleich zwischen einem antisemitisch motivierten „Krieg gegen Israel“, der mit Vernichtungswünschen einhergeht, (ihr erinnert euch: „Antirasse“, „Krebsgeschwür“, „Volksabstimmung“) und einem präventiven Luftangriff, der primär militärische Anlagen oder solche des zivil-militärischen Komplexes zum Ziel hat, erschließt sich uns leider nicht. Wir finden, dass die Nennung dieser beiden Formen von Krieg in einer Überschrift eine undifferenzierte Gleichsetzung militärischer Handlungen schafft. Auch wir lehnen Krieg ab. Pauschal. Sich auf dieser Ablehnung von Krieg auszuruhen und die Motivation der Akteur_innen nicht kritisch zu hinterfragen, scheint uns doch recht einfach. Zumal ihr in euren Texten mehrmals betont, dass euch militärische Handlungen Israels in einem Verteidigungsfall dann doch ganz recht sind. Wir fragen uns: Wie genau sieht es denn aus, wenn „...jüdische Menschen zu ihrem Schutz den Staat Israel verteidigen“ („Wer sieht was?“ in AB#9, S:51)? Nicht doch irgendwie auch – ein bisschen – wie Krieg?

Wenn wir insgesamt auf die drei Texte zurückschauen, wird uns eines klar: Unsere Bezugspunkte sind grundverschieden. Ihr versucht im Sinne eines antimilitaristisch-internationalistischen Weltbildes die Situation im Nahen Osten aus antimilitaristischer Sicht zu untersuchen, u.a. um Bündnispartner_innen und Anknüpfungspunkte zu finden. Unsere Kritik, u.a. an eurem Vorgehen, orientiert sich an einem, zum guten Teil im deutschen Kontext stattfindenden, Diskurs zu Antisemitismus und dessen Funktions- und Wirkweisen. Unser Interesse ist es, antisemitische Denkmuster und Motivationen aufzudecken und einen Begriff von Antisemitismus innerhalb einer linksradikalen Szene zu implementieren, der über eine bloße Feindschaft gegenüber Juden hinausgeht und Erkenntnisse der Antisemitismusforschung miteinbezieht. Dass wir in diesem Bemühen um einen Umgang mit israelischer Innen- und Außenpolitik und den Nahostkonflikt an sich nicht herumkommen, ist uns klar.  Um antisemitische Leitbilder und Motive zu erkennen, müssen wir uns mit Antisemitismus auseinandersetzen. Diese Analysen lassen sich zweifelsohne auch auf den Kontext im Nahen Osten übertragen. Um euren Plan einer kritischen Sicht auf Nahost und die Suche nach möglichen Solidaritätsadressen umzusetzen, solltet ihr zunächst bereit sein, euch intensiver mit Antisemitismus auseinanderzusetzen und diesen in eure politischen Deutungen miteinzubeziehen. Euer Versuch, euch bei eurer Positionierung im Nahostkonflikt vom deutschen Diskurs um Antisemitismus zu lösen ist zum Scheitern verurteilt.  Ihr lauft Gefahr, wie bisher, in einem Boot zu sitzen mit jenen Antisemit_Innen, von denen ihr euch in euren Texten oft, und glaubhaft, distanziert.

Wenn ihr also auf unsere Kritik an der von euch vertretenen Position antwortet, indem ihr versucht uns die realen Verhältnisse in Nahost zu erläutern, so trifft das den Punkt unserer Argumentation nicht. Nicht die Verhältnisse im Nahen Osten sind Kern unserer Kritik, sondern die Verhältnisse, die ihr mit eurer Haltung hier konkret hervorruft.

Der Weg zu einer linksradikalen Position, die eine kritische und zugleich solidarische Sicht auf Aufstände und Oppositionsbewegungen ermöglicht und sich nicht zwischen den Polen Abfeiern und Ignorieren bewegt, ist dunkel und lang. Auch wir glauben, dass es hierzu in der radikalen Linken Diskussionsbedarf gibt. Den Pfad, den ihr eingeschlagen habt, wird jedoch nicht an dieses Ziel führen, zumindest nicht an unser Ziel.

Die Solidarität mit Israel ist integraler Bestandteil eines politischen Verständnisses, das die reale antisemitische Gefahr nicht schönredet oder versucht sie mit Hilfe des Antizionismus-Begriffs zu verwässern. Bei der Solidarität mit dem Staat Israel geht es nicht, wie von euch behauptet, darum sich mit reaktionären Regierungen zu solidarisieren, sondern den Staat Israel als Schutzraum für Jüdinnen und Juden und als staatliche Realität mit seinen Bewohner_innen zu verteidigen. Die Existenz Israels ist hierbei für uns wahrlich kein Grund zum Feiern, sondern die bittere Erkenntnis in einer Welt zu leben, in der Israel notwendig (geworden) ist. Solidarität mit Israel bedeutet nicht Solidarität mit der Politik der Sharon-Regierung, es bedeutet das Eintreten für die Notwendigkeit Israels und den Schutz seiner Bewohner_innen. Dies gilt natürlich auch für die von euch erwähnten 20 Prozent Nicht-Juden, die aus den gleichen antisemitischen Motiven heraus mit Raketen beschossen werden, wie die jüdische Bevölkerungsmehrheit.

In Anbetracht eures Umgangs mit Quellen und Informationen und eurer bisherigen Weigerung euch mit eurem verkürzten Verständnis von Antisemitismus auseinanderzusetzen, möchten wir die Diskussion hier beenden. Wir sind uns sicher, dass auch ihr nicht mit Gruppen, die eine unzureichende Analyse von Kapitalismus vertreten, über die Beweggründe ihrer antikapitalistischen Analyse diskutieren würdet. Wir gehen davon aus, dass auch ihr eine Diskussion, deren Basis komplett verschiedene Analysen sind, eher belastend als erleuchtend findet. Die Diskussion die ihr scheinbar sucht, können und wollen wir nicht führen.

Alles Gute auf eurem Weg,
Glück und Freiheit


alerta
 

Hannover im Mai 2012

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Wenn Antideutsche über Israel von einem Schutzraum für Juden reden, hört sich das für mich immer nach Reservat an, Deutsche können es sich eben nicht verkneifen Juden in Ghettos zu sperren, um sie zu vernichten oder um sie zu schützen.

Die Deutschen wussten eben schon immer, was gut für "die Juden" ist. Ob die gesamte israelische Linke oder all jene, die nicht von kapitalistischer Standortpolitik profitieren das anders sehen spielt halt keine Rolle. "Die Juden" sind eben anders als alle anderen! Sie sind nicht im Stande sich und alle anderen der Verwertungslogik zu unterwerfen, sie sind nicht im Stande Kriege zwecks Ressourcenerhaltung/-gewinnung zu führen und sie sind nicht im Stande rassistisch zu sein oder Pogrome zu vollziehen. Und das alles nur, weil sie eben "die Juden" sind. Ein rassistisch-antisemitisches Konstrukt von einigen wirren deutschen Ex-Linken. So sind eben alle "Juden" Israel und Israel ist alle "Juden". Das macht die Virtualisierung eines "Schutzraumes" in Bezug auf Israel erst möglich. Ein Hirngespinst, welches auch nicht dadurch richtiger wird, dass man es immer und immer wieder in Form von Plattitüden zum Besten gibt.

Ist mit "Alerta Hannover" etwa das Libertäre Netzwerk Hannover gemeint?! Falls dem so ist, sollten sich etwaige Anarchist_innen eine (weitere) Zusammenarbeit mit diesen "Leuten" dann nochmal überlegen... Dieser Text ist eine recht eindeutige Positionierung in einer Debatte, die Anarchist_innen nicht würdig ist. Der Staat ist das Problem und niemals die Lösung. Floskeln wie "Die Existenz Israels ist hierbei für uns wahrlich kein Grund zum Feiern, sondern die bittere Erkenntnis in einer Welt zu leben, in der Israel notwendig (geworden) ist.", die ohne weitere Ausführungen einfach in den Raum gestellt werden, signalisieren ein völliges Unverständnis der Betrachtung der Konstrukte "Volk", "Nation" und "Rasse" aus anarchistischer Perspektive.

 

Die grundlegenden Problemfaktoren dieser Welt können doch nicht plötzlich zu Lösungen pervertiert werden. Denkt doch mal bitte ein wenig nach und betet nicht IMMER und IMMER WIEDER die gleichen (falschen) Sätze herunter.